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Georges öffentlich richtende Stimme (»Der Krieg«), die mahnend an uns gerichtet ist, die aber auch tröstet und gedenkt (»Sprüche an die Lebenden und an die Toten«), wird erweitert um den leise resignativen Alterston der Lieder, mit denen der Band schließt.

Produktbeschreibung
Georges öffentlich richtende Stimme (»Der Krieg«), die mahnend an uns gerichtet ist, die aber auch tröstet und gedenkt (»Sprüche an die Lebenden und an die Toten«), wird erweitert um den leise resignativen Alterston der Lieder, mit denen der Band schließt.
Autorenporträt
Stefan George, 1868 im hessischen Büdesheim als Sohn eines wohlhabenden Gastwirts geboren, wohnte ab 1873 in Bingen. Nach dem Abitur reiste er durch ganz Europa und studierte dabei Philologie, Philosophie und Kunstgeschichte. In dieser Zeit traf George viele avantgardistische Autoren, in Frankreich die Symbolisten, in England die Präraffaeliten. Ab 1900 lebte er überwiegend in Deutschland, seit 1903 vor allem in München. Die Schwabinger Bohème inszenierte und verehrte George als Dichterfürsten. Aus Protest gegen das Nazi-Regime emigrierte George 1933 nach Minusio bei Locarno. Er starb dort am 4. Dezember des gleichen Jahres, betrauert von seinen Schülern, darunter Klaus Mann und die Brüder von Stauffenberg.Neben Einzelausgaben erscheinen bei Klett-Cotta auch »Sämtliche Werke in 18 Bänden«.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.12.2003

„Worin du hängst · das weisst du nicht”
Heute vor siebzig Jahren starb Stefan George – Im Spätwerk zeigen sich wahnhafter Weltverlust und letzte Einfachheit / Von Ernst Osterkamp
Als Stefan George am 4. Dezember 1933 starb, starb ein populärer Lyriker. Ein Jahr nach Georges Tod summierte sein Verleger Georg Bondi die Höhe der Auflagen von Georges Büchern und gelangte zu staunenswerten Zahlen: Von keinem der Georgeschen Gedichtbände waren weniger als 10 000 Exemplare gedruckt worden, und bei seinem erfolgreichsten Buch, dem „Jahr der Seele”, belief sich die Zahl sogar auf 31000 Exemplare. Seinen Kommentar zum Weltkrieg, das große Gedicht „Der Krieg”, veröffentlichte George im Jahre 1917 als Flugschrift in nicht weniger als 6600 Exemplaren: eine Zahl, von der die von George verachteten Expressionisten allenfalls hätten träumen können. Am Ende seines Lebens scheint es auf dem Lyrikmarkt geradezu eine George-Überproduktion gegeben zu haben; jedenfalls finden sich im Dezember 1932 in der Literarischen Welt, der wichtigsten Literaturzeitschrift der Weimarer Republik, verschiedentlich Anzeigen von Buchhandlungen, die Werke Georges in „verlagsneuen Bänden” zu stark herabgesetzten Preisen anboten.
Allerdings besitzt der Zeitpunkt, zu dem diese Inserate erschienen, eine hohe geschichtliche Symptomatik. Während in den frühen Jahren von Georges Ruhm die Leser nach dessen Werken hatten suchen müssen, mussten nun seine Werke nach Lesern suchen. Die Zeit Georges war zu Ende. Die Gesamtausgabe der Werke des Dichters wurde 1934 mit dem Schlussband noch so planvoll zum Abschluss gebracht, wie George sie 1927 mit dem ersten Band begonnen hatte – genau 100 Jahre, nachdem der erste Band von Goethes Ausgabe letzter Hand erschienen war. Mit der Gesamtausgabe seiner Werke meldete Stefan George, der im Jahre 1902 eine von ihm und Karl Wolfskehl besorgte Auswahl deutscher Gedichte des 19. Jahrhunderts unter dem Titel „Das Jahrhundert Goethes” hatte erscheinen lassen, seinen Anspruch darauf an, dass das 20. Jahrhundert sein Jahrhundert, das Jahrhundert Georges, werden sollte.
Es ist anders gekommen. Fünf Jahre nach der Veröffentlichung von Georges letztem Gedichtband, „Das Neue Reich” (1928), brach das „Dritte Reich” Adolf Hitlers an und sorgte dafür, dass alle von Stefan George in die Zukunft gelegten Spuren abgeschnitten und getilgt wurden. Das Jahrhundert des politischen Totalitarismus ist nicht zum Jahrhundert Georges geworden. Als Theodor W. Adorno am 23.4.1967 im Deutschlandfunk über George sprach, stellte er dessen Werk wie dasjenige eines Vergessenen vor, das „nicht nur aus dem öffentlichen Bewußtsein sondern aus dem literarischen in weitestem Maß verdrängt” worden sei: „Auf die Gewalt, mit der er den Zeitgenossen sein Bild eingraben wollte, antwortet eine nicht geringere des Vergessens: als triebe der mythische Wille seines Werkes, zu überleben, mythisch zu dessen eigenem Untergang.”
Von der Gewalt dieses mythischen Überlebenswillens kündet die Art, in der George in der Zeit, da „Das Neue Reich” erschien, von seinen Jüngern über sich schreiben ließ: „Man wird später die stillen strassen aufsuchen wo mit der morgensonne sich sein fenster öffnete · wo manchmal schon einer der jüngsten wartete · indessen rings die bürger schliefen. Und zahllose wege im weiten vaterland und ruhmlose orte werden nur gelten weil ER dort ging mit seinen drei · mit seinen sieben · mit seinen zehn getreuen.” (Johann Anton im Jahr 1928)
Die Aura des Dichters war damals längst zur Aura eines säkularen Heilsbringers geworden, von dem ein universales Erlösungsversprechen ausging, das weit in den politischen Raum ausgriff: „Würde er auftreten als Borgia als Dschingis Khan als Bonaparte · eine ungeheure gefolgschaft knechtischer geister wäre ihm sicher.” Wer so über sich schreiben lässt, spielt tatsächlich mit dem Gedanken, ein Borgia, ein Dschingis Khan, ein Bonaparte sein und über eine „ungeheure gefolgschaft knechtischer geister” regieren zu können – um was zu tun? Die Gegner werden benannt: Es sind „die bürger”, die noch fest schlafen, indes der Träger des künftigen Heils schon unter ihnen wandelt. Für George repräsentierten die Bürger alles, was er an der Moderne hasste und verachtete: die Kommerzialisierung, Verrechtlichung, Mechanisierung, Nivellierung, Abstraktheit aller Lebensverhältnisse, die universale Lebenszerstörung aus dem Geiste der Ökonomie.
Sag ichs und sag ichs nicht
In diesem Sinne ist Georges Poesie eine Poesie des Kahlschlags. George war groß in der Verneinung; die zeitkritischen Gedichte aus dem „Siebenten Ring” (1907) gehören bei all ihrer stupenden Inhumanität nach wie vor zum eindrucksvollsten Teil des Werks. Was aber das „Neue Reich” der wiedergewonnenen Ganzheit sei, das er der von ihm verworfenen Zeit entgegenstellte, dies beließ er in ahnungsvollster Unbestimmtheit. Was auch hätte, wenn er das Bilderverbot, das über aller Utopie liegt, gelockert hätte, anderes zum Vorschein kommen können als ein nach dem Modell von Herrschaft und Dienst aktualisiertes Hellas, das von den Phantasien der von ihm verachteten Bildungsphilister wohl nur schwer zu unterscheiden gewesen wäre? Georges politische Zukunft lag immer schon in tiefster Vergangenheit. Deshalb lag er vor dem Tempel seines „Neuen Reiches” wie eine Sphinx ohne Geheimnis und verwehrte jeden Zutritt, denn dessen innerste Zelle war leer.
Wie eine symbolische Vergegenwärtigung dieser leeren Mitte erscheint das „Gespräch des Herrn mit dem römischen Hauptmann”, das genau im Zentrum des „Neuen Reichs” steht. „doch schweigen herrscht wo deutung weit”: mit diesen Worten, die einer Sphinx ohne Geheimnis wahrlich gut zu Gesichte stehen, weist der Herr den Hauptmann zurück, der ihn nach der Essenz seiner Lehre fragt, um dann doch einen Ausblick auf „des bundes fülle” zu geben: „den Christ im tanz”. Die Vereinigung von Christus und Dionysos also, höchster Spiritualität und befreiter Leiblichkeit: soll dieses nietzscheanisch aufgepeppte und mit Hilfe eines weltanschaulichen Eklektizismus auf gewaltigste Bedeutungsschwere getrimmte Turnväterglaubensbekenntnis des „mens sana in corpore sano” tatsächlich den innersten Kern der Georgeschen Privatreligion bezeichnen? Dies mag nicht einmal der Hauptmann glauben, so fragt er denn: „Meister noch dies: ist was du bringst das lezte reich?” Die Antwort des Herrn: „Dein sinn bleibt gleich verwirrt – sag ichs und sag ichs nicht.” Deshalb sagt er es natürlich nicht und zwingt gerade damit den Hauptmann in die Knie. Die Verweigerung jeder Aussage über das „Neue Reich” wird zum Beweis für dessen Realpräsenz, für seine Anwesenheit im Geheimnis.
George, den seine Jünger nur den „Meister” nannten, war ein Meister nicht zuletzt in der Kunst, sich im entscheidenden Augenblick zu entziehen. Gerade daraus bezog er einen nicht unwesentlichen Teil seiner unvergleichlichen Wirkung. Deshalb haben aber auch viele seiner größten Verehrer außerhalb seines engeren Kreises schon früh an Georges Fähigkeit zur Zukunftsgestaltung gezweifelt. Georges antithetische Stellung zu seiner Zeit bestimmte Werner Picht 1922 als diejenige eines „Bußpredigers”; Bußprediger aber rufen zur Umkehr auf, nicht zu positivem Neuaufbau. Als 1928 zu Georges 60. Geburtstag „Das Neue Reich” erschien, hat Picht sich in seinem Urteil vollauf bestätigt gesehen: „Diese Berufung zum Nein, zur Gegnerschaft gegen das umgebende Leben aber, in der man fraglos eine echte historische Mission zu sehen hat, wendet sich schließlich gegen den Propheten selbst.”
Im letzten Buch Georges, in dessen Titel der große Verneiner eine Geschichtsutopie von nicht geringerem Anspruch als dem der mittelalterlichen Reichstheologie Joachims von Fiore beschwört, erkannte Picht „das Element des Wahnsinns in seiner Majestät”. Tatsächlich hat George im „Neuen Reich” den Anspruch der Poesie auf geschichtsverändernde Kraft auf die Spitze getrieben; schon im Titel ist die Verwerfung der Zeit in ein chiliastisches Erneuerungspathos umgeschlagen, das allein durch Poesie verbürgt wird. Auf der anderen Seite aber übt dieser DichterSeher einer Reichsutopie, statt seine Geschichtsvision aus der Kraft eines großen Dichter-Ich zu beglaubigen, seine Kunst, sich allen Festlegungen zu entziehen, gerade im Fall dieses Buches mit beängstigender Virtuosität aus. Nie war Georges Anspruch größer als im Falle des „Neuen Reichs”, und nie war seine Bereitschaft, seiner poetischen Vision Verbindlichkeit zu verleihen durch ihre Festlegung auf ein – sein! – dichterisches Ich, geringer als hier. Der Dichter spaltet sich auf im Zeichen einer multiplen Rollenidentität. Von Gedicht zu Gedicht wechselt er chamäleontisch das Gesicht; einmal spricht er als Goethe oder Hölderlin, ein anderes Mal als Christus oder als hingerichteter Schwerverbrecher, dann wieder als Prophet vom Berge. Stefan George tritt seinen Weg ins Neue Reich in Form eines Maskenzugs an, in dem er sämtliche Rollen selber spielt.
Aufmerksame Leser dieses gerade in seiner inneren Zerklüftung faszinierenden Buchs werden spüren, wie die auftrumpfende Heilsgewissheit der Titulatur unterminiert wird durch das allmähliche Zerbrechen der Rollenidentität des Dichter-Sehers, die sich George nach dem Maximin-Erlebnis des Jahres 1904 und dem „Siebenten Ring” (1907) zugelegt hatte. Gewiss dominiert in den groß angelegten Geschichtsvisionen des Bandes noch der hybride Prophetengestus – und dies nicht zuletzt in dem einzigen Gedicht des Buchs, in dem die titelgebende Formel vom „Neuen Reich” auftaucht: dem bald nach Kriegsende verfassten Text „Der Dichter in Zeiten der Wirren”. Hier wie in dem im Jahre 1917 entstandenen großen Gedicht „Der Krieg” („Nie wird dem Seher dank. .”) legt sich George die eherne Maske des Sehers an und trägt mit Unumstößlichkeitsgestus seine trüben Gesichte vor: „er einzig seher / Enthüllt umsonst die nahe not. .” Aber ebenso „sichtet schon sein aug / Die lichtere zukunft.”
Welch ein kühn-leichter schritt
Was es dort gewahrt, ist freilich die elendeste Vision des gesamten Georgeschen Werks. Sie gilt dem Mann, von dem es in einer nicht nur für den heutigen Leser unerträglichen Anbiederung an die politische Vulgärdiktion der Zeit heißt, dass unter seiner Herrschaft „herr wiederum herr” werde und „zucht wiederum zucht”: „er heftet / Das wahre sinnbild auf das völkische banner / Er führt durch sturm und grausige signale / Des frührots seiner treuen schar zum werk / des wachen tags und pflanzt das Neue Reich.” Es sind Verse wie diese, auf die sich Propagandisten des „Dritten Reiches” berufen konnten, als sie George zu dessen Propheten erklärten.
Aber der Dichter des „Neuen Reichs” lässt sich nicht auf die Rolle eines poetischen Visionärs festlegen. Er unterläuft den eigenen Anspruch auf die Kraft des Sehers, indem er immer wieder in ganz andere Rollenfigurationen ausweicht, die sich unmöglich mit positiven Geschichtsvisionen verbinden lassen. So kehrt George in dem Gedicht „Der Gehenkte”, vermutlich einem seiner spätesten Texte, zu seinen Baudelaireschen Ursprüngen zurück, indem er in die Rolle des radikalsten Außenseiters eintritt: eines Kapitalverbrechers, dessen einzelne Verbrechen nicht benannt werden, weil er sämtliche Verbrechen gegen die bürgerliche Gesellschaft repräsentiert. Plötzlich lässt sich der Dichter, der sich längst in der Rollenschablone des Sehers eingerichtet hatte, in den Gestus des poète maudit zurückfallen und enthüllt damit, was es mit dem Gestus des Sehers auf sich hat: Er gehört zu einer Rolle, die der Dichter jederzeit ablegen kann.
Das letzte Wort des Dichters Stefan George aber sind zwölf Gedichte, die er unter dem Titel „Das Lied” an den Schluss seines letzten Buchs gestellt hat. Es sind dies volksliedhaft einfache Gedichte, in denen nichts zu spüren ist von der Zukunftsgewissheit des Sehers und alle Großvisionen künftiger neuer Reiche wie ausgelöscht erscheinen. Es ist, als wolle George durch die Rückkehr zur kunstvollen Schlichtheit des Lieds einbekennen, dass auch ihm in den Zerklüftungen der Moderne das absolute Wissen des Propheten abhanden gekommen ist: „Worin du hängst · das weisst du nicht.” So findet denn George in seinen letzten Gedichten zu der Freiheit zurück, einer ungeschützten Subjektivität Ausdruck zu verleihen. Da verfliegt die Geschichtschimäre des Neuen Reichs, und zurück bleibt, in einer letzten Erinnerung an die Märchenwelt der Kindheit, das autonome, das „eigenste” Reich der Poesie: „Welch ein kühn-leichter schritt / Wandert durchs eigenste reich / Des märchengartens der ahnin?”
Nein, Stefan George ist kein Dschingis Khan und kein Bonaparte geworden, und die Waffe, die er gegen das Bürgertum schwang, blieb zeitlebens allein seine Lyrik. Es war dies eine durch das Jahrhundert Goethes geadelte Waffe; das von George geschmähte Bürgertum hat sie deshalb auch geliebt und seine Gedichte zum erfolgreichen Massenprodukt erhoben. Kein Gegner war diesem Bürgertum so gemäß wie Stefan George. Denn der Dichter, der als jugendlicher Dandy und schönheitstrunkener Ästhet sich höhnisch vom Markt abgewandt hatte, behielt diesen dennoch unbeirrt im Blick, weil er seiner Poesie die größte Wirkung zugedachte: diejenige, das Leben aus den Verirrungen der Moderne zu befreien und es fundamental zu erneuern. In seinem Vertrauen auf die lebensverändernde Kraft des autonomen Gedichts blieb George zeitlebens ein Erbe der deutschen Klassik und Romantik. In seiner Publikationspolitik, seiner Medienstrategie, seiner Selbstinszenierung gegenüber der Öffentlichkeit hingegen handelte er, wie die Auflagenziffern seiner Bücher zeigen, durch und durch modern. Noch in seinem Beharren darauf, jede Publikation aus seinem Kreis mit dem Zeichen der „Blätter für die Kunst” zu versehen, gehorchte er der Logik der Warenästhetik, die auf Distinktionsgewinn durch ein Logo setzt, das auch dem Massenartikel Exklusivität zertifiziert. In hoc signo vincis: Wenn schon nicht das Neue Reich gewonnen wurde, so doch immerhin der Lyrikmarkt.
„Ich seh in dir den Gott”: Maximilian Kronberger, gestorben am 15. April 1904, wurde von Stefan George zum Gott „Maximin” verklärt. Das Grab des früh verstorbenen Jünglings liegt auf dem Münchener Nordfriedhof.
Foto: Regina Schmeken
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