Apostelgeschichte 19,32. An einem heißen Sommertag wird auf dem Frankfurter Hauptfriedhof der tödlich verunglückte Regisseur Max Hornung beerdigt. Nach seinem Umzug aus Frankfurt am Main lebte er in Potsdam. Von dort sind als Trauergäste angereist: Merle Johansson, eine zwielichtige Schönheit, mit ihrem kleinen Sohn Jesus, die eigenwillig verwahrlosten Zwillinge Heike und Arnold und ein paar Fernsehleute. Der Rußlanddeutsche Alexej, Novize eines russisch-orthodoxen Klosters, ist aus München gekommen … Was hatten sie alle mit Hornung zu schaffen?
Potsdam verfügt, abgesehen von dem Weltkulturerbe Sanssouci, über viele Plätze und Kneipen und einen doppelten Boden, was im wörtlichen Sinn zu verstehen ist: Unter dem Park von Sanssouci verläuft ein Tunnelsystem mit zahlreichen Räumen. Einige davon wurden offenbar für unchristliche Andachten und SM-Sitzungen verwendet. Jugendliche, die sich dort herumtreiben, tricksen die Erwachsenen aus – mit bedrohlichen Folgen.
Hat Hornung davon gewußt, der Westler, der die Potsdamer in seiner Fernsehserie »Oststadt« so porträtierte, daß ein erbitterter Streit in der Stadt entbrannte, der sich schon bald ins Possenhafte überschlug? Wohl nicht, höchstens durch Vermittlung der Herumlungerer vor den Trinkbuden der Stadt – Champions der Bedürfnislosigkeit, auf die ein Platz im Himmel der Bergpredigt wartet. Was für sie abfällt, schnappen sie auf, um den Kosmos des Geredes zu mästen.
Wie in Wäldchestag seziert Andreas Maier komisch gewagt und ironisch verheerend die deutsche Gegenwartsgesellschaft, diesmal ein Zentrum ostdeutscher Provinz.
Potsdam verfügt, abgesehen von dem Weltkulturerbe Sanssouci, über viele Plätze und Kneipen und einen doppelten Boden, was im wörtlichen Sinn zu verstehen ist: Unter dem Park von Sanssouci verläuft ein Tunnelsystem mit zahlreichen Räumen. Einige davon wurden offenbar für unchristliche Andachten und SM-Sitzungen verwendet. Jugendliche, die sich dort herumtreiben, tricksen die Erwachsenen aus – mit bedrohlichen Folgen.
Hat Hornung davon gewußt, der Westler, der die Potsdamer in seiner Fernsehserie »Oststadt« so porträtierte, daß ein erbitterter Streit in der Stadt entbrannte, der sich schon bald ins Possenhafte überschlug? Wohl nicht, höchstens durch Vermittlung der Herumlungerer vor den Trinkbuden der Stadt – Champions der Bedürfnislosigkeit, auf die ein Platz im Himmel der Bergpredigt wartet. Was für sie abfällt, schnappen sie auf, um den Kosmos des Geredes zu mästen.
Wie in Wäldchestag seziert Andreas Maier komisch gewagt und ironisch verheerend die deutsche Gegenwartsgesellschaft, diesmal ein Zentrum ostdeutscher Provinz.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2009Der Russe kommt
Seine Frisur ist neu, aber er selbst ist ganz der Alte: Andreas Maier liest im Literaturhaus Frankfurt
Er ist der Welt noch die Wetterau schuldig. Dort, in Bad Nauheim, hatte Andreas Maier schon am Abend zuvor gelesen, das musste sein. Die Stadt ist für ihn schließlich das, was Frankfurt für Peter Kurzeck ist - ein Ort, mit dem das eigene Leben und das eigene Schreiben fest verbunden sind, auch wenn man längst woanders wohnt, Kurzeck schon seit vielen Jahren in Südfrankreich, Maier seit einiger Zeit immerhin südlich des Mains, in Sachsenhausen. Ein Bekenntnis zu den Banden, die ihn an Frankfurts ländlichen Norden binden, gab es im Literaturhaus Frankfurt trotzdem. Wenn er es je schaffen sollte, einen seiner Romane einem bestimmten Ort endlich einmal auf die Art und Weise zu widmen, die ihm vorschwebe, werde es sich bei diesem Ort um die Wetterau handeln, sagte Maier.
Potsdam, den Handlungsort seines bei Suhrkamp erschienenen neuen Romans "Sanssouci", zählte er im vollbesetzten Lesesaal des Literaturhauses neben all den anderen Gegenden und Ortschaften, in denen er "Wäldchestag" oder "Kirillow" angesiedelt hat, nur zur minderen Gattung der Schauplätze - Orte, die die Fiktion mit Wirklichkeitsdetails bereichern mögen, vor allem aber dazu dienen, die Figuren seiner Geschichten möglichst präzise in einzelne Räume zu versetzen oder sie möglichst rasch von einem Raum zum anderen zu bewegen - ganz so wie bei Dostojewski, der in diesem Punkt sein eindeutiges Vorbild sei. Deutschlandfunk-Redakteur Hubert Winkels, der den Abend moderierte, benannte sofort ein besonders gelungenes Beispiel - die Bewegung des Romans und seines Personals von einem Begräbnis in Frankfurt über eine Eisenbahnfahrt bis nach Potsdam.
Nachdem Dostojewskis Name einmal gefallen war, konnte man im weiteren Verlauf des Abends in Ruhe den Parallelen zwischen Romanen wie "Böse Geister" und "Die Brüder Karamasow" auf der einen und "Sanssouci" auf der anderen Seite nachspüren, Maiers bislang russischstem Roman. Da sind die Charaktere: ein verführerisches, böses Zwillingspärchen, eine durch und durch egoistische Mutter, ein sinnsuchender Bulgare und ein weiser orthodoxer Nachwuchsmönch, der mit Aljoscha Karamasow mehr gemein hat als nur den Vornamen. Da ist aber auch Dostojewskis vielstimmiges Erzählen, sein Nebeneinander konkurrierender Sinnsuchen und Weltdeutungen. Hier liegt im Grunde auch schon die Antwort auf eine Frage, die viele Kritiker seit dem Erscheinen von "Sanssouci" beschäftigt hat - ob Maier sich von seinem bedeutungsskeptischen Stil verabschiedet hat und unter die Wahrheitssucher gegangen ist, zugunsten einer Frisur, die aussieht wie aus einer Altgläubigensiedlung am Jenissej, zugunsten auch vom Glauben an bestimmte feststehende Werte, dem man dort vermutlich ebenfalls begegnen dürfte.
Bevor man aber auf die Idee kommen konnte, Autor und Roman wollten ihr Dostojewski-Plansoll übererfüllen, erinnerte Maier an ein anderes Vorbild - Wilhelm Raabe, dessen "Stopfkuchen" er dafür pries, den Leser bis zum Schluss im Unklaren darüber zu lassen, wofür der Roman eigentlich erzählt werde, bis er ihn mit einer Pointe überrasche, die dazu zwinge, alles noch einmal zu lesen und daraufhin zu überprüfen, wie der Autor die Andeutungen der Auflösung seines Textes so lange verbergen konnte. Maier bleibt eben der Verfasser von Büchern mit zwei sehr gegensätzlichen, aber eng zusammengehörenden Strategien - Dostojewskis wilder Mut zu erstaunlichen Eröffnungen und Raabes vielsagende Zurückhaltung.
FLORIAN BALKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Seine Frisur ist neu, aber er selbst ist ganz der Alte: Andreas Maier liest im Literaturhaus Frankfurt
Er ist der Welt noch die Wetterau schuldig. Dort, in Bad Nauheim, hatte Andreas Maier schon am Abend zuvor gelesen, das musste sein. Die Stadt ist für ihn schließlich das, was Frankfurt für Peter Kurzeck ist - ein Ort, mit dem das eigene Leben und das eigene Schreiben fest verbunden sind, auch wenn man längst woanders wohnt, Kurzeck schon seit vielen Jahren in Südfrankreich, Maier seit einiger Zeit immerhin südlich des Mains, in Sachsenhausen. Ein Bekenntnis zu den Banden, die ihn an Frankfurts ländlichen Norden binden, gab es im Literaturhaus Frankfurt trotzdem. Wenn er es je schaffen sollte, einen seiner Romane einem bestimmten Ort endlich einmal auf die Art und Weise zu widmen, die ihm vorschwebe, werde es sich bei diesem Ort um die Wetterau handeln, sagte Maier.
Potsdam, den Handlungsort seines bei Suhrkamp erschienenen neuen Romans "Sanssouci", zählte er im vollbesetzten Lesesaal des Literaturhauses neben all den anderen Gegenden und Ortschaften, in denen er "Wäldchestag" oder "Kirillow" angesiedelt hat, nur zur minderen Gattung der Schauplätze - Orte, die die Fiktion mit Wirklichkeitsdetails bereichern mögen, vor allem aber dazu dienen, die Figuren seiner Geschichten möglichst präzise in einzelne Räume zu versetzen oder sie möglichst rasch von einem Raum zum anderen zu bewegen - ganz so wie bei Dostojewski, der in diesem Punkt sein eindeutiges Vorbild sei. Deutschlandfunk-Redakteur Hubert Winkels, der den Abend moderierte, benannte sofort ein besonders gelungenes Beispiel - die Bewegung des Romans und seines Personals von einem Begräbnis in Frankfurt über eine Eisenbahnfahrt bis nach Potsdam.
Nachdem Dostojewskis Name einmal gefallen war, konnte man im weiteren Verlauf des Abends in Ruhe den Parallelen zwischen Romanen wie "Böse Geister" und "Die Brüder Karamasow" auf der einen und "Sanssouci" auf der anderen Seite nachspüren, Maiers bislang russischstem Roman. Da sind die Charaktere: ein verführerisches, böses Zwillingspärchen, eine durch und durch egoistische Mutter, ein sinnsuchender Bulgare und ein weiser orthodoxer Nachwuchsmönch, der mit Aljoscha Karamasow mehr gemein hat als nur den Vornamen. Da ist aber auch Dostojewskis vielstimmiges Erzählen, sein Nebeneinander konkurrierender Sinnsuchen und Weltdeutungen. Hier liegt im Grunde auch schon die Antwort auf eine Frage, die viele Kritiker seit dem Erscheinen von "Sanssouci" beschäftigt hat - ob Maier sich von seinem bedeutungsskeptischen Stil verabschiedet hat und unter die Wahrheitssucher gegangen ist, zugunsten einer Frisur, die aussieht wie aus einer Altgläubigensiedlung am Jenissej, zugunsten auch vom Glauben an bestimmte feststehende Werte, dem man dort vermutlich ebenfalls begegnen dürfte.
Bevor man aber auf die Idee kommen konnte, Autor und Roman wollten ihr Dostojewski-Plansoll übererfüllen, erinnerte Maier an ein anderes Vorbild - Wilhelm Raabe, dessen "Stopfkuchen" er dafür pries, den Leser bis zum Schluss im Unklaren darüber zu lassen, wofür der Roman eigentlich erzählt werde, bis er ihn mit einer Pointe überrasche, die dazu zwinge, alles noch einmal zu lesen und daraufhin zu überprüfen, wie der Autor die Andeutungen der Auflösung seines Textes so lange verbergen konnte. Maier bleibt eben der Verfasser von Büchern mit zwei sehr gegensätzlichen, aber eng zusammengehörenden Strategien - Dostojewskis wilder Mut zu erstaunlichen Eröffnungen und Raabes vielsagende Zurückhaltung.
FLORIAN BALKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Der Autor hat einen mächtigen Bart. Seine Bücher mitnichten, das macht Christoph Schröder unmissverständlich klar. Denn aus dem Gerede, das Andreas Maier als Stoff verwendet, wie Schröder weiß, und aus dem er diesen in Potsdam spielenden Roman zaubert, wird Abgründiges. Große Fragen, den lieben Gott betreffend und das Unterhaltsrecht, wälzt der Autor hier. Und Schröder ist irritiert ob der Komplexivität der Motive und der Schärfe, die Maier gegen die gottesferne Gesellschaft in Anschlag bringt. Dabei muss sich der Rezensent das allermeiste davon selbst zusammenreimen. Schließlich zählen Unausgesprochenheit und Vagheit für ihn unbedingt zu den Stärken dieses Autors.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»In Sanssouci wird die Dämonie der Provinz von deren Trivialität ununterscheidbar.« Ernst Osterkamp Frankfurter Allgemeine Zeitung