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Sansibar oder der letzte Grund: In der kleinen Stadt an der Ostsee treffen zufällig sechs Gestalten zusammen: Der Junge Gregor, der KPD-Funktionär; Judith, die Jüdin; am Ort selbst befinden sich Pfarrer Helander; Knudsen der Fischer und Kutterbesitzer; als letzter die Holzplastik des lesenden Klosterschülers. Und die sechs Gestalten haben kein anderes Anliegen, als Deutschland zu verlassen. Anderschs großes Buch von Sansibar ist Mißtrauensvotum ersten Ranges gegen unser behäbig-aufgeblasenes Volk der Mitte.
Die Rote: Die Rote - ein Roman der Women´s Lib, als es den Begriff noch nicht gab -
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Produktbeschreibung
Sansibar oder der letzte Grund:
In der kleinen Stadt an der Ostsee treffen zufällig sechs Gestalten zusammen: Der Junge Gregor, der KPD-Funktionär; Judith, die Jüdin; am Ort selbst befinden sich Pfarrer Helander; Knudsen der Fischer und Kutterbesitzer; als letzter die Holzplastik des lesenden Klosterschülers. Und die sechs Gestalten haben kein anderes Anliegen, als Deutschland zu verlassen. Anderschs großes Buch von Sansibar ist Mißtrauensvotum ersten Ranges gegen unser behäbig-aufgeblasenes Volk der Mitte.

Die Rote:
Die Rote - ein Roman der Women´s Lib, als es den Begriff noch nicht gab - ist Alfred Anderschs umstrittenstes und erfolgreichstes Buch Franziskas Flucht aus der eintönigen Ehe mit dem reichen Vertreter Herbert und aus dem Verhältnis mit dessen Chef, dem Industriellen Joachim, führt ins winterlich ungastliche Venedig. Desillusioniert, aber vage abenteuersüchtig, mietet sie sich in einem billigen Hotel ein und verstrickt sich schon bald wieder in seltsame Bekanntschaften.

Autorenporträt
Alfred Andersch, geboren 1914 in München, wurde 1933 wegen seiner politischen Aktivität im Kommunistischen Jugendverband im KZ Dachau interniert. Nach seiner Desertion aus der Wehrmacht 1944 verbrachte er über ein Jahr in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Zurück in Deutschland, arbeitete er als Journalist und Publizist, namentlich beim Radio. Andersch zählt zu den bedeutendsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur, seine Bücher sind längst Schullektüre. Er starb 1980 in Berzona/Tessin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.2005

Er sei einfach gelesen
Eine Wiederbesichtigung: Alfred Andersch in der Werkausgabe

Zwei Jahre vor seinem Tod vor fünfundzwanzig Jahren am 21. Februar 1980 hat Alfred Andersch für den Fischer Taschenbuch Verlag eine Anthologie herausgegeben. Sie erschien in einer "Mein Lesebuch" betitelten Reihe, die es namhaften Autoren erlauben sollte, eine Anthologie ganz nach persönlichen Auswahlkriterien zusammenzustellen. Anderschs Auswahl begann mit einem Auszug aus Linnés "Lappländischer Reise" und endete mit Enzensbergers Gedicht "leuchtfeuer". Das Vorwort, das er unter dem Titel "Art is about buttons" für diese Anthologie geschrieben hat, ist einer der wichtigsten Schlüssel für die Poetik von Alfred Andersch.

"Art is not about abstractions or ultimate issues or infinity or eternity. Art is about buttons." Diese Sätze des britischen Literaturwissenschaftlers Idris Parry dienten schon 1971 dem Erzählungsband "Mein Verschwinden in Providence" als Motto. In seinem Vorwort zur Anthologie - und in seiner Auswahl - feiert Andersch eine Literatur der genauen Deskription, die er bei Alexander von Humboldt ebenso wie bei Alexander Kluge, bei Friedrich Engels ebenso wie bei Ernst Jünger findet. Wie immer, wenn Andersch über Literatur spricht (oder über das Kino, die Architektur, die Malerei, die Philosophie), spricht er auch über sich selber. Seine Auswahl begründet er so: "Ich möchte eine literarische Gattung darstellen, die mich stärker als jede andere konstituiert hat, denn alle meine Bücher beruhen, insoweit sie mir als geglückt erscheinen, auf genauen Deskriptionen."

Wie alle ausschließlichen Aussagen ist auch diese nicht ganz zutreffend, denn die Romane und Erzählungen von Alfred Andersch lassen sich nicht auf das Raster der genauen Beschreibung eingrenzen. Die Akzente, die der Autor in diesem späten Text setzt, können jedoch helfen, den Blick auf ihn neu zu justieren, und das ist dringend notwendig. Die von Dieter Lamping edierte und kommentierte zehnbändige Werkausgabe macht das nun auch möglich.

Andersch ist kein vergessener Autor, schon allein deshalb nicht, weil nach wie vor unzählige Schüler "Sansibar" lesen müssen oder "Der Vater eines Mörders", oder auch beides. Manche Lehrer lesen mit ihren Schülern vielleicht auch noch "Die Kirschen der Freiheit". Als Autor fürs Lesebuch und für die Schule ist Andersch von allen Autoren der Nachkriegszeit vielleicht der erfolgreichste und auflagenstärkste. Gerade die Auswahl dieser Titel aber zeigt, als was er einsortiert und abgelegt ist: als ein Schriftsteller der Kriegs- und Nachkriegsgeneration, der sich mit den Themenkomplexen "Krieg und deutsche Schuld" auseinandergesetzt hat. Und da uns das bekanntlich schon lange zum Halse heraushängt, ist es zwar irgendwie gut, wenn Andersch weiter in der Schule gelesen wird, aber wir Erwachsenen müssen das nicht mehr. Uns ist das alles ein bißchen zu sauertöpfisch.

Hinzu kommt, daß W. G. Sebald 1993 in "Lettre" eine Polemik gegen Andersch veröffentlicht hat, die dem Versuch einer nachträglichen Hinrichtung gleichkommt. Schon vom ersten Satz an ist der Gestus des Sebaldschen Aufsatzes so deutlich unter dem sonstigen Niveau dieses Autors, daß nach den tiefergehenden Motiven dieser haßerfüllten Attacke noch zu forschen wäre. Manches spricht dafür, daß es sich bei Sebalds Polemik um einen verdeckten autoaggressiven Akt handelt, aber das wäre anderswo auszuführen. Die vordergründige Hauptrichtung der Polemik zielt darauf, daß Andersch sich seine Vergangenheit in der Nazizeit nach eigenem Gusto zurechtgelogen habe.

Lamping geht in seinem dem Kommentar vorangestellten, ausgezeichneten Andersch-Porträt darauf ein und weist unter anderem nach, daß Sebald entweder schlecht recherchiert oder aber die Ergebnisse seiner Recherchen nach seinem Geschmack zurechtgebogen hat. So hat Andersch nicht etwa die Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer beantragt, sondern im Gegenteil einen Antrag auf Befreiung von der Mitgliedschaft in ihr gestellt. Die "Mischung aus Biographismus und moralischem Rigorismus", die nach Lampings Worten Sebalds Polemik kennzeichnet, ist dennoch wirksam genug gewesen, um das Bild von Alfred Andersch zu verdunkeln. Es gilt deshalb, zu den Texten selbst zurückzukehren.

Das erste, was beim Wiederlesen der Romane, Erzählungen und Reisebeschreibungen, ja sogar vieler Essays auffällt, ist die Tatsache, daß die meisten von ihnen erstaunlich wenig Patina angesetzt haben. Das ist nicht wenig, wenn man bedenkt, wie vieles von dem, was in den fünfziger und sechziger Jahren einmal als avanciert galt, uns heute nur noch verschmockt oder angestrengt erscheint. Liest man zum Beispiel fünfundvierzig Jahre nach Erscheinen "Die Rote" noch einmal (in der Werkausgabe in der zweiten Fassung von 1972), so erscheinen die Unfreundlichkeiten eines Teils der Kritik unverständlich. Weder ist der Roman ein "Mustergebilde synthetischer Literatur", wie es hieß, noch dient er dazu, Anderschs Italienkenntnisse geschmäcklerisch aufzubereiten. Marcel Reich-Ranicki sprach von "Kitsch und Lüge". "Die Rote" stellt sich beim Wiederlesen eher als ein sehr gut konstruierter und durchgehend spannender Roman dar, der sich sprachlich bis auf den einen oder anderen angestrengten Ausreißer auf einem diszipliniert-lakonischen Niveau bewegt und bei der Schilderung des Ortes (Venedig) und der Milieus, in denen er angesiedelt ist, Klischees weitgehend souverän meidet.

Selbstverständlich arbeitet Andersch in diesem Roman wie in den anderen mit einem symbolischen Instrumentarium, das unvermeidlicherweise zuweilen auch die Klischees streift. Schon, daß der Flucht- und Befreiungsversuch von Franziska aus dem bleiernen Deutschland ins lichte Italien führt (obwohl das Venedig des Romans eher grau und kalt ist), ist ein vertrauter Topos. Und daß Franziska eine Rothaarige ist (Rothaarige sind bekanntlich schärfer), ist ein ganz bewußt genutztes Klischee, über das die Hauptfigur mehrfach selber ironisch und weniger ironisch nachdenkt. Insgesamt aber ist Anderschs Symbolik in diesem wie in den anderen Romanen weit weniger aufdringlich und viel differenzierter, als es etwa die Böllschen Büffel und Lämmer sind oder das angestrengte Arsenal Wolfgang Koeppens.

Und wer "Efraim" noch einmal liest, den Roman, der von Teilen der Kritik am meisten geprügelt wurde, der fragt sich verwundert, wo in diesem Buch denn Anderschs "intellektuelle Putzsucht, sein Stuyvesant-Stil des Mannes von großer weiter Welt der Literatur" zu finden ist, die ihm Rolf Becker damals im "Spiegel" vorgeworfen hat. Die nicht geringe Zahl von literarischen und sonstigen Bezügen, die in Anderschs Prosa zu finden ist, kann damit doch wohl kaum gemeint sein. Mit einem freundlicheren Ausdruck nennt man so etwas heute "Intertextualität" und gesteht es jedem Autor zu, der weiß, daß er nicht als erster auf der Welt ein Buch schreibt. In "Efraim" findet sich übrigens - das zum Stichwort Klischee - ein sehr gelungenes Porträt von Franz Josef Strauß, das vom Entrüstungsgestus von Anderschs schreibenden Zeitgenossen weit entfernt ist.

Was vielleicht so provozierend wirkte bei Andersch, war seine sehr weitreichende und grenzüberschreitende Neugier, die sich auf Literatur, Malerei, Musik, Militärgeschichte, Philosophie des Mittelalters, Nautik und vieles mehr bezog. Auch der Motivkreis seines Werkes läßt sich nicht auf den Komplex Flucht und Desertion eingrenzen, auch wenn diese Motive natürlich eine zentrale Rolle spielen. Das Bezeichnende ist aber gerade, daß dieser Hang zum Verborgenen und zur Peripherie zugleich flankiert wird von einem nie zu stillenden Hunger auf Welt. Das Fluchtmotiv und dieser Welthunger vereinen sich in der Gestalt des Jungen aus "Sansibar", der sein Versteck im Speicher einer verlassenen Gerberei hat und dessen Referenzbuch der Huckleberry Finn ist.

Jüngers "Dies alles gibt es also" ist eine der Grundlinien von Anderschs Poetik. Den Hunger auf Welt machte er auch als Reiseschriftsteller von hoher Qualität produktiv. Der Bericht "Hohe Breitengrade" über seine dreiwöchige Fahrt nach Spitzbergen gehört in seiner Präzision zum Besten, was er geschrieben hat. Heute ist kaum noch nachvollziehbar, daß Andersch sich für diese "gesellschaftlich irrelevante" Prosa, die ihren Blick wesentlich auf eine Welt fast ohne Menschen richtete, rechtfertigen mußte. So war das damals, im Jahr 1969.

Er war als Autor also alles andere als ein Fachidiot, was schon mit seinem Bildungsgang zusammenhängt: mit sechzehn Jahren eine Buchhändlerlehre, später kaufmännisch in der Werbeabteilung einer Hamburger Firma tätig. Nicht ohne mokanten Unterton ist zuweilen darauf hingewiesen, daß Andersch "Autodidakt" gewesen sei, was im Klartext wohl heißen soll, daß er keine akademische Ausbildung hatte und kein schreibender Germanist war. Sebald hat sich auch über Anderschs Karrierebewußtsein und seine Eitelkeit lustig gemacht. Da wäre darauf hinzuweisen, daß beides heute gleichsam zur Berufsausbildung junger Autoren gehört.

Als Konstrukteur und Stilist war er virtuos, manchmal bis zum Manierismus, der bei der zeitgenössischen Kritik oft auf Ablehnung stieß. Für Rolf Michaelis etwa war "Winterspelt", Anderschs Meisterstück als Romancier, eine "Sackgasse zwischen Sandkasten und Zettelkasten", und Reich-Ranicki fehlte darin das "Leben". Solche Kritik verkennt den spezifischen Charakter dieses Romans als eine Versuchsanordnung, die einen Möglichkeitsraum ausloten soll, statt vom prallen Leben zu erzählen. Sie übersieht auch, daß Andersch in seiner gesamten erzählenden Prosa ein Verfasser von Kammerspielen war, kein ausgreifender Epiker. Schon das numerisch eng begrenzte Personal dieser Prosa weist darauf hin.

Diese Kammerspiele waren jedoch welthaltig genug und keineswegs blutleer. Davon kann man sich beim Wiederlesen überzeugen. Lampings Kommentar zur Werkausgabe ist trotz einiger Flüchtigkeitsfehler sehr sorgfältig. Einige Redundanzen laden zum Schmunzeln ein, so etwa, wenn der Name Adenauer mit der lakonischen Erläuterung "der erste deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer" versehen wird. Auch läßt sich Brechts Galilei schwerlich unter die Lehrstücke einreihen. Das sind aber läßliche Sünden bei einer ansonsten gründlichen Herausgeberarbeit.

Andersch war ein erstklassiger Romancier, Erzähler und Essayist. Die Erzählung "Ein Liebhaber des Halbschattens" gehörte in jeden Kanon. Aktuell wäre die autobiographische Aufzeichnung "Amerikaner - Erster Eindruck" eine wirksame Arznei gegen einen kruden Antiamerikanismus. Aber die Pädagogisierung seines Werks erfolgt ja schon im Deutschunterricht. Wir müssen uns daran nicht beteiligen. Er sei vielmehr einfach gelesen, auch außerhalb der Schule.

JOCHEN SCHIMMANG

Alfred Andersch: "Gesammelte Werke in zehn Bänden. Kommentierte Ausgabe". Herausgegeben von Dieter Lamping. Diogenes Verlag, Zürich 2004. Zus. 5892 S., bis zum 31. 3. 2005 390,- [Euro], danach 480,- [Euro]. Die Bände sind auch einzeln lieferbar.

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