Aus einer wahren Begebenheit in der Geschichte seiner Familie macht Andreas Wunn einen fulminanten Roman, der sein Alter Ego Jakob Auber auf einer aufregenden, hochemotionalen Reise in die Vergangenheit begleitet.
Jakob ist Ende dreißig, Journalist, frisch getrennter Ehemann, Vater des kleinen
Oskar, Ex- und immer mal wieder Freund von Teresa, Sohn von Hans, Enkel von Theodor Auber. All das in…mehrAus einer wahren Begebenheit in der Geschichte seiner Familie macht Andreas Wunn einen fulminanten Roman, der sein Alter Ego Jakob Auber auf einer aufregenden, hochemotionalen Reise in die Vergangenheit begleitet.
Jakob ist Ende dreißig, Journalist, frisch getrennter Ehemann, Vater des kleinen Oskar, Ex- und immer mal wieder Freund von Teresa, Sohn von Hans, Enkel von Theodor Auber. All das in seiner Verdichtung schon nicht leicht, schleppt Jakob jede Menge Erinnerungen mit sich herum, die ihn psychisch fordern: der frühe Tod der Mutter, das Aufwachsen als Halbwaise mit einem Vater, der sich mit seiner Trauer ganz in sich selbst zurückzieht und Jakob wenig hilft, den Verlust zu bewältigen. Nun liegt ebendieser Vater nach einem Schlaganfall im Koma, der Sohn reist von Berlin nach Trier, um ihn zu sehen, vielleicht ein letztes Mal mit ihm zu sprechen.
In Trier warten auf Jakob Überraschungen, mit denen er im Leben nicht gerechnet hat. Das letzte Rätsel, das ihm sein Vater hinterlässt, ist ein Zettel mit den Worten „Drempel“ und „Kiste“, die Spur führt in sein altes Kinderzimmer und Jakob glaubt seinen Augen nicht, als er es wiedersieht: ein Archiv aus Ordnern, Bildern, Tonbändern. Der Vater hat ihm sein ganzes Leben hinterlassen, Jakob kämpft sich durch diese Hinterlassenschaften und muss erkennen, dass er von seiner Familiengeschichte, aber auch von seinem eigenen Vater und dessen Problemen kaum etwas wusste.
Der Werbespruch „Auber macht sauber“ war denn auch das Einzige, dass er noch in Erinnerung behalten hatte, wenn es um die Waschmitteldynastie seines Großvaters Theodor Auber ging. Den hatte Jakob noch kennengelernt, er starb, als Jakob acht Jahre war, die Großmutter hatte er noch weit besser in Erinnerung. Und die kühle Atmosphäre, die er zwischen seinem Vater und der Großmutter bemerkte. Nun erfährt er von den Großeltern Dinge, die er vielleicht lieber nicht wüsste. Der Großvater „übernahm“ die Drogerie seines jüdischen Lehrmeisters und Chefs Stein im Jahr 1938, eine Arisierung, über die in der Familie nicht gesprochen wird. Dass nach dem Krieg Bella, Steins Tochter, die als einzige ihrer Familien den Holocaust überlebt hat, bei Theodor Auber Arbeit findet, wird nicht thematisiert. Die Erinnerungen von Hans an diese junge Frau werden erst in den Tonbändern lebendig, die Jakob nun anhört.
Jakobs Vater erwacht nicht mehr aus dem Koma, aber Jakob erfährt von einer merkwürdigen Begebenheit kurz vor der Krankheit des Vaters. Er soll in einem Supermarkt heftig randaliert und ganze Regale mit Waschmittelpulver zerstört haben. Für Jakob unfassbar, warum rief sein Vater immer wieder den Namen „Bella“? An dieser Stelle nimmt der Roman eine neue Wendung, ich möchte anderen Lesern nicht die Spannung verderben, deshalb gibt es hier keinen Spoiler. Nur so viel, es bleibt spannend und interessant bis zum Schluss.
Andreas Wunn hat einen perfekten Stil gefunden für das Hin- und Her dieser Erinnerungen, die gepaart sind mit den Gedanken und Gefühlen, die Jakob überrollen. Das Buch benötigt keine Zeitangaben in Kapitelüberschriften, wer genau und aufmerksam liest, wird über die Zeiten nicht stolpern.
Besonders gut gefallen hat mir die Zeichnung der Charaktere, jeder der männlichen wie weiblichen Protagonisten bleibt mir mit seinen Eigenheiten, seinen unangenehmen Seiten, seinen Liebenswürdigkeiten in Erinnerung. Ja, Großvater Theodor als Oberhaupt der Familie mag unangenehm erscheinen, aber auch er findet bei Jakob seinen Platz, nicht zuletzt, weil sein Vater Hans ihm alles so lebendig erzählt auf seinen Tonbändern. Sehr anrührend fand ich die Passagen, in denen sich Jakob an seine Mutter erinnert, die ihm immer so wunderbar und feenhaft erscheint. Als Pendant dazu wird er die Kindheit und Jugend seines Vaters wie in einem Hörbuch erfahren. All das erzählt und verknüpft Andreas Wunn auf höchst glaubwürdige Weise, es ist nicht nur eine Familiengeschichte geworden, sondern auch eine Geschichte über eine deutsche Familie im 20. Jahrhundert. Die Wahl des Titels "Saubere Zeiten" ist genial, das Cover passt perfekt!
Ein Buch, das sich gut liest, das ich ungern aus der Hand gelegt habe und an das ich mich gern erinnern werde.