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Mit Sarajevo verbinden sich vielfältige Assoziationen: Stadt des Attentats von 1914, Stadt der Winterolympiade von 1984, belagerte Stadt 1992-1996, Stadt der Toleranz und Stadt des Hasses, "Damaskus des Nordens", "Jerusalem Europas" und "Klein-Jerusalem". Die Geschichte Sarajevos ist zu großen Teilen eine Geschichte von Zerstörung und Wiederaufbau, erneuter Zerstörung und erneutem Wiederaufbau. Es ist eine Geschichte von Multikulturalität und Interkulturalität. Das jahrhundertelange Nebeneinander, Miteinander und Gegeneinander von Muslimen, Orthodoxen, Katholiken und Juden kennzeichnet…mehr

Produktbeschreibung
Mit Sarajevo verbinden sich vielfältige Assoziationen: Stadt des Attentats von 1914, Stadt der Winterolympiade von 1984, belagerte Stadt 1992-1996, Stadt der Toleranz und Stadt des Hasses, "Damaskus des Nordens", "Jerusalem Europas" und "Klein-Jerusalem". Die Geschichte Sarajevos ist zu großen Teilen eine Geschichte von Zerstörung und Wiederaufbau, erneuter Zerstörung und erneutem Wiederaufbau. Es ist eine Geschichte von Multikulturalität und Interkulturalität. Das jahrhundertelange Nebeneinander, Miteinander und Gegeneinander von Muslimen, Orthodoxen, Katholiken und Juden kennzeichnet Sarajevo wie kaum eine andere Stadt in Europa. Holm Sundhaussens umfangreiche Stadtgeschichte reiht sich in seine bereits zu Standardwerken avancierten Bücher über Jugoslawien und Serbien ein.

Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Prof. Holm Sundhaussen war nach dem Studium in München und der Habilitation in Göttingen seit 1988 Professor für Südosteuropäische Geschichte am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin und seit 1998 Ko-Direktor des Berliner Kollegs für vergleichende Geschichte Europas. Er war (Mit)Herausgeber und Beiratsmitglied verschiedener Buchreihen und Zeitschriften sowie Verfasser einer Vielzahl von Arbeiten zur Geschichte Südosteuropas, insbesondere des ehemals jugoslawischen Raums, im 19. und 20. Jahrhundert, darunter einer 'Geschichte Jugoslawiens 1918-1980' (Stuttgart 1982) und einer 'Historischen Statistik Serbiens 1834-1914. Mit europäischen Vergleichsdaten' (München 1989).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensentin Judith Leister liest das Buch des Südosteuropa-Historikers Holms Sundhaussen über Sarajewo mit Begeisterung und großem Gewinn. Farbig und leicht verständlich, so Leister, breitet der Autor die Biografie der Stadt Sarajewo vor dem Leser aus. Deutlich wird für Leister die Lage der Stadt zwischen Orient und Okzident, aber auch die gesamte Geschichte Bosniens. Sie begreift, wie politisch die Geschichte im Fall Bosniens und Sarajevos ist, wie sehr geprägt durch die verschiedenen ethnoreligiösen Gruppen und Narrative. Der Autor bedeutet ihr, wie wenig hilfreich da ein Denken in Dichotomien ist, und dass es Multikulti in Sarajewo kaum gegeben hat.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.2014

Viele Fragen
Sarajevo: Tatort als Stadt

Zum Erinnerungsjahr 2014 hat Holm Sundhaussen, Doyen der deutschen Südosteuropahistoriker, ein Buch zur Geschichte Sarajevos - dieser über Jahrhunderte von Muslimen, Juden und Christen (orthodoxen wie katholischen) bevölkerten Stadt - vorgelegt. Der Autor kennt sein Fach, kann schreiben. Das weckt hohe Erwartungen, doch seine Darstellung enttäuscht nicht zuletzt deshalb, weil schon ihr Titel in die Irre führt. Er hat nur eine Geschichte Bosniens unter gelegentlicher Berücksichtigung Sarajevos vorgelegt.

Wer die Biographie einer Stadt schreibe, setze sich der Gefahr aus, "seinen Helden zu idealisieren", stellt Sundhaussen einleitend fest. Dieser Gefahr widersteht er. Sundhaussen verkitscht und mythologisiert die Stadt nicht, schreibt ihr nicht einen poetischen Genius Loci zu, den nur sehen kann, wer ihn sehen will und der deshalb beliebig ist. Stattdessen stellt er Fragen, die jeder stellen muss, der eine gute Stadtgeschichte schreiben will: "Dass Menschen eine Stadt prägen, versteht sich von selbst, aber geht es auch umgekehrt?" Seine Antwort lautet, dass sich das Bild mit dem Blick ändere: "Wer den Hass sucht, findet ihn, und wer das Miteinander sucht, findet es auch."

Solche Überlegungen zum Schreiben über Städte bilden den vielversprechenden Auftakt des Buches, doch dann kommt der Autor vom Wege ab und verirrt sich. Die Stadt gerät ihm aus dem Blick, er bekommt sie nicht zu fassen. Er schreibt klug und kenntnisreich über die sozioökonomische Bedeutung der Knabenlese im Osmanischen Reich, Konzeptionen des bosnischen Islam, die Identität bosnischer Muslime, christliche Bauernaufstände, Eigentumsverhältnisse in Bosniens Landwirtschaft, den österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 oder die Parteienlandschaft im frühen Jugoslawien - aber wo bleibt Sarajevo?

Gewiss, die Geschichte einer Stadt spielt sich nicht im luftleeren Raum ab. Aber in einer Stadtgeschichte müssen allgemeine historische Entwicklungen stark verdichtet werden, um ausführlicher auf ihre Folgen für den Ort einzugehen, der beschrieben werden soll. Dieser Übergang von europäischer Geschichte und balkanischer Regionalhistorie zu den Spezifika Sarajevos gelingt Sundhaussen nur selten. Wo Details nötig wären, fehlen sie, und wo sie verzichtbar sind, sprießen sie - oder sie schweben ziellos im Text wie in einem Kapitel über das osmanische Sarajevo: "Der Preis für einen Sklaven bewegte sich Anfang des 16. Jahrhunderts in Sarajevo zwischen 1200 und 6600 Akce." Ja und? Was waren 6600 Akce wert, was konnte man sonst davon kaufen, wer hatte überhaupt so viel Geld? Wo befand sich der Sklavenmarkt von Sarajevo, wie ging es dort zu, woher kamen die Opfer, mit denen dort gehandelt wurde? Fragen, die im Buch nicht oder unzureichend beantwortet werden. Andere Passagen sind äußerst ausführlich, aber Sarajevo kommt dabei unter die Räder: Viel Regionalgeschichte, wenig Stadt.

Dabei ist es nicht so, dass der Leser nichts über Sarajevo erführe. Sundhaussen beschreibt ihre "Männergeschichte" (Frauen spielen bis heute nur eine Nebenrolle im öffentlichen Leben der Stadt) von ihren osmanischen Anfängen bis in die jüngste Vergangenheit. Er schildert, wie Sarajevo im Osmanischen Reich, gefördert durch "fromme Stiftungen", nach 1463 aufblühte bis zur Katastrophe von 1697, als die Truppen des Prinzen Eugen von Savoyen die Stadt plünderten und zerstörten. Einige Passagen lassen ahnen, was aus dem Buch hätte werden können, hätte Sundhaussen sich mehr auf die Stadt eingelassen. Die von Glockengeläut begleitete Einweihung einer orthodoxen Kirche im Jahr 1872, in der Abenddämmerung der osmanischen Herrschaft also, beschreibt er so: "An der Zeremonie sollen mehr als 10 000 Menschen teilgenommen haben . . . Zum ersten Mal konnte man das Christentum nun auch hören, und die Muslime trauten ihren Ohren nicht. Ein Geräusch wurde zur Machtfrage." Hier schließen sich Zeitzeugenberichte an, die Sarajevo für einen kurzen Moment vorstellbar und sichtbar werden lassen, als ziehe jemand einen Vorhang zur Seite. Doch solche Passagen sind zu selten.

Wer über eine Stadt schreibt, muss sie sich erwandern, ihre Topographie unter den Füßen spüren, muss morgens um sechs und nachts um eins auf ihre Geräusche achten, historische Telefonbücher, die vermischten Meldungen vergessener Lokalzeitungen oder zerbröselnde Gerichtsakten studieren. Das ist nicht poetische Quacksalberei, sondern das kleine Einmaleins des Historikers. Ohne solche Tauchgänge bleibt eine Stadtgeschichte tot wie der Paragraph eines gebrochenen Friedensvertrages. Beim Schreiben muss der Kopf kühl sein, nicht bei der Recherche. Der britische Historiker Mark Mazower hat in seinem meisterhaften Thessaloniki-Porträt "Stadt der Geister" vorgemacht, wie es geht. Sarajevo, der weltberühmte Tatort des Attentats vom 28. Juni 1914, wartet einstweilen weiter auf einen Porträtisten.

MICHAEL MARTENS

Holm Sundhaussen: Sarajevo. Die Geschichte einer Stadt. Böhlau Verlag, Wien 2014. 409 S., 34,90 [Euro].

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