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»Seid unbequem, seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt« - dies ist vielleicht die bekannteste Zeile aus den Gedichten Günter Eichs, der in den fünfziger und sechziger Jahren auf dem Höhepunkt seines Ruhms stand und dessen Gedichte neben denen Gottfried Benns und Karl Krolows für viele Leser der Inbegriff dessen waren, was moderne Lyrik nach 1945 zu leisten vermochte. Was Menschen zu den Untaten des »Dritten Reiches« veranlaßt hatte, war mit dessen Ende keineswegs untergegangen. Diesem Weiterleben rückte Günter Eich mit einer neuen Bildsprache zu Leibe, mit Chiffren, Rätseln und Symbolen für…mehr

Produktbeschreibung
»Seid unbequem, seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt« - dies ist vielleicht die bekannteste Zeile aus den Gedichten Günter Eichs, der in den fünfziger und sechziger Jahren auf dem Höhepunkt seines Ruhms stand und dessen Gedichte neben denen Gottfried Benns und Karl Krolows für viele Leser der Inbegriff dessen waren, was moderne Lyrik nach 1945 zu leisten vermochte. Was Menschen zu den Untaten des »Dritten Reiches« veranlaßt hatte, war mit dessen Ende keineswegs untergegangen. Diesem Weiterleben rückte Günter Eich mit einer neuen Bildsprache zu Leibe, mit Chiffren, Rätseln und Symbolen für das Unheimliche, Unerklärbare der menschlichen Natur. Immer weiter bewegten sich seine Gedichte in Richtung eines witzig-lakonischen Pessimismus, richteten sie leise Hartnäckigkeit und trockenen Spott gegen die vereinnahmende Kraft des Konsums, gegen besinnungsloses Einverständnis und dümmliche Zuversicht - bis sie schließlich, bisweilen verkürzt auf Einzeiler und Ein-Wort-Gedichte, kurz vordem Schweigen verharrten. Zum 100. Geburtstag des Autors bietet der Suhrkamp Verlag in seiner Reihe der handlichen »Gedichte in einem Band« Günter Eichs Gedichte von 1930 bis 1972 als ein modernes lyrisches Vademecum: Es sind Texte für Leser, die in einer Zeit der Ernüchterung und der gescheiterten Utopien die Räume des Poetischen nicht versperrt sehen wollen.
Autorenporträt
Günter Eich wurde am 1.Februar 1907 in Lebus an der Oder geboren. In den ersten Kinderjahren wechselte die Familie häufig den Wohnort. 1922 Übersiedelung nach Leipzig, dort Besuch des Nikolai-Gymnasiums. Nach seinem Abitur begann er ein Studium der Sinologie in Berlin. Ab 1927 veröffentlichte Eich - teils unter Pseudonym - erste Gedichte und Texte. 1932 brach er sein Studium ab und fing eine Laufbahn als freier Schriftsteller bei der Zeitung eines Freundes an. 1933 begann er, Hörspiele (auch mehrteilig) für verschiedene deutsche Rundfunkanstalten zu schreiben.1939 wurde er zur Luftwaffe als Kraftfahrer und Funker einberufen. Bei einem Luftangriff 1943 auf Berlin gingen fast alle seine Manuskripte verloren. Nach dem Krieg veröffentlichte er weiter Gedichte, Prosa, Drehbücher, vor allem aber Hörspiele. 1947 wurde er Mitglied der Gruppe 47, deren ersten Preis er 1950 bekam. 1953 Heirat mit Ilse Aichinger. Es erschien die erste Sammlung von Hörspielen bei Suhrkamp. Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden. In den sechziger Jahren unternahm Eich als inzwischen renommierter und vielfach ausgezeichneter Verfasser von Hörspielen etliche Lesereisen mit anschließenden Aufenthalten unter anderem im Nahen Osten, Asien und Teile Nordamerikas. 1963 übersiedelte er nach Salzburg. 1968 erhielt er den Schiller-Gedächtnispreis des Landes Baden-Württemberg. 1967 nahm er an der letzten Tagung der Gruppe 47 teil. Am 20. Dezember 1972 starb Eich nach langjähriger Krankheit in Salzburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.02.2007

Schweigt still von den Jägern
Zum hundertsten Geburtstag: Alle Gedichte von Günter Eich

Er liebte es nicht, zitiert zu werden. "Wo er zitiert wurde, fühlte er sich missverstanden", berichtet sein Verleger Siegfried Unseld. Aber unermüdlich zitiert, rezitiert, interpretiert und missverstanden zu werden ist nun einmal die Kehrseite des Ruhms, den Günter Eich erlangte. Betrüblicher ist es allerdings, wenn die Anerkennung der herausragenden Bedeutung eines Lyrikers sich auf nur wenige Gedichte gründet. So erging es Günter Eich: Sein Gedicht "Latrine", in dem "Urin" auf "Hölderlin" gereimt wird, hat schon allein durch dieses Skandalon anhaltende Aufmerksamkeit erregt; die berüchtigte Zeile "Die Kanaldeckel heben sich um einen Spalt" aus dem Gedicht "Nachhut" löste seinerzeit, als es 1957 in dieser Zeitung erstmals veröffentlicht wurde, einen lang anhaltenden Sturm der Entrüstung aus und wurde wieder und wieder kolportiert. Sein Gedicht "Inventur" schließlich ("Dies ist meine Mütze, / dies ist mein Mantel, / hier mein Rasierzeug / im Beutel aus Leinen") wurde zum nüchternen und ernüchternden Paradigma eines Neuanfangs nach den Schrecken des "Dritten Reiches"; wer immer sich und anderen die Situation der deutschen Literatur nach 1945 vergegenwärtigen will, zieht dieses Gedicht heran.

Vielleicht - hoffentlich - trägt die schmucke Ausgabe der "Sämtlichen Gedichte" Eichs, die Jörg Drews auf der Basis der von Axel Vieregg herausgegebenen Werkausgabe besorgt und mit einem temperamentvollen Nachwort versehen hat, nun dazu bei, den Vorgang der Kondensierung, der mit jeder Kanonisierung einhergeht, zu stoppen und dem lyrischen Gesamtwerk Eichs neue Leser zu gewinnen.

Allerdings erteilt Drews schon dem Erstling Eichs, der unter dem Titel "Gedichte" 1930 erschien, die Note "nicht geeignet"; deshalb dürfen diese Gedichte nicht am Anfang der Ausgabe stehen, wohin sie doch eigentlich gehören, weil Eichs Gedichtbände sonst in chronologischer Folge geboten werden. Vielmehr hat Drews diese frühen Gedichte dort versteckt, wohin allenfalls besonders unermüdliche Leser noch geraten: zwischen "Gedichte aus Hörspielen und Hörfolgen" und "Zu Lebzeiten Eichs unveröffentlichte Gedichte" am Ende des Bandes. Diese Entscheidung kann man nur bedauern. Sie erschwert es dem Leser, Eichs Entwicklung vom Naturlyriker in der Nachfolge Wilhelm Lehmanns und Oskar Loerkes zum skeptischen Allesbezweifler konsequent nachzuvollziehen; sie entzieht seinem Blick darüber hinaus einige der melodiösen Verse des jungen Dichters aus den zwanziger Jahren: " Des Mondes weiße Zisterne / ist ausgeschöpft und leer / und zu schlafen ohne die Sterne / ist zu schwer."

Eich selbst hat seine frühen Gedichte nie verleugnet; im Gegenteil: In dem ihm gewidmeten Sonderheft der Zeitschrift "Konturen" ließ er 1953 seinen ersten Gedichtband von 1930 erneut vollständig abdrucken; und noch in der schmalen, von Walter Höllerer besorgten Auswahl von 1960 findet man auch Texte aus diesem frühen Band. Das gilt in gleicher Weise für seine Gedichte aus den dreißiger Jahren, die er ohne Bedenken in sein erstes Nachkriegs-Gedichtbuch "Abgelegene Gehöfte" (1948) integrierte. Mit anderen Worten: Für Günter Eich war es kein Widerspruch, wenn er einerseits die Kontinuität seines lyrischen Schaffens seit den zwanziger Jahren vorzeigte und sich andererseits zu einem radikalen Neuanfang nach 1945 bekannte. Seine "Stunde null" schloss die Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit und der eigenen Fehlbarkeit ein.

Für diese Gleichzeitigkeit von Beharrlichkeit und Modernität bringt Jörg Drews im Nachwort leider wenig Verständnis auf. Seine Charakterisierung der Gedichte, die Eich vor 1945 geschrieben hat, ähnelt streckenweise mehr einer Strafpredigt als einer Würdigung; da ist von "ästhetisch reaktionären Sehnsüchten" Eichs die Rede, seine frühen Gedichte scheinen dem Herausgeber "zerlaufen, unsicher und redselig" zu sein, "bis zum Gespenstischen spannungslos". Hier wird der eine, der kunstvoll hintergründige, hochgeschätzte "späte" Eich gegen den anderen, den jungen, vermeintlich unreifen und auch politisch verdächtigen Eich ausgespielt. Am besten kann man die Konfrontation der gegenwärtigen mit der vergangenen Welt den Nachkriegsgedichten Eichs selbst ablesen, beispielsweise den Versen aus dem bei Remagen gelegenen amerikanischen Kriegsgefangenenlager, wo er 1945 interniert wurde. "Frühling in der Goldenen Meil" heißt dieses Gedicht aus dem Band "Abgelegene Gehöfte" unverfänglich und sehr Lyrisches versprechend. Es beginnt: "Daheim verbrannten Kleider und Schuh, / Nibelungen und Faust. / Ich schaue dem Flug der Mosquitos zu, / mit fiebrigen Augen, stumpf und verlaust."

In dieser Situation des körperlichen und geistigen Zusammenbruchs dringt als "Gruß der Welt" nur noch "der Geruch von Latrine und Chlor" ins Lager herüber; Fäkalien, Ungeziefer und Desinfektion - das ist alles, was von der geistigen Welt Eichs ("Nibelungen und Faust") nach dem Krieg übriggeblieben ist und was sie zu bieten hat; sie hat sich als trügerischer Schein erwiesen. Wer unter solchen Umständen noch eine "Vollkommenheit der Welt" konstatiert, muss einen mitleidlosen, lebensfeindlichen Gott entwerfen: "Ungerührt von allem besteht / die Vollkommenheit der Welt. / Gottes eisiger Odem weht / übers Gefangenenzelt."

In den fünfziger Jahren, in den Gedichtbänden "Botschaften des Regens" (1955) und "Ausgewählte Gedichte" (1960) stellte Eich seine Poesie vorübergehend vehement in den Dienst des Widerstands gegen jede Form der Anpassung und gegen das bloße Funktionieren, gegen gesellschaftliche Vereinnahmung und Manipulation, auch und vor allem solche, die durch Sprache geschieht. Warnungen und Aufforderungen, Anreden und Imperative mehren sich in seinen Versen: "Steh auf, steh auf!", "Gib acht!", "Behalte den Augenblick", "Betrachtet die Fingerspitzen", "Wacht auf, denn eure Träume sind schlecht". Es war die Zeit seiner größten Wirksamkeit. In seinen Reden anlässlich der Verleihung von Literaturpreisen - 1950 Preis der Gruppe 47, 1953 Hörspielpreis der Kriegsblinden, 1959 Büchner-Preis - kann man die entsprechenden Statements nachlesen: "Wir wissen, dass die Macht daran interessiert ist, dass alle Kunst die Grenze der Harmlosigkeit nicht überschreitet. Macht widerstrebt der Qualität. Sprache, die über die gelenkte, die von ihr genehmigte, hinausgeht, ist nicht erwünscht. Ihr bloßes Vorhandensein stellt eine Kritik dar, etwas, was der Lenkung und damit der Macht selber widerspricht."

Diesen Befund einer trostlos gelenkten Welt hat Günter Eich nicht mehr preisgegeben, aber der Gestus der Belehrung trat in den Versen zurück zugunsten eines Eingeständnisses der eigenen Verstricktheit, ja Schuld: "Schweigt still von den Jägern! / Ich habe an ihren Feuern gesessen, / ich verstand ihre Sprache." "Vom eigenen Mitläufertum im Dritten Reich ist hier die Rede", so übersetzt Drews diese Zeilen aus "Zu den Akten" (1964) mit gutem Grund; jedenfalls spricht Eich vom einstigen Einverständnis mit den "Jägern". Es hat mit dieser seiner Lebenserfahrung zu tun, dass ihm alle Glaubensgewissheiten abhandenkamen. Er entwickelte einen umfassenden und rigorosen Skeptizismus, der politische Überzeugungen und Weltanschauungen, Meinungen, Einverständnisse, Zweifelsfreiheiten, Festlegungen, Zugänglichkeiten jeder Art einschloss.

Am Ende, in den Gedichtbänden "Anlässe und Steingärten" (1966) und "Nach Seumes Papieren" (1972), findet Eich zu eindringlichen Versen von kauziger Lakonik und Skurrilität; es gibt keine Botschaften mehr und keine Weltdeutungen, allenfalls noch "Fußnoten", Postkarten, Briefstellen, Wörterbücher, Gesprächsnotizen. Er hat schließlich für seine Erfindungen aus Beiläufigkeit und Tiefsinn, Sprachwitz und Melancholie eine eigene Form zwischen Lyrik und Prosa erdacht: die "Maulwürfe", die Drews in seinem Nachwort zwar würdigt, die er aber aus seiner Sammlung ausgeschlossen hat. Stattdessen erinnert er an eines der meistzitierten Gedichte des Dichters, der nicht zitiert werden wollte, an seine ebenso sarkastische wie kokette "Zuversicht": "In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim. / Das sind schon zwei." Gib Eich unrecht, Leser! Lies seine "Sämtlichen Gedichte"!

WULF SEGEBRECHT

Günter Eich: "Sämtliche Gedichte". Auf der Grundlage der Ausgabe von Axel Vieregg herausgegeben von Jörg Drews. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 653 S., geb., 18,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Einerseits freut sich Rezensent Wulf Segebrecht über die "schmucke" Edition von Günter Eichs Gedichten, die Jörg Drews seinen Angaben zufolge auf der Basis von Axel Vieregg herausgegebenen Werkausgabe besorgt hat. Denn er hofft, dass es ihr gelingen wird, diesem großen Dichter neue Leserschaften zu erschließen und den Prozess der "Kondensierung" seines Werks zu stoppen. Andererseits jedoch macht er Einwände gegen die Auswahl geltend, die es aus seiner Sicht erschwert, die Entwicklung dieses Lyrikers komplett nachzuvollziehen. So fehlen zu Segebrechts Bedauern Eichs frühe Gedichte, was das Verständnis für die Dialektik von "Beharrlichkeit und Modernität" in Eichs Entwicklung für unkundige Leser unmöglich mache. Auch Drews selbst bringe dafür in seinem " temperamentvollen Nachwort" kein Verständnis auf, dessen Charakterisierung von Eichs vor 1945 entstandenen Gedichten aus Segebrechts Sicht "eher einer Strafpredigt" als einer Würdigung gleicht. Dabei sei es gerade dieses Spannungsverhältnis, dem Eich aus Sicht des Rezensenten seine singuläre Stellung in der Nachkriegsliteratur verdankt. Trotz dieses editorischen Mankos legt er deshalb Eichs Gedichte den Lesern mit einem zwingend argumentierenden Parcours durch dessen literarische Entwicklungsstufen emphatisch ans Herz.

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