Lebensmittelskandale, EU-Subventionen, Massentierhaltung: Die Landwirtschaft ist in Verruf geraten. Bauern werden als engstirnige Hinterwäldler abgestempelt oder geraten als rücksichtslose Naturräuber in Verruf. Doch was steckt wirklich hinter der Legende vom gierigen Bauern? Wer melkt unsere Kühe, erntet unser Getreide und pflückt unsere Äpfel? Wie kann es sein, dass 500 Gramm Katzenfutter mehr kosten als ein ganzes Huhn? Und hat eigentlich jemals einer von uns »mündigen Verbrauchern« mit einem Bauern darüber gesprochen? Lassen wir ihn doch einfach selbst zu Wort kommen: Wutbauer Willi schreibt über faire Preise, gesundes Essen und erklärt, wo der Bauer Urlaub macht, wenn wir Urlaub auf dem Bauernhof machen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.02.2016Zu billig
Von Aldi bis Verbraucher: Bauer Willi klagt an
Bauern und Verbraucher: die Beziehung sei für ihn wie eine "gescheiterte Ehe". Soll heißen: Wo früher etwas gewesen sei, das beide für Liebe hielten, gebe es nur noch Wut und Beschimpfungen. So sieht es Bauer Willi. Es stimmt auf jeden Fall, wenn man die Welt durch den Misthaufen der Internetforen wahrnimmt. Da gibt es nur noch Gift zwischen Bauern-Bloggern und Agrarindustrie-Gegnern. Es ist in dieser Gemengelage ungewöhnlich, dass sich ein Bauer in Buchform zu Wort meldet. Aber was hat er zu sagen, der Bauer? Und ist er überhaupt einer? Er verfolgt über weite Strecken anscheinend die Absicht, dass die Leser ihn wieder gernhaben. Der Inhalt ist so harmoniebemüht wie der Titel motzig. Den Schulterschluss versucht Willi etwa, indem er den Leuten vorrechnet, wie viel ein moderner Bauer heute erntet und wie wenig es in früheren Zeiten war, als man sich sozusagen seine Tiefkühlpizza noch aus dem eigenen Garten hatte zusammenbasteln müssen.
Bauern und Verbraucher, suggeriert Willi sinngemäß, wollten doch eigentlich beide dasselbe: dass es den Bauern und der Natur gutgehe und die Lebensmittel gut statt billig seien. Jedenfalls wird dem Leser nun ein anderer Sündenbock für die umstrittene Billigagronomie angeboten: die globalen Konzerne wie Monsanto und Nestlé. Und der Discounthandel mit Aldi, Lidl oder Norma.
Wer ist Bauer Willi? Der promovierte Nebenerwerbslandwirt Willi Kremer-Schillings, 62 Jahre alt, bewirtschaftet im Rheinland 40 Hektar mit Weizen. Sein Bauernhof aber hat ihm im Großteil seines Lebens nicht zum Haupterwerb gedient. Das Geld verdiente er als Angestellter in der Industrie, die er im Buch des Geldscheffelns auf Kosten der Bauern bezichtigt. Sei es drum. Willi als Bauer verwendet nun, wie die meisten Bauern, Pestizide und Mineraldünger, die von Grünen und Umweltaktivisten bekanntlich nicht geliebt werden. Er eignet sich also so gesehen nicht als Symbol für eine, um die Sprache der Kritik zu bemühen, kapitalistische Gen-Agroindustrie, weil er einen kleinen Hof hat, aber er ist ein konventioneller Bauer. Er ist eloquent und fernsehtauglich - so jemanden wünscht sich der Bauernverband schon lange. Zweimal trat er groß in Erscheinung: Er hielt im Fernsehen, bei Günther Jauch, der Grünen Renate Künast stand, und er schrieb in seinem Blog einen Wutbrief an die stets billig einkaufenden Verbraucher: "Du hast keine Ahnung und davon ganz viel." Der Brief wurde bei Facebook viel gelesen.
Der Brief war unterhaltsam und herrlich anarchisch. Ein Buch ist natürlich viel länger. Also geht es nicht mehr nur um Verbraucherbeschimpfung, sondern um alles. Bauer Willi erklärt detailreich seinen Kleinbetrieb, macht Rechnungen auf, er stellt seine Nachbarschaft vor, schreibt über die globalen Agrarbörsen, die neolithische Revolution, diskutiert die Qualität der Tierhaltung und all die anderen großen Themen: Pestizide, Gentechnik, Aldi, Lidl, die Nichtregierungsorganisationen.
Andererseits ist Willi der Wahnsinn abhandengekommen. Seine Absicht ist die Versöhnung mit dem Verbraucher, der eben noch beschimpft wurde. Aber es ist eben etwas billig, zu behaupten, dass sich "andere" die Taschen vollmachten, ohne das zu belegen. Das Buch leidet darunter, dass sich Bauer Willi nicht angreifbar machen will. Dadurch wird es angreifbar. Er stellt Bauern, die in Biogas investiert haben, wofür die Förderungen sinken, nur als Opfer der Politik dar - dabei spülte das EEG-Gesetz den Ackerbauern Millionen auf die Konten und trieb die Preise für die Landpacht in ungekannte Höhen. Die schönen neuen Kuhställe werden erwähnt, als Kontrast die schrecklichen Schweineställe aus Großmutters Zeiten auch - unschöne moderne Ställe nicht. Ein Gewinn sind Stellen, wo der Duktus der Selbstrechtfertigung einem ehrlichen Blick Platz macht: "Und dass man beim durch Bayer und BASF finanzierten Plausch auch so manche Werbeveranstaltung über sich ergehen lassen muss, daran haben wir modernen Landwirte uns inzwischen gewöhnt. Aber ein Arzt verschreibt schließlich auch nicht automatisch mehr Fußpilzsalbe, nur weil der Hersteller ihn nach Mallorca eingeladen hat." Nein - tut er das nicht?
JAN GROSSARTH
Willi Kremer-Schillings: Sauerei! Piper Paperback, München 2016, 336 Seiten, 14,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von Aldi bis Verbraucher: Bauer Willi klagt an
Bauern und Verbraucher: die Beziehung sei für ihn wie eine "gescheiterte Ehe". Soll heißen: Wo früher etwas gewesen sei, das beide für Liebe hielten, gebe es nur noch Wut und Beschimpfungen. So sieht es Bauer Willi. Es stimmt auf jeden Fall, wenn man die Welt durch den Misthaufen der Internetforen wahrnimmt. Da gibt es nur noch Gift zwischen Bauern-Bloggern und Agrarindustrie-Gegnern. Es ist in dieser Gemengelage ungewöhnlich, dass sich ein Bauer in Buchform zu Wort meldet. Aber was hat er zu sagen, der Bauer? Und ist er überhaupt einer? Er verfolgt über weite Strecken anscheinend die Absicht, dass die Leser ihn wieder gernhaben. Der Inhalt ist so harmoniebemüht wie der Titel motzig. Den Schulterschluss versucht Willi etwa, indem er den Leuten vorrechnet, wie viel ein moderner Bauer heute erntet und wie wenig es in früheren Zeiten war, als man sich sozusagen seine Tiefkühlpizza noch aus dem eigenen Garten hatte zusammenbasteln müssen.
Bauern und Verbraucher, suggeriert Willi sinngemäß, wollten doch eigentlich beide dasselbe: dass es den Bauern und der Natur gutgehe und die Lebensmittel gut statt billig seien. Jedenfalls wird dem Leser nun ein anderer Sündenbock für die umstrittene Billigagronomie angeboten: die globalen Konzerne wie Monsanto und Nestlé. Und der Discounthandel mit Aldi, Lidl oder Norma.
Wer ist Bauer Willi? Der promovierte Nebenerwerbslandwirt Willi Kremer-Schillings, 62 Jahre alt, bewirtschaftet im Rheinland 40 Hektar mit Weizen. Sein Bauernhof aber hat ihm im Großteil seines Lebens nicht zum Haupterwerb gedient. Das Geld verdiente er als Angestellter in der Industrie, die er im Buch des Geldscheffelns auf Kosten der Bauern bezichtigt. Sei es drum. Willi als Bauer verwendet nun, wie die meisten Bauern, Pestizide und Mineraldünger, die von Grünen und Umweltaktivisten bekanntlich nicht geliebt werden. Er eignet sich also so gesehen nicht als Symbol für eine, um die Sprache der Kritik zu bemühen, kapitalistische Gen-Agroindustrie, weil er einen kleinen Hof hat, aber er ist ein konventioneller Bauer. Er ist eloquent und fernsehtauglich - so jemanden wünscht sich der Bauernverband schon lange. Zweimal trat er groß in Erscheinung: Er hielt im Fernsehen, bei Günther Jauch, der Grünen Renate Künast stand, und er schrieb in seinem Blog einen Wutbrief an die stets billig einkaufenden Verbraucher: "Du hast keine Ahnung und davon ganz viel." Der Brief wurde bei Facebook viel gelesen.
Der Brief war unterhaltsam und herrlich anarchisch. Ein Buch ist natürlich viel länger. Also geht es nicht mehr nur um Verbraucherbeschimpfung, sondern um alles. Bauer Willi erklärt detailreich seinen Kleinbetrieb, macht Rechnungen auf, er stellt seine Nachbarschaft vor, schreibt über die globalen Agrarbörsen, die neolithische Revolution, diskutiert die Qualität der Tierhaltung und all die anderen großen Themen: Pestizide, Gentechnik, Aldi, Lidl, die Nichtregierungsorganisationen.
Andererseits ist Willi der Wahnsinn abhandengekommen. Seine Absicht ist die Versöhnung mit dem Verbraucher, der eben noch beschimpft wurde. Aber es ist eben etwas billig, zu behaupten, dass sich "andere" die Taschen vollmachten, ohne das zu belegen. Das Buch leidet darunter, dass sich Bauer Willi nicht angreifbar machen will. Dadurch wird es angreifbar. Er stellt Bauern, die in Biogas investiert haben, wofür die Förderungen sinken, nur als Opfer der Politik dar - dabei spülte das EEG-Gesetz den Ackerbauern Millionen auf die Konten und trieb die Preise für die Landpacht in ungekannte Höhen. Die schönen neuen Kuhställe werden erwähnt, als Kontrast die schrecklichen Schweineställe aus Großmutters Zeiten auch - unschöne moderne Ställe nicht. Ein Gewinn sind Stellen, wo der Duktus der Selbstrechtfertigung einem ehrlichen Blick Platz macht: "Und dass man beim durch Bayer und BASF finanzierten Plausch auch so manche Werbeveranstaltung über sich ergehen lassen muss, daran haben wir modernen Landwirte uns inzwischen gewöhnt. Aber ein Arzt verschreibt schließlich auch nicht automatisch mehr Fußpilzsalbe, nur weil der Hersteller ihn nach Mallorca eingeladen hat." Nein - tut er das nicht?
JAN GROSSARTH
Willi Kremer-Schillings: Sauerei! Piper Paperback, München 2016, 336 Seiten, 14,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Jan Grossarth fühlt sich bei Teilzeitbauer Willi Kremer-Schillings veräppelt. Wenn der Autor seine TV-bekannte Suada über ahnungslose Konsumenten, Gentechnik und die Discounter auf Buchlänge ausdehnt, findet sich Grossarth nicht zurecht. Auf welcher Seite steht der Autor? Will er den Konsumenten erziehen oder nur milde stimmen? Der allumfassende Nichtangriffspakt und die dauernde Selbstrechtfertigung des Autors schmecken dem Rezensenten jedenfalls nicht. Mit Gewinn liest er einzig die Stellen, da Bauer Willi einen ehrlichen Blick auf die Agrarverhältnisse wagt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Regt zum Nachdenken über das eigene Konsumverhalten an.« Stuttgarter Nachrichten 20160917