Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.11.2011Süddeutsche Zeitung Bibliothek
Bibliothek des Humors 8
Die Sehnsüchte
des Eichhörnchens
Tom Robbins:
„Salomes siebter Schleier“
Organisierte Religion ist Tom Robbins, das kann man auch den Büchern, die er vor „Salomes siebter Schleier“ geschrieben hat, schon entnehmen, im höchsten Maße suspekt; genau genommen handeln die meisten seiner Bücher davon, dass ihm überhaupt alle Ordnung suspekt ist. Und so schreibt er auch: ein literarischer Vollchaot, unbeeindruckt von den üblichen Regelwerken zu Dramaturgie und Übersichtlichkeit. Das Rationale ist ihm zuwider – in einem seiner Bücher lässt er den von der Vernunft geschwächten Gott Pan bei der Beerdigung von Descartes herumstänkern. Also ist auch die Privatreligion, die er entwickelt hat, eher lose dahingesponnen – am ehesten könnte man sie beschreiben als eine Art Pantheismus, der sich auch auf Konservendosen erstreckt.
Eine Dose Bohnen mit Schweinefleisch und mit einer Wunde, aus der Tomatensauce tropft, spielt eine der Hauptrollen in „Salomes siebter Schleier“. Tom Robbins entwirft ein Universum des Irrsinns, rauschhaft und manchmal inflationär mit drolligen Metaphern beschrieben. Die Fragen, die Robbins sich und uns stellt – die sind manchmal dann aber doch sehr irdisch. Warum haben wir so etwas wie den Nahen Osten verbockt? Was ist Irrsinn, tausend Tote oder die Geschichte vom Raum mit der Wolfsmuttertapete?
Irgendwie geht es also in „Salomes siebter Schleier“, erstmals erschienen 1990, um den Nahostkonflikt, der ja tatsächlich zu absurden erzählerischen Verrenkungen einlädt – Robbins hat den Roman geschrieben während der ersten Intifada, die erst Anfang der Neunziger zu Ende ging, das ist zwar lange her, aber wir leben inzwischen trotzdem nicht ineiner maßgeblich veränderten Welt. Wie Tom Robbins allerdings von Virginia nach Jerusalem kommt, das kann man nicht so recht zusammenfassen, zumindest klingt es nicht unbedingt sehr sinnvoll: Wir folgen einer jungen Frau, Ellen Cherry, Malerin und frisch verheiratet, die sich mit dem ihr angetrauten Boomer aufmacht nach New York, in einem fahrenden Truthahn. Dort wird Ellen in einem Restaurant arbeiten, einer jüdisch-arabischen Gemeinschaftsunternehmung; und sich mit einer Reihe von Gegenständen, Painted Stick und Conch Shell, auf ihrer selbständigen Rückreise zum Tempel nach Jerusalem zusammen mit einem Löffel und einer Socke und der eingangs erwähnten Dose Bohnen mit Schweinefleisch gen Osten bewegen. Jezabel, die Ahab vom rechten Glauben abbrachte, ist im Geiste immer dabei. Und sieben Schleier werden fallen, die eigentlich sieben Illusionen sind, der wichtigste ist nicht der letzte sondern der in der Mitte – dass der Welt eine von Menschenköpfen erdachte Religion innewohnen könnte. Die Sehnsucht nach einem Gott, der sie führt, ist den Menschen eigen, möglicherweise aber auch den Eichhörnchen – wer will das Gegenteil beweisen? Robbins ist poetisch und versponnen, und verspielt und anarchisch und blasphemisch – so dass es einem schwindlig wird, und die Wände sich drehen im Raum mit der Wolfsmuttertapete.
SUSAN VAHABZADEH
Tom Robbins
Foto: Peter Peitsch
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Bibliothek des Humors 8
Die Sehnsüchte
des Eichhörnchens
Tom Robbins:
„Salomes siebter Schleier“
Organisierte Religion ist Tom Robbins, das kann man auch den Büchern, die er vor „Salomes siebter Schleier“ geschrieben hat, schon entnehmen, im höchsten Maße suspekt; genau genommen handeln die meisten seiner Bücher davon, dass ihm überhaupt alle Ordnung suspekt ist. Und so schreibt er auch: ein literarischer Vollchaot, unbeeindruckt von den üblichen Regelwerken zu Dramaturgie und Übersichtlichkeit. Das Rationale ist ihm zuwider – in einem seiner Bücher lässt er den von der Vernunft geschwächten Gott Pan bei der Beerdigung von Descartes herumstänkern. Also ist auch die Privatreligion, die er entwickelt hat, eher lose dahingesponnen – am ehesten könnte man sie beschreiben als eine Art Pantheismus, der sich auch auf Konservendosen erstreckt.
Eine Dose Bohnen mit Schweinefleisch und mit einer Wunde, aus der Tomatensauce tropft, spielt eine der Hauptrollen in „Salomes siebter Schleier“. Tom Robbins entwirft ein Universum des Irrsinns, rauschhaft und manchmal inflationär mit drolligen Metaphern beschrieben. Die Fragen, die Robbins sich und uns stellt – die sind manchmal dann aber doch sehr irdisch. Warum haben wir so etwas wie den Nahen Osten verbockt? Was ist Irrsinn, tausend Tote oder die Geschichte vom Raum mit der Wolfsmuttertapete?
Irgendwie geht es also in „Salomes siebter Schleier“, erstmals erschienen 1990, um den Nahostkonflikt, der ja tatsächlich zu absurden erzählerischen Verrenkungen einlädt – Robbins hat den Roman geschrieben während der ersten Intifada, die erst Anfang der Neunziger zu Ende ging, das ist zwar lange her, aber wir leben inzwischen trotzdem nicht ineiner maßgeblich veränderten Welt. Wie Tom Robbins allerdings von Virginia nach Jerusalem kommt, das kann man nicht so recht zusammenfassen, zumindest klingt es nicht unbedingt sehr sinnvoll: Wir folgen einer jungen Frau, Ellen Cherry, Malerin und frisch verheiratet, die sich mit dem ihr angetrauten Boomer aufmacht nach New York, in einem fahrenden Truthahn. Dort wird Ellen in einem Restaurant arbeiten, einer jüdisch-arabischen Gemeinschaftsunternehmung; und sich mit einer Reihe von Gegenständen, Painted Stick und Conch Shell, auf ihrer selbständigen Rückreise zum Tempel nach Jerusalem zusammen mit einem Löffel und einer Socke und der eingangs erwähnten Dose Bohnen mit Schweinefleisch gen Osten bewegen. Jezabel, die Ahab vom rechten Glauben abbrachte, ist im Geiste immer dabei. Und sieben Schleier werden fallen, die eigentlich sieben Illusionen sind, der wichtigste ist nicht der letzte sondern der in der Mitte – dass der Welt eine von Menschenköpfen erdachte Religion innewohnen könnte. Die Sehnsucht nach einem Gott, der sie führt, ist den Menschen eigen, möglicherweise aber auch den Eichhörnchen – wer will das Gegenteil beweisen? Robbins ist poetisch und versponnen, und verspielt und anarchisch und blasphemisch – so dass es einem schwindlig wird, und die Wände sich drehen im Raum mit der Wolfsmuttertapete.
SUSAN VAHABZADEH
Tom Robbins
Foto: Peter Peitsch
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Tom Robbins' neuer Roman besichtigt die Katastrophen seines Jahrhunderts mit einer intellektuellen Unbekümmertheit und Vitalität, die einen wieder hoffen läßt. Bei aller Belesenheit und Freude an pointierten Formulierungen hat sich dieser Altmeister des Untergrundromans etwas vom Flair des idiot savant bewahrt. Nach der Lektüre stellt man mit Überraschung fest, wie kurzweilig Tom Robbins zu erzählen weiß. FAZ.NET