Der Restaurant-Chef, der seinen Stammgästen ab und zu als Spezialität des Hauses einen der Ihren serviert; der kleine Angestellte, der für seinen mächtigen Chef einen Quälgeist aus dem Hochhausfenster fallen lässt; der schizophrene Schachspieler, der die Züge der weißen Figuren ebenso dem anderen überlässt wie den Mord an seiner Frau: scheinbar harmlose Mitbürger allesamt, deren verborgene Abgründe der amerikanische Kriminalschriftsteller Stanley Ellin in zehn Geschichten vorsichtig und fast liebevoll beleuchtet.
Eigentlich mochte Arno Schmidt das Krimi-Genre nicht besonders, aber als ihm 1960 ein Band mit Kurzgeschichten Stanley Ellins zur Übersetzung angeboten wurde, zögerte er nicht - und urteilte ein Jahr später in seinem Essay Die 10 Kammern des Blaubart über den amerikanischen Kollegen: »Falls es ihm gelingen sollte, (und in diesen 10 Geschichten zeigen sich unverächtliche Ansätze), zum Tiefsinn seiner Fabeln und der schlechthin vorbildlich knappen Konstruktion sich auchnoch eine dichterische Sprache zu erarbeiten - ja, dann könnte es sein, daß wir binnen kurzem einen neuen, wiederum amerikanischen, Poe begrüßen dürfen. Zeit wäre es.«
Eigentlich mochte Arno Schmidt das Krimi-Genre nicht besonders, aber als ihm 1960 ein Band mit Kurzgeschichten Stanley Ellins zur Übersetzung angeboten wurde, zögerte er nicht - und urteilte ein Jahr später in seinem Essay Die 10 Kammern des Blaubart über den amerikanischen Kollegen: »Falls es ihm gelingen sollte, (und in diesen 10 Geschichten zeigen sich unverächtliche Ansätze), zum Tiefsinn seiner Fabeln und der schlechthin vorbildlich knappen Konstruktion sich auchnoch eine dichterische Sprache zu erarbeiten - ja, dann könnte es sein, daß wir binnen kurzem einen neuen, wiederum amerikanischen, Poe begrüßen dürfen. Zeit wäre es.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2019Normale Unmenschen
Weshalb ist der Schrecken sanft, oder der Horror still, wie es im Originaltitel der Sammlung von Stanley Ellins Geschichten hieß? Weil in ihnen das Verbrechen von normalen Unmenschen begangen wird, die um jeden Preis die Ordnung aufrechterhalten wollen, in der sie sich aufgefangen sehen. Der Büroangestellte, der durch einen Mord seinen sinnlosen Arbeitsplatz verteidigt. Der Antiquitätenhändler, der sich davor ängstigt, Stücke abzugeben, weswegen er zur Aufrechterhaltung seiner Nichtgeschäftstätigkeit einem Lehrbuch der Gerichtsmedizin Anregungen entnimmt, seine Ehefrauen zu beerben. Das alte Geschwisterpaar, das im Hass aufeinander und durch eine ungesühnte Tat vereint ist. Der Restaurantbesitzer, der seine Gäste buchstäblich mit Leibgerichten mästet. Und so weiter. Stanley Ellin, der von 1916 bis 1986 in Brooklyn lebte, erforscht in seinen grausamen Miniaturen die Versuchung durch das Böse mit unglaublicher Genauigkeit. Arno Schmidt, der den großen Stilisten glänzend übersetzt hat, fühlte sich durch sie an Edgar Allan Poe erinnert, wir an Julien Green. So oder so: Sie gehören zum Besten, das die Gattung Kurzgeschichte hervorgebracht hat.
kau.
Stanley Ellin: "Sanfter Schrecken". Zehn ruchlose Geschichten.
Aus dem Englischen von Arno Schmidt.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 304. S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Weshalb ist der Schrecken sanft, oder der Horror still, wie es im Originaltitel der Sammlung von Stanley Ellins Geschichten hieß? Weil in ihnen das Verbrechen von normalen Unmenschen begangen wird, die um jeden Preis die Ordnung aufrechterhalten wollen, in der sie sich aufgefangen sehen. Der Büroangestellte, der durch einen Mord seinen sinnlosen Arbeitsplatz verteidigt. Der Antiquitätenhändler, der sich davor ängstigt, Stücke abzugeben, weswegen er zur Aufrechterhaltung seiner Nichtgeschäftstätigkeit einem Lehrbuch der Gerichtsmedizin Anregungen entnimmt, seine Ehefrauen zu beerben. Das alte Geschwisterpaar, das im Hass aufeinander und durch eine ungesühnte Tat vereint ist. Der Restaurantbesitzer, der seine Gäste buchstäblich mit Leibgerichten mästet. Und so weiter. Stanley Ellin, der von 1916 bis 1986 in Brooklyn lebte, erforscht in seinen grausamen Miniaturen die Versuchung durch das Böse mit unglaublicher Genauigkeit. Arno Schmidt, der den großen Stilisten glänzend übersetzt hat, fühlte sich durch sie an Edgar Allan Poe erinnert, wir an Julien Green. So oder so: Sie gehören zum Besten, das die Gattung Kurzgeschichte hervorgebracht hat.
kau.
Stanley Ellin: "Sanfter Schrecken". Zehn ruchlose Geschichten.
Aus dem Englischen von Arno Schmidt.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 304. S., geb., 22,- [Euro].
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»Sie gehören zum Besten, das die Gattung Kurzgeschichte hervorgebracht hat.« Frankfurter Allgemeine Zeitung 20191202