Produktdetails
- Verlag: Bloomsbury
- ISBN-13: 9781582341460
- Artikelnr.: 20993054
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Savannah Knoop narrte die Welt sechs Jahre lang als falscher Skandalautor - jetzt hat sie ein Buch darüber verfasst / Von Alexander Marguier
Seine spektakuläre Karriere hatte der Schriftsteller JT LeRoy als Phantom begonnen. Der Debütroman "Sarah" war gerade erschienen und die Literaturkritik begeistert: Sie schwärmte von JT LeRoys kraftvoller Sprache, von der Verletzlichkeit und der Poesie, die immer wieder unter der haarsträubenden Handlung durchschimmere. Kein blutleeres Geschreibsel, sondern ein authentischer Erfahrungsbericht von den entlegensten und verabscheuungswürdigsten Rändern der amerikanischen Gesellschaft. Denn JT LeRoy hatte ganz ohne Zweifel seine eigene traumatische Kindheit und Jugend in "Sarah" verarbeitet: Es ist die kaum zu ertragende Geschichte eines zwölfjährigen Jungen, der sich als geschundener, geschändeter Stricher auf irgendwelchen Lastwagenparkplätzen in West Virginia durchschlägt. Der halbwüchsige Sohn einer Prostituierten beschließt nach einiger Zeit, sich als Mädchen auszugeben, denn "fast alles ist leichter im Leben, wenn du ein hübsches Mädchen bist", wie es in "Sarah" heißt. Als besondere Delikatesse wird der Junge mit dem selbstgewählten weiblichen Vornamen von seinem pädophilen Zuhälter in einem goldenen Käfig zur Schau gestellt.
Wer die Mechanismen des Literaturbetriebs auch nur ein bisschen kennt, der weiß, dass eine gute Geschichte allein noch längst keinen Bucherfolg garantiert. Fast wichtiger als der Inhalt selbst ist die Story hinter der Story, und darin spielt eben wiederum der Autor himself die Hauptrolle: Ob nun äthiopische Kaiserkinder über Manieren schreiben (lassen) oder transsexuelle Strichjungen eine Milieustudie abliefern, ist da eigentlich egal. Hauptsache, die Medien bekommen ordentlich Futter für ein herzzerreißendes Rührstück mit viel personal touch. Nicht anders funktionierte das natürlich auch im Falle JT LeRoys, zumal der inzwischen Zwanzigjährige vor dem Erscheinen seines Erstlings im Jahr 2000 noch etliche Schicksalsschläge hatte einstecken müssen. Zum Beispiel eine offenbar unvollendet gebliebene Geschlechtsumwandlung - und eine HIV-Infektion. Letztere hatte bereits dazu geführt, dass die Haut des jungen Autors mit Kaposi-Flecken übersät war, weshalb er sich nicht vor den Kameras zeigen wollte, wie er zunächst verlauten ließ.
Es gab da allerdings noch ein weiteres kleines Problem, was die zahlreichen Interviewanfragen an den leidgeprüften Jungautor betraf, der "Sarah" angeblich während einer Therapie verfasst hatte: JT LeRoy existierte überhaupt nicht, sondern war in Wirklichkeit eine reine Kunstfigur, die sich eine gewisse Laura Albert aus San Francisco ausgedacht hatte: verheiratet, Anfang dreißig, Mutter eines kleinen Sohnes und in der Literaturszene völlig unbekannt. Albert, die mit ihrem Mann Geoff in einer eher wenig erfolgreichen Rockband auftrat und sich ansonsten etwas Geld bei einer Telefonsex-Hotline verdiente, brannte jedoch vor Ehrgeiz und Ambition - wohl wissend, dass es ihr als unbeschriebenem Blatt ohne schrille Biographie schwerfallen würde, Aufmerksamkeit, geschweige denn einen Verlag zu finden. Also begann sie ein hanebüchenes Camouflagespiel, das recht harmlos mit fingierten Anrufen bei einem Psychologen begann (dem sie sich als vermeintlicher JT LeRoy offenbarte und der ihr über Beziehungen einen Zugang zu Schriftstellerkreisen ermöglichte), das den Beteiligten später auf dem Höhepunkt der Köpenickiade Auftritte bei internationalen Filmfestivals bescherte - und das schließlich vor knapp drei Jahren in Schmach und Schande ein Ende nahm.
Wie sich das bizarre Gebilde aus Lügen, Phantastereien und zunehmendem Realitätsverlust aus der Perspektive einer der Protagonistinnen darstellt, das lässt sich in dem soeben erschienenen Buch "Girl, Boy, Girl - How I became JT LeRoy" nachlesen. Verfasst hat es Savannah Knoop, die inzwischen achtundzwanzigjährige Ex-Schwägerin von Laura Albert. Sie ist es, die fast sechs Jahre lang die Rolle JT LeRoys übernahm, nachdem das Medieninteresse an seiner Person derart groß geworden war, dass Albert, deren damaliger Mann Geoff Knoop sowie dessen Halbschwester Savannah kurzerhand beschlossen, die Kunstfigur Realität werden zu lassen. Am Anfang sollte es nur ein einziger Auftritt sein: Fotoaufnahmen für ein Magazininterview, das Laura Albert als angeblicher JT LeRoy zuvor bereits am Telefon gegeben hatte. Erschütternd daran ist weniger, welche Eigendynamik das zunächst eher harmlose Kostümspektakel entwickelt, als vielmehr die Tatsache, dass sich Zeitungen, Magazine, Fernsehsender und die halbe Filmindustrie zur Not auch mit den einfachsten Mitteln in die Irre führen lassen, solange nur eine saftige Geschichte winkt. Die Verwandlung der etwas pummeligen und weitgehend unbedarften Collegestudentin Savannah Knoop in einen aidskranken Transvestiten-Wunderknaben dürfte nämlich kaum länger als eine halbe Stunde gedauert haben: die Brüste mit Mullbinden wegbandagiert, eine billige Perücke, eine übergroße dunkle Sonnenbrille - das war im Wesentlichen auch schon alles. Manchmal verrutscht die künstliche Haarpracht, selbst banale Fragen des Fotografen an JT LeRoy wie etwa die nach dem Wohnort beantwortet Ghostwriterin Laura Albert, die sich fortan "Speedie" nennt und als Betreuerin ihres literarischen Findelkindes ausgibt.
Wer sich heute die vielen Fotos ansieht, auf denen der in Windeseile zum Darling des Jetset aufgestiegene JT LeRoy im Kreise von Prominenten wie Tatum O'Neill, Rosario Dawson oder Debbie Harry zu sehen ist, muss sich zwangsläufig fragen: Wie konnte diese karnevaleske Maskerade eigentlich sechs Jahre lang unentdeckt und unhinterfragt bleiben? Hätte nicht gerade eine so talentierte Schauspielerin wie Winona Ryder, die dem falschen Schriftsteller besonders innig zugetan war, das laienhafte Spektakel nach wenigen Minuten decouvrieren müssen? Die Antwort darauf findet sich womöglich in Savannah Knoops Buch über ihre Verwandlung: "Nach Lesungen in New York und Los Angeles traf ich Fans, die sich nach Anerkennung seitens JT sehnten. Sie erzählten mir, wie das Buch sie berührt habe, und sie erzählten mir ihre eigene Lebensgeschichte. Ich hörte ihnen schweigend zu und hielt dabei ihre Hand. Mir wurde klar, dass JT eine Leitfigur für viele Menschen geworden war, die selbst Leid erfahren und trotzdem überlebt hatten. JT war wie eine energetische Kraft über unser aller Köpfe, ein Symbol der Hoffnung."
Noch bevor der falsche Zauber aufflog, schilderte Winona Ryder dem Magazin "Vanity Fair", wie sie nach dem Ende ihrer Liaison mit einem Schauspielerkollegen drei Stunden lang mit JT LeRoy gemeinsam weinend in der Oper "La Bohème" gesessen habe. Als Schmerzensmann muss Savannah Knoop in der Rolle JT LeRoys perfekt funktioniert haben.
Dass sie es bereut, die Menschen an der Nase herumgeführt und nicht zuletzt mit einer erfundenen HIV-Infektion deren Mitleid erregt zu haben, wird man nach der Lektüre allerdings kaum behaupten können - davon ist nicht einmal die Rede. Die größte Schwierigkeit bestand für Savannah Knoop offensichtlich vielmehr darin, den Einfluss ihrer Schwägerin Laura Albert nicht übermächtig werden zu lassen, die als Erfinderin JT LeRoys ja gewissermaßen die Regie führte. Zu Beginn habe sie sich als vermeintlicher Star-Autor wie frischverliebt gefühlt, "voller Energie selbst in banalen Situationen"; später leidet Knoop unter der Einsicht, dass ihr einziger Lebenszweck darin besteht, Perücken aufzusetzen und in JT LeRoys typischem Südstaaten-Slang Lügengeschichten aufzutischen. Laura Albert wiederum kommt noch schwerer mit der Situation zurecht, in die sie sich selbst gebracht hat: Die tatsächliche Urheberin des LeRoyschen Werks steht in ihrer Rolle als "Speedie" stets nur in der zweiten Reihe, während sämtliche Aufmerksamkeit ihrer Schwägerin gilt: "Manchmal hatte ich den Eindruck, dass sie bei öffentlichen Auftritten zu weit geht. Dann drängte sie sich derart in den Vordergrund, als wolle sie sagen: ,Ich bin der Autor, ich bin das Genie!'", erinnert sich Savannah Knoop. Skeptisch wurde dennoch niemand - mit Ausnahme der berühmten Fotografin Mary Ellen Mark, die während eines Shootings mit JT LeRoy das falsche Spiel offenbar sofort durchschaute, es aber nicht publik machte.
Die Dreistigkeit von Savannah Knoop, Laura Albert und ihrem Mann Geoff Knoop (der als zweiter "Betreuer" von JT LeRoy oft mit von der Partie ist) geht während einer Lesereise durch Italien sogar so weit, dass Savannah in ihrer Verkleidung eine Pressekonferenz abhält, während gleichzeitig Laura Albert vom Hotelzimmer aus Telefoninterviews als JT LeRoy gibt. In Italien trifft das Trio auch mit der Schauspielerin und Regisseurin Asia Argento zusammen, die sich vorgenommen hat, JT LeRoys Leben zu verfilmen. Das Projekt wird später unter dem Titel "The Heart is Deceitful Above All Things" tatsächlich realisiert, und während der Dreharbeiten in Amerika kommt es zu einer Begebenheit, die selbst wiederum filmreif ist: Savannah Knoop, die heillos verliebt ist in Asia Argento, muss eines Nachts auf dem Set miterleben, wie ihre Angebetete Sex mit einem der Hauptdarsteller hat. Es gibt wohl tatsächlich kein richtiges Leben im falschen.
Mitte Februar 2006 offenbart sich Geoff Knoop, dessen Ehe mit Laura Albert zu diesem Zeitpunkt bereits in die Brüche gegangen ist, der "New York Times". Der Skandal ist perfekt, danach hört man lange nichts von den drei Protagonisten. Savannah Knoop arbeitet mittlerweile als Modedesignerin, Laura Albert hat sich als Drehbuchautorin profiliert. Über das Buch ihrer Ex-Schwägerin ließ sich die Schöpferin von JT LeRoys Texten unlängst mit dem Satz zitieren: "Damit habe ich nichts zu tun. Nur weil man einen Schriftsteller gespielt hat, heißt es nicht, dass man auch einer ist."
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