Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.07.2004Herold der Liebe
Von störrischen und anderen Eseln: Tajjib Salichs „Sains Hochzeit”
„Roman aus dem Sudan”, so bot der Verlag auch schon die früheren Bücher dieses Autors an, als bedürfte der Gattungsname eines exotischen Sonderreizes. Wer „Bandarschâh” oder „Zeit der Nordwanderung” kennt, weiß aber, dass Exotik bei Tajjib Salich nicht Masche, sondern Teil des Motivs ist. Das gilt noch mehr von diesem 1964 erschienenen Erstlingsroman. Ob der giraffenhalsige, affenarmige, kranichfüßige Dorfsonderling Sain in diesem Roman Hauptfigur oder nur erzählerisches Bindemittel für das pittoreske Dorfleben am Obernil sei, entscheide der Leser selbst. Das Buch hat in seiner überbordenden Anekdotenfülle jedenfalls den Stoff für einen großen Roman ins kompakte Format einer Erzählung gepackt.
Sains Hochzeit, die den Handlungsfaden abgibt, ist ein Wunder unter Wundern. Dass Matronen über der Altersgrenze schwanger werden, Kühe und Schafe zwei oder drei Junge auf einmal werfen, die Palmenernte den Sackvorrat ausgehen lässt und im Wüstendorf Schnee fällt, ist alles nicht ganz so erstaunlich wie die Kunde, dass der sympathische, aber bucklige und stelzfüßige Sain die schöne Nîma heiraten wird. Die Milchhändlerin Halîma kann schon auf der ersten Seite mit dieser Nachricht die Kundin über ihre kleine Betrügerei, der verspätete Schüler Turaifi den Lehrer über sein Zuspätkommen, der Tabakhändler Ali seinen Gläubiger über die Schuldenlast hinwegtäuschen: Und tausendfach prallt in der Folge der Dorfalltag von der Unerhörtheit dieser Heirat ins Geschehen zurück. Sain erheitert mit seinen Späßen Groß und Klein, tanzt auf allen Hochzeiten, wo es etwas zu naschen gibt, und hat ein besonderes Auge für die schönsten Mädchen der ganzen Region. Dass seine Nachstellungen nicht rufschädigend, sondern im Gegenteil als Werbeeffekt sehr nützlich sind, haben die Mütter aller heiratsfähigen Mädchen schnell begriffen und wetteifern mit Einladungen zum Tee. Sain wird so zum Herold der Liebe über Standes- und Stammesunterschiede hinweg. Der lustige Sonderling hilft aber auch den Blinden und Krüppeln im Dorf, verprügelt den boshaften Goldschmiedsohn Saifaldîn und ist der einzige Vertraute des Heiligen Mannes Hanîn, der aus seiner Einsiedelei mitunter ins Dorf zurückkehrt.
Das große Thema von Salichs späteren Romanen, die Verträglichkeit von Moderne und alter Volkstradition, läuft hier noch kaum ausartikuliert in der Handlung mit. Hanîn spricht kurz vor seinem Tod seinen Segen übers Dorf: Schon quillt die Dattel- und Baumwollernte über - und nicht nur das. Die Regierung, dieser „störrische Esel”, baut praktisch über Nacht ein für die Gegend profitables Militärlager in die nahe gelegene Wüste sowie ein Krankenhaus und ein Gymnasium mitten ins Dorf. Tajjib Salich zeichnet diese Glücksvision aus der heiteren Distanz eines Märchens, die das zyklische Auf- und Abschwellen des Nils und die ekstatischen Luftsprünge Sains in der Runde der Hochzeitsgesellschaft subtil miteinander verbindet. Und Regina Karachouli hat mit ihrer wunderbaren Übersetzung den ganzen Reiz dieser miniaturhaft verkürzten Romanfreske eingefangen.
JOSEPH HANIMANN
TAJJIB SALICH: Sains Hochzeit. Roman aus dem Sudan. Aus dem Arabischen von Regina Karachouli. Lenos Verlag, Basel. 2004. 108 Seiten, 14,90 Euro.
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Von störrischen und anderen Eseln: Tajjib Salichs „Sains Hochzeit”
„Roman aus dem Sudan”, so bot der Verlag auch schon die früheren Bücher dieses Autors an, als bedürfte der Gattungsname eines exotischen Sonderreizes. Wer „Bandarschâh” oder „Zeit der Nordwanderung” kennt, weiß aber, dass Exotik bei Tajjib Salich nicht Masche, sondern Teil des Motivs ist. Das gilt noch mehr von diesem 1964 erschienenen Erstlingsroman. Ob der giraffenhalsige, affenarmige, kranichfüßige Dorfsonderling Sain in diesem Roman Hauptfigur oder nur erzählerisches Bindemittel für das pittoreske Dorfleben am Obernil sei, entscheide der Leser selbst. Das Buch hat in seiner überbordenden Anekdotenfülle jedenfalls den Stoff für einen großen Roman ins kompakte Format einer Erzählung gepackt.
Sains Hochzeit, die den Handlungsfaden abgibt, ist ein Wunder unter Wundern. Dass Matronen über der Altersgrenze schwanger werden, Kühe und Schafe zwei oder drei Junge auf einmal werfen, die Palmenernte den Sackvorrat ausgehen lässt und im Wüstendorf Schnee fällt, ist alles nicht ganz so erstaunlich wie die Kunde, dass der sympathische, aber bucklige und stelzfüßige Sain die schöne Nîma heiraten wird. Die Milchhändlerin Halîma kann schon auf der ersten Seite mit dieser Nachricht die Kundin über ihre kleine Betrügerei, der verspätete Schüler Turaifi den Lehrer über sein Zuspätkommen, der Tabakhändler Ali seinen Gläubiger über die Schuldenlast hinwegtäuschen: Und tausendfach prallt in der Folge der Dorfalltag von der Unerhörtheit dieser Heirat ins Geschehen zurück. Sain erheitert mit seinen Späßen Groß und Klein, tanzt auf allen Hochzeiten, wo es etwas zu naschen gibt, und hat ein besonderes Auge für die schönsten Mädchen der ganzen Region. Dass seine Nachstellungen nicht rufschädigend, sondern im Gegenteil als Werbeeffekt sehr nützlich sind, haben die Mütter aller heiratsfähigen Mädchen schnell begriffen und wetteifern mit Einladungen zum Tee. Sain wird so zum Herold der Liebe über Standes- und Stammesunterschiede hinweg. Der lustige Sonderling hilft aber auch den Blinden und Krüppeln im Dorf, verprügelt den boshaften Goldschmiedsohn Saifaldîn und ist der einzige Vertraute des Heiligen Mannes Hanîn, der aus seiner Einsiedelei mitunter ins Dorf zurückkehrt.
Das große Thema von Salichs späteren Romanen, die Verträglichkeit von Moderne und alter Volkstradition, läuft hier noch kaum ausartikuliert in der Handlung mit. Hanîn spricht kurz vor seinem Tod seinen Segen übers Dorf: Schon quillt die Dattel- und Baumwollernte über - und nicht nur das. Die Regierung, dieser „störrische Esel”, baut praktisch über Nacht ein für die Gegend profitables Militärlager in die nahe gelegene Wüste sowie ein Krankenhaus und ein Gymnasium mitten ins Dorf. Tajjib Salich zeichnet diese Glücksvision aus der heiteren Distanz eines Märchens, die das zyklische Auf- und Abschwellen des Nils und die ekstatischen Luftsprünge Sains in der Runde der Hochzeitsgesellschaft subtil miteinander verbindet. Und Regina Karachouli hat mit ihrer wunderbaren Übersetzung den ganzen Reiz dieser miniaturhaft verkürzten Romanfreske eingefangen.
JOSEPH HANIMANN
TAJJIB SALICH: Sains Hochzeit. Roman aus dem Sudan. Aus dem Arabischen von Regina Karachouli. Lenos Verlag, Basel. 2004. 108 Seiten, 14,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ganz verzaubert scheint Rezensent Joseph Hanimann von diesem Roman, der ein "Wunder unter Wundern" in einem kleinen Dorf am Obernil beschreibt. Märchenhaft werde die Geschichte der Heirat zwischen der "schönen Nima" und dem "sympathischen, aber buckligen und stelzfüßigen Sain" erzählt. Salich zeichnet eine "Glücksvision aus der heiteren Distanz eines Märchens", so unser Rezensent. Das Buch selbst scheint für Hanimann ein kleines Wunder zu sein, denn es gelinge Salich, Stoff für große Romane wie die "Verträglichkeit von Moderne und alter Volkstradition" in seine Erzählung zu packen. Besonders hebt der Rezensent die "wunderbare Übersetzung" von Regina Karachouli heraus, die den "ganzen Reiz dieser mininaturhaft verkürzten Romanfreske" einfange.
© Perlentaucher Medien GmbH
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