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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2005

Heiße Götternacht der Liebe
Werke, Briefe und Tagebücher der Franziska zu Reventlow

Ihre Gedichte hat Franziska zu Reventlow lieber nicht veröffentlicht. Erst aus dem Nachlaß der 1918 gestorbenen Schriftstellerin und Malerin kamen sie ans Licht und singen der Nachwelt von Einsamkeit, verlorener Liebe oder unglücklich verbrachter Kindheit: "Weihnachtsabend ist es und die Glocken läuten, / einsam sitze ich in düstrer Stube, / wilden Heimwehs schmerzzerrißne Beute, / krank an Leib und Seel' und todesmüde" (1895). Oder, ebenfalls aus dem Jahr 1895: "Wandle ich einsam über die Heide, / wenn der Wind vom Meere herüber streicht. / Rings um mich her nur totes Schweigen, / kein Leben, so weit das Auge reicht. / Da erwachen in mir der Kindheit Tage, / ich denke der einsamen, freudlosen Zeit. /Aufs neue erwacht im Herzen die Klage, / des einsamen Kindes einsames Leid."

Wer derlei schätzt, wird nun begrüßen, daß die Herausgeber einer fünfbändigen Werkausgabe Reventlows im fünften, "Sonstiges" überschriebenen Teil das bislang gedruckte lyrische OEuvre der Gräfin um acht Gedichte aus der Handschrift erweitert haben, um Titel wie "Nur eine heiße Götternacht der Liebe" oder "Der Sommer ist vergangen".

Aber auch sonst scheint es Gründe für diese großzügig mit Stiftungsgeld geförderte Edition zu geben. Der Gesamtherausgeber kennt jedenfalls keine falsche Bescheidenheit: Allein der fünfte Band biete "eine ausführliche Zeittafel und die bisher umfangreichste Bibliographie" zu Franziska zu Reventlow, "wodurch der Forschung ein wichtiges Instrumentarium an die Hand gegeben wird"; eine Seite später lesen wir dann, daß auch die Zeittafel "die bisher ausführlichste" sei, wieder etwas später wird dann die Bibliographie neuerlich mit diesem Superlativ beworben.

Offenbar trägt also die Werkausgabe zusammen, was die Autorin zuvor gern verstreute, und möchte ausführlichst aufhellen, was die Reventlow im ungefähren beließ. Das heißt im einzelnen: Fußend auf den Forschungs- und Editionsarbeiten vor allem der Schwiegertochter Else Reventlow und anderer, werden hier beispielsweise die (bereits separat publizierten) Tagebuchabschnitte zusammengefügt und kommentiert, Aufsätze, Erzählungen und sogar zwei Übersetzungen aus dem Französischen gesammelt, die fünf Romane Reventlows in chronologischer Folge präsentiert und schließlich dem bekannten Korpus etliche Briefe hinzugefügt.

Sie beginnen im März 1890, ein halbes Jahr bevor die schwierige Neunzehnjährige in ein Lübecker Lehrerinnenseminar geht. Drei Jahre später zieht sie nach München, um Malerin zu werden, wird schwanger, heiratet aber einen anderen und zieht mit ihm nach Hamburg, kehrt nach München zurück, arbeitet als Edelprostituierte, malt, schreibt, feiert, wird geschieden und 1897 Mutter, steht auf der Bühne, reist, geht eine halbwegs lukrative Scheinehe ein und verliert das Geld beim Zusammenbruch ihrer Bank. Sie stirbt am 26. Juli 1918. Unter ihren vielen berühmten Freunden sind Franz Hessel, Karl Wolfskehl und Ludwig Klages, und schon weil sie eine aufregende Zeit im Zentrum der Münchner Boheme verbrachte, waren ihre Lebenszeugnisse seither für die Forschung immer von Interesse.

Vor diesem Hintergrund ist es schade, daß von den über siebenhundert inzwischen ermittelten Briefen nur 548 abgedruckt werden, zumal die Kriterien für die Entscheidungen über einzelne Schreiben unklar sind: "Alle bis 2003 erschienenen Briefe" wurden "in unsere Ausgabe aufgenommen", heißt es, nicht aber beispielsweise die allermeisten Schreiben an Reventlows langjährigen Liebhaber, den Künstler Bohdan von Suchocki, denn die seien jüngst in einer separaten Ausgabe in einem anderen Verlag erschienen - als ob nicht gerade für eine auf ihre Ausführlichkeit pochende Werkausgabe solche Kriterien keine Rolle spielen dürften. Der "bewußte" Verzicht auf die Antwortbriefe, "da es sich um eine Werkausgabe ausschließlich der Reventlowschen Schriften handelt", leuchtet immerhin ein, trotzdem wären Hinweise auf den Inhalt dieser Antworten wenigstens in den Anmerkungen hilfreich gewesen, denn so bleibt vieles in Reventlows Schreiben unklar.

Bei den Tagebüchern liegt das Verdienst der Ausgabe nicht in einer Bereitstellung von neuen, bislang unterdrückten Abschnitten, sondern in der Revision von Irrtümern und Druckfehlern der an sich "sorgfältigen, aus dem Nachlaß edierten Ausgabe" Else Reventlows von 1971 und in einem vergrößerten Kommentarteil. Die 500 Seiten Text mit ihrem strikten Alltagsbezug mögen ihren Reiz haben, wenn man sich für wenig gefilterte Stimmungsschwankungen zwischen Euphorie und Verzweiflung interessiert, wenn man vom mühseligen Leben einer alleinstehenden Frau um die Jahrhundertwende lesen möchte und sich am Entzücken der Mutter über den Sohn Rolf ("Bubi") delektiert.

So liest man vom Neujahrstag 1906: "Ich mit Bubi Weihnachtsbaum umgeräumt, mich dabei etwas überanstrengt und nachher recht schlecht. Immer wieder solche Dummheiten. Nächsten Tage ziemlich elend und immer noch nicht gearbeitet und allmählich dumpfen schwarzen Katzenjammer, daß ich mich nicht entschließen kann und ich auch den Rest der Woche verschlampt habe. Aber wozu die Tyrannei, es war eine so schöne Zeit mit dem Bubischatz und wir waren immer vergnügt." Und so weiter und so weiter: Lustige Sätze aus Kindermund, dann wieder Geldsorgen und Zweifel an der künstlerischen Berufung, immer wieder sympathische Zeugnisse persönlicher Tapferkeit angesichts drückender Widrigkeiten, aber eben auch lange Passagen voller Geschwätzigkeit, für deren andauernde Lektüre man schon ein großes Interesse an der Person Reventlows aufbringen muß.

Ob man dieses auch an die Schriftstellerin wenden möchte, ist wiederum eine Geschmacksfrage: Da ist der sentimentale Debütroman "Ellen Olestjerne" von 1903, der den Untertitel "Eine Lebensgeschichte" vielleicht mit allzu großem Recht trägt, denn besonders das bemüht sinnstiftende Ende scheint unmittelbar aus autobiographischen Aufzeichnungen geschöpft.

Der Nachfolger, der Briefroman "Von Paul zu Pedro", dagegen will so angestrengt geistreich sein, daß man all der Sentenzen rasch müde wird: "Von Frauen weiß man überhaupt sehr wenig, wenn man selber eine ist", heißt es da, oder: "Wohnorte eignen sich doch nie recht für mich, und ich eigne mich nicht für die Wohnorte, es gibt also nur Konflikte." Die Briefschreiberin wendet sich an einen Vertrauten, dem sie ihre vergangenen und gegenwärtigen Liebesabenteuer erzählt, dabei als plaudernd desillusioniert posiert und das tiefe Leid dahinter mehr als nur durchscheinen läßt: "Und dann sollte man Seele haben, möglichst viel Seele. Ich hatte auch einmal so etwas, oder man hielt es dafür. Ich glaube, es war nur, wenn ich mich aus irgendeinem Grunde nicht wohl in meiner Haut fühlte. Das halten die Mitmenschen ja gerne für ein Kennzeichen von intensivem Seelenleben."

Im Nachwort rühmt die Herausgeberin dieses Bandes immerhin den "kulturhistorischen Wert" der Romane Reventlows, die "für eine breite Leserschaft ebenso von hohem Interesse bleiben" werden "wie für die literaturwissenschaftliche Forschung", jedenfalls so lange, wie die Forschung Merksätze ausloten möchte wie "Man kann nicht immer im Zusammenhang bleiben, liebster Freund, das Leben selbst ist gar so unzusammenhängend".

Tatsächlich atmen auch die im zweiten Band dieser Ausgabe versammelten Romane den Geist gehobener Unterhaltungsliteratur aus dem Kaiserreich, die daher heute kaum noch unterhalten. Wenigstens wird diese Reventlow-Ausgabe Maßstäbe setzen, da sie auf absehbare Zeit sicher die ausführlichste ihrer Art bleiben wird. Schwer zu sagen, ob man dazu gratulieren soll.

TILMAN SPRECKELSEN

Franziska zu Reventlow: "Gesamtausgabe der Werke, Tagebücher und Briefe". Herausgegeben von Michael Schardt. Igel Verlag, Oldenburg 2004. 5 Bde. in einer Kassette, zus. 2192 S., geb., 88,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.03.2005

Wilde Gräfin in fünf Bänden
Münchner Belle Epoque: Franziska zu Reventlow, jetzt in neuer Werkausgabe zu lesen, verkörperte die Sehnsüchte ihrer Zeit
Die fünf blauen Bände der Reventlow- Werkausgabe sind handwerklich solide und ästhetisch ausgesprochen geschmackvoll gearbeitet. Dunkelblaues Leinen, rote Beschriftung des Rückens, dazu passend das rote Vorsatzpapier. Die Bücher bleiben aufgeschlagen liegen, wenn man sie auf den Tisch legt. Gutes Handwerk. Zudem ist diese Gesamtausgabe vollständiger als jede bisherige. Was der kleine Oldenburger Igel-Verlag vorgelegt hat, ist beachtlich, das Ganze zu einem Preis, der wohl nur dadurch zu erklären ist, dass das Projekt von einem oldenburgischen Strom- und Gasanbieter subventioniert wurde.
Wer ist diese Frau, der so viel editorischer Fleiß gilt? Historisch und literarisch interessierten Münchnern ist sie auch heute noch ein Begriff; außerhalb nur noch wenigen. Dabei war sie einmal so etwas wie ein Star, der umschwärmte Mittelpunkt der Schwabinger Bohème, berühmt für ihren unbändigen Freiheitsdrang und ihr freizügiges Liebesleben. Sie wurde 1871 in Husum geboren und starb 1918, als das Wilhelminische Reich schon wieder zu Ende war. Die „wilde Gräfin”, wie sie Zeitgenossen nannten, entstammte einem alten Adelsgeschlecht, brach jedoch früh mit dem für sie unerträglichen Elternhaus. 1895 kam sie zum Studium der Malerei nach München und schloss sich der Schwabinger Künstlerszene an. Wilde Jahre begannen, mit ausgelassenen Festen, durchzechten Nächten und immer neuen Affären.
Ihren Sohn Rolf, der 1897 geboren wurde, zog sie allein auf, den Namen seines Vaters gab sie nie preis - eine Provokation sondergleichen. Um sich über Wasser zu halten, übersetzte sie aus dem Französischen und veröffentlichte vier Romane, ein paar Novellen, zahlreiche Aufsätze und Kritiken, auch Witze für diverse Zeitschriften, wie etwa den Simplicissimus. Sie war eine emsige Brief- und Tagebuchschreiberin und hielt engen Kontakt zu Freunden, auch zu Geldgebern. Im Herbst 1909 verließ sie München für immer und zog nach Ascona am Lago Maggiore, wo sie eine Scheinehe mit Baron von Rechenberg-Linthen einging, um endlich an Geld zu kommen - aber auch dieser Coup misslang.
Das kurze Leben der Franziska zu Reventlow war eine Abfolge von Seligkeiten und Katastrophen. Sie war Künstlerin und Lebenskünstlerin, Kameradin, Muse und Geliebte, Symbol der Sehnsüchte ihrer Zeit. Sie hatte den festen Willen, die Utopie eines Lebens in grenzenloser Selbstbestimmung zu verwirklichen, und ließ sich auch durch Unbequemlichkeiten, die das bedeutete, nicht davon abbringen. Sie spuckte auf Konventionen und wehrte jeden ab, der sie in geordnete Verhältnisse führen wollte. Eine ungewöhnliche Frau, die sich schon in sehr jungen Jahren überfordert hat mit dem Versuch, die absolute Freiheit zu leben. Eine im Wortsinn anarchische Existenz: Egozentrikerin, an der sich die Männer die Finger verbrannten, Melancholikerin, die sich und ihr Leben ständig in Frage stellte, Zynikerin, Intellektuelle, Gesellschaftsnudel, mal überschäumend fröhlich, mal zu Tode betrübt, fordernd, laut, vereinnahmend, männerfixiert, treue Freundin, zärtliche Geliebte, auch Nervensäge und Schandmaul.
Witz und Wärme
Dass um diese Frau etwas Besonderes war, darüber geben ihre Tagebücher und Briefe Auskunft, auch ihre autobiographischen Schriften, die kleinen Romane, Skizzen und Novellen. Die Reventlow hat nicht übermäßig viel geschrieben, manches ist literarisch eher durchschnittlich, aber es ist lebendig und voller Witz und Wärme, und es lässt vor unseren Augen ein farbiges Tableau der Belle Epoque entstehen. Durch ihre Augen haben wir einen speziellen Blick auf die Welt - genauer: das München - des Fin de siècle. Bei Thomas Mann oder Frank Wedekind oder Rainer Maria Rilke sieht es dann schon wieder ganz anders aus.
Reventlows Schriften waren bisher in verschiedenen Werkausgaben zu haben, zweimal - 1925 und 1971 - herausgegeben von Else Reventlow, der Schwiegertochter. Die vorliegende Edition enthält - bis auf ein paar ungelenke Jugendgedichte - alle bis heute bekannt gewordenen literarischen und kritischen Schriften, die Briefe in einer bis heute nicht erreichten Vollständigkeit, sowie die Tagebuchaufzeichnungen. Umso ärgerlicher, dass bei all diesem Aufwand einige alte Fehler und Fälschungen, die offenbar nicht erkannt wurden, auch in dieser Edition mitgeschleppt werden. Dies gilt vor allen Dingen für den Tagebuchband.
Die fünf Herausgeber der einzelnen Bände äußern sich in ihren Nachworten zum Stand der Forschung. Hilfreiche Stellenkommentierungen und das Personenregister im Tagebuch- und Briefeband, dazu eine ausführliche Zeittafel und eine aktuelle Bibliographie der Primär- und Sekundärliteratur bieten dem interessierten Leser zusätzliche Orientierung.
FRANZISKA SPERR
FRANZISKA ZU REVENTLOW: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Hrsg. von Michael Schardt. Igel Verlag, Oldenburg 2004. 2188 Seiten, 88 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Leistung des kleinen Igel-Verlages in Oldenburg, der diese fünfbändige Werkausgabe, gut und geschmackvoll gearbeitet, auf den Weg gebracht hat, ist laut Franziska Speer beachtlich. Reventlows Schriften waren bislang nur verstreut in verschiedenen Ausgaben zu haben; die Oldenburger Edition versammelt nun - abgesehen von ein paar verzichtbaren Jugendgedichten - sämtliche literarischen Arbeiten Reventlows, ihre Briefe in bislang unerreichter Vollständigkeit und die Tagebuchaufzeichnungen. Vor allem die autobiografischen Quellen, so Sperr, gäben Aufschluss über das Leben der Münchener Boheme im Zeitalter des Fin de siecle, deren unbestreitbarer Mittelpunkt die "wilde Gräfin" war. Literarisch sei das meiste eher durchschnittlich, findet Sperr, aber es sei "lebendig und voller Witz und Wärme". Ärgerlich findet die Rezensentin bei so viel Aufwand nur, dass in der neuen Edition - insbesondere im Tagebuchband - viele alte Fehler und Fälschungen aus früheren Veröffentlichungen übernommen worden sind. Register, Zeittafel, Bibliografie und Kommentierungen sollen ansonsten nichts zu wünschen übrig lassen.

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