Christian Borchert hat eine höchst eindrucksvolle Chronik ostdeutscher Lebenswirklichkeit hinterlassen. Seine Fotografien dokumentieren exakt und unaufgeregt den Alltag in der DDR und in der Wendezeit, vor allem in Dresden und Berlin. Jedes Bild weckt bei dem Betrachter eine Vielzahl eigener Erinnerungen. Im Mittelpunkt steht der Mensch-sei es als Persönlichkeit, in der alltäglichen Situation oder in den Spuren, die er im Raum hinterlässt. Die Aufnahmen Borcherts zeugen dabei von einem besonderen Sinn für die Geschichtlichkeit des unabwendbar vergehenden Moments. Andere, das war sein Ziel, sollten sich später oder an fremden Orten "eine Vorstellung machen können von Situationen und Verhältnissen" (Christian Borchert, 1996).
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2011Das geteilte Deutschland sah sich nicht so unähnlich
"Quality Street" und "Old Spice" gab es drüben auch: Die Fotografen Christian Borchert und Thomas Steinert überliefern uns ein erfreulich genaues und mitunter verblüffendes Bild vom Alltag in der DDR.
In diesen Wochen sind gleich zwei Fotobände erschienen, die dazu einladen, sich ein Bild von der einstigen DDR zu machen. In erstaunlicher Nähe zu den Menschen, die dort lebten, dokumentieren sie das Leben in diesem Staat und seinen Wandel am Beispiel der Städte Leipzig, Dresden und Berlin.
Thomas Steinert und Christian Borchert sind beide renommierte DDR-Fotografen. Steinert, 1949 in Burgstädt geboren, studierte ebenso wie Christian Borchert an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Bereits als Student wagte er es, den sozialistischen Alltag ungewohnt kritisch abzubilden. Diese von Funktionären und Professoren nicht erwünschte frühe Unbequemlichkeit wurde seitens der Lehrer mit einer durchschnittlichen Abschlussnote quittiert und Steinert somit die Möglichkeit einer Festanstellung als Fotograf im System der ostdeutschen Wirklichkeit verwehrt.
Steinert war gezwungen, sich in einem Markt über Wasser zu halten, der den Begriff freie künstlerische Fotografie nicht kannte. So konnte er mit seiner Arbeit zwar kaum Geld verdienen, musste dafür aber auch keine vom Regime diktierten Fotos für die Parteizeitung produzieren - dieser kreative Freibrief ließ ihn über mehr als zwanzig Jahre eine besonders distanzierte Dokumentation vom DDR-Alltag erschaffen. Dabei führt er die Betrachter seiner Bilder in eine fast körperliche, stets unvermutete Nähe zu seinen Protagonisten und deren Leben. Seine Fotos zeigen nie den üblichen, von der Parteispitze gern demonstrierten heroischen Ansatz. Vielmehr zeigen seine Porträts erstaunlich aufrecht abgebildete Persönlichkeiten, die er bevorzugt jenseits jeglicher Regeln des Goldenen Schnittes betont zentral präsentierte. "Ich halte damit fest, damit wir später sehen, wovon wir uns gelöst, was wir allein geschafft haben", mit diesen Worten wird Thomas Steinert in dem Band "Sehenden Auges - Fotografie aus Leipzig 1969-1996" zitiert. Er verdiente seinen Lebensunterhalt als Postkartenfotograf, außerdem arbeitete er als Entwickler in Fotolaboren in Leipzig. Seine fachliche Kompetenz in der Dunkelkammer sieht man den ausschließlich in Schwarz und Weiß gehaltenen Fotografien auch in der sauberen, klaren, nie überzeichneten Tonung an. Martin Paar, der britische Starfotograf, entschied sich 2001, eine der Postkartenfotografien Steinerts in seinem Bildband "Boring Postcards" zu veröffentlichen. Das passt, denn man trifft in den Fotos Steinerts auf einen sehr speziellen Humor, so dass nun auch der westliche Betrachter endlich respektieren darf: Das Leben im Arbeiter-und-Bauern-Staat kannte durchaus auch komische Momente.
Christian Borchert, 1942 geboren und im Jahr 2000 gestorben, bezeichnete sich selbst als Chronisten seiner Zeit. Schon vor seinem Studium hatte er fünf Jahre als Bildreporter und Druckstufentechniker bei der "Neuen Berliner Illustrierten" gearbeitet, sich aus dem sicheren Angestelltenverhältnis 1979 aber selbst entlassen. Er schloss sich sodann freischaffenden Fotografenkollegen wie den späteren Gründern der Ostkreuz-Schule, Sibylle Bergemann und Arno Fischer, an.
Borchert begleitet seine Sujets sehr respektvoll durch die Tristesse des ostdeutschen Alltags und zeichnet die Existenzen in weicher Körnung. Der Fundus seiner umfangreichen fotografischen Zeitdokumentation ist heute auf drei Archive verteilt. Ein Teil befindet sich in der Sammlung Deutsche Fotothek in Dresden, die nun den von Jens Bove herausgegebenen Band "Christian Borchert - Fotografien von 1960 bis 1996" veröffentlicht hat. Darin findet sich die Dokumentation vom Aufbau der Semperoper in Dresden, die Borchert zwischen 1977 und 1985 in vierwöchigem Rhythmus erstellt hat. 1978 begann er, Familien in der DDR zu fotografieren, besuchte sie fünf Jahre später noch einmal und traf gleichermaßen auf etablierte wie gescheiterte Existenzen.
Nach dem offiziellen Ende der innerdeutschen Teilung steckte er viel Energie in die Abbildung der noch nicht gänzlich vom westlichen Geschmack überzogenen neuen Realität in Dresden und Ost-Berlin. "Einige der ,typisch-DDR' gestalteten Schaufenster, die bisher noch nicht mit Westwaren ,verändert' sind, habe ich schnell noch abgelichtet", bemerkte er selbst dazu. In vielen seiner Fotos eröffnet sich die Qualität der Dokumentation erst in der genauen Betrachtung der Hintergründe - beispielsweise wenn der Dramaturg Rudi Strahl in seinem Arbeitszimmer vor der Sammlung der "Eulenspiegel"- Bände, einer Dose "Quality Street"-Pralinen und einer stattlichen Anzahl von "Old Spice"-Rasierwasserflaschen sitzt.
Erstaunlicherweise machen beide Fotobände deutlich, wie wenig sich die unterschiedlichen Lebensweisen in Ost und West für den heutigen Betrachter noch nachvollziehen lassen. Im Nachgang waren sich die siebziger Jahre im geteilten Deutschland in der expressiven Lautstärke dieser Fotografien womöglich ähnlicher, als man seinerzeit wahrhaben wollte. Beide Bücher widmen sich vorrangig den Bildern, obwohl auch die Begleittexte erwähnenswert sind. Denn die dort ausgeführten jeweiligen Biographien der Fotografen erzählen viel über den Markt der freien Fotografie in der DDR und verdeutlichen den besonderen Stellenwert der meisterhaften fotografischen Dokumentationen von Thomas Steinert und Christian Borchert.
CLAUDIA THOMAS
Thomas Steinert: "sehenden Auges". Fotografie aus Leipzig 1969-1996.
Mitteldeutscher Verlag, Halle 2011. 160 S., geb., Abb., 24,- [Euro].
Christian Borchert: "Fotografien von 1960 bis 1996".
Hrsg. von Jens Bove. Edition Sächsische Zeitung, Dresden 2011. 160 S., geb., Abb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Quality Street" und "Old Spice" gab es drüben auch: Die Fotografen Christian Borchert und Thomas Steinert überliefern uns ein erfreulich genaues und mitunter verblüffendes Bild vom Alltag in der DDR.
In diesen Wochen sind gleich zwei Fotobände erschienen, die dazu einladen, sich ein Bild von der einstigen DDR zu machen. In erstaunlicher Nähe zu den Menschen, die dort lebten, dokumentieren sie das Leben in diesem Staat und seinen Wandel am Beispiel der Städte Leipzig, Dresden und Berlin.
Thomas Steinert und Christian Borchert sind beide renommierte DDR-Fotografen. Steinert, 1949 in Burgstädt geboren, studierte ebenso wie Christian Borchert an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Bereits als Student wagte er es, den sozialistischen Alltag ungewohnt kritisch abzubilden. Diese von Funktionären und Professoren nicht erwünschte frühe Unbequemlichkeit wurde seitens der Lehrer mit einer durchschnittlichen Abschlussnote quittiert und Steinert somit die Möglichkeit einer Festanstellung als Fotograf im System der ostdeutschen Wirklichkeit verwehrt.
Steinert war gezwungen, sich in einem Markt über Wasser zu halten, der den Begriff freie künstlerische Fotografie nicht kannte. So konnte er mit seiner Arbeit zwar kaum Geld verdienen, musste dafür aber auch keine vom Regime diktierten Fotos für die Parteizeitung produzieren - dieser kreative Freibrief ließ ihn über mehr als zwanzig Jahre eine besonders distanzierte Dokumentation vom DDR-Alltag erschaffen. Dabei führt er die Betrachter seiner Bilder in eine fast körperliche, stets unvermutete Nähe zu seinen Protagonisten und deren Leben. Seine Fotos zeigen nie den üblichen, von der Parteispitze gern demonstrierten heroischen Ansatz. Vielmehr zeigen seine Porträts erstaunlich aufrecht abgebildete Persönlichkeiten, die er bevorzugt jenseits jeglicher Regeln des Goldenen Schnittes betont zentral präsentierte. "Ich halte damit fest, damit wir später sehen, wovon wir uns gelöst, was wir allein geschafft haben", mit diesen Worten wird Thomas Steinert in dem Band "Sehenden Auges - Fotografie aus Leipzig 1969-1996" zitiert. Er verdiente seinen Lebensunterhalt als Postkartenfotograf, außerdem arbeitete er als Entwickler in Fotolaboren in Leipzig. Seine fachliche Kompetenz in der Dunkelkammer sieht man den ausschließlich in Schwarz und Weiß gehaltenen Fotografien auch in der sauberen, klaren, nie überzeichneten Tonung an. Martin Paar, der britische Starfotograf, entschied sich 2001, eine der Postkartenfotografien Steinerts in seinem Bildband "Boring Postcards" zu veröffentlichen. Das passt, denn man trifft in den Fotos Steinerts auf einen sehr speziellen Humor, so dass nun auch der westliche Betrachter endlich respektieren darf: Das Leben im Arbeiter-und-Bauern-Staat kannte durchaus auch komische Momente.
Christian Borchert, 1942 geboren und im Jahr 2000 gestorben, bezeichnete sich selbst als Chronisten seiner Zeit. Schon vor seinem Studium hatte er fünf Jahre als Bildreporter und Druckstufentechniker bei der "Neuen Berliner Illustrierten" gearbeitet, sich aus dem sicheren Angestelltenverhältnis 1979 aber selbst entlassen. Er schloss sich sodann freischaffenden Fotografenkollegen wie den späteren Gründern der Ostkreuz-Schule, Sibylle Bergemann und Arno Fischer, an.
Borchert begleitet seine Sujets sehr respektvoll durch die Tristesse des ostdeutschen Alltags und zeichnet die Existenzen in weicher Körnung. Der Fundus seiner umfangreichen fotografischen Zeitdokumentation ist heute auf drei Archive verteilt. Ein Teil befindet sich in der Sammlung Deutsche Fotothek in Dresden, die nun den von Jens Bove herausgegebenen Band "Christian Borchert - Fotografien von 1960 bis 1996" veröffentlicht hat. Darin findet sich die Dokumentation vom Aufbau der Semperoper in Dresden, die Borchert zwischen 1977 und 1985 in vierwöchigem Rhythmus erstellt hat. 1978 begann er, Familien in der DDR zu fotografieren, besuchte sie fünf Jahre später noch einmal und traf gleichermaßen auf etablierte wie gescheiterte Existenzen.
Nach dem offiziellen Ende der innerdeutschen Teilung steckte er viel Energie in die Abbildung der noch nicht gänzlich vom westlichen Geschmack überzogenen neuen Realität in Dresden und Ost-Berlin. "Einige der ,typisch-DDR' gestalteten Schaufenster, die bisher noch nicht mit Westwaren ,verändert' sind, habe ich schnell noch abgelichtet", bemerkte er selbst dazu. In vielen seiner Fotos eröffnet sich die Qualität der Dokumentation erst in der genauen Betrachtung der Hintergründe - beispielsweise wenn der Dramaturg Rudi Strahl in seinem Arbeitszimmer vor der Sammlung der "Eulenspiegel"- Bände, einer Dose "Quality Street"-Pralinen und einer stattlichen Anzahl von "Old Spice"-Rasierwasserflaschen sitzt.
Erstaunlicherweise machen beide Fotobände deutlich, wie wenig sich die unterschiedlichen Lebensweisen in Ost und West für den heutigen Betrachter noch nachvollziehen lassen. Im Nachgang waren sich die siebziger Jahre im geteilten Deutschland in der expressiven Lautstärke dieser Fotografien womöglich ähnlicher, als man seinerzeit wahrhaben wollte. Beide Bücher widmen sich vorrangig den Bildern, obwohl auch die Begleittexte erwähnenswert sind. Denn die dort ausgeführten jeweiligen Biographien der Fotografen erzählen viel über den Markt der freien Fotografie in der DDR und verdeutlichen den besonderen Stellenwert der meisterhaften fotografischen Dokumentationen von Thomas Steinert und Christian Borchert.
CLAUDIA THOMAS
Thomas Steinert: "sehenden Auges". Fotografie aus Leipzig 1969-1996.
Mitteldeutscher Verlag, Halle 2011. 160 S., geb., Abb., 24,- [Euro].
Christian Borchert: "Fotografien von 1960 bis 1996".
Hrsg. von Jens Bove. Edition Sächsische Zeitung, Dresden 2011. 160 S., geb., Abb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Claudia Thomas freut sich über gleich zwei Fotobände, die das Alltagsleben in der DDR dokumentieren. Jens Bove hat nun Arbeiten des 2000 verstorbenen Christian Borchert aus der Deutschen Fotothek in Dresden herausgegeben, die nicht nur den Wiederaufbau der Semperoper, sondern auch das Leben von ausgewählten Familien über einen längeren Zeitraum dokumentieren. Nach der Wende fotografierte er zudem Reste der DDR-Realität, die sich noch nicht gänzlich dem Westen angepasst hatte, so die Rezensentin angetan. Dabei würden viele Aufnahmen ihren besonderen Wert erst beim zweiten Hinsehen offenbaren, verspricht Thomas eingenommen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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