Diese Geschichte Russlands ist anders als die anderen. Sie geht nicht chronologisch vor, sie behandelt ihren Gegenstand systematisch. Ein klar profiliertes Bild Russlands und seiner Rolle in der Geschichte Europas und der Welt. Carsten Goehrke, einer der namhaftesten Kenner der russischen Geschichte, stellt dem Leser klar und übersichtlich ihre Grundstrukturen und Schlüsselfaktoren vor Augen, die Kräfte, die Russland von den Anfängen der Kiewer Rus bis zur Russischen Föderation und bis zu Putins Herrschaft geformt haben. In jeweils chronologisch aufgebauten Kapiteln wird die historische Entwicklung nach ihren wichtigsten Strukturelementen dargestellt. Zu diesen prägenden Elementen zählen der Raum, die staatlich-territoriale Expansion der Frühen Neuzeit, der Aufstieg zur Weltmacht im 19. und 20. Jahrhundert, die Bevölkerung, die wirtschaftliche Entwicklung, die Gesellschaft, die Grundlagen der Macht, religiöse und kulturelle Faktoren und Prägungen, die Rolle der Persönlichkeit in der russischen Geschichte, herausragende Akteure von Iwan dem Schrecklichen bis Gorbatschow, sowie religiöse, soziale und nationale Werte und Identitäten und der Diskurs über die 'russische Seele'. Einzelne Strukturelemente werden in vier Grundproblemen gebündelt: das Imperium und seine sozialen Kosten; Russlands wirtschaftlicher Wettlauf mit dem Westen; der Zirkel von Machtstaat und 'staatsfixierter' Gesellschaft; Staat und Gesellschaft Russlands und das orthodoxe Erbe. Eine abschließende Synthese verknüpft all diese Faktoren und fragt nach dem besonderen historischen Profil Russlands in der europäischen wie in der Globalgeschichte.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
In Ulrich M. Schmids Kritik von Carsten Goehrkes - im NZZ Verlag erschienener - Geschichte Russlands schwingt von Anfang an große Hochachtung mit angesichts der geografischen und zeitlichen Ausmaße dieses Projekts. Der Autor kündigt kühn eine "Strukturgeschichte" an und nimmt dabei unerschrocken eine Zeitspanne von über 1000 Jahren in den Blick, stellt der beeindruckte Rezensent fest. Dass der emeritierte Zürcher Professor für Osteuropäische Geschichte dabei nicht chronologisch, sondern nach Themen vorgeht, die in seinen Augen die russische Geschichte maßgeblich geprägt haben, scheint dem Rezensenten sehr zuzusagen. Dabei ist Schmid anscheinend besonders positiv aufgefallen, dass Goehrke die geschichtliche Entwicklung nicht einfach als "gegeben hinnimmt", sondern immer auch den Blick für theoretisch mögliche Alternativen offen hält. Insgesamt zeigt der Rezensent deutlich seine Bewunderung für dieses große Unterfangen, das die "bestimmenden Faktoren" in der Geschichte Russlands aufzeigt und den "Strukturbahnen" der historischen Entwicklung bis in die Gegenwart nachgeht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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