La Matosa, eine gottverlassene Gegend in der mexikanischen Provinz. In der brütenden Hitze bewegt sich eine Gruppe von Kindern durchs Zuckerrohrdickicht. Zwischen Plastiktüten und Schilf stoßen sie auf eine Tote, ihr Gesicht ist zu einer grausig lächelnden Grimasse entstellt: La Bruja, die Hexe, eine von den Dorfbewohnern so gefürchtete wie fasziniert umkreiste Heilerin.
Manche sagen, in ihrer schwefligen Küche braue sie Tränke gegen Krankheit und Leid, andere sagen, die Alte treibe es mit dem Teufel. An Mordmotiven fehlt es nicht: Eifersucht, Drogenhandel, Leidenschaften, die besser nicht ruchbar werden - und hat die Hexe nicht doch einen Schatz versteckt? Selbst die Polizei sucht nach dem Geld ...
"Saison der Wirbelstürme" ist die Chronik dieses unvermeidlichen Todes und zugleich die schwindelerregende Reise ins finstere Herz eines Landes, das bis in den letzten Winkel von Gewalt durchdrungen ist - vor allem gegen Frauen. Fernanda Melchor schafft eine brodelnde Atmosphäre, in der jede Geste der Zärtlichkeit im nächsten Augenblick in Brutalität umschlagen kann, gegen die kein Kraut, kein Zauberspruch mehr hilft.
Manche sagen, in ihrer schwefligen Küche braue sie Tränke gegen Krankheit und Leid, andere sagen, die Alte treibe es mit dem Teufel. An Mordmotiven fehlt es nicht: Eifersucht, Drogenhandel, Leidenschaften, die besser nicht ruchbar werden - und hat die Hexe nicht doch einen Schatz versteckt? Selbst die Polizei sucht nach dem Geld ...
"Saison der Wirbelstürme" ist die Chronik dieses unvermeidlichen Todes und zugleich die schwindelerregende Reise ins finstere Herz eines Landes, das bis in den letzten Winkel von Gewalt durchdrungen ist - vor allem gegen Frauen. Fernanda Melchor schafft eine brodelnde Atmosphäre, in der jede Geste der Zärtlichkeit im nächsten Augenblick in Brutalität umschlagen kann, gegen die kein Kraut, kein Zauberspruch mehr hilft.
Heillos: Fernanda Melchors "Saison der Wirbelstürme"
Fernanda Melchor erregte vor einem Jahr in Lateinamerika Aufsehen, als sie sich mit Mario Vargas Llosa anlegte. Der Nobelpreisträger hatte geschrieben, der Feminismus sei "der erbittertste Feind der Literatur", worauf die junge, damals im Ausland noch wenig bekannte Autorin beherzt konterte: "Weder die Literatur noch der Feminismus bedürfen Vargas Llosas, um ihren Weg zu gehen." Chapeau!
Inzwischen ist Fernanda Melchor mit ihrem 2017 erschienenen Roman "Temporada de huracanes" zum Shootingstar der modernen mexikanischen Literatur aufgestiegen; das Buch wird in fast ein Dutzend Fremdsprachen übersetzt und verfilmt.
Dieser Roman, auf Deutsch "Saison der Wirbelstürme", ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Das beginnt mit der äußeren Form: Mit einer Ausnahme ist jedes der acht Kapitel in einem fort geschrieben, ohne Absatz und fast ohne Punkte. So wird der Leser wie in einen Strudel gezogen, er kommt vom Text nicht los, bevor er nicht ans Ende des Kapitels gelangt ist. Demselben Stil begegnet man in den Interviews der Autorin, sie spricht, wie sie schreibt: als feuerte sie mit einem Maschinengewehr. Angelica Ammars Übersetzung - ein Bravourstück - bewahrt das schnelle Stakkato der Autorin; die Verwirrung, welche die Schreibweise mit sich bringt, und manche Ungereimtheiten im Text konnte sie allerdings nicht auflösen. Kann man zum Beispiel "nachts im Dunkeln vor dem Waschbecken" sein Spiegelbild mustern? Und kann es sein, dass einem das "sündhafte Gift in den Hoden" in den Adern brennt?
Fernanda Melchor, 1982 in Boca del Río geboren, einem Vorort der Hafenstadt Veracruz am Golf von Mexiko, begann als Journalistin. Ihr erstes Buch, "Aquí no es Miami", ist eine Sammlung journalistischer Chroniken über Gewalttaten in ihrem Umfeld. Auch "Saison der Wirbelstürme" basiert auf einem realen Geschehen. Im atmosphärisch beklemmenden ersten Kapitel, das nur eine Seite lang ist, pirscht sich eine Jungenbande durch den Bewässerungsgraben einer Zuckerrohrpflanzung an die schrecklich zugerichtete Leiche der "Hexe von La Matosa", einem Kaff im Hinterland von Veracruz. Diese Hexe war eine wichtige Institution im Dorf: Tagsüber half sie den Frauen mit Heilkräutern, Zaubersprüchen und der Verwünschung ihrer Rivalinnen, und nachts empfing sie Männer. Die Geschichte ihres Mordes wird von hinten aufgerollt.
Aber dies ist kein Kriminalroman, es geht nicht um die Aufklärung des Verbrechens, am wenigsten durch die Polizisten (die nicht als Hüter des Gesetzes ins Haus der Hexe kommen, sondern weil sie den dort vermuteten Goldschatz an sich reißen wollen). Fernanda Melchor bezeichnet ihren Roman als "Ranchodrama", also als düsteres Bild der ländlichen Gesellschaft in ihrem Heimatstaat. Der Mord dient ihr lediglich als Vorwand, um die Verderbtheit ihrer Landsleute aufzuzeigen. Sie zeichnet eine völlig desolate Gesellschaft, die in einem unentrinnbaren Teufelskreis von Armut, Verlassenheit, Aberglauben, Missgunst, Habgier, Laster, Gemeinheit und Gewalt gefangen ist.
Die rohe Sprache der Autorin steht der Rohheit des Geschehens in nichts nach: "Die Kerle hatten erzählt, wie sie in das Haus eingedrungen waren und das Miststück geprügelt hatten, bis sie schön still gehalten hatte, und wie sie die Alte dann nacheinander gefickt hatten, denn Hexe oder nicht, lecker war die Fotze trotzdem, schön saftig, und gefallen hat's ihr auch, so wie die sich gewunden und gekreischt hat, während sie sie durchnahmen, ja, klar, sind doch alles Huren hier in diesem Drecksloch, sagten sie." Der Verlag nennt das "sprachgewaltig". Na ja.
Hauptfiguren des Romans sind fünf Personen, die auf die eine oder andere Weise mit der Hexe zu tun hatten: der achtzehnjährige Luismi, der, als Kind von seiner Mutter zur Großmutter abgeschoben, im Drogenkonsum landete und sich das Geld dafür beschafft, indem er sich - wie die meisten Jungs im Dorf - mit Männern prostituiert; Chabela, Luismis Mutter, eine Hure, die sich mit ihrem "geilen Hintern" zur Puffmutter hochgearbeitet hat; Munra, Luismis Stiefvater, der durch einen Verkehrsunfall zum Krüppel wurde und immer "hackedicht" ist; Norma, ein 13 Jahre altes Mädchen, das von seinem Stiefvater geschwängert wurde und aus Angst vor der Mutter ausgerissen ist; Brando, ein junger Bursche, der sich nachts aus dem Haus seiner bigotten Mutter stiehlt, um den Straßenkötern beim Kopulieren zuzuschauen und sodomitischen Phantasien nachhängt. Er hat den Mord an der Hexe ausgeheckt, weil er Geld für einen Neuanfang im Badeort Cancún braucht, wo er als Kellner und Strichjunge für Yankee-Touristen arbeiten will.
Die Grenzen zwischen Gut und Böse sind hier aufgehoben, es gelten keine ethischen Normen, Gefühlskälte und Gewalt bestimmen das Leben. Einmal gibt es einen Ansatz von menschlicher Zuwendung, als Luismi Norma im Park entdeckt, "weinend auf einer Bank, weil sie hungrig und durstig war und kein Geld mehr hatte, und als Luismi zu ihr trat und sie fragte, warum sie weinte". Und dann, später, als Chabela dem jungen Ding eine gewisse rauhbeinige Fürsorglichkeit entgegenbringt, ihr ein Kleid schenkt und sie zur Hexe führt, um die "Sonntagssieben" in ihrem Bauch abzutreiben.
Auffällig und ermüdend ist die Manie der Autorin, sexuelle Handlungen jeder Art, vornehmlich zwischen Männern, drastisch auszumalen. Im sechsten Kapitel wird eine Orgie im Haus der Hexe, die sich als Transvestit entpuppt, beschrieben. Hier fühlt sich der Leser wie in einen Darkroom gesperrt, in dem alle denkbaren und undenkbaren sexuellen Praktiken ausgeübt werden. Ein Kritiker schrieb, das sei keine Literatur für zartbesaitete Naturen. Andere werden sich fragen, ob das überhaupt noch Literatur ist.
Durch das zynische Denken und die üble Nachrede wird auch die geringste solidarische Regung im Keim erstickt. Fast alle haben nur verächtliche oder gehässige Bezeichnungen für ihre Mitmenschen: "degenerierte Schwachköpfe", "miese Ratte", "dahergelaufener Pisser", "verdammte Missgeburt", "feiges Luder", "scheinheiliges Aas" und Aberdutzende mehr. Der strapazierte Leser fragt sich: Wo ist die andere Seite der Medaille? Gibt es denn neben La Matosas heilloser Trostlosigkeit nicht auch ein anderes Mexiko, das intuitiv rücksichtsvolle, einfühlsame, großherzige, sentimentale, geistreiche, innovative, revolutionäre, aus seinen indigenen Wurzeln schöpfende Mexiko? Jetzt muss Fernanda Melchor Farbe bekennen, und sie fügt den "verkorksten Scheißkerlen" und "Hurenmüttern" rasch ein hymnisches "die beste Familie des ganzen Universums" hinzu. Gibt es das andere Mexiko also doch? Ja, nur erst im Off, auf der letzten Seite des Buchs, bei den Danksagungen.
Um vom Shootingstar zu einem leuchtenden Fixstern der Literatur zu werden, genügt es nicht, die Leser durch Beschränkung auf das Hässliche und Verderbte zu provozieren und zu schockieren - der Autor oder die Autorin muss vielmehr danach streben, die ganze Realität zu erfassen und, wie der kolumbianische Romancier Tomás González gesagt hat, "die stachelige Schönheit der Welt" zu entdecken, das Widerspiel von Licht und Schatten. Fernanda Melchor sagt, sie erkenne einen guten Roman daran, "dass ich nach der Lektüre eine andere bin". Ob "Saison der Wirbelstürme" eine solche Katharsis auszulösen vermag, muss jeder Leser für sich entscheiden.
PETER SCHULTZE-KRAFT
Fernanda Melchor:
"Saison der Wirbelstürme". Roman.
Aus dem mexikanischen Spanisch von Angelica
Ammar. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2019. 234 S., br., 22,- [Euro] .
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