Ein türkischer Schriftsteller, gejagt von einem Oberleutnant, ein Theatermacher in Köln, ein Kurde, der zu Fuß aus Deutschland nach Diyarbakir laufen will - das sind nur vier der Figuren, der Leben und Geschichten Dogan Akhanli zu einem komplexen Panorama der deutsch-türkischen Geschichte der letzten fünfzig Jahre verwebt. In seinem letzten Roman, den er kurz vor seinem frühen Tod fertigstellte, schlägt Dogan Akhanli (1957-2021) noch einmal den großen Bogen vom Militärputsch in der Türkei im Jahr 1980 über den NSU-Terror bis zur Black Lives Matter-Bewegung; es geht um die Rolle von Minderheiten im türkischen Nationalismus ebenso wie um die Lebenslüge der Deutschen, die meinen, sie hätten die Naziverbrechen aufgearbeitet, während erneut mordende Nazis durchs Land ziehen und Rassismus in der Mitte der Gesellschaft wieder salonfähig wird. Es geht um Täter und Opfer und die Frage, wie leicht die Grenzen zwischen beiden verwischen können - und um Hoffnung in Form eines Lernprozesses. Akhanli zeichnet all die Absurdität menschlicher Grausamkeiten, ohne dabei je den optimistischen Blick der Menschlichkeit zu verlieren. 'Sankofa' ist nicht nur große Literatur, sondern auch ein Roman, der schmerzlich vor Augen führt, wie sehr Dogan Akhanlis klarer Blick und seine besonnene Stimme fehlen in Zeiten von Krieg und Radikalisierung.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Der Sankofa ist ein mythischer Vogel, welcher sich laut den Aschanti in Ghana in die Vergangenheit zurückwendet, um für die Zukunft zu lernen, um "voranzukommen", wie Rezensent Martin Oehlen es ausdrückt. Der 2021 verstorbene Dogan Akhanli vollzieht in seinem posthum veröffentlichten Roman eine ähnliche Bewegung - ein ganzes Panorama an vergangenen Orten und Zeiten breitet er darin aus - vom Euphrat bis zum Rhein, von der türkischen Militärdiktator in den Achtziger Jahren bis ins Jahr 2020. Dabei schöpft er auch aus seinen eigenen Erfahrungen mit Unterdrückung und Widerstand, viermal wurde verhaftet von der türkischen Regierung, ähnlich wie eine seiner Figuren, die ihm auch sonst in vielerlei Hinsicht ähnelt. Und trotzdem, betont Oehlen, ist "Sankofa" keine Autofiktion oder dergleichen, sondern ein Epos, ein "Polit-Epos", um es genauer zu sagen, voller Poesie und starker Heldinnen und Helden, die immer wieder aufbegehren, sich zu behaupten versuchen, sich sehnen, wie ihr Autor, nach "Freiheit und Menschenwürde", so der bewegte Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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