Wer unser Saatgut kontrolliert, kontrolliert die gesamte Nahrungsmittelkette. Diese Kontrolle versucht die Agrarindustrie weltweit zu erlangen. Doch vielerorts kämpfen Bäuerinnen und Gärtner für eine autarke Nutzung des Saatguts. Welche Wege Samengärtner, Züchter und Aktivistinnen finden, um die Sortenvielfalt zu erhalten, schildert dieses liebevoll gestaltete Buch.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.2016Das Saatgut-Oligopol
Über Marktkonzentration und Sortenverlust
Der Blick auf das Saatgut fokussiert einen Mikrokosmos der Landwirtschaft, aber er geht dem agrarindustriellen System damit analytisch an die Wurzel. Dabei muss es den Leser nicht ärgern, dass Anja Banzhaf weniger als Wissenschaftlerin, sondern vor allem als Aktivistin darauf schaut. Ziemlich akkurat und akribisch skizziert sie die Geschichte des Saatguts, das Jahrtausende im freien Tausch zirkulierte und in bäuerlichen Gesellschaften bewahrt und verbessert wurde. Dann kamen der Sortenschutz, das Patentrecht, die modernen Züchtungsmethoden von der Hybridzucht über die transgenen Veränderungen bis hin zur Genomanalyse. Diese Entwicklung ist mit Konzernen wie Monsanto, Bayer, Du Pont, KWS oder Limagrain verbunden, und auch der ungeheuerliche Konzentrationsprozess dieser Branche ist Gegenstand des Buches.
Ein spannender Aspekt ist die Arbeitsteilung in diesem Bereich: Kaum jemand wird wissen, dass die Zucht von Hybridsaatgut mit Handarbeit verbunden ist, die etwa in afrikanischen Ländern erledigt wird, mithin Saatkörner um die halbe Welt reisen, ehe der Bauer sie pflanzt. Der Weltmarkt für Saatgut entstand vergleichsweise spät, die Forschung wurde immer kapitalintensiver, der Saatgut plötzlich geistiges Eigentum, ein globaler Milliardenmarkt.
Die steigenden Erträge haben ihre Kehrseiten: Mehr Dünger ist nötig, die Landwirte bauen nur noch eine winzige Auswahl an Pflanzensorten an, und die alten Kulturpflanzen liegen in Archiven und Genbanken oder werden von wenigen Saatgutaktivisten herumgereicht und vermehrt, etwa von Anja Banzhaf. Begründet ist ihre Skepsis gegenüber den Versprechungen der Gentech-Industrie: Auch nach dreißig Jahren Forschung sei es der nicht gelungen, die Erträge der Pflanzen zu steigern.
Ihre Sorge um den Verlust bäuerlicher Landwirtschaft, die weltweit immer noch für mehr als zwei Drittel der Ernten verantwortlich ist, mischt sich mit einer kompromisslosen Liebe zu den Erscheinungsformen biologischer Vielfalt, die sich in schönen Skizzen etwa blauer Maissorten aus mexikanischen Bauerngärten widerspiegelt, aber auch mit Chiffren und Metaphern radikaler Kritik an Kapitalismus und Geldwirtschaft und albernen Gender-korrekten Sprachspielen ("Jägerinnen und Sammler").
Schwärmereien vom Glück angeblich vergleichsweise häufig tanzender Steinzeitmenschen und einseitig pessimistische Wahrnehmungen einer Wirtschaft, die auf weitreichender Arbeitsteilung, Geld und Kredit beruht, treibt das Buch in diesem Sinne weiter, als es nötig wäre, um ein Bewusstsein für die Verluste zu schärfen, die moderne Agrarindustrie auch bringt. Denn eigentlich wäre es schön, wenn auch Saatgutindustrielle sich von solchen Büchern inspirieren ließen, die nicht nur (vordergründige) Zuchterfolge, sondern auch Fragen nach Ästhetik, Diversität und Glück im Diskurs zuließen. Was die Wahrscheinlichkeit, dass das gelingt, nicht erhöht: Stellenweise entsteht bei Banzhaf hingegen der Eindruck, alte marxistische Mythen einer angeblich herrschaftsfreien Urgesellschaft der Jäger und Sammler schwämgen halb reflektiert mit und verzerrten den Blick auf die Wirklichkeit.
Doch dann verblasst dieser Eindruck wieder, wenn die Botanikerin engagierte Bürger interviewt und porträtiert, die sich verschiedenartig für die Bewahrung der Pflanzenvielfalt einsetzen. Das gilt auch für die Autorin selbst, deren politischer Missionierungsdrang meistens unaufdringlich bleibt und die in vielen Punkten reeller ist als die Agrar- und Saatgutindustrie selbst - etwa wenn sie begründet, warum die Input-intensive Landwirtschaft zwar hochproduktiv ist, aber nicht effizient. Schließlich mutet ihr begründeter Vorschlag für weniger Regulierung im Saatgutrecht geradezu liberal an.
JAN GROSSARTH
Anja Banzhaf: Wer die Saat hat, hat das Sagen. Oekom Verlag, 272 Seiten, 19,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Über Marktkonzentration und Sortenverlust
Der Blick auf das Saatgut fokussiert einen Mikrokosmos der Landwirtschaft, aber er geht dem agrarindustriellen System damit analytisch an die Wurzel. Dabei muss es den Leser nicht ärgern, dass Anja Banzhaf weniger als Wissenschaftlerin, sondern vor allem als Aktivistin darauf schaut. Ziemlich akkurat und akribisch skizziert sie die Geschichte des Saatguts, das Jahrtausende im freien Tausch zirkulierte und in bäuerlichen Gesellschaften bewahrt und verbessert wurde. Dann kamen der Sortenschutz, das Patentrecht, die modernen Züchtungsmethoden von der Hybridzucht über die transgenen Veränderungen bis hin zur Genomanalyse. Diese Entwicklung ist mit Konzernen wie Monsanto, Bayer, Du Pont, KWS oder Limagrain verbunden, und auch der ungeheuerliche Konzentrationsprozess dieser Branche ist Gegenstand des Buches.
Ein spannender Aspekt ist die Arbeitsteilung in diesem Bereich: Kaum jemand wird wissen, dass die Zucht von Hybridsaatgut mit Handarbeit verbunden ist, die etwa in afrikanischen Ländern erledigt wird, mithin Saatkörner um die halbe Welt reisen, ehe der Bauer sie pflanzt. Der Weltmarkt für Saatgut entstand vergleichsweise spät, die Forschung wurde immer kapitalintensiver, der Saatgut plötzlich geistiges Eigentum, ein globaler Milliardenmarkt.
Die steigenden Erträge haben ihre Kehrseiten: Mehr Dünger ist nötig, die Landwirte bauen nur noch eine winzige Auswahl an Pflanzensorten an, und die alten Kulturpflanzen liegen in Archiven und Genbanken oder werden von wenigen Saatgutaktivisten herumgereicht und vermehrt, etwa von Anja Banzhaf. Begründet ist ihre Skepsis gegenüber den Versprechungen der Gentech-Industrie: Auch nach dreißig Jahren Forschung sei es der nicht gelungen, die Erträge der Pflanzen zu steigern.
Ihre Sorge um den Verlust bäuerlicher Landwirtschaft, die weltweit immer noch für mehr als zwei Drittel der Ernten verantwortlich ist, mischt sich mit einer kompromisslosen Liebe zu den Erscheinungsformen biologischer Vielfalt, die sich in schönen Skizzen etwa blauer Maissorten aus mexikanischen Bauerngärten widerspiegelt, aber auch mit Chiffren und Metaphern radikaler Kritik an Kapitalismus und Geldwirtschaft und albernen Gender-korrekten Sprachspielen ("Jägerinnen und Sammler").
Schwärmereien vom Glück angeblich vergleichsweise häufig tanzender Steinzeitmenschen und einseitig pessimistische Wahrnehmungen einer Wirtschaft, die auf weitreichender Arbeitsteilung, Geld und Kredit beruht, treibt das Buch in diesem Sinne weiter, als es nötig wäre, um ein Bewusstsein für die Verluste zu schärfen, die moderne Agrarindustrie auch bringt. Denn eigentlich wäre es schön, wenn auch Saatgutindustrielle sich von solchen Büchern inspirieren ließen, die nicht nur (vordergründige) Zuchterfolge, sondern auch Fragen nach Ästhetik, Diversität und Glück im Diskurs zuließen. Was die Wahrscheinlichkeit, dass das gelingt, nicht erhöht: Stellenweise entsteht bei Banzhaf hingegen der Eindruck, alte marxistische Mythen einer angeblich herrschaftsfreien Urgesellschaft der Jäger und Sammler schwämgen halb reflektiert mit und verzerrten den Blick auf die Wirklichkeit.
Doch dann verblasst dieser Eindruck wieder, wenn die Botanikerin engagierte Bürger interviewt und porträtiert, die sich verschiedenartig für die Bewahrung der Pflanzenvielfalt einsetzen. Das gilt auch für die Autorin selbst, deren politischer Missionierungsdrang meistens unaufdringlich bleibt und die in vielen Punkten reeller ist als die Agrar- und Saatgutindustrie selbst - etwa wenn sie begründet, warum die Input-intensive Landwirtschaft zwar hochproduktiv ist, aber nicht effizient. Schließlich mutet ihr begründeter Vorschlag für weniger Regulierung im Saatgutrecht geradezu liberal an.
JAN GROSSARTH
Anja Banzhaf: Wer die Saat hat, hat das Sagen. Oekom Verlag, 272 Seiten, 19,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Jan Grossarth hat nur gelegentlich den Eindruck, dass die Wissenschaftlerin und Aktivistin Anja Banzhaf in ihrem Buch marxistischen Mythen gegenüber einer reellen Perspektive auf Saatgutwirtschaft und Gentechnik den Vorzug gibt. Im großen Ganzen überzeugt ihn die Autorin mit ihrem Blick auf den Mikrokosmos der Landwirtschaft, der laut Grossarth dem agrarindustriellen System analytisch an die Wurzel geht. Die Geschichte des Saatguts, die Konzentrationsprozesse der Branche sowie ihre Sorge um den Verlust bäuerlicher Landwirtschaft kann ihm die Autorin mit Leidenschaft vermitteln. Dass sie dabei manchmal ins Schwärmen kommt für das Glück der Diversität und des Engagements, findet Grossarth verzeihlich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Welche Wege gefunden werden, um die Sorgenvielfalt zu erhalten, schildert dieses liebevoll gestaltete Buch.« Natur und Landschaft »Ein wichtiges Thema interessant aufbereitet - absolut lesenswert!« tinto bloggt, Eva Schumann »Es gelingt Anja Banzhaf, vor allem mit den praktischen Beispielen, so viel Freude am Tun zu vermitteln, dass ich am liebsten gleich morgen beginnen würde, mit eigenem Saatgut zu experimentieren! Ergänzt wird das ausgesprochen informative, zugleich aber auch erschütternde und ermutigende Buch durch ein Personenverzeichnis, Adressen von Initiativen und Projekten sowie umfangreiche Literaturhinweise.« Oya, Elisabeth Voß »Die Publikation ist ein Muss-have für alle, die sich intensiv mit dem Thema Ernährungssouveränität beschäftigen wollen« Magazin Verband der Ernährungswissenschafter Österreichs, Julia Geißler-Katzmann »Ziemlich akkurat und akribisch skizziert (die Autorin) die Geschichte des Saatguts, das Jahrtausende im freien Tausch zirkulierte und inbäuerlichen Gesellschaften bewahrt und verbessert wurde.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, Jan Grossarth »SEHR wichtig für alle, denen das Thema Selbstversorgung und Ernährungssouveränität am Herzen liegt.« bio-saatgut.de, Gaby Krautkrämer »In dem Buch zu lesen ist das reinste Vergnügen.« gen-ethisches-netzwerk.de, Christof Potthof »Ein sehr anregendes Buch, das Lust auf eigenen Anbau macht - und sei es auf der Bürofensterbank.« Kunst-&Gartenreisen, Hannah Neugebauer