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Produktdetails
  • Ullstein Taschenbuch
  • Verlag: Ullstein TB
  • Seitenzahl: 560
  • Abmessung: 36mm x 116mm x 181mm
  • Gewicht: 401g
  • ISBN-13: 9783548250816
  • Artikelnr.: 08881678
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.08.1999

Teuerstes Spektakel
Die Selbstversenkung der deutschen Flotte in der Bucht von Scapa Flow

Andreas Krause: Scapa Flow. Die Selbstversenkung der Wilhelminischen Flotte. Verlag Ullstein, Berlin 1999. 432 Seiten, 60 Abbildungen, 48,- Mark.

Am Morgen des 21. Juni 1919 brechen die Kinder der Schule von Stromness, einem Städtchen auf den Orkney-Inseln im Norden Schottlands, zu einer Bootsfahrt durch die Bucht von Scapa Flow auf. Sie haben Glück mit dem Wetter. Auf einem Dampfer fahren sie zwischen den deutschen Schlachtschiffen und Torpedobooten herum, die in dem britischen Kriegshafen seit November 1918 interniert sind. Während die Kinder den Matrosen zuwinken, gibt Konteradmiral Ludwig von Reuter seinem Verband mit Signalflaggen den Befehl zur Selbstversenkung, um die im Versailler Friedensvertrag festgelegte Auslieferung an die Alliierten zu verhindern. Was folgt, ist das gewaltigste und teuerste Spektakel in der Marinegeschichte.

Gegen Mittag beginnen die riesigen Kriegsschiffe vor den Augen der Kinder zu sinken. Es sind die besten, die die deutsche Marine besitzt, insgesamt 74. Manche sacken kielwärts auf den Meeresgrund, manche kentern, andere tauchen kopfüber ins Meer. Die kaiserliche Flotte geht keineswegs sangund klanglos unter: Ankerketten reißen laut klirrend, Stahlplatten bersten mit Schlägen wie Kanonendonner. Deutsche Matrosen stimmen patriotische Lieder an, und die überforderten englischen Bewacher beschießen oder retten die Besatzungen des Gegners, je nach Gutdünken. Vom "seltsamsten Schulausflug aller Zeiten" wird einer der jungen Augenzeugen Jahre später sprechen.

Der Journalist Andreas Krause erzählt die fast vergessene Geschichte der Internierung in Scapa Flow und ihres spektakulären Endes in einem detailversessenen Buch. Anschauliche Schilderungen wechseln sich darin mit dilettantischen weltpolitischen Betrachtungen ab. Wohltuend ist, dass sich der Autor seinem Thema unvoreingenommen nähert, ohne antimilitaristische Präliminarien und frei von Marineromantik.

Das Interesse an der Flotte hat in Deutschland bereits während des Ersten Weltkriegs stark nachgelassen, weil sie zumeist untätig im Kieler Hafen lag. Im Stellungskrieg zu Wasser konnte sie, sieht man vom zwischenzeitlich erfolgreichen U-Boot-Krieg ab, wenig gegen die Fernblockade der überlegenen Briten ausrichten. Die Schlacht am Skagerrak blieb eine aus dem Zufall geborene Ausnahme.

Die eigene Passivität im Krieg war demütigend. Als die Niederlage des Heeres im Oktober 1918 offensichtlich war, wünschte das Offizierskorps der Marine, das sich selbst unbesiegt fühlte, eine eigene Entscheidungsschlacht mit der Royal Navy. Die Matrosen meuterten und machten Revolution - eine weitere Schmach für ihre Vorgesetzten. Der Waffenstillstandsvertrag vom 11. November legte im Artikel 23 fest, dass ein Großteil der deutschen Flotte zu internieren sei. Zu ihrem endgültigen Schicksal schwieg der Vertragstext. In Deutschland erwartete man, dass es sich lediglich um eine Art Beugehaft handelte. Nur deshalb fanden sich Offiziere und Mannschaften bereit, in die Internierung zu gehen. Unter den Alliierten war jedoch bereits abgemacht, dass sie die Schiffe nicht zurückgeben würden.

Die britische Flotte nahm den deutschen Überführungsverband am 21. November 1918 vor dem Firth of Forth in Empfang. Geleitet von zwei Reihen feindlicher Kriegsschiffe, nahm der deutsche Verband in der Bucht vor Edinburgh als Geisel an der größten Parade in der Geschichte der Seefahrt teil. Doch die Gigantomanie der Siegesfeier zeugte zugleich auch von den Selbstzweifeln der Royal Navy, die ihres Triumphes nicht froh wurde. Wie die Niederlage der Deutschen war ihr Sieg lediglich passiv gewesen, musste der Oberkommandierende, Admiral Sir David Beatty, zugeben. Auch die britische Admiralität hatte deshalb von einer letzten Schlacht geträumt, die ihrem Sieg den vermissten Glanz verleihen sollte. Die Schuld daran, dass es dazu nicht gekommen war, gab Beatty den Deutschen, die es an Ritterlichkeit hätten fehlen lassen.

Disziplinlosigkeiten und nachlässige Haltung unter den deutschen Mannschaften, die von der langen Untätigkeit im Krieg zermürbt, von der Niederlage deprimiert und von den Ereignissen der Revolution aufgewühlt waren, bestärkten den Admiral in seinem abfälligen Urteil. Gerade auf den großen Schlachtschiffen, die starke Soldatenräte hatten, schikanierten Matrosen in den langen Monaten der Internierung ihre Offiziere.

Dem nüchternen Reuter gelang es, in dieser schwierigen Zeit einen offenen Konflikt in seinem politisch zerrissenen Verband zu verhindern. Der Admiral hielt einerseits die Offiziere auf den kaisertreuen Booten von provozierenden Kundgebungen ab und kam andererseits den Soldatenräten nur so weit entgegen wie eben nötig. Um widerspenstige Besatzungsmitglieder loszuwerden, schreckte er auch vor einer Zusammenarbeit mit den britischen Bewachern nicht zurück.

Die Siegermächte einigten sich unterdessen nach längeren Verhandlungen darauf, dass die deutsche Flotte im Verhältnis der Kriegsverluste unter ihnen aufgeteilt werden solle. Vor allem Franzosen und Italiener konnten damit auf eine wesentliche Stärkung ihrer Verbände hoffen. Die Briten hätten dadurch an Vorsprung verloren. Letztere hatten deshalb ursprünglich gemeinsam mit den Amerikanern für eine Versenkung auf hoher See plädiert. Nach der Selbstversenkung lag der Verdacht nahe, dass die Briten ihre Hand im Spiel hatten. Krause, der die einschlägigen Akten in London durchgesehen hat, kommt zu dem Ergebnis, dass die Bewacher die Selbstversenkung nicht aktiv gefördert, aber auch nichts getan haben, um ihr vorzubeugen.

Auch die Beteiligung der deutschen Regierung an der Entscheidung zur Versenkung war unter den Zeitgenossen umstritten. Reuter hat stets betont, dass er sie eigenständig getroffen habe. In der Tat findet sich in den Akten des Reichsmarineamts kein Schriftstück, das auf einen ausdrücklichen Befehl hindeutet. Krause hebt jedoch zu Recht hervor, dass nach dem herrschenden Geist im Offizierskorps eher ein Befehl zur Nichtversenkung nötig gewesen wäre. Da der Verband nur interniert und mithin souverän war, verstieß die Selbstversenkung nicht gegen internationales Recht, von einer Strafverfolgung Reuters sahen die Alliierten deshalb ab.

Das Echo auf den Untergang war in Deutschland geteilt. Bellizisten und Pazifisten hießen sie aus entgegengesetzten Motiven gut. Andere Stimmen wiesen darauf hin, dass Reuter den Frieden gefährdet habe, um seine Offiziersehre zu wahren. Offiziell wurden Reuter und seine Leute, als sie nach einem Jahr aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrten, als Helden gefeiert. Doch es war ein dürftiger, künstlicher Ruhm, von der Marineleitung inszeniert. Die Erinnerung an Scapa Flow verblasste sehr rasch.

MATTHIAS ALEXANDER

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