Der 23-jährige Sanshir kommt um 1900 zum Studium aus der Provinz nach Tokyo, wo er eine Welt kennen lernt, die ihm fremd ist: hektisch, unverbindlich und spannend zugleich. Aufgewachsen in einem festen und traditionsbewussten Familienverband kommt Sanshir mit revolutionären Gedanken in Berührung, die ihn faszinieren und sein Weltbild umkehren - und mit Frauen. Aber neben dem modernen Individualismus und seiner neu erlangten Freiheit spürt Sanshir zum ersten Mal in seinem Leben Einsamkeit und erfährt, was es bedeutet, auf sich allein gestellt zu sein.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.09.2010Im Hörsaal
Natsume Sôseki entdeckt Japans verborgene Ängste
Er ist Japans klassischer Autor der Moderne: Natsume Sôseki (1867 bis 1916) vereint Kultureinflüsse wie Romantik, Naturalismus und Symbolismus mit japanischen Erzählprägungen. Seine Romane und Satiren wie "Ich bin der Kater" oder "Licht und Dunkel" evozieren japanische Epochenschwellen sowie Sonderwege in die Moderne. "Sanshirô" (1908) bildet mit "Und dann" (1909) und "Das Tor" (1910) eine Trilogie. Sôseki zeigt mit Vorliebe junge Menschen in Umbruchsituationen vor den Umwälzungen der Moderne. Der dreiundzwanzigjährige Sanshirô reist zum Studium aus der Provinz nach Tokio. Unversehens spürt er den Wirklichkeitsschock der Metropole, als er "das Gewimmel der Straßenbahnen, der Eisenbahnzüge, der weiß und schwarz gekleideten Menschen sah. Er war noch nicht darauf gekommen, dass im Hintergrund seiner Existenz als Student eine ganz andere Geschäftigkeit auf ihn wartete: diejenige des Geistes".
Der Verwestlichung und Kolonialisierung der Lebenswelt steht als reflexives Moment die Betriebsamkeit des Geistes gegenüber. Exemplarisch für Japans Parallelwelten stehen hier die "drei Welten" des Heimatdorfs, der Universität und der Großstadt. Im Umkreis der Kaiserlichen Universität gerät der schüchterne Sanshirô zwischen die Welten: da wären der Lichtdruckforscher Nonomiya und seine emotionale Schwester Yoshiko, deren kokette Freundin Mineko, der Maler Haraguchi und der "das große Dunkel" genannte Professor Hirota. In den Sitzungen der Studentenzirkel, die sich gegen den alten Feudalismus, aber auch die Verwestlichung richten, und in Hirotas Rede vom untergehenden Japan entsteht nach dem Sieg im Russisch-Japanischen Krieg 1904/05 ein Psychogramm Japans zwischen Minderwertigkeitskomplexen, Patriotismus und Kulturpessimismus.
Die statischen Frauenfiguren und Haraguchis Versuch, ein perfektes Porträt Minekos zu malen, bezeugen neben dem Verewigungsgedanken der Jugend verborgene Ängste vor der wachsenden gesellschaftlichen Mobilität der "modernen Frau". Sôsekis in ihrem Leiden an Ibsens Figuren erinnernde Helden schwanken zwischen Altruismus und Individualismus, Konfuzianismus und Vergesellschaftung - symbolisch ist eine Straßenszene mit einem verirrten Kind. In Metaphern sprechend - so scheint im "brennenden Haus der irdischen Existenz" als Bild der Moderne der buddhistische Endzeitgedanke auf - und wie ein Maler schreibend, beschwört Sôseki die Desorientierung als Lebensgefühl.
STEFFEN GNAM
Natsume Sôseki: "Sanshirôs Wege". Roman. Aus dem Japanischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Christoph Langemann. be.bra Verlag, Berlin 2009. 272 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Natsume Sôseki entdeckt Japans verborgene Ängste
Er ist Japans klassischer Autor der Moderne: Natsume Sôseki (1867 bis 1916) vereint Kultureinflüsse wie Romantik, Naturalismus und Symbolismus mit japanischen Erzählprägungen. Seine Romane und Satiren wie "Ich bin der Kater" oder "Licht und Dunkel" evozieren japanische Epochenschwellen sowie Sonderwege in die Moderne. "Sanshirô" (1908) bildet mit "Und dann" (1909) und "Das Tor" (1910) eine Trilogie. Sôseki zeigt mit Vorliebe junge Menschen in Umbruchsituationen vor den Umwälzungen der Moderne. Der dreiundzwanzigjährige Sanshirô reist zum Studium aus der Provinz nach Tokio. Unversehens spürt er den Wirklichkeitsschock der Metropole, als er "das Gewimmel der Straßenbahnen, der Eisenbahnzüge, der weiß und schwarz gekleideten Menschen sah. Er war noch nicht darauf gekommen, dass im Hintergrund seiner Existenz als Student eine ganz andere Geschäftigkeit auf ihn wartete: diejenige des Geistes".
Der Verwestlichung und Kolonialisierung der Lebenswelt steht als reflexives Moment die Betriebsamkeit des Geistes gegenüber. Exemplarisch für Japans Parallelwelten stehen hier die "drei Welten" des Heimatdorfs, der Universität und der Großstadt. Im Umkreis der Kaiserlichen Universität gerät der schüchterne Sanshirô zwischen die Welten: da wären der Lichtdruckforscher Nonomiya und seine emotionale Schwester Yoshiko, deren kokette Freundin Mineko, der Maler Haraguchi und der "das große Dunkel" genannte Professor Hirota. In den Sitzungen der Studentenzirkel, die sich gegen den alten Feudalismus, aber auch die Verwestlichung richten, und in Hirotas Rede vom untergehenden Japan entsteht nach dem Sieg im Russisch-Japanischen Krieg 1904/05 ein Psychogramm Japans zwischen Minderwertigkeitskomplexen, Patriotismus und Kulturpessimismus.
Die statischen Frauenfiguren und Haraguchis Versuch, ein perfektes Porträt Minekos zu malen, bezeugen neben dem Verewigungsgedanken der Jugend verborgene Ängste vor der wachsenden gesellschaftlichen Mobilität der "modernen Frau". Sôsekis in ihrem Leiden an Ibsens Figuren erinnernde Helden schwanken zwischen Altruismus und Individualismus, Konfuzianismus und Vergesellschaftung - symbolisch ist eine Straßenszene mit einem verirrten Kind. In Metaphern sprechend - so scheint im "brennenden Haus der irdischen Existenz" als Bild der Moderne der buddhistische Endzeitgedanke auf - und wie ein Maler schreibend, beschwört Sôseki die Desorientierung als Lebensgefühl.
STEFFEN GNAM
Natsume Sôseki: "Sanshirôs Wege". Roman. Aus dem Japanischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Christoph Langemann. be.bra Verlag, Berlin 2009. 272 S., geb., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Steffen Gnam hat sich mit Natsume Sosekis Roman "Sanshiros Wege" ein klassisches Werk der japanischen Moderne vorgenommen. Der 1908 zuerst erschienene Band ist Teil einer Trilogie und erzählt von einem Studenten, der aus der Provinz nach Tokio kommt. Für den Rezensenten wird im Roman eindrücklich die "Desorientierung als Lebensgefühl" beschworen, und mit den Parallelwelten von Heimatort, Universität und Großstadt, in die der Student eintaucht, die "Ängste" des modernen Japans evoziert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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