Der galicische Erzähler und Dramatiker Gonzalo Torrente Ballester (1910 1999) ist einer der bedeutendsten spanischsprachigen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, den es in Deutschland noch zu entdecken gilt. Compostela y su ángel (so der Originaltitel des 1948 erstmals erschienenen Buches) ist eine vielfarbige Hommage des Cervantes-Preisträgers an sein Santiago de Compostela: ein faszinierendes Lesebuch gefüllt mit Sagen, Chroniken und historischen Fakten, mit Mirakeln und Schwänken rund um die Jakobsstadt, aber auch ein getreuliches Reisehandbuch für den Santiago-Pilger unserer Tage. Zwischen Kirchen, Klöstern und Bürgerhäusern, auf Straßen und auf Plätzen, im Nebel und bei Regen allerorten entdeckt der Blick des Schriftstellers Lebendiges in dieser altehrwürdigen Stadt; er führt uns auf den Spuren von Architekten, Baumeistern und Steinmetzen, lässt Bischöfe, Könige und Nigromanten Revue passieren, ist Komplize mittelalterlicher Händler und moderner Wallfahrer und begleitet Reisende wie Pilger auf ihren beschwerlichen Wegen.
Torrentes Pilgerlesebuch erscheint nun erstmalig in deutscher Sprache, übertragen von der Übersetzergruppe Taller de Traducción Literaria des Romanischen Seminars der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel unter der Federführung von Victor Andrés Ferretti. Karina Gómez-Montero übernahm das Lektorat.
Torrentes Pilgerlesebuch erscheint nun erstmalig in deutscher Sprache, übertragen von der Übersetzergruppe Taller de Traducción Literaria des Romanischen Seminars der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel unter der Federführung von Victor Andrés Ferretti. Karina Gómez-Montero übernahm das Lektorat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2008Pilgerfahrt voller Missverständnisse
Als Javier Gómez-Montero in den stolzen Bergen von León von seiner Lektüre aufblickte, gewahrte er Pilger, wie immer. In endloser Reihe traten sie einander in die Fußstapfen, die sie nach Santiago de Compostela führten. Darunter waren immer wieder Deutsche. Der in Kiel wirkende Herausgeber Gómez-Montero wollte ihnen helfen und besann sich auf ein Buch des 1999 verstorbenen Spaniers Gonzalo Torrente Ballester. Es heißt "Santiago y su ángel", Santiago und sein Engel. Eine Übersetzung möge, erinnert sich Gómez-Montero im Nachwort, den mühselig Beladenen ein geeignetes Rüstzeug sein. Dabei muss es sich um ein grundsätzliches Missverständnis gehandelt haben, eigentlich um drei Missverständnisse. Das erste steht auf dem Buchdeckel. Da liest man unter dem tadellosen Titel "Santiago de Compostela" die irrige Zeile "Ein Pilgerlesebuch". Das klingt marktgefällig, aber für welchen Pilger ist es geschrieben? Er müsste von einer beängstigenden Lust an Bußübungen beseelt sein, um seine geschulterte Bibliothek mit einem DIN A5 großen, dreihundert Gramm wiegenden Stadtführer aus dem Jahr 1948 zu beschweren, der hier und heute nichts nützt. Lesen lässt sich auch im Vorhinein. Aus dem Nebel der Historie könnten sich die Konturen der ziemlich heiligen Stadt lösen - Stadtgeschichte, Stadtgründer, Stadtlegenden, Stadtansichten. Das Straßburger Münster lässt sich am schönsten mit Goethes Augen von 1770 betrachten. Da lauert das zweite Missverständnis: Torrente Ballester ist gar nicht Goethe. Die berühmte Kathedrale, Herberge der Gebeine des heiligen Jakobus, wird zu einem Hochhaus voller Personen, deren Klingeln Torrente Ballester allesamt drückt. Dabei waren die Quellen so bunt. Die unverdrossene Farbigkeit des mittelalterlichen Jakobsbuches "Codex Calixtinus" - wie ausgewaschen. Der spätere Cervantes-Preisträger Torrente Ballester steht 1948 mit achtunddreißig Jahren eher am Anfang seiner Schriftstellerei. Wenig bleibt erinnerlich. Die zwölf Seiten über Jakobsmuschel und Baumeister Mateo, dem jeder Pilger vor Ort schon allein deshalb begegnet, weil er seiner Statue im Westportal der Kathedrale die obligatorische Kopfnuss gibt, ließen sich allerdings heraustrennen und mitnehmen. In diesem Zeugnis ließe sich der "kulturelle Status der ursprünglichen Jakobspilgerschaft" ermessen, beschließt der Herausgeber - und erliegt dem dritten Missverständnis. Der Begriff der Ursprünglichkeit passt auf die Pilgerschaft ebenso wie auf eine schöne Frau: Welchen Zeitpunkt der Entwicklung meint er wohl und hält ihn für erstrebenswert? Das verrät den Romantiker. Das Buch aber dem Jakobspilger als "nützlichen Begleiter" auf den Buckel zu schwatzen, verrät, mit Verlaub, den Schelm.
geko
"Santiago de Compostela - ein Pilgerlesebuch" von Gonzalo Torrente Ballester. Verlag Ludwig, Kiel 2007. 208 Seiten. Broschiert, 19,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Als Javier Gómez-Montero in den stolzen Bergen von León von seiner Lektüre aufblickte, gewahrte er Pilger, wie immer. In endloser Reihe traten sie einander in die Fußstapfen, die sie nach Santiago de Compostela führten. Darunter waren immer wieder Deutsche. Der in Kiel wirkende Herausgeber Gómez-Montero wollte ihnen helfen und besann sich auf ein Buch des 1999 verstorbenen Spaniers Gonzalo Torrente Ballester. Es heißt "Santiago y su ángel", Santiago und sein Engel. Eine Übersetzung möge, erinnert sich Gómez-Montero im Nachwort, den mühselig Beladenen ein geeignetes Rüstzeug sein. Dabei muss es sich um ein grundsätzliches Missverständnis gehandelt haben, eigentlich um drei Missverständnisse. Das erste steht auf dem Buchdeckel. Da liest man unter dem tadellosen Titel "Santiago de Compostela" die irrige Zeile "Ein Pilgerlesebuch". Das klingt marktgefällig, aber für welchen Pilger ist es geschrieben? Er müsste von einer beängstigenden Lust an Bußübungen beseelt sein, um seine geschulterte Bibliothek mit einem DIN A5 großen, dreihundert Gramm wiegenden Stadtführer aus dem Jahr 1948 zu beschweren, der hier und heute nichts nützt. Lesen lässt sich auch im Vorhinein. Aus dem Nebel der Historie könnten sich die Konturen der ziemlich heiligen Stadt lösen - Stadtgeschichte, Stadtgründer, Stadtlegenden, Stadtansichten. Das Straßburger Münster lässt sich am schönsten mit Goethes Augen von 1770 betrachten. Da lauert das zweite Missverständnis: Torrente Ballester ist gar nicht Goethe. Die berühmte Kathedrale, Herberge der Gebeine des heiligen Jakobus, wird zu einem Hochhaus voller Personen, deren Klingeln Torrente Ballester allesamt drückt. Dabei waren die Quellen so bunt. Die unverdrossene Farbigkeit des mittelalterlichen Jakobsbuches "Codex Calixtinus" - wie ausgewaschen. Der spätere Cervantes-Preisträger Torrente Ballester steht 1948 mit achtunddreißig Jahren eher am Anfang seiner Schriftstellerei. Wenig bleibt erinnerlich. Die zwölf Seiten über Jakobsmuschel und Baumeister Mateo, dem jeder Pilger vor Ort schon allein deshalb begegnet, weil er seiner Statue im Westportal der Kathedrale die obligatorische Kopfnuss gibt, ließen sich allerdings heraustrennen und mitnehmen. In diesem Zeugnis ließe sich der "kulturelle Status der ursprünglichen Jakobspilgerschaft" ermessen, beschließt der Herausgeber - und erliegt dem dritten Missverständnis. Der Begriff der Ursprünglichkeit passt auf die Pilgerschaft ebenso wie auf eine schöne Frau: Welchen Zeitpunkt der Entwicklung meint er wohl und hält ihn für erstrebenswert? Das verrät den Romantiker. Das Buch aber dem Jakobspilger als "nützlichen Begleiter" auf den Buckel zu schwatzen, verrät, mit Verlaub, den Schelm.
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"Santiago de Compostela - ein Pilgerlesebuch" von Gonzalo Torrente Ballester. Verlag Ludwig, Kiel 2007. 208 Seiten. Broschiert, 19,80 Euro.
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