Traditionsbewusst und reformorientiert, lange abgeschottet, klischeebehaftet, facettenreich und einer der reichsten arabischen Staaten
Saudi-Arabien ist eine aufstrebende Regionalmacht und viel zu wichtig für den Mittleren Osten und die Weltpolitik, als dass das Land im Westen so unbekannt bleiben darf, wie es bis heute noch ist.
Hüter der Heiligen Stätten von Mekka und Medina, ein Ölproduzent auf dem Weg zur diversifizierten Wirtschaftsmacht, absolute Monarchie mit strikter Durchsetzung der Scharia, Herausforderung für die westlichen Demokratien, geopolitischer und ideologischer Rivale des Irans: das ist Saudi-Arabien, der größte Staat auf der Arabischen Halbinsel. Doch hat das Land mit seinen diversen Stämmen, Kulturen und Konfessionen viele Facetten. Ambitionierte Künstler machen von sich reden, selbstbewusste Frauen erkämpfen mehr Freiräume, und bemerkenswerte Sehenswürdigkeiten warten auf die Öffnung des Landes. Martin Pabst bereist regelmäßig die arabischeWelt, war jüngst in Saudi-Arabien. Das Buch zeigt den faszinierenden gesellschaftlichen Wandel zwischen Tradition und Moderne auf, der sich momentan in diesem Land vollzieht. Höchste Zeit, Saudi-Arabien zu erkunden.
Saudi-Arabien ist eine aufstrebende Regionalmacht und viel zu wichtig für den Mittleren Osten und die Weltpolitik, als dass das Land im Westen so unbekannt bleiben darf, wie es bis heute noch ist.
Hüter der Heiligen Stätten von Mekka und Medina, ein Ölproduzent auf dem Weg zur diversifizierten Wirtschaftsmacht, absolute Monarchie mit strikter Durchsetzung der Scharia, Herausforderung für die westlichen Demokratien, geopolitischer und ideologischer Rivale des Irans: das ist Saudi-Arabien, der größte Staat auf der Arabischen Halbinsel. Doch hat das Land mit seinen diversen Stämmen, Kulturen und Konfessionen viele Facetten. Ambitionierte Künstler machen von sich reden, selbstbewusste Frauen erkämpfen mehr Freiräume, und bemerkenswerte Sehenswürdigkeiten warten auf die Öffnung des Landes. Martin Pabst bereist regelmäßig die arabischeWelt, war jüngst in Saudi-Arabien. Das Buch zeigt den faszinierenden gesellschaftlichen Wandel zwischen Tradition und Moderne auf, der sich momentan in diesem Land vollzieht. Höchste Zeit, Saudi-Arabien zu erkunden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2023Im Mittelpunkt die Monarchen
Ein Crashkurs über Saudi-Arabien - mit Lücken
"Saudi-Arabien verstehen" - dieses Versprechen gibt der freischaffende Publizist und Politikwissenschaftler Martin Pabst den Lesern seines gleichnamigen Buchs. Ein solcher Anspruch ist kaum zu erfüllen, auch nicht von den 512 Seiten Text inklusive Anhang, die der Autor vorlegt. Für die Bereiche Geschichte, Politik und Wirtschaft gelingt dem Buch dennoch ein umfangreicher und auch für Laien größtenteils nachvollziehbarer Überblick.
Im Mittelpunkt steht die Dynastie der Familie Saud, über weite Strecken ist die Abhandlung nach den Amtszeiten der ihr entsprungenen Könige gegliedert. Dabei werden mitunter markante Unterschiede zwischen den Herrschern deutlich, etwa zwischen der Neigung zu "Luxus und den Frauen" von König Saud (1953 bis 1964) und dem Spartanismus seines Nachfolgers König Faisal (1964 bis 1975), der stets schlichte Gewänder trug und sich mit "Bruder Faisal" statt "Ihre Majestät" anreden ließ. Die Porträts der Herrscher bleiben dabei differenziert. So verschweigt das Buch nicht, dass Faisal die wahhabitische Weltmission entscheidend ausbaute und die Geheimdienste beauftragte, "nicht nur penibel die Untertanen, sondern auch alle Ausländer inklusive der Mekka-Pilger" zu überwachen.
Während Pabst die gewaltgeprägte Geschichte, politische Spannungen zwischen extrem konservativer wahhabitischer Herrschaftslegitimierung und machtgetriebenen Intrigen in der Königsfamilie sowie die vom Öl-Boom getriebene Wirtschaft Saudi-Arabiens übersichtlich zu vermitteln vermag, bleibt das Bild vom alltäglichen Leben der Bevölkerung abstrakt. Obwohl der Untertitel des Buchs Einblicke in "Geschichte, Religion, Gesellschaft" verspricht, wird vor allem Letztere nur in Teilen betrachtet. Namentlich sind dem Leben saudischer Frauen und der Kunst im Königreich eigene Kapitel gewidmet - die dreizehn restlichen Kapitel drehen sich aber um Machthaber, Wirtschaft und Religion. Selbst grundlegende Daten zur Bevölkerung wie Einwohnerzahl, Lebenserwartung oder Durchschnittseinkommen fehlen.
Infokästen bereichern das Buch um spannende und kuriose Geschichten, die nicht nahtlos in den Aufbau passen. So erfährt der Leser vom Argwohn der Herrscher des 15. und 16. Jahrhunderts gegenüber dem Kaffeegenuss, von europäischen Reisenden, die sich in Mekka zur Kaaba schlichen und Prominenten wie dem Großunternehmer, Waffenhändler und Lebemann Adnan Khashoggi, dem Onkel des 2018 ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi. Auch Osama bin Ladens Familienhintergrund als Sohn der unter anderem durch gigantische Bauprojekte "allgegenwärtigen" Saudi Binladin Group findet in einem solchen Kasten einen Platz.
Zeitlich beginnt die Darstellung vor etwa 120 000 Jahren mit den ältesten menschlichen Funden auf der arabischen Halbinsel, lange vor der Errichtung des heutigen Staats. Die Beschreibung vorislamischer und vorsaudischer Einflüsse gibt dem Leser damit einen reichen Kontext für das Verständnis von Kultur und Geschichtssicht des heutigen Königreichs an die Hand, auch wenn sie in späteren Kapiteln selten explizit aufgegriffen wird. So beschreibt der Autor vorislamische Feindseligkeiten zwischen Arabern und Persern - Araber bezeichneten Perser mit ihrer indoeuropäischen Sprache abschätzig als "die unverständlich Redenden", während die Perser auf eine lange Geschichte von Großreichen zurückblickten und sich den "Heuschreckenfressern" der arabischen Wüste überlegen fühlten - und bereichert damit das Verständnis der heutigen Feindschaft zwischen Saudi-Arabien und Iran.
Pabst bettet das Land und die von seinen Herrschern betriebene Politik außerdem in einen internationalen Kontext ein. So beleuchtet das Buch die immer wieder konfliktgeladene Partnerschaft Saudi-Arabiens mit den USA und die Feindschaft zu Iran. Ebenso geht der Autor auf die intrigante wie stabilisierende Rolle Saudi-Arabiens in den spannungsreichen Beziehungen der Staaten auf der arabischen Halbinsel und in Nordafrika ein. Das ermöglicht besonders dann ein tieferes Verständnis aktueller Debatten und Konflikte, etwa des Jemen-Kriegs und Qatars wachsender internationaler Rolle, wenn vor der Lektüre des Buchs eher oberflächliches Wissen über Saudi-Arabien bestand.
Gleichzeitig bleiben gerade in diesen Passagen die Motive der handelnden Akteure teils unklar. In den Beschreibungen der Gründung des modernen Staats 1932 und der beiden Vorgängerregime unter saudischer Herrschaft (1744 bis 1818 und 1824 bis 1891) etwa werden viele andere Machthaber, Herrschaftsfamilien, Stämme, Islamströmungen und damalige Staaten ohne nähere Einordnung erwähnt. Auch wenn Pabst eine nuancierte Darstellung der Interessenkonflikte und Akteurskonstellationen gelingt, wäre eine pointiertere Zusammenfassung der großen historischen Linien hilfreich.
Demgegenüber hat der Autor klar die Herausforderungen herausgearbeitet, vor denen Saudi-Arabien aktuell steht. So ist das Land vom Ölexport abhängig, was nicht nur kurzfristiger Preisschwankungen wegen seinen Wohlstand und die soziale Stabilität gefährdet. Als zentrale Strategie zur Überwindung dieses Problems führt das Buch die "Saudi Vision 2030" an, eine im Auftrag des Königshauses von McKinsey ausgearbeitete umfassende Zukunftsvision für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Kronprinz Muhammad Bin Salman (seit 2017) fördert in Zuge dessen etwa die Erwerbstätigkeit von Frauen oder die Diversifizierung der Wirtschaft, aber auch verwegene Megaprojekte wie die geplante "Retortenstadt" NEOM und die 170 Kilometer lange Stadt "The Line". Ob derartige Prestigebauten aber Jahrzehnte verschleppter Reformen kompensieren können, bleibt fraglich. SARA WAGENER
Martin Pabst: Saudi-Arabien verstehen. Geschichte, Religion, Gesellschaft.
Klett-Cotta, Stuttgart 2022, 512 S., 14,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Crashkurs über Saudi-Arabien - mit Lücken
"Saudi-Arabien verstehen" - dieses Versprechen gibt der freischaffende Publizist und Politikwissenschaftler Martin Pabst den Lesern seines gleichnamigen Buchs. Ein solcher Anspruch ist kaum zu erfüllen, auch nicht von den 512 Seiten Text inklusive Anhang, die der Autor vorlegt. Für die Bereiche Geschichte, Politik und Wirtschaft gelingt dem Buch dennoch ein umfangreicher und auch für Laien größtenteils nachvollziehbarer Überblick.
Im Mittelpunkt steht die Dynastie der Familie Saud, über weite Strecken ist die Abhandlung nach den Amtszeiten der ihr entsprungenen Könige gegliedert. Dabei werden mitunter markante Unterschiede zwischen den Herrschern deutlich, etwa zwischen der Neigung zu "Luxus und den Frauen" von König Saud (1953 bis 1964) und dem Spartanismus seines Nachfolgers König Faisal (1964 bis 1975), der stets schlichte Gewänder trug und sich mit "Bruder Faisal" statt "Ihre Majestät" anreden ließ. Die Porträts der Herrscher bleiben dabei differenziert. So verschweigt das Buch nicht, dass Faisal die wahhabitische Weltmission entscheidend ausbaute und die Geheimdienste beauftragte, "nicht nur penibel die Untertanen, sondern auch alle Ausländer inklusive der Mekka-Pilger" zu überwachen.
Während Pabst die gewaltgeprägte Geschichte, politische Spannungen zwischen extrem konservativer wahhabitischer Herrschaftslegitimierung und machtgetriebenen Intrigen in der Königsfamilie sowie die vom Öl-Boom getriebene Wirtschaft Saudi-Arabiens übersichtlich zu vermitteln vermag, bleibt das Bild vom alltäglichen Leben der Bevölkerung abstrakt. Obwohl der Untertitel des Buchs Einblicke in "Geschichte, Religion, Gesellschaft" verspricht, wird vor allem Letztere nur in Teilen betrachtet. Namentlich sind dem Leben saudischer Frauen und der Kunst im Königreich eigene Kapitel gewidmet - die dreizehn restlichen Kapitel drehen sich aber um Machthaber, Wirtschaft und Religion. Selbst grundlegende Daten zur Bevölkerung wie Einwohnerzahl, Lebenserwartung oder Durchschnittseinkommen fehlen.
Infokästen bereichern das Buch um spannende und kuriose Geschichten, die nicht nahtlos in den Aufbau passen. So erfährt der Leser vom Argwohn der Herrscher des 15. und 16. Jahrhunderts gegenüber dem Kaffeegenuss, von europäischen Reisenden, die sich in Mekka zur Kaaba schlichen und Prominenten wie dem Großunternehmer, Waffenhändler und Lebemann Adnan Khashoggi, dem Onkel des 2018 ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi. Auch Osama bin Ladens Familienhintergrund als Sohn der unter anderem durch gigantische Bauprojekte "allgegenwärtigen" Saudi Binladin Group findet in einem solchen Kasten einen Platz.
Zeitlich beginnt die Darstellung vor etwa 120 000 Jahren mit den ältesten menschlichen Funden auf der arabischen Halbinsel, lange vor der Errichtung des heutigen Staats. Die Beschreibung vorislamischer und vorsaudischer Einflüsse gibt dem Leser damit einen reichen Kontext für das Verständnis von Kultur und Geschichtssicht des heutigen Königreichs an die Hand, auch wenn sie in späteren Kapiteln selten explizit aufgegriffen wird. So beschreibt der Autor vorislamische Feindseligkeiten zwischen Arabern und Persern - Araber bezeichneten Perser mit ihrer indoeuropäischen Sprache abschätzig als "die unverständlich Redenden", während die Perser auf eine lange Geschichte von Großreichen zurückblickten und sich den "Heuschreckenfressern" der arabischen Wüste überlegen fühlten - und bereichert damit das Verständnis der heutigen Feindschaft zwischen Saudi-Arabien und Iran.
Pabst bettet das Land und die von seinen Herrschern betriebene Politik außerdem in einen internationalen Kontext ein. So beleuchtet das Buch die immer wieder konfliktgeladene Partnerschaft Saudi-Arabiens mit den USA und die Feindschaft zu Iran. Ebenso geht der Autor auf die intrigante wie stabilisierende Rolle Saudi-Arabiens in den spannungsreichen Beziehungen der Staaten auf der arabischen Halbinsel und in Nordafrika ein. Das ermöglicht besonders dann ein tieferes Verständnis aktueller Debatten und Konflikte, etwa des Jemen-Kriegs und Qatars wachsender internationaler Rolle, wenn vor der Lektüre des Buchs eher oberflächliches Wissen über Saudi-Arabien bestand.
Gleichzeitig bleiben gerade in diesen Passagen die Motive der handelnden Akteure teils unklar. In den Beschreibungen der Gründung des modernen Staats 1932 und der beiden Vorgängerregime unter saudischer Herrschaft (1744 bis 1818 und 1824 bis 1891) etwa werden viele andere Machthaber, Herrschaftsfamilien, Stämme, Islamströmungen und damalige Staaten ohne nähere Einordnung erwähnt. Auch wenn Pabst eine nuancierte Darstellung der Interessenkonflikte und Akteurskonstellationen gelingt, wäre eine pointiertere Zusammenfassung der großen historischen Linien hilfreich.
Demgegenüber hat der Autor klar die Herausforderungen herausgearbeitet, vor denen Saudi-Arabien aktuell steht. So ist das Land vom Ölexport abhängig, was nicht nur kurzfristiger Preisschwankungen wegen seinen Wohlstand und die soziale Stabilität gefährdet. Als zentrale Strategie zur Überwindung dieses Problems führt das Buch die "Saudi Vision 2030" an, eine im Auftrag des Königshauses von McKinsey ausgearbeitete umfassende Zukunftsvision für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Kronprinz Muhammad Bin Salman (seit 2017) fördert in Zuge dessen etwa die Erwerbstätigkeit von Frauen oder die Diversifizierung der Wirtschaft, aber auch verwegene Megaprojekte wie die geplante "Retortenstadt" NEOM und die 170 Kilometer lange Stadt "The Line". Ob derartige Prestigebauten aber Jahrzehnte verschleppter Reformen kompensieren können, bleibt fraglich. SARA WAGENER
Martin Pabst: Saudi-Arabien verstehen. Geschichte, Religion, Gesellschaft.
Klett-Cotta, Stuttgart 2022, 512 S., 14,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Sara Wagner ist zwiegespalten angesichts des Buches, das der Politikwissenschaftler Martin Pabst über Saudi-Arabien vorlegt. Einerseits bietet der Autor einen lesbaren Überblick über Geschichte, Politik und Wirtschaft des Landes und über das Herrscherhaus Saud, meint sie, andererseits bleibt er mitunter allzu ausschnitthaft und informiert den Leser nicht einmal über Basisdaten wie Einwohnerzahl und Einkommen. Die Infokästen mit Aufschlussreichem und Kuriosem findet Wagner allerdings bereichernd. Auch die Kontextualisierung des Landes in die Weltgeschichte gelingt überzeugend, meint sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Mit 'Saudi-Arabien verstehen' gelingt dem Autor in sehr detailreicher Akribie, aber dennoch für Laien verständlich, ein sehr lesenswertes Überblickswerk« Fabian Schmidmeier, Politicus - Das Magazin für Politik und Gesellschaft, September 2023 Fabian Schmidmeier Politicus - Das Magazin für Politik und Gesellschaft 20230901
Im Mittelpunkt die Monarchen
Ein Crashkurs über Saudi-Arabien - mit Lücken
"Saudi-Arabien verstehen" - dieses Versprechen gibt der freischaffende Publizist und Politikwissenschaftler Martin Pabst den Lesern seines gleichnamigen Buchs. Ein solcher Anspruch ist kaum zu erfüllen, auch nicht von den 512 Seiten Text inklusive Anhang, die der Autor vorlegt. Für die Bereiche Geschichte, Politik und Wirtschaft gelingt dem Buch dennoch ein umfangreicher und auch für Laien größtenteils nachvollziehbarer Überblick.
Im Mittelpunkt steht die Dynastie der Familie Saud, über weite Strecken ist die Abhandlung nach den Amtszeiten der ihr entsprungenen Könige gegliedert. Dabei werden mitunter markante Unterschiede zwischen den Herrschern deutlich, etwa zwischen der Neigung zu "Luxus und den Frauen" von König Saud (1953 bis 1964) und dem Spartanismus seines Nachfolgers König Faisal (1964 bis 1975), der stets schlichte Gewänder trug und sich mit "Bruder Faisal" statt "Ihre Majestät" anreden ließ. Die Porträts der Herrscher bleiben dabei differenziert. So verschweigt das Buch nicht, dass Faisal die wahhabitische Weltmission entscheidend ausbaute und die Geheimdienste beauftragte, "nicht nur penibel die Untertanen, sondern auch alle Ausländer inklusive der Mekka-Pilger" zu überwachen.
Während Pabst die gewaltgeprägte Geschichte, politische Spannungen zwischen extrem konservativer wahhabitischer Herrschaftslegitimierung und machtgetriebenen Intrigen in der Königsfamilie sowie die vom Öl-Boom getriebene Wirtschaft Saudi-Arabiens übersichtlich zu vermitteln vermag, bleibt das Bild vom alltäglichen Leben der Bevölkerung abstrakt. Obwohl der Untertitel des Buchs Einblicke in "Geschichte, Religion, Gesellschaft" verspricht, wird vor allem Letztere nur in Teilen betrachtet. Namentlich sind dem Leben saudischer Frauen und der Kunst im Königreich eigene Kapitel gewidmet - die dreizehn restlichen Kapitel drehen sich aber um Machthaber, Wirtschaft und Religion. Selbst grundlegende Daten zur Bevölkerung wie Einwohnerzahl, Lebenserwartung oder Durchschnittseinkommen fehlen.
Infokästen bereichern das Buch um spannende und kuriose Geschichten, die nicht nahtlos in den Aufbau passen. So erfährt der Leser vom Argwohn der Herrscher des 15. und 16. Jahrhunderts gegenüber dem Kaffeegenuss, von europäischen Reisenden, die sich in Mekka zur Kaaba schlichen und Prominenten wie dem Großunternehmer, Waffenhändler und Lebemann Adnan Khashoggi, dem Onkel des 2018 ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi. Auch Osama bin Ladens Familienhintergrund als Sohn der unter anderem durch gigantische Bauprojekte "allgegenwärtigen" Saudi Binladin Group findet in einem solchen Kasten einen Platz.
Zeitlich beginnt die Darstellung vor etwa 120 000 Jahren mit den ältesten menschlichen Funden auf der arabischen Halbinsel, lange vor der Errichtung des heutigen Staats. Die Beschreibung vorislamischer und vorsaudischer Einflüsse gibt dem Leser damit einen reichen Kontext für das Verständnis von Kultur und Geschichtssicht des heutigen Königreichs an die Hand, auch wenn sie in späteren Kapiteln selten explizit aufgegriffen wird. So beschreibt der Autor vorislamische Feindseligkeiten zwischen Arabern und Persern - Araber bezeichneten Perser mit ihrer indoeuropäischen Sprache abschätzig als "die unverständlich Redenden", während die Perser auf eine lange Geschichte von Großreichen zurückblickten und sich den "Heuschreckenfressern" der arabischen Wüste überlegen fühlten - und bereichert damit das Verständnis der heutigen Feindschaft zwischen Saudi-Arabien und Iran.
Pabst bettet das Land und die von seinen Herrschern betriebene Politik außerdem in einen internationalen Kontext ein. So beleuchtet das Buch die immer wieder konfliktgeladene Partnerschaft Saudi-Arabiens mit den USA und die Feindschaft zu Iran. Ebenso geht der Autor auf die intrigante wie stabilisierende Rolle Saudi-Arabiens in den spannungsreichen Beziehungen der Staaten auf der arabischen Halbinsel und in Nordafrika ein. Das ermöglicht besonders dann ein tieferes Verständnis aktueller Debatten und Konflikte, etwa des Jemen-Kriegs und Qatars wachsender internationaler Rolle, wenn vor der Lektüre des Buchs eher oberflächliches Wissen über Saudi-Arabien bestand.
Gleichzeitig bleiben gerade in diesen Passagen die Motive der handelnden Akteure teils unklar. In den Beschreibungen der Gründung des modernen Staats 1932 und der beiden Vorgängerregime unter saudischer Herrschaft (1744 bis 1818 und 1824 bis 1891) etwa werden viele andere Machthaber, Herrschaftsfamilien, Stämme, Islamströmungen und damalige Staaten ohne nähere Einordnung erwähnt. Auch wenn Pabst eine nuancierte Darstellung der Interessenkonflikte und Akteurskonstellationen gelingt, wäre eine pointiertere Zusammenfassung der großen historischen Linien hilfreich.
Demgegenüber hat der Autor klar die Herausforderungen herausgearbeitet, vor denen Saudi-Arabien aktuell steht. So ist das Land vom Ölexport abhängig, was nicht nur kurzfristiger Preisschwankungen wegen seinen Wohlstand und die soziale Stabilität gefährdet. Als zentrale Strategie zur Überwindung dieses Problems führt das Buch die "Saudi Vision 2030" an, eine im Auftrag des Königshauses von McKinsey ausgearbeitete umfassende Zukunftsvision für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Kronprinz Muhammad Bin Salman (seit 2017) fördert in Zuge dessen etwa die Erwerbstätigkeit von Frauen oder die Diversifizierung der Wirtschaft, aber auch verwegene Megaprojekte wie die geplante "Retortenstadt" NEOM und die 170 Kilometer lange Stadt "The Line". Ob derartige Prestigebauten aber Jahrzehnte verschleppter Reformen kompensieren können, bleibt fraglich. SARA WAGENER
Martin Pabst: Saudi-Arabien verstehen. Geschichte, Religion, Gesellschaft.
Klett-Cotta, Stuttgart 2022, 512 S., 14,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Crashkurs über Saudi-Arabien - mit Lücken
"Saudi-Arabien verstehen" - dieses Versprechen gibt der freischaffende Publizist und Politikwissenschaftler Martin Pabst den Lesern seines gleichnamigen Buchs. Ein solcher Anspruch ist kaum zu erfüllen, auch nicht von den 512 Seiten Text inklusive Anhang, die der Autor vorlegt. Für die Bereiche Geschichte, Politik und Wirtschaft gelingt dem Buch dennoch ein umfangreicher und auch für Laien größtenteils nachvollziehbarer Überblick.
Im Mittelpunkt steht die Dynastie der Familie Saud, über weite Strecken ist die Abhandlung nach den Amtszeiten der ihr entsprungenen Könige gegliedert. Dabei werden mitunter markante Unterschiede zwischen den Herrschern deutlich, etwa zwischen der Neigung zu "Luxus und den Frauen" von König Saud (1953 bis 1964) und dem Spartanismus seines Nachfolgers König Faisal (1964 bis 1975), der stets schlichte Gewänder trug und sich mit "Bruder Faisal" statt "Ihre Majestät" anreden ließ. Die Porträts der Herrscher bleiben dabei differenziert. So verschweigt das Buch nicht, dass Faisal die wahhabitische Weltmission entscheidend ausbaute und die Geheimdienste beauftragte, "nicht nur penibel die Untertanen, sondern auch alle Ausländer inklusive der Mekka-Pilger" zu überwachen.
Während Pabst die gewaltgeprägte Geschichte, politische Spannungen zwischen extrem konservativer wahhabitischer Herrschaftslegitimierung und machtgetriebenen Intrigen in der Königsfamilie sowie die vom Öl-Boom getriebene Wirtschaft Saudi-Arabiens übersichtlich zu vermitteln vermag, bleibt das Bild vom alltäglichen Leben der Bevölkerung abstrakt. Obwohl der Untertitel des Buchs Einblicke in "Geschichte, Religion, Gesellschaft" verspricht, wird vor allem Letztere nur in Teilen betrachtet. Namentlich sind dem Leben saudischer Frauen und der Kunst im Königreich eigene Kapitel gewidmet - die dreizehn restlichen Kapitel drehen sich aber um Machthaber, Wirtschaft und Religion. Selbst grundlegende Daten zur Bevölkerung wie Einwohnerzahl, Lebenserwartung oder Durchschnittseinkommen fehlen.
Infokästen bereichern das Buch um spannende und kuriose Geschichten, die nicht nahtlos in den Aufbau passen. So erfährt der Leser vom Argwohn der Herrscher des 15. und 16. Jahrhunderts gegenüber dem Kaffeegenuss, von europäischen Reisenden, die sich in Mekka zur Kaaba schlichen und Prominenten wie dem Großunternehmer, Waffenhändler und Lebemann Adnan Khashoggi, dem Onkel des 2018 ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi. Auch Osama bin Ladens Familienhintergrund als Sohn der unter anderem durch gigantische Bauprojekte "allgegenwärtigen" Saudi Binladin Group findet in einem solchen Kasten einen Platz.
Zeitlich beginnt die Darstellung vor etwa 120 000 Jahren mit den ältesten menschlichen Funden auf der arabischen Halbinsel, lange vor der Errichtung des heutigen Staats. Die Beschreibung vorislamischer und vorsaudischer Einflüsse gibt dem Leser damit einen reichen Kontext für das Verständnis von Kultur und Geschichtssicht des heutigen Königreichs an die Hand, auch wenn sie in späteren Kapiteln selten explizit aufgegriffen wird. So beschreibt der Autor vorislamische Feindseligkeiten zwischen Arabern und Persern - Araber bezeichneten Perser mit ihrer indoeuropäischen Sprache abschätzig als "die unverständlich Redenden", während die Perser auf eine lange Geschichte von Großreichen zurückblickten und sich den "Heuschreckenfressern" der arabischen Wüste überlegen fühlten - und bereichert damit das Verständnis der heutigen Feindschaft zwischen Saudi-Arabien und Iran.
Pabst bettet das Land und die von seinen Herrschern betriebene Politik außerdem in einen internationalen Kontext ein. So beleuchtet das Buch die immer wieder konfliktgeladene Partnerschaft Saudi-Arabiens mit den USA und die Feindschaft zu Iran. Ebenso geht der Autor auf die intrigante wie stabilisierende Rolle Saudi-Arabiens in den spannungsreichen Beziehungen der Staaten auf der arabischen Halbinsel und in Nordafrika ein. Das ermöglicht besonders dann ein tieferes Verständnis aktueller Debatten und Konflikte, etwa des Jemen-Kriegs und Qatars wachsender internationaler Rolle, wenn vor der Lektüre des Buchs eher oberflächliches Wissen über Saudi-Arabien bestand.
Gleichzeitig bleiben gerade in diesen Passagen die Motive der handelnden Akteure teils unklar. In den Beschreibungen der Gründung des modernen Staats 1932 und der beiden Vorgängerregime unter saudischer Herrschaft (1744 bis 1818 und 1824 bis 1891) etwa werden viele andere Machthaber, Herrschaftsfamilien, Stämme, Islamströmungen und damalige Staaten ohne nähere Einordnung erwähnt. Auch wenn Pabst eine nuancierte Darstellung der Interessenkonflikte und Akteurskonstellationen gelingt, wäre eine pointiertere Zusammenfassung der großen historischen Linien hilfreich.
Demgegenüber hat der Autor klar die Herausforderungen herausgearbeitet, vor denen Saudi-Arabien aktuell steht. So ist das Land vom Ölexport abhängig, was nicht nur kurzfristiger Preisschwankungen wegen seinen Wohlstand und die soziale Stabilität gefährdet. Als zentrale Strategie zur Überwindung dieses Problems führt das Buch die "Saudi Vision 2030" an, eine im Auftrag des Königshauses von McKinsey ausgearbeitete umfassende Zukunftsvision für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Kronprinz Muhammad Bin Salman (seit 2017) fördert in Zuge dessen etwa die Erwerbstätigkeit von Frauen oder die Diversifizierung der Wirtschaft, aber auch verwegene Megaprojekte wie die geplante "Retortenstadt" NEOM und die 170 Kilometer lange Stadt "The Line". Ob derartige Prestigebauten aber Jahrzehnte verschleppter Reformen kompensieren können, bleibt fraglich. SARA WAGENER
Martin Pabst: Saudi-Arabien verstehen. Geschichte, Religion, Gesellschaft.
Klett-Cotta, Stuttgart 2022, 512 S., 14,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main