Die in vielen Aspekten unbekannte Vergangenheit der schillernden Unternehmerfamilie Sachs war immer Teil der deutschen Geschichte: ob beim wilhelminischen Triumph des 'Made in Germany', den Wirrungen und Depressionen der Weimarer Republik, den Untaten des Dritten Reichs oder dem Wirtschaftswunder der jungen Bundesrepublik.
Wilfried Rott hat auf der Grundlage intensiver Forschungen in Archiven des In- und Auslandes eine umfassende Familienbiographie der Familie Sachs erstellt, einer spannenden Geschichte von Vätern und Söhnen. Vom Erfinder der Fahrrad-Rücktrittsnabe Ernst über Willy, dem Freund der Nazi-Bonzen, zu Gunter Sachs, dem Playboy und Fotografen. Die Geschichte einer Familie, die gleichzeitig 100 Jahre deutscher Vergangenheit widerspiegelt.
Wilfried Rott hat auf der Grundlage intensiver Forschungen in Archiven des In- und Auslandes eine umfassende Familienbiographie der Familie Sachs erstellt, einer spannenden Geschichte von Vätern und Söhnen. Vom Erfinder der Fahrrad-Rücktrittsnabe Ernst über Willy, dem Freund der Nazi-Bonzen, zu Gunter Sachs, dem Playboy und Fotografen. Die Geschichte einer Familie, die gleichzeitig 100 Jahre deutscher Vergangenheit widerspiegelt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2005Diese Putzfrau kommt mir nicht ins Haus
Verstrickungen und Vergnügungen: Wilfried Rott schreibt die Geschichte der Familie Sachs / Von Ingeborg Harms
Es sagt einiges über den Reiz der Sachs-Familienchronik von Wilfried Rott, wenn man am Ende feststellt, daß die Partien über Gunter Sachs noch die langweiligsten waren. Begeisterung wecken schon die ersten Seiten, die davon erzählen, wie der schwäbische Schreinersohn Ernst Sachs seinen Schicksalssport in einem aus Holz gezimmerten Fahrrad entdeckt. Bald gehört er zu den tollkühnen Männern auf den fliegenden Rädern des Frankfurter Velocipedclubs, und während er seine Brust in schneller Folge mit allen nationalen Siegesplaketten dekoriert, freundet er sich mit der Crème der deutschen Industrieväter an: Willy Tischbein, dem Mitgründer der Continental Gummi-Werke, Heinrich Kleyer, dem späteren Kopf der Adlerwerke, und den Gebrüdern Opel, die gern auch zu fünft auf dem Fahrrad sitzen.
Zunächst stand man dem No-name aus Petershausen am Bodensee im Klub der Visionäre noch skeptisch gegenüber, doch der heroische Charakter des Neuzugangs überzeugte schließlich. Ernst Sachs ist von einem kritischen Radunfall eben genesen, der ihn mit der letzten Ölung Bekanntschaft machen ließ und ihm die Notwendigkeit besserer Bremstechnik vor Augen führte. Kaum der Mechanikerlehre entwachsen, erfindet er eine leicht rollende Nabe und registriert mit dem Patent in der Tasche als Achtzehnjähriger gemeinsam mit dem Geldgeber Karl Fichtel in Schweinfurt seine eigene Firma.
Aus einem Lehrling und zwei Gesellen wird bald ein größeres Unternehmen, dessen Meister der Chef aus dem Schlaf reißt, wenn ihm eine neue Idee kommt. Ergebnis der fieberhaften Tüftelei ist die "Torpedo-Nabe", die Bergabfahrten sicher macht, weil sie das Bremsen mit der Pedale erlaubt. Dank dieses Coups nimmt Ernst Sachs es mit der amerikanischen Konkurrenz auf und reist selbst zweiundzwanzigmal über den Atlantik, um die Massenproduktion bei Henry Ford zu studieren und in den Vereinigten Staaten selbst eine Tochterfirma zu gründen. Wie ein Sausewind geht es im Geschäft voran, als das Land zum Ersten Weltkrieg mobil macht.
Im nahen Mainberg erwirbt Ernst Sachs ein veritables Schloß, dessen Gemäuer bis ins Mittelalter reichen, und staffiert es in gründerzeitlichem Geschmack historisierend aus. "Gewaltig entfaltet sich der Schönheitssinn einer fast schon hingeschiedenen Epoche", schreibt Wilfried Rott mit der ihm eigenen feinen Ironie über den Mix von Hirschgeweihen und Amoretten. Mit der Einrichtung einer Gemeinschaftsküche, die während des Ersten Weltkriegs Soldatenfamilien versorgt, hat der paternalistische Führungsstil des Fabrikherrn seinen ersten großen Auftritt. Ins Bewußtsein aller Schweinfurter schreibt sich die Familie Sachs zudem mit dem Bau eines Schwimmbads und Stadions ein.
In den Zwanzigern macht der Fahrrad- einem Autoboom Platz. Dabei sind die amerikanischen Serienproduzenten den deutschen Bastlern haushoch überlegen. Auf der Automobilausstellung von 1925 führt die deutsche Seite achtundachtzig Modelle individualistischer Bauweise vor, deren Absatz nur Schutzzölle am Leben erhalten. Als die liberale Weimarer Republik die Zollschranken in der vergeblichen Hoffnung auf Gegeninitiativen senkt, hat die Stunde vieler Autobauer geschlagen. Doch Sachs-Sohn Willy ist durch die Eheschließung mit Elinor von Opel in der Nähe des modernsten und daher erfolgreichsten heimischen Automobilproduzenten bestens aufgestellt. Gemeinsam mit der Schwiegerfamilie wird die Kupplungs- und Kugellager-Produktion geplant und aufeinander abgestimmt.
In der Wirtschaftskrise verwandelt Ernst Sachs sein Unternehmen klug in eine AG und verkauft wenige Monate vor der Inflation das Werk an den schwedischen Marktführer SFK. Statt die Hände in den Schoß zu legen, entwickeln Ernst und Willy Sachs einen Kleinmotor, mit dem sich der Firmengründer auf seine Anfangserfolge besinnt, denn mit seiner Hilfe soll das Fahrrad zum Ersatzauto des kleinen Mannes werden. Als Ernst Sachs 1932 unerwartet stirbt, lobt ihn Kasimir Edschmid als "weder eingebildet noch machthungrig", als einen jener großen Bürger, die "genau so vornehm und genau so einfach lebten, wie es ihnen angemessen" war.
Einen solchen makellosen Nachruf verspielte Sohn Willy, als er gleich nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in die SS eintrat. Die differenzierte Behandlung der Folgen, die sich aus diesem Schritt ergeben, ist eine Meisterleistung Wilfried Rotts. Er zeichnet das Bild eines politisch unbedarften Unternehmersohns, den jugendlicher Leichtsinn den neuen Herren in die Arme treibt. Der Lebensmittelpunkt des Bonvivants und verplauderten Pyknikers verlagert sich mehr und mehr vom Mainberger Schloß in das familiäre Jagdhaus auf der Rechenau nahe Kufstein, wo er auf Wunsch eines aus dem Opel-Kreis bekannten Mittelsmanns Parteigrößen vom Schlage Himmlers, Görings und Heydrichs großzügig empfängt. Zum Geburtstag läßt Himmler Nippes, Julleuchter und naturwissenschaftliche Werke über "Süßwasserfische unserer Heimat" und das "Stielauge des Urkrebses" schicken. Dafür belohnt ihn der Hausherr nach gemeinsamer Pirsch mit dem Brunftschrei des Hirsches, Willys Spezialität, die er in die Nachkriegszeit hinüberrettet und gerne im Münchener "Donisl" ausstößt, um die Kellnerschaft über sein Eintreffen zu informieren.
Feinmaschig durchleuchtet Rott, was sonst noch an subpolitischem Geben und Nehmen vor sich ging. Große Spenden gehen nicht nur an die Partei, von der sie vermutlich eingefordert wurden, sondern auch an andere Institutionen, vor allem die Kirche. Fichtel & Sachs wiederum ist voll in die Motorisierung der Front involviert und stattet "praktisch sämtliche Panzermodelle der deutschen Wehrmacht" mit Kupplungen aus. In besondere Abhängigkeit begibt sich Sachs im Zuge einer Familienkrise: Seine Frau Elinor ist vom neuen Umgang ihres Gatten wenig begeistert und reagiert auf das Ansinnen, Frau Himmler zu empfangen, mit dem Kampfruf: "Diese Putzfrau kommt mir nicht ins Haus!" Die zunehmende Zerrüttung der Ehe gipfelt in Elinors Auszug, der von der Demontage aller erdenklichen Wandpanele, Deckenintarsien und Einbauschränke begleitet wird. Weil Frau Sachs neben dem ihr zugesprochenen Sohn Gunter auch den älteren Ernst Wilhelm mit an ihren neuen Schweizer Wohnsitz nimmt, greift der verlassene Vater zum äußersten Mittel und schaltet Heydrich ein. In dessen Berliner Amt soll es zwecks Rückführung des Sachs-Nachwuchses eine regelrechte "Entführungsetage" gegeben haben. Der Gestapochef hatte allen Grund, seinem Schweinfurter Jagdfreund dankbar zu sein. Auf Anregung von Linda Heydrich finanzierte Willy Sachs ihrem Mann ein Haus auf Fehmarn, in dem er sich nach dem Röhm-Putsch von der Nacht der langen Messer erholen sollte.
Während die Kinderentführung dank wachsamer Schweizer Bürger scheitert, wird die Herausgabe des älteren Sohnes gerichtlich verfügt. Doch der überforderte Vater schickt Ernst Wilhelm nach einem Jahr wieder zur Mutter. Willy ist längst eines Besseren über seine mächtigen Freunde belehrt und leidet unter nervösen Magen-Darm-Beschwerden, sobald ein Geschäftstermin ansteht. "Die Ärzte, Lehrer, Ingenieure und kaufmännischen Angestellten, welche in Schweinfurt den harten Kern der NSDAP bilden", urteilt Wilfried Rott, "sind nicht seine Welt, ihr Hang zum Fanatismus ist ihm fremd." Drahtzieher des Regimes finden sich indessen auch im eigenen Hause. Vom internen DAF-Obmann wird Willy Sachs rüde an seine Fürsorgepflichten erinnert und, allerdings erfolglos, zum Rücktritt aufgefordert. Nachdem eine US-Bomberschwadron unter hohen Verlusten Schweinfurt planiert hat, fliegen alliierte Jagdflugzeuge in der Meinung auf die Rechenau, daß sich dort Himmler und Göring befänden: weit gefehlt!
Im Gutshaus hält nur Willy Sachs die Festung und schlägt dem örtlichen Bürgermeister wagemutig vor, den siegreichen Feindestruppen "entgegenzugehen und ihnen zum Sieg zu gratulieren". Für seine restlose Ernüchterung spricht nicht zuletzt, daß er bei der parteilich organisierten Massenbestattung der Schweinfurter Bombentoten einen schwarzen Anzug und nicht seine SS-Kluft trägt. Bei Kriegsende wird Willy Sachs ein Jahr lang interniert und anschließend von der Kriegswitwe Katharina Hirnböck aufgenommen, mit der er einen vom Erbe ausgeschlossenen Sohn zeugt.
Als 1948 sein Entnazifizierungsverfahren im heimischen Schweinfurt beginnt, hat Billy Wilder im zerbombten Berlin bereits "Foreign Affair" gedreht. Vom moralischen Anspruch, so Wilfried Rott, ist "nicht mehr viel übriggeblieben, mit dem die US-Besatzer den Nationalsozialismus in Deutschland für immer auslöschen wollten". Entsprechend nah am Kleistschen Richter Adam verläuft denn auch der Schweinfurter Prozeß, in dem zwar Willy Sachs' Verstrickung in die nationalsozialistische Spitze ausführlich erörtert, doch durch den örtlichen Spruchkammer-Vorsitzenden freundschaftlichst relativiert wird: "Sie haben Sie ausgenützt", ist das Fazit: "Daß sie Ihnen nicht noch das Hemd ausgezogen haben, war das letzte. Wir waren ja des Lebens nicht mehr sicher vor lauter Sammelbüchsen." Ein gewitzter Anwalt und loyale Zeugen bescheren Willy Sachs die Einordnung als "Mitläufer": ein allzu mildes Ergebnis, das dann doch von amerikanischer Seite noch einmal kassiert wird.
Obwohl die wiedererstarkten Sachs-Werke vom NSU- und Zündapp-Mopedboom der Nachkriegszeit profitieren, ist der kränkelnde Willy Sachs nie mehr sorgenfrei. Weiter belasten wird ihn auch seine Verschuldung gegenüber Max Goldschmidt, dem Halter vieler von Sachs senior benutzter Patente, der 1937 mit einer enteignenden Abfindung ausgebootet worden war. Doch die größte Hypothek, die Willy Sachs aus dem Dritten Reich mitschleppt, ist ein gerissener Anwalt, der seinen Klienten mit privatem und politischem Arkanwissen erpreßt und schließlich in den Suizid treibt.
Bei der Aufarbeitung der dritten Sachs-Generation hat Wilfried Rott keinen familiären Beistand gewinnen können. Der große Saga-Atem versandet in pikanten Details wie dem Auftauchen der Namen von Ernst Wilhelm und Gunter Sachs im Adreßbuch der Frankfurter Edelhure Rosemarie Nitribitt. Eine gewisse Verbitterung gegenüber Willys zweitem Sohn kann Rott nicht verbergen, wenn er im Vorwort von der "grundsätzlichen Gleichgültigkeit" spricht, die Gunter Sachs "gegenüber allem, was nicht unmittelbar mit der eigenen Person zu tun hat", an den Tag lege. Doch solche Unzugänglichkeit scheint die Faszination, die der Chronist für das Playboy-Gen der Dynastie empfindet, nur zu steigern.
Willy dichtet Rott ein flottes und von objektiven Quellen ungetrübtes Berliner Junggesellenleben an und malt ihn als Lebemann, der es versteht, "sich eine Frau gefügig zu machen". In den feschen Gunter fühlt er sich restlos ein, sobald Brigitte Bardot die Szene betritt und Gunter von einem Hubschrauber aus Rosen auf ihren Landsitz regnen läßt: ",Wie viele Rosen waren es?' fragen ahnungslose Interviewer noch immer, wo doch der Effekt alles, die Menge zweitrangig war." Als der Gründer des St. Moritzer "Dracula-Clubs" in einem rot unterfütterten Cape bei seiner Zukünftigen erscheint und sie des Nachts auf eine Yacht entführt, lautet Rotts lakonisches Fazit: "Erst hinaus aufs offene Meer, das Steuer in Richtung Süden gestellt und dann geliebt."
Dieselbe hochsensible Näheposition nimmt der Autor gegenüber all seinen Studienobjekten ein - in der Regel allerdings affektfrei. Gründlich beobachtend, mit psychologischem Gespür und ausgewogener Urteilskraft vermag Wilfried Rott die Textur der wohl schillerndsten aller deutschen Geschichtsepochen bewegend zu evozieren. Daß Ernst Sachs an den Analphabetismus Karls des Großen dachte, wenn ihn sein Bildungsmangel schmerzte, daß Willy zur Stadioneinweihung weiße Zwirnhandschuhe trug und am Abend das Porträt des Führers als pyrotechnisches Meisterstück vor der Mainberger Schloßfassade erglühte oder daß die auf Schweinfurt Kurs nehmenden Bomberpiloten mit Kondomen versorgt worden waren, die unterwegs als Urinale dienten, sind Einzelheiten, die ebenso zur Belebung des Vergangenen beitragen wie die vielen individuellen Erinnerungen und gespeicherten Gesprächsfetzen, die Rott in zahlreichen Interviews mit Zeitzeugen zusammentrug. Das Buch führt packend vor, wie sich mit der deutschen Vergangenheit ohne dramaturgische Schwarz-weißmalerei umgehen läßt. Das Ergebnis erlaubt die Ahnung, wie das zwanzigste Jahrhundert vielleicht ausgesehen hätte, wenn die deutschen Industriekapitäne nicht zu den Braunhemden übergelaufen wären. Die Traurigkeit, die Wilfried Rotts Familienepos auch erzeugt, ist zwangsläufig groß.
Wilfried Rott: "Sachs". Unternehmer, Playboys, Millionäre. Eine Geschichte von Vätern und Söhnen. Karl Blessing Verlag, München 2005. 384 S., 24 S/W-Abb., geb., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Verstrickungen und Vergnügungen: Wilfried Rott schreibt die Geschichte der Familie Sachs / Von Ingeborg Harms
Es sagt einiges über den Reiz der Sachs-Familienchronik von Wilfried Rott, wenn man am Ende feststellt, daß die Partien über Gunter Sachs noch die langweiligsten waren. Begeisterung wecken schon die ersten Seiten, die davon erzählen, wie der schwäbische Schreinersohn Ernst Sachs seinen Schicksalssport in einem aus Holz gezimmerten Fahrrad entdeckt. Bald gehört er zu den tollkühnen Männern auf den fliegenden Rädern des Frankfurter Velocipedclubs, und während er seine Brust in schneller Folge mit allen nationalen Siegesplaketten dekoriert, freundet er sich mit der Crème der deutschen Industrieväter an: Willy Tischbein, dem Mitgründer der Continental Gummi-Werke, Heinrich Kleyer, dem späteren Kopf der Adlerwerke, und den Gebrüdern Opel, die gern auch zu fünft auf dem Fahrrad sitzen.
Zunächst stand man dem No-name aus Petershausen am Bodensee im Klub der Visionäre noch skeptisch gegenüber, doch der heroische Charakter des Neuzugangs überzeugte schließlich. Ernst Sachs ist von einem kritischen Radunfall eben genesen, der ihn mit der letzten Ölung Bekanntschaft machen ließ und ihm die Notwendigkeit besserer Bremstechnik vor Augen führte. Kaum der Mechanikerlehre entwachsen, erfindet er eine leicht rollende Nabe und registriert mit dem Patent in der Tasche als Achtzehnjähriger gemeinsam mit dem Geldgeber Karl Fichtel in Schweinfurt seine eigene Firma.
Aus einem Lehrling und zwei Gesellen wird bald ein größeres Unternehmen, dessen Meister der Chef aus dem Schlaf reißt, wenn ihm eine neue Idee kommt. Ergebnis der fieberhaften Tüftelei ist die "Torpedo-Nabe", die Bergabfahrten sicher macht, weil sie das Bremsen mit der Pedale erlaubt. Dank dieses Coups nimmt Ernst Sachs es mit der amerikanischen Konkurrenz auf und reist selbst zweiundzwanzigmal über den Atlantik, um die Massenproduktion bei Henry Ford zu studieren und in den Vereinigten Staaten selbst eine Tochterfirma zu gründen. Wie ein Sausewind geht es im Geschäft voran, als das Land zum Ersten Weltkrieg mobil macht.
Im nahen Mainberg erwirbt Ernst Sachs ein veritables Schloß, dessen Gemäuer bis ins Mittelalter reichen, und staffiert es in gründerzeitlichem Geschmack historisierend aus. "Gewaltig entfaltet sich der Schönheitssinn einer fast schon hingeschiedenen Epoche", schreibt Wilfried Rott mit der ihm eigenen feinen Ironie über den Mix von Hirschgeweihen und Amoretten. Mit der Einrichtung einer Gemeinschaftsküche, die während des Ersten Weltkriegs Soldatenfamilien versorgt, hat der paternalistische Führungsstil des Fabrikherrn seinen ersten großen Auftritt. Ins Bewußtsein aller Schweinfurter schreibt sich die Familie Sachs zudem mit dem Bau eines Schwimmbads und Stadions ein.
In den Zwanzigern macht der Fahrrad- einem Autoboom Platz. Dabei sind die amerikanischen Serienproduzenten den deutschen Bastlern haushoch überlegen. Auf der Automobilausstellung von 1925 führt die deutsche Seite achtundachtzig Modelle individualistischer Bauweise vor, deren Absatz nur Schutzzölle am Leben erhalten. Als die liberale Weimarer Republik die Zollschranken in der vergeblichen Hoffnung auf Gegeninitiativen senkt, hat die Stunde vieler Autobauer geschlagen. Doch Sachs-Sohn Willy ist durch die Eheschließung mit Elinor von Opel in der Nähe des modernsten und daher erfolgreichsten heimischen Automobilproduzenten bestens aufgestellt. Gemeinsam mit der Schwiegerfamilie wird die Kupplungs- und Kugellager-Produktion geplant und aufeinander abgestimmt.
In der Wirtschaftskrise verwandelt Ernst Sachs sein Unternehmen klug in eine AG und verkauft wenige Monate vor der Inflation das Werk an den schwedischen Marktführer SFK. Statt die Hände in den Schoß zu legen, entwickeln Ernst und Willy Sachs einen Kleinmotor, mit dem sich der Firmengründer auf seine Anfangserfolge besinnt, denn mit seiner Hilfe soll das Fahrrad zum Ersatzauto des kleinen Mannes werden. Als Ernst Sachs 1932 unerwartet stirbt, lobt ihn Kasimir Edschmid als "weder eingebildet noch machthungrig", als einen jener großen Bürger, die "genau so vornehm und genau so einfach lebten, wie es ihnen angemessen" war.
Einen solchen makellosen Nachruf verspielte Sohn Willy, als er gleich nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in die SS eintrat. Die differenzierte Behandlung der Folgen, die sich aus diesem Schritt ergeben, ist eine Meisterleistung Wilfried Rotts. Er zeichnet das Bild eines politisch unbedarften Unternehmersohns, den jugendlicher Leichtsinn den neuen Herren in die Arme treibt. Der Lebensmittelpunkt des Bonvivants und verplauderten Pyknikers verlagert sich mehr und mehr vom Mainberger Schloß in das familiäre Jagdhaus auf der Rechenau nahe Kufstein, wo er auf Wunsch eines aus dem Opel-Kreis bekannten Mittelsmanns Parteigrößen vom Schlage Himmlers, Görings und Heydrichs großzügig empfängt. Zum Geburtstag läßt Himmler Nippes, Julleuchter und naturwissenschaftliche Werke über "Süßwasserfische unserer Heimat" und das "Stielauge des Urkrebses" schicken. Dafür belohnt ihn der Hausherr nach gemeinsamer Pirsch mit dem Brunftschrei des Hirsches, Willys Spezialität, die er in die Nachkriegszeit hinüberrettet und gerne im Münchener "Donisl" ausstößt, um die Kellnerschaft über sein Eintreffen zu informieren.
Feinmaschig durchleuchtet Rott, was sonst noch an subpolitischem Geben und Nehmen vor sich ging. Große Spenden gehen nicht nur an die Partei, von der sie vermutlich eingefordert wurden, sondern auch an andere Institutionen, vor allem die Kirche. Fichtel & Sachs wiederum ist voll in die Motorisierung der Front involviert und stattet "praktisch sämtliche Panzermodelle der deutschen Wehrmacht" mit Kupplungen aus. In besondere Abhängigkeit begibt sich Sachs im Zuge einer Familienkrise: Seine Frau Elinor ist vom neuen Umgang ihres Gatten wenig begeistert und reagiert auf das Ansinnen, Frau Himmler zu empfangen, mit dem Kampfruf: "Diese Putzfrau kommt mir nicht ins Haus!" Die zunehmende Zerrüttung der Ehe gipfelt in Elinors Auszug, der von der Demontage aller erdenklichen Wandpanele, Deckenintarsien und Einbauschränke begleitet wird. Weil Frau Sachs neben dem ihr zugesprochenen Sohn Gunter auch den älteren Ernst Wilhelm mit an ihren neuen Schweizer Wohnsitz nimmt, greift der verlassene Vater zum äußersten Mittel und schaltet Heydrich ein. In dessen Berliner Amt soll es zwecks Rückführung des Sachs-Nachwuchses eine regelrechte "Entführungsetage" gegeben haben. Der Gestapochef hatte allen Grund, seinem Schweinfurter Jagdfreund dankbar zu sein. Auf Anregung von Linda Heydrich finanzierte Willy Sachs ihrem Mann ein Haus auf Fehmarn, in dem er sich nach dem Röhm-Putsch von der Nacht der langen Messer erholen sollte.
Während die Kinderentführung dank wachsamer Schweizer Bürger scheitert, wird die Herausgabe des älteren Sohnes gerichtlich verfügt. Doch der überforderte Vater schickt Ernst Wilhelm nach einem Jahr wieder zur Mutter. Willy ist längst eines Besseren über seine mächtigen Freunde belehrt und leidet unter nervösen Magen-Darm-Beschwerden, sobald ein Geschäftstermin ansteht. "Die Ärzte, Lehrer, Ingenieure und kaufmännischen Angestellten, welche in Schweinfurt den harten Kern der NSDAP bilden", urteilt Wilfried Rott, "sind nicht seine Welt, ihr Hang zum Fanatismus ist ihm fremd." Drahtzieher des Regimes finden sich indessen auch im eigenen Hause. Vom internen DAF-Obmann wird Willy Sachs rüde an seine Fürsorgepflichten erinnert und, allerdings erfolglos, zum Rücktritt aufgefordert. Nachdem eine US-Bomberschwadron unter hohen Verlusten Schweinfurt planiert hat, fliegen alliierte Jagdflugzeuge in der Meinung auf die Rechenau, daß sich dort Himmler und Göring befänden: weit gefehlt!
Im Gutshaus hält nur Willy Sachs die Festung und schlägt dem örtlichen Bürgermeister wagemutig vor, den siegreichen Feindestruppen "entgegenzugehen und ihnen zum Sieg zu gratulieren". Für seine restlose Ernüchterung spricht nicht zuletzt, daß er bei der parteilich organisierten Massenbestattung der Schweinfurter Bombentoten einen schwarzen Anzug und nicht seine SS-Kluft trägt. Bei Kriegsende wird Willy Sachs ein Jahr lang interniert und anschließend von der Kriegswitwe Katharina Hirnböck aufgenommen, mit der er einen vom Erbe ausgeschlossenen Sohn zeugt.
Als 1948 sein Entnazifizierungsverfahren im heimischen Schweinfurt beginnt, hat Billy Wilder im zerbombten Berlin bereits "Foreign Affair" gedreht. Vom moralischen Anspruch, so Wilfried Rott, ist "nicht mehr viel übriggeblieben, mit dem die US-Besatzer den Nationalsozialismus in Deutschland für immer auslöschen wollten". Entsprechend nah am Kleistschen Richter Adam verläuft denn auch der Schweinfurter Prozeß, in dem zwar Willy Sachs' Verstrickung in die nationalsozialistische Spitze ausführlich erörtert, doch durch den örtlichen Spruchkammer-Vorsitzenden freundschaftlichst relativiert wird: "Sie haben Sie ausgenützt", ist das Fazit: "Daß sie Ihnen nicht noch das Hemd ausgezogen haben, war das letzte. Wir waren ja des Lebens nicht mehr sicher vor lauter Sammelbüchsen." Ein gewitzter Anwalt und loyale Zeugen bescheren Willy Sachs die Einordnung als "Mitläufer": ein allzu mildes Ergebnis, das dann doch von amerikanischer Seite noch einmal kassiert wird.
Obwohl die wiedererstarkten Sachs-Werke vom NSU- und Zündapp-Mopedboom der Nachkriegszeit profitieren, ist der kränkelnde Willy Sachs nie mehr sorgenfrei. Weiter belasten wird ihn auch seine Verschuldung gegenüber Max Goldschmidt, dem Halter vieler von Sachs senior benutzter Patente, der 1937 mit einer enteignenden Abfindung ausgebootet worden war. Doch die größte Hypothek, die Willy Sachs aus dem Dritten Reich mitschleppt, ist ein gerissener Anwalt, der seinen Klienten mit privatem und politischem Arkanwissen erpreßt und schließlich in den Suizid treibt.
Bei der Aufarbeitung der dritten Sachs-Generation hat Wilfried Rott keinen familiären Beistand gewinnen können. Der große Saga-Atem versandet in pikanten Details wie dem Auftauchen der Namen von Ernst Wilhelm und Gunter Sachs im Adreßbuch der Frankfurter Edelhure Rosemarie Nitribitt. Eine gewisse Verbitterung gegenüber Willys zweitem Sohn kann Rott nicht verbergen, wenn er im Vorwort von der "grundsätzlichen Gleichgültigkeit" spricht, die Gunter Sachs "gegenüber allem, was nicht unmittelbar mit der eigenen Person zu tun hat", an den Tag lege. Doch solche Unzugänglichkeit scheint die Faszination, die der Chronist für das Playboy-Gen der Dynastie empfindet, nur zu steigern.
Willy dichtet Rott ein flottes und von objektiven Quellen ungetrübtes Berliner Junggesellenleben an und malt ihn als Lebemann, der es versteht, "sich eine Frau gefügig zu machen". In den feschen Gunter fühlt er sich restlos ein, sobald Brigitte Bardot die Szene betritt und Gunter von einem Hubschrauber aus Rosen auf ihren Landsitz regnen läßt: ",Wie viele Rosen waren es?' fragen ahnungslose Interviewer noch immer, wo doch der Effekt alles, die Menge zweitrangig war." Als der Gründer des St. Moritzer "Dracula-Clubs" in einem rot unterfütterten Cape bei seiner Zukünftigen erscheint und sie des Nachts auf eine Yacht entführt, lautet Rotts lakonisches Fazit: "Erst hinaus aufs offene Meer, das Steuer in Richtung Süden gestellt und dann geliebt."
Dieselbe hochsensible Näheposition nimmt der Autor gegenüber all seinen Studienobjekten ein - in der Regel allerdings affektfrei. Gründlich beobachtend, mit psychologischem Gespür und ausgewogener Urteilskraft vermag Wilfried Rott die Textur der wohl schillerndsten aller deutschen Geschichtsepochen bewegend zu evozieren. Daß Ernst Sachs an den Analphabetismus Karls des Großen dachte, wenn ihn sein Bildungsmangel schmerzte, daß Willy zur Stadioneinweihung weiße Zwirnhandschuhe trug und am Abend das Porträt des Führers als pyrotechnisches Meisterstück vor der Mainberger Schloßfassade erglühte oder daß die auf Schweinfurt Kurs nehmenden Bomberpiloten mit Kondomen versorgt worden waren, die unterwegs als Urinale dienten, sind Einzelheiten, die ebenso zur Belebung des Vergangenen beitragen wie die vielen individuellen Erinnerungen und gespeicherten Gesprächsfetzen, die Rott in zahlreichen Interviews mit Zeitzeugen zusammentrug. Das Buch führt packend vor, wie sich mit der deutschen Vergangenheit ohne dramaturgische Schwarz-weißmalerei umgehen läßt. Das Ergebnis erlaubt die Ahnung, wie das zwanzigste Jahrhundert vielleicht ausgesehen hätte, wenn die deutschen Industriekapitäne nicht zu den Braunhemden übergelaufen wären. Die Traurigkeit, die Wilfried Rotts Familienepos auch erzeugt, ist zwangsläufig groß.
Wilfried Rott: "Sachs". Unternehmer, Playboys, Millionäre. Eine Geschichte von Vätern und Söhnen. Karl Blessing Verlag, München 2005. 384 S., 24 S/W-Abb., geb., 21,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Volker Ullrich stellt fest, dass Familienbiografien, insbesondere von Unternehmerfamilien, gerade "Konjunktur" haben, weshalb es ihn nicht wundert, dass nun nach den Krupps und Flicks die Schweinfurter Industriellenfamilie Sachs durch Wilfried Rott unter die Lupe genommen wird. Gleich zu Beginn betont der Rezensent, dass die Sachs' mit dem Autor einen ebenso sachkundigen wie "schreibgewandten Biografen gefunden" haben, der trotz der Weigerung der Familie, ihm Einblick in private Dokumente zu gewähren, sehr viel "aufschlussreiches Material" gefunden hat, das nicht zuletzt die problematische Rolle des Familienunternehmens unter der Führung von Willy Sachs im Nationalsozialismus beleuchtet. Während der Großvater Ernst Sachs als "typischer Vertreter der wilhelminischen Gründergeneration" gezeichnet werde, der das Unternehmen in kurzer Zeit zu großem Erfolg führt, sei der Sohn Willy bereits 1933 der NSDAP und etwas später der SS beigetreten und habe unter den Nazis glänzende Geschäfte gemacht, referiert der Rezensent. Hier findet er vor allem interessant, wie es dem Autor überzeugend darlegen kann, dass der patriarchalische Führungsstil des Großvaters der Gefolgschaft des Sohnes bei den Nationalsozialisten den Weg geebnet hat. Wenn sich Rott allerdings dem Drama um die Scheidung von Willy und dessen "finsteren Ränkespielen" um die Söhne zuwendet, stört sich der Rezensent an der "unverkennbaren Enthüllungslust", die Ausführungen zur Zwangsarbeit in dem Unternehmen kommen ihm dagegen "zu kurz" vor. Dafür zeigt er sich wiederum vollkommen begeistert von den Schilderungen des Entnazifizierungsprozesses von Ernst Sachs, der trotz seiner Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten lediglich als "Mitläufer" eingeschätzt wurde und nach dem Krieg weiter gute Geschäfte machen konnte. "Selten", so der Rezensent beeindruckt, ist die "Farce der Entnazifizierung" so eindringlich" vorgeführt worden. Dem dritten Teil der Familienbiografie, der sich dem "einzig wahren Playboy Deutschlands" Gunter Sachs zuwendet, kann der Rezensent allerdings nicht mehr viel abgewinnen. Hier erfahre man nicht mehr als aus den "Klatschspalten" ohnehin bekannt sei, dieser Teil des Buches fällt für Ullrich "deutlich ab". Insgesamt lobt er diese Familienbiografie jedoch als "lesenswert", und er bemerkt zudem anerkennend, dass Rott sie derart "ansprechend" geschrieben" hat, dass man sich kaum je bei der Lektüre langweilt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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