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Es ist nicht die Heizung, wenn es im Haus "zum Eisernen Zeit" im schweizerischen Münsterburg in den Wänden klopft. Die drei jungen Rechtsanwälte, die als "Trockenwohner" in die nicht geheuere Dachwohnung ziehen, scheinen die Wiedergänger eher anzuziehen, als sie zu vertreiben. Das beginnt mit dem Freiherrn von Sax und seiner tödlichen Schädelwunde - sie ist bis heute an der erhaltenen Mumie zu besichtigen -, aber mit ihm endet es nicht, ja nicht einmal mit dem "Gespenst des Kommunismus" und den bösen Geistern des 19. und 20. Jahrhunderts. Eine Mitgift des Herrn von Sax spukt freilich durch…mehr

Produktbeschreibung
Es ist nicht die Heizung, wenn es im Haus "zum Eisernen Zeit" im schweizerischen Münsterburg in den Wänden klopft. Die drei jungen Rechtsanwälte, die als "Trockenwohner" in die nicht geheuere Dachwohnung ziehen, scheinen die Wiedergänger eher anzuziehen, als sie zu vertreiben. Das beginnt mit dem Freiherrn von Sax und seiner tödlichen Schädelwunde - sie ist bis heute an der erhaltenen Mumie zu besichtigen -, aber mit ihm endet es nicht, ja nicht einmal mit dem "Gespenst des Kommunismus" und den bösen Geistern des 19. und 20. Jahrhunderts. Eine Mitgift des Herrn von Sax spukt freilich durch alle Kapitel dieses Romans: die berühmteste Minnehandschrift des Mittelalters, die er als Kriegsbeute mitgehen ließ. Diese Handschrift lebt. Wer sie öffnet, wird mit Haut und Haar hineingezogen. Das gilt auch für dieses Buch. Mit Figuren wie von Fellini und einer labyrinthischen Architektur bereitet uns der Roman ein ungeheueres Leseerlebnis. Wer den Sehnsüchten, Liebesgeschichten, Plänen und Karrieren von Muschgs Figuren nachforscht und dabei die dünne Wand zwischen den Lebenden und Toten durchstößt, begegnet der Frage, die beide Seiten umtreibt: die nach dem gelebten und dem ungelebten Leben. Spannend, hoch erotisch und visionär: das Leseabenteuer einer Geisterbeschwörung.

Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Adolf Muschg, geboren 1934 in Zollikon (Kanton Zürich), studierte Germanistik, Anglistik und Philosophie in Zürich und zwei Semester in Cambridge. Nach der Promotion 1959 war Muschg zunächst Lehrer an einem mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium in Zürich. Von 1970 bis in die frühen Neunziger Jahre war er Professor für Deutsche Sprache und Literatur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Adolf Muschg ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SPS), und war 1975 Zürcher Ständeratskandidat. Sein politisches Engagement drückt sich auch in der Mitarbeit in der Kommission für die Vorbereitung einer Totalrevision der Schweizerischen Bundesverfassung von 1974 bis 1977 aus. Adolf Muschg wohnt in Männedorf bei Zürich. 1994 wurde er mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet und, 2015 erhielt Adolf Muschg den Schweizer Grand Prix Literatur für sein Gesamtwerk.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2010

Das befriedigt meine Triebe - Gespensterliebe, Gespensterliebe

Reise nach Jerusalem: Von 1968 bis zum Weltuntergang ist es nur ein kleiner Schritt. Adolf Muschg rät in "Sax" einer düsteren Gegenwart zum Eskapismus.

Von Oliver Jungen

In sattgrüner Landschaft thront wunderlich eine rote Truhe, darauf ein Lamm, von Engeln und Menschentrauben umringt: Am Ende von Adolf Muschgs "Spukgeschichte" hat der berühmte Genter Altar Jan van Eycks seinen Auftritt. In die vierte Dimension gebeamt ist das Gemälde, das den Schluss der Johannesapokalypse verbildlicht, und wird so begehbar. Die Protagonisten des Romans haben sich in ihm eingenistet: "Wie sie den Betrachter belauern, diese Betrachteten! Moritz fühlt viele Augen auf sich und zögert, ihren Blick zu erwidern."

Dieses magische Theater - kaum weniger mystisch als bei Hermann Hesse - ist der Höhepunkt eines an Rätselhaftem nicht armen, eines mitunter bildungsbürgerlich protzigen und im Sexuellen ältlich auftrumpfenden, aber doch in der Summe genialischen Intellektuellen-Romans, und es ist zugleich das beste Bild für die ihm eigene Poetik. Tiefenscharf sind die Figuren gezeichnet, aber das in einer Umwelt, die sich immer weniger an Perspektive und Logik hält. Dabei geht es durchaus um das pralle Leben, um Ausschweifung und Verzweiflung, um Bohème und Dekadenz, aber die Auflösung aller Strukturen ist fortgeschritten: Der Atheismus ("Gott glaubt nicht an den Menschen") war nur der Anfang, jetzt stehen Zeit, Raum und Materie in Frage, womit sogar der Tod sein Regiment verliert. Johann Philipp Freiherr von Hohensax, im Jahre 1596 ermordet, spukt durch das Buch und spricht durch mehrere Münder.

Der Schweizer Adelige ist eine historische Figur, berühmt nicht zuletzt, weil er einige Jahre im Besitz der Manessischen Liederhandschrift war. Als totales Kunstwerk, das den Betrachter in sich aufnimmt und aus der Geschichte befreit, erscheint der Codex Manesse bei Muschg. Freiherr von Sax wusste sich tatsächlich dem Verfall zu widersetzen: Bei der Öffnung seines Sarges im achtzehnten Jahrhundert stellte man fest, dass der Leichnam nicht verwest, sondern mumifiziert war.

Den geographischen Mittelpunkt des Romans bildet ein herrschaftliches Haus in Münsterburg - wie bei Keller das fiktionalisierte Zürich -, das ebenjener Freiherr von Sax erworben haben soll, aber erst nach seiner Ermordung als Geist bezog. Bezeichnenderweise trägt es den Namen "zum Eisernen Zeit" und führt doch deren Biegsamkeit vor Augen: Im Innern funktionieren Uhren nicht richtig und die außen angebrachte Sonnenuhr weist zur Nordseite. Zeitweise war es Freudenhaus, dann das Heim des ebenfalls historisch bezeugten Astronomen Caspar Horner, der im neunzehnten Jahrhundert heimlich eine Sternwarte einzubauen versuchte, welche aber aus statischen Gründen verschlossen wurde.

Ein Jahrhundert später gelangte das Haus an die Familie Leu, die unter dem immer noch lebendigen Spuk zerbrach, zumal eine Spiritistin zu den Untoten überlief. Peter Leu - damit beginnt der Roman - vermietet die Dachstuben im Jahre 1970 an ein Anwaltskollektiv, bestehend aus dem ehemaligen Mönch Hubert Achermann, dem Finanzexperten Moritz Asser und dem Draufgänger Jacques Schinz, Sohn eines selbstherrlichen Bankdirektors: drei Achtundsechziger voller Weltverbesserungsenthusiasmus. Von den Geistern lassen sie sich nicht schrecken, sondern betrachten sie emanzipatorisch als ihresgleichen.

Die verschränkten Lebensgeschichten dieser drei Personen bis zum Jahre 2013 bilden das Grundgerüst des Romans, der sich aber immer wieder detailverliebt in Nebenstränge vertieft. Das beschert uns etwa die wunderbare Geschichte des schwerkranken und durch ein Windelpatent - Muschgs Humor hat eine derbe Seite - wohlhabenden Unternehmers Reinhold Dörig, der Achermann beauftragt, gegen die Präambel der Schweizerischen Bundesverfassung "Im Namen Gottes des Allmächtigen!" juristisch vorzugehen: "Dass sie die Rute spüren, die Pharisäer und Heuchler."

Ein eidgenössischer Fluch scheint indes auf den halbherzigen Revoluzzern zu lasten: Ihr Antikapitalismus schützt sie vor Reichtum nicht. Millionen fließen ihnen zu und lassen die Entfremdung wachsen. Moritz wird gar zum schlimmsten aller Finanzhaie, der sich kurz vor der Finanzkrise angeekelt aus der "erbarmungslosesten Ökonomie auf dem Globus" zurückzieht. Jacques, der als Kind die todkranke Mutter beschlafen und später dem Vater die Geliebten ausgespannt hat, zieht ältere, reiche Klientinnen an, bis irgendwann alles daniederliegt, das lukrative Geschäftsmodell, die akademischen Pläne, sein Liebesleben: "Er gehörte nicht mehr dazu, aber auch im Haus ,zur Eisernen Zeit' ging er um wie ein unerlöster Geist." Und doch wird er als Erster erlöst, stirbt aufgrund schwachen Herzens bei einer Orgie mit philippinischen Prostituierten. Diese waren ihm in Dankbarkeit zugetan, denn er hatte seine letzte Bestimmung darin gefunden, ihre Wünsche zu erfüllen.

Hubert spürt die Vereinsamung am schmerzlichsten. Er bezieht Horners Sternwarte, einen Wunderraum, dessen Innenmaße viel größer sind, als von außen möglich scheint, und der zum abgründigen Philosophieren verführt: "Denn Glück ist an Körper gebunden; wie könnte es vollkommen sein, solange wir am Körper leiden." Nicht auszudenken aber sei, was geschehe, wenn die "Grenze zwischen Innen und Außen" zusammenstürze: "Eine alles vernichtende Kernschmelze? Eine Explosion von Glück?" Auf diese letzte Flucht scheint alles anzukommen: So vermählt sich Hubert geschlechtlich mit Adriana, der vor vierhundert Jahren gestorbenen Gattin des Freiherrn von Sax, und zwar in gegenseitiger Er- und Auflösung.

Muschgs pessimistische Phantasmagorie, durch die eine Eiseskälte weht und welche die Liebe nur als unerfüllte oder mechanische kennt ("Auch eine Lilie duftet, weil sie bestäubt und befruchtet werden will"), bietet immer wieder die allegorische Lesart an. Dann bezöge sich die Handlung auf die Verlorenheit der trotzig Neutralität mimenden Schweiz - Muschgs altes Thema. Die Vaterländische Partei, welche der Meinung ist, die EU solle eher der Schweiz beitreten denn umgekehrt, ist im Buch auf dem Vormarsch. Sidonie Wirz, mit der Hubert einen Sohn namens Salomon hat, weiß Geld und Einfluss so einzusetzen, dass sie schließlich für die Vaterländischen zur Bundesrätin gewählt wird. Als aber die Medien über sie herfallen, übernimmt den Posten ihr Mentor Melchior Schiess, der erkennbar nach dem Bilde Christoph Blochers modelliert ist, des rechtspopulistischen Vizepräsidenten der Schweizerischen Volkspartei und Intimfeindes des Autors.

Doch das Thema dieses voluminösen Buches ist freilich viel weiter gespannt: eine Abrechnung mit der Moderne und ihrem atomisierenden Individualismus. Das Kollektive hat keine Fürsprecher mehr, weder in Religion noch in Politik oder Kunst. Doch kehrt die gemeinschaftliche Dimension hier mit Macht zurück. Schon die in ihrer Liebe zu Jacques nicht erhörte Chefsekretärin Marybel hat das Internet für sich entdeckt, aber erst Salomon, der Autist und irgendwie auch Tempelbauer, entwickelt das vierdimensionale Theater, in dem zahlreiche Teilnehmer die "Ökolypse" erleben: die Allverbundenheit im Moment der Zusammenballung aller kosmischen Materie. Romantik pur.

Während echte Feuersbrünste und animierte Sintfluten die Schauplätze heimsuchen, entfliehen die Versehrten dem euklidischen Raum, tauchen kopfüber in Wurmlöcher ein, die keineswegs erst Albert Einstein entdeckt hat, sondern die Dichter am Anbeginn der Zeit: "Mensch, wag doch mal, dich im Jenseits der Zeit anzusiedeln." Ein Klopfen aus der Vergangenheit hält zuletzt die große Annihilation auf: Freiherr von Hohensax ist diesmal noch rechtzeitig gekommen. Und so endet dieser philosophisch anspruchsvolle, sprachlich elegante und inhaltlich selbst aus der Zeit gefallene Roman Adolf Muschgs mit dem Einzug ins neue, virtuelle Jerusalem.

Adolf Muschg: "Sax". Roman. C. H. Beck Verlag, München 2010. 460 S., geb., 22,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Als "Abgesang auf die Moderne" und "postmodernes Gespenstermärchen" würdigt Roman Bucheli den neuen Roman von Adolf Muschg, der ihn leicht ratlos zurückgelassen hat. Bei "Sax" den Durchblick zu wahren, hält er für eine echte Herausforderung, handelt es sich doch um eine überbordende Mischung aus Grimmelshausen, "Faust", Gottfried Keller, Spukgeschichten, Science-Fiction, politische Belehrung und Selbstparodie, in der zunehmend unklarer wird, "was wahr ist und wirklich, was virtuell und was gespenstisch irreal". Das Verwischen sämtlicher Grenzen scheint ihm dann auch das Thema des Romans zu sein und zugleich die Methode seines Erzählens. Die Frage, was das Werk im Innersten zusammenhält, lässt sich nach Ansicht von Bucheli nicht leicht beantworten, vielleicht am ehesten das mysteriöse Spukhaus "zum Eisernen Zeit". "Dass dieses Buch sich selbst - und um wie viel mehr den Lesern - ein Rätsel bleibt", resümiert der Rezensent freundlich, "ist vielleicht das Schönste, was man von ihm sagen kann".

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