Als Poisson Chat, Musiker, Schauspieler und Liebhaber, nach einem Unfall aus dem Koma erwacht, wird er mit einer schrecklichen Diagnose konfrontiert: Er ist querschnittsgelähmt. Wird es ihm gelingen, sein exzessives Leben weiterzuführen, zu lieben, ja, geliebt zu werden? Ein autobiographischer Roman, der den Leser trifft, ihn von den Beinen holt, um ihn gemeinsam mit Poisson Chat wieder ins Leben zu entlassen. Und in was für ein Leben!
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.04.2002Rasante Gegenwelt
Bruno de Stabenrath träumt vom Samba mit dem Engel
Poisson Chat, der Held von Bruno de Stabenraths Erstlingsroman "Salto vitale", muß sein Leben völlig neu ordnen. Seit der erfolgsverwöhnte Popmusiker aus adeligen Kreisen, vollgepumpt mit Kokain und Alkohol, mit seinem Auto einen an sich wenig vitalen Salto auf der Landstraße vollführt hat, ist er schwerbehindert. Vorbei ist von da an die Zeit der wilden Partys und der paarungsbereit schlangestehenden Schönheiten, die Poisson Chat, ans Krankenbett der Intensivstation gefesselt, vor seinem geistigen Auge noch einmal Revue passieren läßt. In langen Monaten der Operationen und Aufenthalte in Reha-Kliniken durchlebt er den schmerzhaften Prozeß, sich selbst eingestehen zu müssen, nie wieder laufen oder auf bisher gewohntem Wege Sex haben zu können.
Wie Poisson Chat ist der Autor Bruno de Stabenrath seit einem Autounfall 1996 querschnittsgelähmt. Die Authentizität seines Romans liegt zweifelsohne darin, in der klinischen Tristesse nicht ohne Ironie und sarkastischen Humor einen Blick in ein zuweilen surreal anmutendes Gegenuniversum zu eröffnen, das jedem im Vollbesitz seiner Kräfte Stehenden verschlossen bleibt. Eine Welt, in der Gangs von Rollstuhl-Rowdys ihre fahrbaren Untersätze zu schnittigen Rennmobilen umbasteln und ihren Leidensgenossen im Vorbeifahren die gefühllosen Glieder aufschlitzen; in der körperlich völlig Unversehrte ihre Krankenhaus- und Behindertenphantasien ausleben und ganzkörperlich Gelähmte sich schweinische Witze erzählen.
Jeder schwarze Humor verliert sich jedoch in dem Augenblick, da Stabenraths Alter ego auf seine Vergangenheit als unwiderstehlicher Verführer zurückblickt und sich darüber hinaus in vollem Ernst anschickt, seine Karriere als Rollstuhl-Casanova fortzuführen. Wenn er dank der Segnungen moderner medizinischer Methoden schließlich seinem rettenden Engel, einem minderjährigen, sambatanzenden, brasilianischen Schulmädchen, zum lange ersehnten Geschlechtsverkehr in die Arme sinkt, dann sinkt mit ihm auch ein stellenweise faszinierender Roman rettungslos in die Niederungen der Peinlichkeit.
Erklärtermaßen sucht Stabenrath durch sein provokantes Spiel mit einem Tabuthema dem Risiko aus dem Weg zu gehen, politisch korrekte Betroffenheitsprosa zu produzieren. Indem er dieser aber nichts als eine eindimensionale Affirmation der Vitalität entgegenzustellen hat, gleitet er in den Optimismus seichter Hollywoodfilme ab.
FLORIAN BORCHMEYER
Bruno de Stabenrath: "Salto vitale". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Christiane Filius-Jehne. Verlag Paul List, München 2002. 400 S., geb., 22,-.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bruno de Stabenrath träumt vom Samba mit dem Engel
Poisson Chat, der Held von Bruno de Stabenraths Erstlingsroman "Salto vitale", muß sein Leben völlig neu ordnen. Seit der erfolgsverwöhnte Popmusiker aus adeligen Kreisen, vollgepumpt mit Kokain und Alkohol, mit seinem Auto einen an sich wenig vitalen Salto auf der Landstraße vollführt hat, ist er schwerbehindert. Vorbei ist von da an die Zeit der wilden Partys und der paarungsbereit schlangestehenden Schönheiten, die Poisson Chat, ans Krankenbett der Intensivstation gefesselt, vor seinem geistigen Auge noch einmal Revue passieren läßt. In langen Monaten der Operationen und Aufenthalte in Reha-Kliniken durchlebt er den schmerzhaften Prozeß, sich selbst eingestehen zu müssen, nie wieder laufen oder auf bisher gewohntem Wege Sex haben zu können.
Wie Poisson Chat ist der Autor Bruno de Stabenrath seit einem Autounfall 1996 querschnittsgelähmt. Die Authentizität seines Romans liegt zweifelsohne darin, in der klinischen Tristesse nicht ohne Ironie und sarkastischen Humor einen Blick in ein zuweilen surreal anmutendes Gegenuniversum zu eröffnen, das jedem im Vollbesitz seiner Kräfte Stehenden verschlossen bleibt. Eine Welt, in der Gangs von Rollstuhl-Rowdys ihre fahrbaren Untersätze zu schnittigen Rennmobilen umbasteln und ihren Leidensgenossen im Vorbeifahren die gefühllosen Glieder aufschlitzen; in der körperlich völlig Unversehrte ihre Krankenhaus- und Behindertenphantasien ausleben und ganzkörperlich Gelähmte sich schweinische Witze erzählen.
Jeder schwarze Humor verliert sich jedoch in dem Augenblick, da Stabenraths Alter ego auf seine Vergangenheit als unwiderstehlicher Verführer zurückblickt und sich darüber hinaus in vollem Ernst anschickt, seine Karriere als Rollstuhl-Casanova fortzuführen. Wenn er dank der Segnungen moderner medizinischer Methoden schließlich seinem rettenden Engel, einem minderjährigen, sambatanzenden, brasilianischen Schulmädchen, zum lange ersehnten Geschlechtsverkehr in die Arme sinkt, dann sinkt mit ihm auch ein stellenweise faszinierender Roman rettungslos in die Niederungen der Peinlichkeit.
Erklärtermaßen sucht Stabenrath durch sein provokantes Spiel mit einem Tabuthema dem Risiko aus dem Weg zu gehen, politisch korrekte Betroffenheitsprosa zu produzieren. Indem er dieser aber nichts als eine eindimensionale Affirmation der Vitalität entgegenzustellen hat, gleitet er in den Optimismus seichter Hollywoodfilme ab.
FLORIAN BORCHMEYER
Bruno de Stabenrath: "Salto vitale". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Christiane Filius-Jehne. Verlag Paul List, München 2002. 400 S., geb., 22,-
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Höchst ambivalent findet der Rezensent Florian Borchmeyer diesen autobiografisch inspirierten Roman von Bruno de Stabenrath. In ihm geht es um einen erfolgverwöhnten jungen Mann, der nach einer unfallsbedingten Querschnittslähmung in der Klinik und im Reha-Zentrum ist und sein Leben neu ordnen muss. Einerseits gibt er einen mit reichlich Ironie und sarkastischem Humor gewürzten Einblick in das "zuweilen surrealistisch anmutende Gegenuniversum", das sich ihm durch die langen Klinikaufenthalte eröffnet. Andererseits fehlt de Stabenrath nach Borchmeyer jeglicher Humor und Selbstironie, wenn er der Protagonisten über seine vergangenen und (hoffentlich) zukünftigen Erfolge als "unwiderstehlicher Verführer" referieren lässt. Sein Versuch, der politisch korrekten Betroffenheitsprosa" auf diese Weise aus dem Weg zu gehen, scheitert damit für den Rezensenten. Indem er ihr "aber nichts als eine eindimensionale Affirmation der Vitalität entgegenzustellen hat, gleitet er in den Optimismus seichter Hollywoodfilme ab".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Welcome in Tetraplegic Land
Kurz nach seinem 36. Geburtstag war es passiert: Während einer Autofahrt mit einer seiner Geliebten gibt Poisson Chat das Steuer kurz aus der Hand, das Auto kommt von der Straße ab, überschlägt sich ein paarmal... Als er wieder bei zu Bewusstsein ist, liegt er mit dem Gesicht buchstäblich im Dreck, er spürt seine Hände, seine Beine nicht mehr. Diagnose: Tetraplegie, er ist vom siebten Halswirbel abwärts gelähmt. Der Anfang vom Ende oder der Beginn eines neuen Lebens? In Salto vitale erzählt der französische Musiker und Schauspieler Bruno de Stabenrath seine eigene Geschichte mit einer unerhörten Portion Ironie, Sarkasmus und einer tief berührenden Offenheit.
Ganz schön schräg, das neue Leben
Poisson Chat war einer, der vom Leben nie genug bekommen konnte. Musik, Konzerte, Parties, Week-ends in der Karibik, Freunde, vor allem aber girls, girls, girls - sein Terminkalender war prall gefüllt, zugleich war er auf dem besten Weg, als Musiker Karriere zu machen. In seinem Roman erzählt Bruno de Stabenrath alias Poisson Chat von den ersten Stationen seines Lebens mit einem fast toten Körper. Sich bewegen, essen, sprechen, nichts geht mehr, anfangs kann er nicht einmal ohne Maschinen atmen. Was ihn jedoch am meisten trifft, ist die Sorge, dass er von nun an auf Sex würde verzichten müssen. Sex, das ist für ihn Leben pur, und Poisson Chat will leben, wenn er schon nicht sterben muss. Nach und nach spürt er, dass er noch immer begehrt wird und er stürzt sich in amouröse Abenteuer, die ihresgleichen suchen...
Salto vitale ist kein Mitleid erregender Krankenbericht und schon gar nicht die Geschichte der Läuterung eines Sex-Freaks. Wenn in diesem Roman so oft von Sex die Rede ist, dann ist dies als eine Provokation, als ein Tabubruch zu verstehen. Poisson Chat findet zurück ins Leben, seine Freunde und Ex-Geliebten nehmen ihn mit offenen Armen auf, er arbeitet wieder und erlebt zum ersten Mal, wie er von einer Frau wirklich begehrt und geliebt wird. Dass sie ihn am Schluss unter Tränen verlässt, ist traurig, aber Poisson Chat verzweifelt nicht. Sein (Sex-)Leben geht weiter, er weiß, es kann auch wieder richtig Spaß machen, nur ist es eben etwas anders als früher.
(Birgit Kuhn)
Kurz nach seinem 36. Geburtstag war es passiert: Während einer Autofahrt mit einer seiner Geliebten gibt Poisson Chat das Steuer kurz aus der Hand, das Auto kommt von der Straße ab, überschlägt sich ein paarmal... Als er wieder bei zu Bewusstsein ist, liegt er mit dem Gesicht buchstäblich im Dreck, er spürt seine Hände, seine Beine nicht mehr. Diagnose: Tetraplegie, er ist vom siebten Halswirbel abwärts gelähmt. Der Anfang vom Ende oder der Beginn eines neuen Lebens? In Salto vitale erzählt der französische Musiker und Schauspieler Bruno de Stabenrath seine eigene Geschichte mit einer unerhörten Portion Ironie, Sarkasmus und einer tief berührenden Offenheit.
Ganz schön schräg, das neue Leben
Poisson Chat war einer, der vom Leben nie genug bekommen konnte. Musik, Konzerte, Parties, Week-ends in der Karibik, Freunde, vor allem aber girls, girls, girls - sein Terminkalender war prall gefüllt, zugleich war er auf dem besten Weg, als Musiker Karriere zu machen. In seinem Roman erzählt Bruno de Stabenrath alias Poisson Chat von den ersten Stationen seines Lebens mit einem fast toten Körper. Sich bewegen, essen, sprechen, nichts geht mehr, anfangs kann er nicht einmal ohne Maschinen atmen. Was ihn jedoch am meisten trifft, ist die Sorge, dass er von nun an auf Sex würde verzichten müssen. Sex, das ist für ihn Leben pur, und Poisson Chat will leben, wenn er schon nicht sterben muss. Nach und nach spürt er, dass er noch immer begehrt wird und er stürzt sich in amouröse Abenteuer, die ihresgleichen suchen...
Salto vitale ist kein Mitleid erregender Krankenbericht und schon gar nicht die Geschichte der Läuterung eines Sex-Freaks. Wenn in diesem Roman so oft von Sex die Rede ist, dann ist dies als eine Provokation, als ein Tabubruch zu verstehen. Poisson Chat findet zurück ins Leben, seine Freunde und Ex-Geliebten nehmen ihn mit offenen Armen auf, er arbeitet wieder und erlebt zum ersten Mal, wie er von einer Frau wirklich begehrt und geliebt wird. Dass sie ihn am Schluss unter Tränen verlässt, ist traurig, aber Poisson Chat verzweifelt nicht. Sein (Sex-)Leben geht weiter, er weiß, es kann auch wieder richtig Spaß machen, nur ist es eben etwas anders als früher.
(Birgit Kuhn)