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Islamistische Bewegungen haben in den letzten zehn Jahren weltweit an Aktualität gewonnen. Am Beispiel der muslimischen Transformationsländern in Nordafrika wird deutlich, dass vor allem salafistische Gruppen wie in Ägypten mittlerweile politisch stärker partizipieren. In Deutschland ist diese anti-demokratische Bewegung ebenfalls präsent und übt vor allem eine hohe Anziehungskraft auf junge Menschen, insbesondere auf Migranten aus. Mangels systematischer Untersuchungen der ideologischen Konzepte setzt sich der Autor mit den geistigen Vätern der Neuzeit auseinander, die vor allem in den 1960er…mehr

Produktbeschreibung
Islamistische Bewegungen haben in den letzten zehn Jahren weltweit an Aktualität gewonnen. Am Beispiel der muslimischen Transformationsländern in Nordafrika wird deutlich, dass vor allem salafistische Gruppen wie in Ägypten mittlerweile politisch stärker partizipieren. In Deutschland ist diese anti-demokratische Bewegung ebenfalls präsent und übt vor allem eine hohe Anziehungskraft auf junge Menschen, insbesondere auf Migranten aus. Mangels systematischer Untersuchungen der ideologischen Konzepte setzt sich der Autor mit den geistigen Vätern der Neuzeit auseinander, die vor allem in den 1960er und 1970er Jahren durch Umdefinition zentraler koranischer Begriffe islamistischen und fundamentalistischen Bewegungen weltweit die ideologische Basis lieferten. In diesem Kontext werden in einem zweiten Schritt diese Konzepte in Deutschland beleuchtet. Auf der Basis der Analysen werden schließlich integrationspolitische Präventionsmaßnahmen formuliert, die verschiedene Handlungsebenen berücksichtigt.
Autorenporträt
Dr. rer. soc. Rauf Ceylan ist Professor für gegenwartsbezogene Islamforschung am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück. Dr. phil. Michael Kiefer ist derzeit Postdoc am Zentrum für Interkulturelle Islamstudien an der Universität Osnabrück und Leiter des Dialoggruppenprojekts "Ibrahim trifft Abraham" in Düsseldorf.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.05.2014

Den Altvorderen nacheifern
Gedrängte Darstellung des Salafismus, jener besonders rigorosen Ausrichtung des Islam

Warum verschreiben sich Migranten gewisser Milieus mehr dem "Unwesen" als dem "Wesen" der Religion?

Noch vor zwanzig Jahren hätte sich in Deutschland niemand vorstellen können, dass man sich einmal um Salafisten kümmern müsse - und doch ist es so gekommen. Zwar sind es nur ein paar tausend Anhänger dieser besonders rigorosen Ausrichtung des Islam (von insgesamt 4,2 Millionen Muslimen in unserem Land), doch der Wirbel, den sie machen, ist erheblich. Dies hat auch damit zu tun, dass in einigen Ländern Nordafrikas und Vorderasiens die Salafisten eine nicht gerade einflusslose Gruppe von Muslimen stellen. Vor allem Saudi-Arabien lässt nur wenige Gelegenheiten verstreichen, um diese Gruppierungen überall in der Welt zu unterstützen. Zuletzt war dies in Ägypten der Fall, wo sich die salafistische Partei sogar von den ihrer Meinung nach zu laxen fundamentalistischen Muslimbrüdern absetzte.

Rauf Ceylan und Michael Kiefer, beide Islamwissenschaftler in Osnabrück, widmen sich in einer knappen, gedrängten Studie dieser Erscheinung. Vor allem die Neo-Salafija in Deutschland ist ein Phänomen, dessen tiefere Hintergründe noch gar nicht aufgehellt sein können. Denn angesichts der kurzen Geschichte des europäischen Salafismus gibt es nicht genügend empirisches Material, auf das man sich stützen könnte. Immerhin: Einiges bekommen die beiden Autoren doch zusammen.

Nach einer Einführung in die Entstehung des Islam auf der Arabischen Halbinsel - sozusagen im Nachgang der von Karl Jaspers beschriebenen "Achsenzeit" - widmen sie sich fundamentalistischen Strömungen, die in gewissen Abständen immer wieder aufkamen in der Geschichte des Islam, um gegen "Sünde und Dekadenz" bei den Altvorderen (salaf) Schutz und Widerstand zu suchen. Es entstand eine rückwärtsgewandte Vision eines Goldenen Zeitalters, das im Kern die Ära des Propheten Muhammad (Mohammed) und seiner unmittelbaren Nachfolger, der rechtgeleiteten Kalifen, umfasste, kurz: den Frühislam. Damals soll die Gesellschaft gerecht gewesen sein - ein weitgehend historisches Konstrukt, das jedoch immer wieder seine Faszination entfaltet hat und dies auch heute wieder tut.

So etwa unter Ibn Taimija (1263 bis 1328), der heutzutage von vielen als Stammvater des Salafismus angesehen wird. Dieser Religionsgelehrte wirkte zu einer Zeit, da Wirren - nicht zuletzt die Einfälle und Verheerungen der Mongolen - die islamische Welt heimgesucht und geschwächt hatten. Da galt es, die Reihen wieder zu schließen und den "Altvorderen" in puncto Scharia-Strenge nachzueifern. Auch die zeitgenössischen fundamentalistischen Strömungen, erst recht die Salafisten, bedienen sich wieder bei Ibn Taimija. Einem ähnlichen Muster des (vorgeblichen) "back to the roots" bediente sich im 18. Jahrhundert Muhammad Ibn Abdal Wahhab (1703 bis 1792), der mit seiner Schrift "Risala al Tawhid" (Traktat über die Einheit und Einzigkeit Gottes) zum Stammvater des Wahhabismus wurde, der bis zum heutigen Tag bestimmende Lehre in Saudi-Arabien ist. Von dort strahlt er weithin aus - bis nach Mali, Nigeria oder im Osten Pakistan und Afghanistan.

Eine Zäsur, die für das Entstehen des Salafismus wie anderer fundamentalistischer Bewegungen konstituierend gewesen ist, war das Zeitalter der Kolonisierung großer Teile des Orients seit Bonapartes Invasion 1798. Auf diese von außen erfolgte, fremdbestimmte Modernisierung reagierten die Muslime auf zweierlei Weise: mit "Herodianismus" oder "Zelotismus", um zwei Ausdrücke des englischen Historikers Arnold Toynbee zu verwenden. Die "Herodianer" reagierten mit radikaler Modernisierung unter Zurückdrängung der Religion. Für sie stehen Namen wie Muhammad Ali in Ägypten, Mustafa Kemal Atatürk in der Türkei oder Schah Reza Pahlewi in Iran. Getragen wurde dies vom Streben nach Säkularisierung als einem ideologischen Fortschrittsglauben, der in der Türkei am stärksten ausgeprägt war.

Die "Zeloten" hingegen beschritten den gegenteiligen Weg: Nach ihrer Auffassung war und ist die islamische Welt zurückgeblieben und Opfer der Moderne geworden, weil der Islam seine ursprüngliche Dynamik verlor und die Muslime geradezu Verrat am "Erbe der Altvorderen" begangen haben. Der Panislamismus Dschamal al Din al Afghanis und die modernistische Salafija-Bewegung unter Muhammad Abduh (gestorben 1905) und seinem Schüler Raschid Rida (gestorben 1935) strebten eine umfassende islamische Wiedergeburt an, eine Synthese von Religion und moderner Wissenschaft; ihr Vorbild war mehr das pluralistische Andalusien der Mauren als der frühe Islam. Dies galt im vorigen Jahrhundert insbesondere für den Konvertiten Muhammad Asad (Leopold Weiss), der auch, wie etliche andere Denker, Gedanken über eine islamische Demokratie der Teilhabe ("schura") entwickelte.

Die modernistische Salafija erlebte dann in postkolonialer Zeit eine rigorose Ideologisierung, die ihre pluralistischen Elemente zurückdrängte, wenn nicht gar ganz beseitigte. Die neuen politischen Ideologien und Systeme in der islamischen Welt, die nach Erlangung der Unabhängigkeit etabliert worden waren, also Panarabismus, Nationalismus, Sozialismus und Verwandtes, scheiterten allesamt. Ein Ideologe wie der Indo-Muslim Abul Ala al Maududi (gestorben 1979), doch auch viele andere kreierten des Konzept des Islamischen Staates in dem "din wa daula", Religion und Staat, nicht mehr getrennt sein sollten. Mit dem Erfolg des Schiiten Ajatollah Chomeini 1979 errang der Islamismus einen epochalen Sieg, der auch bei manchen Sunniten die Ideologisierung des Islam hin zu einer rigorosen politischen Kampfideologie befeuerte. Vor allem die Muslimbrüder wurden in den siebziger und achtziger Jahren im Nahen Osten der Sauerteig für alle möglichen, noch weitaus radikaleren Gruppierungen des Neo-Salafismus und Dschihadismus.

Salafisten gibt es nun auch in Deutschland, weil die Auseinandersetzungen darüber, was der Islam und eine islamische Gesellschaft seien, sich nach einem halben Jahrhundert Migration auch in der Diaspora widerspiegeln. Doch wer wird in Deutschland ein Salafist, so dass er bereit ist, sich den rigidesten und freudlosesten Formen religiösen Gehorsams zu unterwerfen und noch dazu gewalttätig zu werden? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten; und die Ursachen sind vielfältig. Zumal nach dem "11. September 2001" ist die Migrations-Diskussion islamisiert worden.

Hier bedarf es mehr empirischer Studien, etwa auch, um zu klären, warum sich jugendliche Migranten gewisser Milieus mehr dem "Unwesen" als dem "Wesen" der Religion (Hans Küng) verschreiben. Konflikte der Identität, soziale Marginalisierung, gepaart mit Überlegenheitsgefühlen (etwa bei türkischen Jugendlichen), kulturelles Zurückbleiben, Orientierungslosigkeit in der pluralen Gesellschaft, die als Beliebigkeit empfunden wird, Ungerechtigkeiten der Weltpolitik, Afghanistan und Palästina, das Sichabsetzen von den Eltern und dem Islam-Mainstream - vieles mag da an Gründen zusammenkommen. Erst am Anfang stehen auch Konzepte der Prävention, die - ob in den Niederlanden oder bei uns - in Familie, Schule und Universität in absehbarer Zukunft greifen müssen, um Schlimmeres zu verhüten. In Osnabrück jedenfalls versucht man, wie auch in Münster und Tübingen, die islamischen Befindlichkeiten zu verstehen und aufzuarbeiten.

WOLFGANG GÜNTER LERCH

Rauf Ceylan/ Michael Kiefer: Salafismus. Fundamentalistische Strömungen und Radikalisierungsprävention. Springer VS Verlag, Wiesbaden 2013. 168 S., 19,99 [Euro].

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