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"Genau die Literatur, die es braucht, um die großen Dramen unserer Zeit zu erzählen." Erri De Luca
Sie kam als Letzte ins Ziel, und doch ging ihr Foto um die Welt. Millionen waren während der Olympischen Spiele 2008 von der kleinen somalischen Läuferin Samia und ihrem eisernen Willen gerührt. Doch nur wenige wissen, dass die junge Frau danach in ihrer vom Bürgerkrieg zerrissenen Heimat keine Unterstützung mehr erhielt und sich auf die lange illegale Reise nach Europa machte. Ihre Odyssee fand 2012 vor Lampedusa ein tragisches Ende. Der italienische Journalist Giuseppe Catozzella hat Samias…mehr

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Produktbeschreibung
"Genau die Literatur, die es braucht, um die großen Dramen unserer Zeit zu erzählen." Erri De Luca

Sie kam als Letzte ins Ziel, und doch ging ihr Foto um die Welt. Millionen waren während der Olympischen Spiele 2008 von der kleinen somalischen Läuferin Samia und ihrem eisernen Willen gerührt. Doch nur wenige wissen, dass die junge Frau danach in ihrer vom Bürgerkrieg zerrissenen Heimat keine Unterstützung mehr erhielt und sich auf die lange illegale Reise nach Europa machte. Ihre Odyssee fand 2012 vor Lampedusa ein tragisches Ende. Der italienische Journalist Giuseppe Catozzella hat Samias Geschichte recherchiert und mit ihrer in Finnland lebenden Schwester lange Gespräche geführt. In einer einfachen und emotional berührenden Sprache lässt er Samias Welt entstehen und gibt der verschollenen jungen Frau eine Stimme.
Autorenporträt
Giuseppe Catozzella, geboren 1976, arbeitete nach seinem Studium und einem längeren Aufenthalt in Australien als Journalist für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften. Daneben schrieb er erste Gedichte und veröffentlichte literarische Texte. Giuseppe Catozzella lebt in Mailand.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2014

Leben, das nur als Fiktion zu greifen ist

Ein Roman von Giuseppe Catozzella und ein Comic von Reinhard Kleist erzählen dieselbe Geschichte zweimal anders: Das Schicksal der Samia Yusuf Omar.

Der Tag des Wettkampfs war für mich der wichtigste des Jahres. Freitags war Feiertag, und es galt Waffenruhe, man konnte also unbesorgt draußen sein und durch die Straßen der Stadt laufen." Das Mädchen, das da spricht, ist im August 1999 acht Jahre alt. Wir befinden uns in der somalischen Metropole Mogadischu. Samia Yusuf Omar ist eine begeisterte Läuferin, doch in ihrer Heimatstadt schießen Milizen aufeinander, und die islamisch-fundamentalistische unter ihnen, Al-Shabaab, duldet keine Frauen in kurzen Hosen und Trikots auf der Straße. Eine angehende Leichtathletin riskiert, angepöbelt, verschleppt, vielleicht sogar erschossen zu werden.

Alles an dieser Schilderung, die den Beginn der Handlung von Giuseppe Catozzellas Buch "Sag nicht, dass du Angst hast" wiedergibt, stimmt - bis auf das Eingangszitat. Samia Yusuf Omar kann nicht mehr sprechen, und sie konnte dem italienischen Journalisten Catozzella auch ihre Eindrücke vom August 1999 nicht mehr erzählen, denn bevor er auch nur ihren Namen kannte, war sie tot: am 2. April 2012 beim Versuch, illegal von Libyen nach Italien zu gelangen, ertrunken. Samia war gerade einmal 21 Jahre alt. Vier Monate später war die Tote berühmt, denn ihr Schicksal wurde erst während der Olympischen Spiele von London öffentlich. Dorthin hatte sie fahren wollen, um noch einmal ihre Heimat als olympische Läuferin zu vertreten. Bei ihrem ersten Start, in Peking, vier Jahre zuvor, war sie im Vorlauf des Zweihundertmeterlaufs der Frauen abgeschlagen ausgeschieden, doch die bloße Teilnahme einer dürren Siebzehnjährigen, einer von nur zwei Sportlern aus Somalia bei diesen Spielen, rührte die chinesischen Zuschauer im Stadion: Sie feierten die Letzte im Vorlauf wie eine Siegerin. Das war am 19. August 2008.

Fast auf den Tag genau sechs Jahre später erscheint heute bei Knaus die deutsche Übersetzung von Catozzellas Buch, nur wenige Monate nach dem italienischen Original. Während Catozzella daran schrieb, saß ein Deutscher an der gleichen Geschichte: Reinhard Kleist zeichnete einen Fortsetzungscomic über Samia, "Der Traum von Olympia", der seit Juli im Feuilleton dieser Zeitung abgedruckt wird. Catozzella und er wussten nichts voneinander, aber sie haben dieselben Auskunftgeber befragt: vor allem Samias fünf Jahre ältere Schwester Hodan, der es 2007 gelungen war, sich nach Europa durchzuschlagen, und die heute in Helsinki lebt. Dank ihrer Unterstützung konnten beide Autoren die E-Mails und Facebook-Einträge von Samia einsehen, die immer dann Auskunft über den Werdegang der jungen Sportlerin gaben, wenn sie irgendwo Zugang zu einem Computer bekam. Es gibt auch überlebende Flüchtlinge der Überfahrt, auf der Samia ertrank, die erzählten, was vorher geschehen war. Und doch erzählen weder Kleist noch Catozzella einfach nach, was geschehen ist. Beide sind über diese Geschichte selbst zu Flüchtigen geworden: zu Flüchtigen in die Fiktion.

Es ist bemerkenswert: Obwohl so viele Quellen zu Samias Leben zur Verfügung stehen, wurde es bislang nicht zum Stoff für Dokumentationen. Bereits 2013 hatte die spanische Choreographin Carla Gulmaraes daraus ein Tantztheaterstück gemacht: "Die unglaubliche Geschichte des Mädchens, das Letzte wurde", auch in Deutschland aufgeführt. Man könnte meinen, dieses Schicksal sperrte sich gegen jede Dokumentation, es wäre nur in fiktionalisierter Fassung erträglich. Das Gegenteil ist der Fall.

Dadurch, dass Catozzella und Kleist nicht nur über Samia erzählen, sondern sie selbst sprechen lassen - im Roman als Ich-Erzählerin, im Comic dagegen durch Facebook-Einträge, die aber nicht den tatsächlich von ihr hinterlassenen Nachrichten entsprechen - und konsequent nur das in Text und Bild setzen, was sie auch selbst gesehen haben könnte, sind ihr Erfolgs- wie Leidensweg erst richtig packend. Catozzella gelingt es zwar nicht, seiner Protagonistin, die im Laufe des Romans immerhin vom achtjährigen Kind zur einundzwanzigjährigen Frau wird, jeweils altersgemäße Stimmen zu geben, aber seine Absicht liegt auch nicht in einem realistischen Erzählen. Samia tritt vielmehr als Träumerin vor uns, die vom unvermeidlichen Erfolg in Sport und Leben überzeugt ist. Dadurch entsteht die Fallhöhe bei der Schilderung ihres Todes, den Samia selbst im Buch als eine Apotheose auffasst.

Reinhard Kleist wiederum zeigt Samia als Realistin, die an ihrer Lage in Somalia verzweifelt und deshalb zunächst in die Leichtathletik und dann aus dem Land flieht. Schon, dass seine Protagonistin Facebook nutzt, von dem in Catozzellas Buch nie die Rede ist, dient der Charakterisierung einer jungen Frau, die uns im Comic nähersteht als im Roman, weil sie westliche Werte anstrebt. Dafür schweigt Kleist über die tiefe persönliche, ja beinahe archaische Bindung Samias an ihren Vater, die wiederum für Catozzella ein zentrales Element ist (vom Vater stammt auch der Satz, der dem Roman den Titel gibt). Selbst den Tod des Vaters erzählen die beiden Geschichten anders: Im Roman wird er erschossen, im Comic fällt er einem Bombenanschlag zum Opfer. Beide Fiktionen aber lassen nicht den Selbstbetrug zu, man bewegte sich im Reich der Phantasie. Mit ästhetischen Mitteln wollen sie aufrütteln, und dass beide Autoren sonst durchaus dokumentarisch arbeiten - Catozzella als Journalist ohnehin, Kleist auf dem Feld der Comicreportage -, belegt nur, dass die Anverwandlung dieses Stoffs für sie eine ungewöhnlich persönlich wurde.

Und auch die Menschen in Mogadischu nicht, wo morgen anlässlich des World Humanitarian Day am Flughafen ein bis zur letzten Minute geheim gehaltener "Mogadischu Mini-Marathon" ausgetragen wird. Veranstalter ist das Hilfswerk UNHCR, und im Mittelpunkt des Ereignisses wird die Geschichte von Samia Yusuf Omar stehen, inklusive einer posthumen Ehrung der Läuferin. Teilnehmen wird daran auch Giuseppe Catozzella, dessen Roman an die Teilnehmer verschenkt wird, und Samias Schwester Hodan, die eine Ehrenmedaille in Empfang nehmen wird. In Mogadischu wird wieder gelaufen. So hat Samia doch gesiegt.

ANDREAS PLATTHAUS

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

2008 nahm Samia Yusuf Omar unter größten Schwierigkeiten als Läuferin an den Olympischen Spielen in Peking teil. Die 17-jährige Somalierin hatte sich die Teilnahme schwer erkämpft: Niemand half ihr, trainieren musste sie teilweise in der Burka. Ihr Mut wurde bei den Spielen mit viel Applaus belohnt, aber das war's dann auch, erzählt Rezensentin Susanne Lenz. Zu Hause war das Leben so hoffnungslos wie zuvor. Wie so viele Flüchtlinge machte Omar machte sich deshalb auf nach Europa - über den Sudan, die Sahara und Libyen. 2012 ertrank sie beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren. Der italienische Reporter Giuseppe Catozzella, der Omars Geschichte jetzt aufgeschrieben hat, erzählt die Ereignisse auf der Grundlage von Gesprächen mit Omars in Helsinki lebender Schwester und mit einer Äthiopierin, die mit Omar auf das Schlepperboot nach Italien gewartet hatte, so Lenz. Sie ist beeindruckt, wie Catozzella die Hoffnungen des Mädchens beschreibt - in einer Sprache, die zwar manchmal etwas blumig sei, aber eben auch "glaubhaft".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.09.2014

Letzte Hürde
Lampedusa
Ein Roman über die somalische
Sprinterin Samia Yusuf Omar
Samia Yusuf Omar trat 2008 erstmals bei den Olympischen Spielen in Peking an und verlor auf der 200-Meter-Strecke wie erwartet haushoch gegen die weiblichen Sprint-Asse aus Jamaika und den USA. Trotzdem zog die damals 17-Jährige rasch die Aufmerksamkeit der Presse auf sich: Die schlaksige Somalierin trainierte heimlich in einem halbzerbombten Stadion in Mogadischu und war als Sportlerin islamistischen Anfeindungen ausgesetzt. Nach dem kurzen Medienrummel wurde es wieder ruhig um Samia und sie kehrte zurück in den Alltag der somalischen Hauptstadt, zurück in die ständige Gefahr, einem Terrorakt zum Opfer zu fallen.
  Doch die junge Athletin starb nicht im Chaos ihrer Heimat, sondern auf dem Weg nach Europa: Wenige Monate vor dem Beginn der Olympischen Spiele in London 2012 ertrank sie vor Lampedusas Küste. Samia Yusuf Omar war eine ambitionierte Sprinterin, die zur Weltelite gehören wollte, aber sie war auch eine fast mittellose Somalierin, am Ende sogar ein Flüchtling.
  Die Diskrepanz zwischen Traum und Wirklichkeit zieht sich durch den Roman „Sag nicht, dass du Angst hast“ von Giuseppe Catozzella. Der italienische Journalist erfuhr im August 2012 von Samias Schicksal und begann, ihr Leben zu recherchieren. Er befragte ihre Schwester, die ebenfalls aus Somalia geflohen war, und Menschen, die Samia auf ihrem Weg nach Europa kennengelernt hatte.
  Ihre Geschichte ist einmalig und steht dennoch symbolhaft für Tausende von Schicksalen. Allein in diesem Jahr sind nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks UNHCR bereits mehr als 800 Menschen bei der Flucht auf Booten im Mittelmeer ums Leben gekommen. In der Berichterstattung verschmelzen die einzelnen Gesichter und Beweggründe in der Wahrnehmung des Westens. Die Vorstellung von den erdrückenden Bedingungen in den Heimatregionen, die schließlich zur Fluchtentscheidung führen, bleibt meist diffus. Auf Lampedusa landen Menschen ohne Papiere, aber mit Lebensgeschichten.
  Giuseppe Catozzellas Roman hat die Chance, diese Lücke zu füllen, auf fast schon tragische Weise verpasst. Obgleich der Versuch, sich in die somalische Sportlerin hineinzuversetzen, ohnehin vergeblich bleiben muss, schafft es der Autor nicht mal im Ansatz, Nähe zu erzeugen. Seine Bemühung, eine Stimme für das zu Beginn der Erzählung acht Jahre alte Mädchen zu finden, erweist sich als quälende Leseerfahrung. Catozzella lässt allzu kindliches Vokabular wie „Kackamachen“ und hochpathetische Dialoge aufeinander knallen. „Wenn du wirklich daran glaubst, wirst du eines Tages die somalischen Frauen aus der Sklaverei der Männer führen“, antwortet der Vater, als die zehnjährige Samia von ihrem Traum erzählt, bei Olympia anzutreten. Eher unbeholfen versucht er sich dabei an sprachlichen Bildern: Immer wieder gelten ihm die Augen als Fenster zur Seele, immerzu gleiten sie umher, glitzern, verschleiern oder verdunkeln sich. Die Übersetzung mildert die sprachliche Unbeholfenheit nicht.
  Der Stoff – das Leben in einem Land, das vom Aufschwung der Islamisten geprägt ist – hat es freilich in sich: Samia kann nur bei Waffenruhe durch ihr Viertel joggen, und nach ihrer Teilnahme in Peking ist es für sie zu gefährlich, überhaupt außerhalb des maroden Stadions zu trainieren. Weder die schlechte Ernährung noch die fehlende Unterstützung hält sie davon ab, an ihren Bestzeiten zu arbeiten. Der Bürgerkrieg ist dabei die gefürchtete und zugleich gewohnte Kulisse, ein „böser Bruder“, geboren nur wenige Wochen vor ihr im Jahr 1991. Samia wird von al-Shabaab-Extremisten bedroht und verfolgt, auch ihre Familie und Freunde werden Opfer des Terrors. Der Entschluss zur Flucht entwickelt sich nur langsam.
  Widerstrebend lässt sie zunächst Mogadischu hinter sich, um in Äthiopien einen Trainer zu finden. Als ihr auch das nicht gelingt, tritt Samia die größte und letzte Reise ihres Lebens an. Gewalttätige Schlepper, Krankheiten, die Hitze der Sahara, Halluzinationen – Samia nimmt jedes Hindernis. Das Meer jedoch kann sie nicht bezwingen. Eine Reportage wäre dem Stoff wohl angemessener gewesen als dieser Roman, in dem Catozzella seiner Heldin die unglaubwürdigsten Gedankengänge andichtet.
ANGIE POHLERS
Giuseppe Catozzella: Sag nicht, dass du Angst hast. Roman. Aus dem Italienischen von Myriam Alfano. Knaus Verlag, München 2014. 256 Seiten, 14,99 Euro. E-Book: 11,99 Euro.
Samia Yusuf Omar 2008 bei den Olympischen Spielen in Peking.
Foto: dpa
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