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Viele arabische und afrikanische Staaten übernahmen nach ihrer Unabhängigkeit die säkular geprägten Staatsverfassungen, Verwaltungs- und Rechtssysteme der früheren Kolonialmächte. Diese Tatsache wurde insbesondere von islamischen Reform- und Oppositionsbewegungen kritisiert. Sie setzten sich für die Entwicklung einer islamischen Gesellschaftsordnung ein und waren zum Teil bereit, für dieses Ziel mit radikalen Mitteln zu kämpfen.
In Senegal ist es dem säkularen Staat seit der Unabhängigkeit jedoch gelungen, die islamischen Reform- und Oppositionsgruppierungen weitgehend ins politische Leben
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Produktbeschreibung
Viele arabische und afrikanische Staaten übernahmen nach ihrer Unabhängigkeit die säkular geprägten Staatsverfassungen, Verwaltungs- und Rechtssysteme der früheren Kolonialmächte. Diese Tatsache wurde insbesondere von islamischen Reform- und Oppositionsbewegungen kritisiert. Sie setzten sich für die Entwicklung einer islamischen Gesellschaftsordnung ein und waren zum Teil bereit, für dieses Ziel mit radikalen Mitteln zu kämpfen.

In Senegal ist es dem säkularen Staat seit der Unabhängigkeit jedoch gelungen, die islamischen Reform- und Oppositionsgruppierungen weitgehend ins politische Leben des Landes zu integrieren. Die Präsidenten Senghor (1960 - 1980) und Diouf (1980 - 2000) bemühten sich im Rahmen ihrer Innenpolitik zudem darum, die islamischen Reform- und Oppositionsgruppierungen zu instrumentalisieren, um den beträchtlichen gesellschaftlichen und politischen Einfluß der Sufi-Bruderschaften zu beschneiden.

In der Arbeit "Säkularer Staat und Islamische Gesellschaft" wird gezeigt, wie sich das Verhältnis zwischen säkularem Staat, islamischen Reformbewegungen und Sufi-Bruderschaften in der islamischen Gesellschaft Senegals im 20. Jahrhundert gestaltet hat und warum der senegalesische Staat seinen säkularen Charakter nach der Unabhängigkeit nicht nur behaupten, sondern sogar noch verstärken konnte.
Autorenporträt
Roman Loimeier ist Dozent an der Universität Bayreuth.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.03.2002

Heilige Männer und die Macht
Staat, Religionen und Geschäfte in Senegal zwischen 1960 und 2000

Roman Loimeier: Säkularer Staat und Islamische Gesellschaft. Die Beziehungen zwischen Staat, Sufi-Bruderschaften und islamischer Reformbewegung in Senegal im 20. Jahrhundert. LIT Verlag, Münster/Hamburg 2001. 479 Seiten, 40,90 Euro.

Im überwiegend muslimischen Senegal konnte der Staat nach der Unabhängigkeit 1960 seinen säkularen Charakter nicht nur behaupten, sondern sogar noch verstärken. Im Gegensatz etwa zu Algerien, Ägypten und der Türkei äußerte sich die Kritik von islamischen Reform- und Oppositionsgruppierungen am säkularen Staat in Senegal bisher friedlich. Die beiden langjährigen Präsidenten des westafrikanischen Landes, Léopold Sédar Senghor (bis 1980) und Abdou Diouf (bis 2000), unternahmen zudem große Anstrengungen, den beträchtlichen gesellschaftlichen und politischen Einfluß der Sufi-Bruderschaften zu beschneiden und für ihre Zwecke zu nutzen.

Wie Roman Loimeier in seiner äußerst umständlich formulierten Studie zeigt, bedienten sich Senghor und Diouf dabei Methoden der Herrschaftsausübung, welche bereits die französischen Kolonialherren praktiziert hatten. Die Haltung der Kolonialmacht zum Islam war von zwei gegensätzlichen Überlegungen beeinflußt. Einerseits sah man im Islam eine potentielle Gefahr für die kolonialen Ambitionen Frankreichs. Andererseits sollten führende Vertreter dieser Religion - vor allem die charismatischen "Heiligen Männer", die Marabuts - zur Kooperation bewegt werden. Generalgouverneur William Ponty formulierte Anfang des 20. Jahrhunderts unter dem Schlagwort des "Islam Noir" schließlich eine staatliche Islampolitik, die in wesentlichen Aspekten bis heute Bestand hat: Unterstützung erhielten diejenigen religiösen Gelehrten, die der Staatsmacht freundlich gesinnt waren. Regimekritische Marabuts wurden dagegen bestraft. Das religiöse Leben, insbesondere das Rechtswesen, die Moscheen und die Koranschulen, sollten staatlich kontrolliert, innere Spannungen unter den Muslimen für die Kolonialpolitik instrumentalisiert werden.

Während der Kolonialzeit gelang es den Marabuts, sich als Führer der Muslime in Senegal zu etablieren sowie ihre Rolle als Vermittler zwischen Staat und Gläubigen zu konsolidieren. Unter Senghor vermochten sie diese Position zu wahren, zumal der christliche Präsident in Krisenzeiten - etwa bei den Studentenunruhen und Arbeiterstreiks Ende der sechziger Jahre - wiederholt auf ihre Unterstützung angewiesen war. Senghor praktizierte wie seine französischen Vorgänger eine Politik des "Teile und herrsche": Er unterhielt zwar keine "offiziellen" Beziehungen zu den Sufi-Bruderschaften, pflegte aber eine Vielzahl von bilateralen Kontakten zu individuellen Marabuts und einzelnen islamischen Organisationen.

Wurden die religiösen Führer aber zu selbstbewußt oder verlangten gar Mitsprache bei politischen Entscheidungen der Regierung, schürte Senghor erfolgreich Konflikte zwischen den Bruderschaften und spielte die Marabuts gegeneinander aus. Regierungskritiker verloren Privilegien, einige wanderten ins Gefängnis. In vielen Fragen ließ sich der Präsident auf keine Kompromisse ein, zum Beispiel in der Bildungspolitik. In diesem Bereich verteidigte das spätere Mitglied der Académie Française standhaft den Primat der Frankophonie gegen Forderungen, dem Arabischen mehr Bedeutung einzuräumen. In der Familiengesetzgebung fanden islamische Rechtsvorstellungen nur marginal Berücksichtigung.

Senghors Nachfolger Diouf leitete im Angesicht der massiven Wirtschaftskrise eine Politik der bürokratischen Expansion ein, die in ländlichen Gebieten den direkten Kontakt des Staates zu den Bauern förderte und das dortige Machtmonopol der Marabuts relativierte. In den rasch wachsenden Städten entstanden islamische Gruppierungen, die eigenständige soziale Strukturen entwickelten und einen Teil der mit den politischen Verhältnissen unzufriedenen Jugendlichen für ihre Ziele gewinnen konnten. Die neuen islamischen Reformer machten zwar den säkularen Staat für die gesellschaftlichen und ökonomischen Probleme in Senegal verantwortlich, äußerten aber ebenso deutliche Kritik an der Rolle der Marabuts.

Diouf gewährte den Reformisten nicht nur politische Freiräume, sondern stellte sich selbst auf internationaler Bühne zunehmend als Verteidiger islamischer Interessen dar. 1993 übernahm er sogar den Vorsitz der "Organisation der Islamischen Konferenz". Gleichzeitig weigerte er sich im eigenen Land beharrlich, etwa im rechtlichen Bereich verstärkt "islamische Aspekte" zu berücksichtigen. Seine Politik brachte ihn jedoch zunehmend in Gegensatz zu vielen Marabuts und kostete ihn bei den Präsidentenwahlen im Jahre 2000 wahrscheinlich den Sieg.

Loimeiers faktenreiche Studie verdeutlicht insgesamt eindrucksvoll die vielfältigen Verflechtungen zwischen staatlichen Organen, religiösen Bewegungen und wirtschaftlichen Unternehmungen in Senegal.

ANDREAS ECKERT

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Trotz ihrer Umständlichkeit lobt Rezensent Andreas Eckert die Studie, da sie "eindrucksvoll" die vielfältigen Verflechtungen in Senegal verdeutliche. Ohne klarzumachen, ob er sein Wissen aus Loimeiers Studie hat, skizziert Eckert neben geschichtlichen Rückblicken in die Kolonialzeit die Herrschaftsstrukturen, mit denen der Staat seit der Unabhängigkeit des Landes zwischen säkularen Interessen und islamischen Strukturen und Bewegungen operiere. Hierbei geht er insbesondere auf den langjährigen Präsidenten Diouf ein, der sowohl Zugeständnisse an die Reformisten als auch an die islamischen Vertreter gemacht habe. Seine Weigerung, etwa dem Ruf nach "islamischen Aspekten" in der Rechtsprechung nachzukommen, und die darauf folgende Opposition vieler Marabus, habe ihn wohl die Wiederwahl im Jahre 2000 gekostet, wie der Rezensent vermutet.

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