Produktdetails
- Verlag: Steidl
- 1999.
- Englisch
- Abmessung: 245mm x 300mm
- Gewicht: 1278g
- ISBN-13: 9783882435764
- ISBN-10: 3882435763
- Artikelnr.: 08299355
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.1999Höhlengänge durch eine untergehende Backsteinwelt
Es ist ein prekärer Augenblick, aus dem die Zeit geflohen scheint und nur einen Stillstand zurückgelassen hat, der sich nicht zur bedeutenden Vergänglichkeit erlösen kann. Denn es fehlen die Handwerker der Zerstörung, die mit Presslufthammer oder Abrissbirne ihr Unwerk weitertreiben und dem Gebäude so ins Leibesinnere rücken, dass der Schrecken ein Ende, die Stadt eine neue Wiederaufbaustelle hat. Sie alle scheinen mitten in der Arbeit geflohen und etwas zurückgelassen zu haben, das seine Verletzung bleibend ausstellen muss; es ist der letzte Gnadenstoß, der dem Bau auf seinem Weg zum endgültigen Trümmerhaufen versagt bleibt. Was von ihm stehengeblieben ist, mag man nicht Ruine nennen. Dazu fehlt die Würde des langsam herbeigeführten Verfalls, der die Reste mit der Patina einer Verfallsgeschichte wieder versiegelt. Hier aber hat nicht der Zahn der Zeit beharrlich die ruinöse Schönheit geformt, sondern blanke Gewalt bis zu ihrem willkürlichen Abzug gewütet. Risse gehen durch eine wehrlos gewordene Architektur, deren Ende auf sich warten lässt.
Ryuji Miyamoto hat das Große Schauspielhaus 1985 ins Trauerbild gesetzt; die letzte Aufführung des Berliner Hauses, die in ihm zu sehen war, gilt nun seiner eigenen Tragödie. Der 1947 in Tokio geborene Künstler sucht weltwelt nach nach großen, öffentlichen Gebäuden, die vor ihrem Verschwinden noch einmal wie anatomische Präparate ihr Innenleben freigeben. Nach dem Erdbeben in Kobe hat Miyamoto Straßenzüge fotografisch aufbewahrt, die jeden rechten Winkel verlassen hatten und wie expressionistische Filmszenerien übereinander herfielen. Es sind Trümmer, die ihre Erinnerung an die alte Form noch nicht aufgegeben haben und sich gegen die drohende Formlosigkeit standhaft zur Wehr setzen.
Gasleitungen quillen wie Innereien aus der zerbrochenen Fassade hervor, Wände neigen sich zu ihrem letzten Fall, Decken tragen zu schwer an sich. Im Vergnügungspark von Coney Island fressen sich Rost und Schlingpflanzen langsam die stillgelegte Achterbahn hinauf, in Hongkong plündert Armut die Slums aus und vertreibt das Leben aus Wohnblocks, in denen Ratten zur Nachmiete einziehen. Das Elend dieser Baukörper tritt zu sichtbar an den Betrachter heran, um noch mit morbidem Glanz aus der Ferne herüberleuchten zu können. Ryuji Miyamoto zeigt den letzten Klammergriff von bröselndem Beton und verwirrten Trossen. An ihrem gemeinsamen Ende ist nicht zu zweifeln, und nicht einmal das endgültige Verfallsdatum wird ihnen überlassen bleiben. Menschen haben dieses Verfallsareal längst verlassen; nur die Fotografie gibt ihm das letzte Geleit. ("Ryuji Miyamoto". Herausgegeben von Gerhard Steidl. Steidl Verlag, Göttingen 1998. 136 S., 79 Fotos in Duotone, geb., 78 S.)
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Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es ist ein prekärer Augenblick, aus dem die Zeit geflohen scheint und nur einen Stillstand zurückgelassen hat, der sich nicht zur bedeutenden Vergänglichkeit erlösen kann. Denn es fehlen die Handwerker der Zerstörung, die mit Presslufthammer oder Abrissbirne ihr Unwerk weitertreiben und dem Gebäude so ins Leibesinnere rücken, dass der Schrecken ein Ende, die Stadt eine neue Wiederaufbaustelle hat. Sie alle scheinen mitten in der Arbeit geflohen und etwas zurückgelassen zu haben, das seine Verletzung bleibend ausstellen muss; es ist der letzte Gnadenstoß, der dem Bau auf seinem Weg zum endgültigen Trümmerhaufen versagt bleibt. Was von ihm stehengeblieben ist, mag man nicht Ruine nennen. Dazu fehlt die Würde des langsam herbeigeführten Verfalls, der die Reste mit der Patina einer Verfallsgeschichte wieder versiegelt. Hier aber hat nicht der Zahn der Zeit beharrlich die ruinöse Schönheit geformt, sondern blanke Gewalt bis zu ihrem willkürlichen Abzug gewütet. Risse gehen durch eine wehrlos gewordene Architektur, deren Ende auf sich warten lässt.
Ryuji Miyamoto hat das Große Schauspielhaus 1985 ins Trauerbild gesetzt; die letzte Aufführung des Berliner Hauses, die in ihm zu sehen war, gilt nun seiner eigenen Tragödie. Der 1947 in Tokio geborene Künstler sucht weltwelt nach nach großen, öffentlichen Gebäuden, die vor ihrem Verschwinden noch einmal wie anatomische Präparate ihr Innenleben freigeben. Nach dem Erdbeben in Kobe hat Miyamoto Straßenzüge fotografisch aufbewahrt, die jeden rechten Winkel verlassen hatten und wie expressionistische Filmszenerien übereinander herfielen. Es sind Trümmer, die ihre Erinnerung an die alte Form noch nicht aufgegeben haben und sich gegen die drohende Formlosigkeit standhaft zur Wehr setzen.
Gasleitungen quillen wie Innereien aus der zerbrochenen Fassade hervor, Wände neigen sich zu ihrem letzten Fall, Decken tragen zu schwer an sich. Im Vergnügungspark von Coney Island fressen sich Rost und Schlingpflanzen langsam die stillgelegte Achterbahn hinauf, in Hongkong plündert Armut die Slums aus und vertreibt das Leben aus Wohnblocks, in denen Ratten zur Nachmiete einziehen. Das Elend dieser Baukörper tritt zu sichtbar an den Betrachter heran, um noch mit morbidem Glanz aus der Ferne herüberleuchten zu können. Ryuji Miyamoto zeigt den letzten Klammergriff von bröselndem Beton und verwirrten Trossen. An ihrem gemeinsamen Ende ist nicht zu zweifeln, und nicht einmal das endgültige Verfallsdatum wird ihnen überlassen bleiben. Menschen haben dieses Verfallsareal längst verlassen; nur die Fotografie gibt ihm das letzte Geleit. ("Ryuji Miyamoto". Herausgegeben von Gerhard Steidl. Steidl Verlag, Göttingen 1998. 136 S., 79 Fotos in Duotone, geb., 78 S.)
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