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Ob Mozart, Verdi, Wagner, Richard Strauss oder Werke ihres Ehemannes Paul Dessau Ruth Berghaus Inszenierungen waren immer kontrovers: Leicht hat sie es den Zuschauern nie gemacht, mit einer Zeichensprache, die dicht war bis zum Hermetischen, die sich bei einmaliger Betrachtung zuweilen nicht erschloss, die aber immer nachwirkte. Ruth Berghaus hat nur wenig Privates Preis gegeben, aus persönlicher Diskretion, zum einen weil es sich unter den Bedingungen einer Diktatur verbot, zu viele Spuren zu hinterlassen, zum anderen, weil sie durch ihre Arbeit sprechen wollte. Corinne Holtz hat sich auf die…mehr

Produktbeschreibung
Ob Mozart, Verdi, Wagner, Richard Strauss oder Werke ihres Ehemannes Paul Dessau Ruth Berghaus Inszenierungen waren immer kontrovers: Leicht hat sie es den Zuschauern nie gemacht, mit einer Zeichensprache, die dicht war bis zum Hermetischen, die sich bei einmaliger Betrachtung zuweilen nicht erschloss, die aber immer nachwirkte. Ruth Berghaus hat nur wenig Privates Preis gegeben, aus persönlicher Diskretion, zum einen weil es sich unter den Bedingungen einer Diktatur verbot, zu viele Spuren zu hinterlassen, zum anderen, weil sie durch ihre Arbeit sprechen wollte. Corinne Holtz hat sich auf die Suche gemacht: Sie recherchierte in Archiven, nahm Einsicht in die Akten der SED, der Akademie der Künste und des Staatssicherheitsdienstes und sprach mit Zeitzeugen, Freunden und Kollegen wie Peter Konwitschny, Jenny Erpenbeck, Klaus Zehelein und Michael Gielen. Entstanden ist das Porträt einer ungewöhnlichen Regisseurin, deren herausragende und herausfordernde Arbeiten weit über ihren Tod hinaus wirksam sind. Ruth Berghaus blieb eine Unangepasste in den Kulturbetrieben der unterschiedlichen Systeme, eine politische Frau, die sich letztlich nur der Freiheit der Kunst verpflichtet fühlte.
Autorenporträt
Corinne Holtz, geboren 1962, studierte Geige an der Hochschule für Musik Winterthur/Zürich und spielte Neue und Alte Musik (Barockgeige). Seit 1989 freie Musikjournalistin und Musikredakteurin im Kulturprogramm vom Schweizer Radio DRS mit dem Schwerpunkt Interpretationskritik und Musiktheater. Produktion von Features u. a. über Pierre Boulez, György Ligeti und auch Ruth Berghaus. 2000/2001 Beginn eines Stipendiats in der Europäischen Journalisten Fellowships (FU Berlin) mit den Recherchen über Leben und Werk von Ruth Berghaus.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.11.2005

Lasst den Körper denken
Schock und Haltung: Corinne Holtz porträtiert die Regisseurin Ruth Berghaus
Das Porträt einer zwischen den Welten pendelnden, in Ost wie West unangepassten Künstlerin beginnt als Spurensuche. Mit der S-Bahn fährt die Autorin von Berlin südöstlich nach Zeuthen und schaut sich um, wo Ruth Berghaus ab 1954 mit ihrem Mann, dem Komponisten Paul Dessau, lebte. Sie selbst fuhr selten mit der Bahn, saß lieber in ihrem silbergrauen Mercedes. Oder der Chauffeur holte sie ab im Dienstwagen und brachte sie zur Arbeit an die großen Theaterschauplätze Berlins.
Von 1971 an bekleidete Berghaus eines der höchsten Kunstämter im anderen deutschen Staat: die Intendanz an Brechts Berliner Ensemble. Und trat, von der Staatssicherheit längst bespitzelt, nach sechs Jahren schon wieder zurück - oder richtiger: wurde abserviert und erhielt einen Vertrag als Regisseurin an der Deutschen Staatsoper Berlin. Durch ihre international beachteten Regiearbeiten zur prominenten Künstlerin aufgestiegen, bewegte sich Berghaus ab den späten Siebzigern „frei” zwischen Wien, Brüssel, Hamburg und Frankfurt - ohne doch ihrem Staat und einer sozialistischen Utopie abzuschwören. Nach der deutschen Vereinigung ergab sich eine engere Bindung zum Züricher Opernhaus. 1996 starb Berghaus in Zeuthen.
Corinne Holtz, Geigerin und Musik-Redakteurin beim Schweizer Radio, erhielt durch ein Stipendium der Freien Universität Berlin die Gelegenheit, Leben und Werk von Berghaus gründlich zu erforschen. Das Buch fußt auf Quellen diverser Archive, auf Stasi-Unterlagen und - was Inszenierungsdokumente, Korrespondenzen oder Tonbandgespräche betrifft - auf dem Archiv der ostdeutschen Akademie der Künste. Holtz hat zu den weit mehr als 100 Bühnenarbeiten der Berghaus zwischen 1950 und 1995 Materialien aus den Medien und aus den Theatern selbst gesichtet. Faktenreich und temperamentvoll beschreibt sie ihre Heldin, die tatsächlich eine der fesselndsten Erscheinungen des deutschsprachigen Schauspiels und Musiktheaters nach dem Zweiten Weltkrieg war.
Begonnen hatte die 1927 in Dresden geborene Absolventin der Ausdruckstanzschule Gret Paluccas mit choreografischem Theater, der „Schlachtszene” für Shakespeares „Coriolan” in der Brecht-Bearbeitung. BdM-Jugend im Nationalsozialismus, künstlerische Anfänge im expressionistischen Tanztheater, die Zeit am Berliner Ensemble, die Arbeitsmethode, die ästhetische Bildersprache - all diesen Kapiteln schickt die Autorin Einblicke ins „Metaphorische Theater” der Berghaus voraus, auch in die Vorgänge auf den Kampffeldern ostdeutscher Theaterpolitik zwischen Brecht und Felsenstein, zwischen Deutscher Staatsoper und Komischer Oper. Harry Kupfer wird ihr „realistischer Gegenspieler”. Von Anfang an gilt: „Die Provokation gehört zu Ruth Berghaus wie die Tennisschuhe, die sie auf den Proben trägt.”
„Scheiß DDR” sagte sie nicht
Einer verdankt ihr besonders viel: „Ruth Berghaus hat mich damals zur Oper verführt, ich wusste gar nicht, wie wunderbar dieses Medium ist”, sagt später Achim Freyer, Brechts Meisterschüler für Bühnenbau, den Berghaus 1959 als Bühnenbildner entdeckte. Bei ihr sah er, was die „szenische Metapher" des Körpers sein kann oder bloß eines nackten Stuhls, wie ihn Berghaus später in Mozarts „Entführung” in Frankfurt oder in Wagners „Ring” als Bedeutungsträger für die Bühne schuf. Klaus Zehelein, damals Dramaturg an der Frankfurter Oper und ihr wichtigster Gesprächspartner, heute Stuttgarts Opernchef, hatte früh das Spezifische des Berghaus-Stils erkannt: „Die Körper zum Denken bringen, Körper so inszenieren, dass neben Sprache, Musik und Licht eine weitere selbstständige Ebene entsteht.”
Sie war mutig, eine Künstlerin, die keine Auseinandersetzung um ihre Prinzipien scheute. Widerspruch und Polemik waren ihre ständigen Begleiter - dazu Turbulenzen im Publikum, bei der Kritik, an den Schaltstellen der SED-Kulturpolitik. Gleichzeitig übten ihre Arbeiten aber jene Faszination aus, die mit der „Mischung aus irrationalen und analytischen Anteilen, die der Idee eines Nicht-Wagnerschen Gesamtkunstwerkes nahe kommt”, zu tun hatte, letztlich mit den Rätselbildern der Kunstwerke selbst. Berghaus bekannte sich zur paradoxen Aufgabe des Regisseurs, dieses „Rätsel zu lösen. Wenn man es gelöst hätte, wäre es keine Kunst mehr”.
Schocks löste die Künstlerin fast regelmäßig aus, wenn sie die großen bekannten Opernwerke von Mozart, Wagner oder Strauss inszenierte. Hier verletzte sie am spürbarsten Hör- und Sehgewohnheiten, stieß heftig und schmerzlich durch die Oberflächen des Schönen hindurch zu den Konflikten in der Tiefe der Stücke, den Geschlechterkämpfen, Macht- und Herrschaftsszenarien der singend Handelnden.
Einer der Zeitzeugen in den siebziger Jahren war der junge Regisseur Peter Konwitschny, jahrelang ihr Assistent am Berliner Ensemble und selbst ein Schwieriger. Berghaus förderte ihn gegen alle Umtriebe der Staatsbürokratie, und Konwitschny erlebte ihr Wesen. Etwa nach dem erzwungenen Rücktritt als Intendantin am Berliner Ensemble, den sie mit „Haltung” ertrug. Offen sprach er mit ihr darüber und erinnert sich: „Scheiß-DDR zu sagen, das war ihr nicht möglich. Das war ihr zu heilig, dann wurde sie krank, daran starb sie.”
Nur ein einziges Mal ist die Autorin dieser Monografie Ruth Berghaus im Gespräch begegnet, als diese 1993 in Zürich den „Freischütz” inszenierte. „Was zuerst und vor allem redet, sind ihre Hände. Sie malen einen Raum, unterstreichen eine Aussage. Ihre Inszenierungen haben wie sie selbst kein einziges Gramm Fett angesetzt, sagt jemand, der sie und ihr Werk seit den sechziger Jahren kennt. So sitzt sie auch da. Zart, zerbrechlich. Offensichtlich streng mit sich selbst.” Als gegen Ende des Interviews das Aufnahmegerät des Senders nicht mehr funktioniert, rät die Berghaus der jungen Interviewerin: „,Mädchen, kaufen Sie sich ein eigenes Gerät, Sie machen sich den ganzen Beruf kaputt.‘ Sie sagt das ohne Ironie, sagt nur soviel, wie ihrer Meinung nach gesagt werden muss, und schaut dabei auffordernd durch ihre Brille.”
WOLFGANG SCHREIBER
CORINNE HOLTZ: Ruth Berghaus. Ein Porträt. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2005. 399 Seiten, 25 Euro.
Bühnenbild von Ruth Berghaus’ Inszenierung von Wagners „Tristan und Isolde” (1987), die an diesem Sonntag an der Hamburger Staatsoper unter der Leitung von Simone Young wiederaufgenommen wird.
Foto: Staatsoper Hamburg
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Nicht nur gründlich, auch einfallsreich recherchiert habe Corinne Holtz ihr Porträt der Ruth Berghaus. Nötig, so Rezensent Klaus Jungheinrich, sei dies schon deshalb gewesen, weil Ruth Berghaus nicht mehr zur persönlichen Auskunft zur Verfügung gestanden habe und sie sich zudem im öffentlichen Raum hinter der Maske einer schlecht gelaunten DDR-Intellektuellen gewissermaßen versteckt habe. Nur viele Gesprächspartner und "kluge" Kommentare der Autorin würden hier für die nötige Anschaulichkeit sorgen, wenngleich, so der Rezensent, das "Netz" der einflussreichen Freunde und Feinde in der DDR nahezu undurchschaubar bleibe. Ihr enormes Arbeitspensum, referiert der Rezensent, habe Ruth Berghaus nur deshalb leisten könne, weil sie ihre Inszenierungen nach einer gewissen Kreativphase doch sehr rigide umgesetzt habe. Als Künstlerin sei sie aus heutiger Sicht wohl weniger relevant, denn als einflussreiches Vorbild einer ganzen Generation.

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