Kogito ist verletzt - ein Gewaltakt hat ihn aus der Bahn geworfen. In schlaflosen Nächten und den Gesprächen mit seinem Freund Shigeru lässt er sein Leben Revue passieren. Fragen nach seiner schriftstellerischen Identität kommen auf, Erinnerungen an seine Kindheit, an das Haus in den Bergen und an die Großmutter, die ihm die Geschichten der Gegend erzählte. Kogito steht am Ende seines Lebens, wäre es nicht an der Zeit, mit dem Schreiben aufzuhören, sich von den eigenen wie von den fremden Büchern zu verabschieden? 'Sayonara, meine Bücher' beleuchtet auf bewegende Weise den Werdegang eines der bedeutendsten Schriftsteller unserer Zeit und ist zugleich eine anregende und überraschende Hommage an die Welt der Bücher.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2008Ich auf Japanisch
Kenzaburô Oe liest im Literaturhaus Frankfurt
Er würde gerne Wissenschaftler anstellen, die ein Gerät erfinden, mit dem man alle Mobiltelefone in einem Umkreis von fünf Kilometern zum Schweigen bringen könnte. Er ist der Meinung, die japanische Kultur steuere auf die schlechtesten Zeiten zu, die sie je gekannt habe. Von den Handy-Romanen, die in seiner Heimat immer populärer werden, hält er wenig. Kenzaburô Oe hatte eine gehörige Portion Kulturpessimismus mit in das Literaturhaus Frankfurt gebracht. An die Schöne Aussicht gekommen war der Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 1994, um seinen neuen Roman "Sayonara, meine Bücher" vorzustellen. In Japan ist er vor drei Jahren erschienen, nun hat ihn der S. Fischer Verlag auf Deutsch herausgebracht.
Birgitta Assheuer las Passagen aus Nora Bierichs Übertragung ins Deutsche, zwischendurch offenbarte Kenzaburô Oe im Gespräch mit Fischer-Lektor Hans-Jürgen Balmes und Übersetzerin Heike Patzschke die künstlerisch produktivere Kehrseite seiner ein wenig starren Gegenwartsabstinenz - eine radikale Skepsis gegenüber jeglicher festgefügten Idee, was das sei, ein Ich, ein Bewusstsein, ein Autor, ein Werk oder eine Stimme. In "Sayonara, meine Bücher" gerät der autornahe und dem Leser schon aus "Tagame. Berlin - Tokyo" bekannte Protagonist Kogito ohne sein Zutun in ein Gewaltverbrechen, wird verletzt und denkt während seiner mühsamen Rekonvaleszenz über sein Leben und seine Bücher nach.
Aus dieser Situation entwickelt der 1935 auf der Insel Shikoku geborene Schriftsteller ein Spiel des vielstimmigen Erzählens, das er gerne aufführt, seit er sich im Japan der Nachkriegszeit mit westlichen Klassikern von Dostojewski über T. S. Eliot bis Beckett beschäftigt hat. Wie bei einem "in seinen Farbschichten verrutschten Farbdruck", heißt es im neuen Roman, scheint hinter dem Ich Kogitos allmählich ein anderes, jüngeres Ich auf, das die Romane, die Kogito geschrieben haben wird, noch nicht oder gar nicht geschrieben hat. Metapoetische Prosa, die langsam entsteht. "Wenn ich einen Roman geschrieben habe, verwende ich sehr viel Zeit darauf, ihn umzuschreiben", sagt der Autor. "So wird aus einem Roman, der eigentlich in der Ich-Form erzählt wird, ein Roman, von dem man den Eindruck hat, dass zwei Personen erzählen." Der Roman, an dem Kenzaburô Oe augenblicklich arbeitet, soll der letzte sein - wieder einmal.
FLORIAN BALKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kenzaburô Oe liest im Literaturhaus Frankfurt
Er würde gerne Wissenschaftler anstellen, die ein Gerät erfinden, mit dem man alle Mobiltelefone in einem Umkreis von fünf Kilometern zum Schweigen bringen könnte. Er ist der Meinung, die japanische Kultur steuere auf die schlechtesten Zeiten zu, die sie je gekannt habe. Von den Handy-Romanen, die in seiner Heimat immer populärer werden, hält er wenig. Kenzaburô Oe hatte eine gehörige Portion Kulturpessimismus mit in das Literaturhaus Frankfurt gebracht. An die Schöne Aussicht gekommen war der Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 1994, um seinen neuen Roman "Sayonara, meine Bücher" vorzustellen. In Japan ist er vor drei Jahren erschienen, nun hat ihn der S. Fischer Verlag auf Deutsch herausgebracht.
Birgitta Assheuer las Passagen aus Nora Bierichs Übertragung ins Deutsche, zwischendurch offenbarte Kenzaburô Oe im Gespräch mit Fischer-Lektor Hans-Jürgen Balmes und Übersetzerin Heike Patzschke die künstlerisch produktivere Kehrseite seiner ein wenig starren Gegenwartsabstinenz - eine radikale Skepsis gegenüber jeglicher festgefügten Idee, was das sei, ein Ich, ein Bewusstsein, ein Autor, ein Werk oder eine Stimme. In "Sayonara, meine Bücher" gerät der autornahe und dem Leser schon aus "Tagame. Berlin - Tokyo" bekannte Protagonist Kogito ohne sein Zutun in ein Gewaltverbrechen, wird verletzt und denkt während seiner mühsamen Rekonvaleszenz über sein Leben und seine Bücher nach.
Aus dieser Situation entwickelt der 1935 auf der Insel Shikoku geborene Schriftsteller ein Spiel des vielstimmigen Erzählens, das er gerne aufführt, seit er sich im Japan der Nachkriegszeit mit westlichen Klassikern von Dostojewski über T. S. Eliot bis Beckett beschäftigt hat. Wie bei einem "in seinen Farbschichten verrutschten Farbdruck", heißt es im neuen Roman, scheint hinter dem Ich Kogitos allmählich ein anderes, jüngeres Ich auf, das die Romane, die Kogito geschrieben haben wird, noch nicht oder gar nicht geschrieben hat. Metapoetische Prosa, die langsam entsteht. "Wenn ich einen Roman geschrieben habe, verwende ich sehr viel Zeit darauf, ihn umzuschreiben", sagt der Autor. "So wird aus einem Roman, der eigentlich in der Ich-Form erzählt wird, ein Roman, von dem man den Eindruck hat, dass zwei Personen erzählen." Der Roman, an dem Kenzaburô Oe augenblicklich arbeitet, soll der letzte sein - wieder einmal.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Hubert Winkels gibt sich als großer Verehrer Kenzaburo Oes zu erkennen, den er zu "Zivilität in Person und in Schriftgestalt" erklärt. Den neuesten Roman "Sayonara, meine Bücher" kann er jedoch nur als ein "Buch für Kenner" empfehlen, Neulesern wird sich Oes Großartigkeit damit nicht unbedingt erschließen. Winkels beschreibt den Roman als eine von vielen Motiven, Handlungen und Theorien durchzogen und von dem Dualismus von Aktion und Kontemplation geprägt. Auch sieht er viele andere Autoren darin ein- und zusammenfließen: Dostojewski, Celine, Beckett, Eliot. Es sei ein "virtuoses Glasperlenspiel", meint Winkels, der es jedoch nicht klingen und knallen gehört hat. Das musste er sich selbst dazudenken.
© Perlentaucher Medien GmbH
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