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Produktdetails
  • Beck'sche Reihe
  • Verlag: Beck
  • Seitenzahl: 180
  • Gewicht: 214g
  • ISBN-13: 9783406421150
  • ISBN-10: 3406421156
  • Artikelnr.: 24577233
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.1999

Die Nacht ist lang
Doch der Discoführer greift zu kurz und vergreift sich im Ton

"Geht ihr in die Disco?", fragen heute nur noch Eltern ihre Kinder, denn "Disco" ist - nach dem Ende der Discomoderne und ihrer bisherigen Revivals - ein verbotenes Wort. Dass der "Discoführer Deutschland" nicht von Clubs, sondern von Discos spricht, zeigt, dass Klaus Janke und Stefan Niehues ihr Buch eher für übersichtslose Eltern und Lehrer als für die, die tatsächlich ausgehen, geschrieben haben. Unter dem mittlerweile leicht modrig riechenden Titel "Saturday Night Fever" versuchen die Autoren sich an einer Beschreibung des Tanz veranstaltenden Nachtlebens. Sie unternehmen Streifzüge in die Verästelungen der Subsysteme Rock, Metal, Indie, Disco, House, Schlager und Salsa, die, durch Kleidung und Tanzverhalten getrennt, unabhängig nebeneinander existieren.

Die Autoren wissen, dass man in bestimmten Clubs, die Anti-Disco sein wollen, "T-Shirts mit Aufschriften weit zurückliegender Fußballweltmeisterschaften" tragen sollte, und der Leser lernt, dass die "Philosophie des Hipster" in dem umfunktionierten, ansonsten so belassenen Bordell "Ich bin anders" heißen soll. Die Autoren klären über ökonomische Zusammenhänge auf und beschreiben die Einlasspolitik einer von ihnen so genannten "Promi-Disco". Der Türsteher arbeitet als DJ des Publikums den Abend über an der richtigen Abmischung des Publikums, in weiblich-männlicher oder sonstiger Hinsicht. "Wo Frauen sind, da kommen Männer automatisch", heißt eine Weisheit der Branche. Weshalb viele Diskotheken Adresskarteien führen und Frauen gesondert einladen. Eingeweihte, so die Autoren, sprechen vom "Beauties streuen".

Bequemer lassen die "emotionalen Komfortzonen des eigenen Lebens", wie es im Buch heißt, sich in soziokulturellen Zentren pflegen. "Popkulturelle Grundversorgung" gibt es dort ohne anstrengende Dinstinktionsspielchen. Manchmal heißen die Tanzveranstaltungen auch "Altentanz" und sind nur für die über Dreißigjährigen geöffnet. Weshalb schon abends um halb acht begonnen wird. Auch nicht mehr Teens und Twens scheinen "dabei nur das eine zu suchen: die Liebe ihres Lebens, das schon die ersten Spuren des Alters zeigt". Die Erinnerungslieder, die für alle harmlos klingen müssen, werden dazu immer wieder gespielt. Die Vergangenheit kann sich so für drei oder vier Minuten verlängern.

Größtes Hindernis der Lektüre ist ein mit überflüssigen Anglizismen gespickter Sprachgestus, den die deutlich auf die Vierzig zusteuernden Autoren vielleicht für jugendlich halten. Tatsächlich klingt es eher peinlich, wenn Turnschuhe immer "Sneaker" und Kulturzentren "Homebases für alternative Kulturarbeit" heißen müssen. Man erfährt hier einiges über "auf Crossover abfahrende Kids", in einer "Location", die "wieder schwer angesagt", eventuell sogar der "zentrale meeting point" sein kann. Die Älteren, die hier "forty- und fiftysomethings" heißen, stehen und staunen, das Publikum ist "mainstreammäßig" oder eine "angenehme Crowd", die nicht auf Tanzflächen, sondern auf verschiedenen "floors" "groovt". Entweder "peilen" sie "die Lage", "fahren ihre eigene Schiene" oder "holen sich den zusätzlichen Kick".

Nicht sehr vornehm wirkt auch die Angewohnheit der Autoren, Figuren zu erfinden, sie Ralf, Katrin, Annette zu nennen und sie das Kulturzentrum, die Landdisco, den Rave oder eine Gruftie-Disco besuchen zu lassen - nur um sie anschließend vorzuführen und lächerlich zu machen. In der Totalen besteht das Publikum dann wieder aus "pickeligen Kleinstädtern" die unter dem Einfluss von James Brown davon träumen, sich in "schwitzende, schwarze Gigolos" zu verwandeln. Oder aus denen, die "am nächsten Morgen doch wieder nur dem Bus hinterherrennen müssen". Und hinter der Selbstinszenierung der Gothics oder Grufties werden angeblich verklemmte Einzelgänger erkannt, die selbstverfasste Gedichte über ihr Unverstandensein in der Welt herumreichen. Ihre Figuren opfern die Autoren dem Effekt, die Penetranz ihrer Arroganz legt sich leider oft über ihre Kompetenz.

Dabei liefern sie viel und solide Information und geben ihre Quellen an. Sie zitieren Geschichten aus dem "Disco-Magazin" und zitieren sich - sie sind ehemalige Redakteure der Stadtillustrierten "Prinz" - hin und wieder auch selbst. Selten jedoch gelingt es ihnen, wenigstens die schlimmsten Klischees auszulassen. Natürlich fehlt in der Metal-Disco auch die "schweißnasse Mähne des Headbangers" nicht. Schließlich gleitet das Buch in herrenwitzige Hinweise ab: "In Metal-Discos kann man Frauen ruhig mal chauvinistisch in den Ausschnitt starren", heißt es da. Die Selbstbezichtigung "chauvinistisch" kann die Sache hier nicht retten, die Fortsetzung lautet: "Denn für Frauen ist es völlig okay auf Schlampe oder Bitch zu machen." Selbst wenn dem so wäre - die Lust, sich mit diesem Buch Richtung Altpapiertonne zu bewegen, wird von solchen Sätze ungemein gefördert. Und lässt sich auch vom schmalen praktischen Nutzen der kurzen Adresslisten nicht wirklich aufhalten.

DAVID WAGNER

Klaus Janke, Stefan Niehues: "Saturday Night Fever". Discoführer Deutschland. Verlag C. H. Beck, München 1999. 180 S., Abb., br., 16,90 DM.

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