Als Oliver Garland, ein geachteter Richter, überraschend stirbt, ist sein Sohn Talcott überzeugt, dass sein schwaches Herz den Tod verursachte. Denn Jahre zuvor, als dem Vater die höchstmögliche Ehre angetragen wurde, eine Ernennung zum Richter des Supreme Court, hatte er in einem entwürdigenden Fernseh-Streitgespräch vor den Augen der Familie, ja der ganzen Nation von dem ihm angetragenen Amt zurücktreten müssen. Ein Skandal, von dem sich der Richter nie mehr erholt hatte.
Doch jetzt, nach seinem Tod, gehen Talcott merkwürdige Warnungen zu. Seine Schwester Maria behauptet, der Vater sei ermordet worden. Menschen, die er seit Jahren nicht gesehen hat, versuchen ihn zu erpressen. Und auch die engsten Freunde des Vaters scheinen ein Geheimnis hinter seinem Tod zu vermuten. Talcotts Leben wird auf den Kopf gestellt. Weshalb fragt man ihn ständig nach den "Vorkehrungen", die sein Vater für den Fall seines Todes getroffen haben soll? Was hat der tödliche Autounfall seiner geliebten Schwester Abby vor 25 Jahren mit den jetzigen Vorfällen zu tun? Wieso sieht Talcott sich immer wieder der Verfolgung durch dubiose Gestalten ausgesetzt? Und warum fehlen zwei Schachfiguren auf dem so sorgsam gehüteten Schachbrett seines Vaters?
Als ein zweiter Mann tot aufgefunden wird, bleibt Talcott nichts anderes übrig, als in die dunkle Vergangenheit seines Vaters einzutauchen. Und dabei setzt er alles aufs Spiel: Seine Ehe, seinen Ruf - und sein Leben.
Mit der Raffinesse eines Schachspiels, bei dem nur ein Zug auf den anderen folgen kann, führt Stephen Carter durch einen Plot voller Intrigen, Fragen und Fallstricke.
Doch jetzt, nach seinem Tod, gehen Talcott merkwürdige Warnungen zu. Seine Schwester Maria behauptet, der Vater sei ermordet worden. Menschen, die er seit Jahren nicht gesehen hat, versuchen ihn zu erpressen. Und auch die engsten Freunde des Vaters scheinen ein Geheimnis hinter seinem Tod zu vermuten. Talcotts Leben wird auf den Kopf gestellt. Weshalb fragt man ihn ständig nach den "Vorkehrungen", die sein Vater für den Fall seines Todes getroffen haben soll? Was hat der tödliche Autounfall seiner geliebten Schwester Abby vor 25 Jahren mit den jetzigen Vorfällen zu tun? Wieso sieht Talcott sich immer wieder der Verfolgung durch dubiose Gestalten ausgesetzt? Und warum fehlen zwei Schachfiguren auf dem so sorgsam gehüteten Schachbrett seines Vaters?
Als ein zweiter Mann tot aufgefunden wird, bleibt Talcott nichts anderes übrig, als in die dunkle Vergangenheit seines Vaters einzutauchen. Und dabei setzt er alles aufs Spiel: Seine Ehe, seinen Ruf - und sein Leben.
Mit der Raffinesse eines Schachspiels, bei dem nur ein Zug auf den anderen folgen kann, führt Stephen Carter durch einen Plot voller Intrigen, Fragen und Fallstricke.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.2002Die Arrangements
Vom Zorn eines Richters: Stephen L. Carters eleganter Thriller
Nie war er mit solcher Genugtuung Richter. Vor ihm und den beiden anderen Mitgliedern der Kammer stand ein Anwalt, der ein Minderheitsvotum zitierte, das er vor vielen Jahren verfaßt hatte. Er nahm den Schmeichler ins Kreuzverhör. Ob er denn wisse, wie oft sich das Gericht seitdem mit dieser Frage beschäftigt habe? Er wußte es nicht. Siebzehnmal. Und wisse er, wie oft das Gericht diesen Ansatz verworfen habe? Siebzehnmal. Und wisse er wohl, wie viele dieser Urteile er verfaßt habe? Der Schimmerlose ging in die Falle. Siebzehn? "Kein einziges. Ich halte an der Ansicht fest, die Sie zitiert haben." Gelächter füllte den Gerichtssaal, doch die Lektion für den Gedemütigten war noch nicht beendet. "Meine Ansichten sind unerheblich, Herr Rechtsanwalt. Vor einem Bundesberufungsgericht müssen Sie das Recht des Gerichtskreises zitieren, nicht die Ansichten einzelner Richter. Vielleicht ist Ihnen das aus dem Studium noch erinnerlich."
Diese Geschichte erzählt Wallace Warrenton Wainwright, Beisitzer am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, über Oliver Garland, seinen früheren Kollegen am Bundesberufungsgericht für den Hauptstadtbezirk, den District of Columbia. Richter Garland ist verstorben und hat seinem Sohn Talcott einen kryptischen Auftrag hinterlassen. Er hat "Vorkehrungen" getroffen, die der Sohn erst in Erfahrung bringen muß, bevor er ihnen gemäß handeln kann. Talcott Garland, Rechtsprofessor an der Alma mater seines alten Herrn, will herausfinden, was für ein Mann sein Vater gewesen ist. Richter Wainwrights Anekdote enthält eigentlich nichts Neues. Mit einschüchternder Brillanz konnte Oliver Garland die Objektivität des Rechts zur Geltung bringen, die disziplinierende Kraft einer Ordnung, die Unterwerfung fordert, weil ihre überpersönliche Vernünftigkeit vorausgesetzt werden muß.
In diesem Geist, mit siebzehnmal und öfter eingehämmerten Sinnsprüchen, hat der Richter, wie sein Sohn ihn nennt, auch seine Kinder erzogen. Der Richter bleibt für den Professor der Richter auch nach seinem Tod. Es gehört zur objektiven Natur der Rechtsgeltung, daß sie gegen den Tod gleichgültig ist. Das klassische Beispiel für diese die Zeit stillstellende Gewalt der Rechtsinstitute ist der Letzte Wille, der erst postum Wirkung entfaltet, aber für alle Ewigkeit. Während aber ein Testament die Verfügungen offenlegt und deshalb von einem Notar beglaubigt wird, hat Richter Garland seine Vorkehrungen geheimgehalten. Sogar von der Existenz dieser Anordnungen erfährt ihr Adressat aus dem Munde von Dritten, Parteien, die alles zu tun drohen und dann auch wirklich alles tun, um in den Besitz der Befehle zu gelangen. Nicht das bürgerliche Recht mit seinen sachlichen Regelungen für die Weitergabe von Besitztiteln ist der Urtext, der die Vorkehrungen legitimiert, sondern ein ursprünglicheres Gesetz, die Familienehre.
Der Begriff "Vorkehrungen" trifft das ängstliche, obsessive Moment der juristischen Überlistung der Zeit, die Vorbereitung für einen Fall, dessen Eintreten der Vorausdenkende nicht erleben wird. Im amerikanischen Original wird nach "the arrangements" gefahndet, und diese Vokabel schillert noch sinistrer. Ein Arrangeur operiert im verborgenen, aber nicht notwendig in der Illegalität. Denn die Jurisprudenz, wie sie in Stephen L. Carters Roman praktiziert wird, ist selbst eine Kunst des Arrangierens, der eleganten Konstruktion von Vorwänden, Entschuldigungen, Rationalisierungen. Zwei Nennonkel wachen als Schutzpatrone über Talcott Garland: Uncle Jack, ehemaliger CIA-Agent und Drahtzieher des organisierten Verbrechens, und Uncle Mal, Seniorpartner einer großen Anwaltskanzlei und Strippenzieher auf dem Hauptstadtparkett. Beide sind Virtuosen der indirekten Steuerung, wahren mit dem Decorum ihre Freiheit.
In den "arrangements" klingen auch die Vorkehrungen an, die der Erzähler getroffen hat. Wie jeder gute Thriller verführt "Schachmatt" den Leser, indem er die Konstruktion durchschimmern läßt. Man kann sich darauf verlassen, daß alles am Ende aufgeht. Und wirklich zeigt sich am Ende, daß Talcott die Vorkehrungen früher hätte aufdecken können, wäre da nicht eine Erinnerungsschwäche gewesen, von der er am Anfang gesprochen hatte, so beiläufig, daß der Leser es längst vergessen hat. Indem der Sohn sich überhaupt darauf einläßt, die Anweisungen seines Vaters ausfindig zu machen, befolgt er sie schon. Auch das offizielle Testament ist nur ein Artikel des verborgenen Kodex: Talcott erbt das Strandhaus auf der Insel Martha's Vineyard, in dem die Indizien aufgehäuft sind, die schließlich Zorn und Wahn des Richters entschlüsseln.
Alles hat Oliver Garland nach juristischer Logik eingerichtet. Denn auch die Verfassung der Vereinigten Staaten ist ein solches Arrangement. Welche Vorkehrungen die Gründerväter getroffen haben, versuchen die Mitglieder des Obersten Gerichtshofs zu ermitteln. Aber diesen Ermittlungen müssen sie die Normen schon zugrunde legen, die sie erst auf den Begriff bringen sollen. Eigentlich war es Oliver Garland bestimmt, auf die Bank der neun Oberarrangeure berufen zu werden. Dann hätten Anwälte vor ihm seine Sondervoten zitieren dürfen: Die Oberrichter sind so frei, sich jederzeit korrigieren zu können. Indem der Tote für den Sohn immer noch "the Judge" ist, wird nicht nur die Unterwerfung unter den Patriarchen fortgeschrieben, sondern zugleich der Augenblick der größten Demütigung des Vaters festgehalten. Denn aus Judge Garland wurde nie Justice Garland. Reagan hatte ihn nominiert, die Anhörung im Senat wurde zum Tribunal. In schlechter Gesellschaft war er gesehen worden, nachts im Gerichtsgebäude. Mit Uncle Jack. Alles nachzulesen - einer von Carters zeithistorischen Scherzen - im Bestseller von Bob Woodward.
Hätte Talcott rebelliert, wenn der Lebenstraum des Vaters sich erfüllt hätte? Ein Mann wie Wainwright wird als Mr. Justice angeredet, Herr Gerechtigkeit. Daß alles noch viel schlimmer war, als schon bei Woodward steht, ist das Geheimnis, das Talcott entdeckt. Jeder Spruch, den Richter Garland unter der Maske der Objektivität verkündete, war Moment eines diabolischen Plans. Der Richter behielt sich seine eigenen Arrangements vor. Er nahm sich das Recht zur Selbstjustiz. Aber enthüllt dieser Größenwahn nicht nur, daß der gefeierte Absolvent der ehrwürdigen Ostküstenuniversität seine Lektion gelernt hat? Denn alle Professoren, Talcott Garlands Kollegen, die Carter einen wunderbar komischen Reigen tanzen läßt, nutzen die venia legendi als Lizenz zur Subjektivität, geben in dreister oder charmanter Manier ihre Vorurteile als die Stimme des Gesetzes aus. Talcott Garland hat nicht das Zeug zum akademischen Star. Sein Spezialgebiet ist denkbar unglamourös, das Recht des Schadenersatzes. Ein Unglück, das sich nicht kompensieren ließ, hatte Talcotts Vater auf die schiefe Bahn gebracht: der Tod eines Kindes. In der Motivökonomie des Romans steht dieser Schicksalsschlag zugleich symbolisch für den nicht auszugleichenden Nachteil, mit dem Vater und Sohn in ihren Karrieren zu kämpfen hatten. Die Garlands sind Schwarze, Angehörige der "dunkleren Nation", wie Talcott ironisch sagt. Der Komparativ ist nur unter den Schwarzen in Gebrauch, die für ihre eigene Hierarchie den weißen Maßstab übernehmen und die hellere Hautfarbe prämieren. Für die Weißen dagegen ist ein Schwarzer ein Schwarzer. Oliver Garland ist ein Richter vom Schlage eines Clarence Thomas, ein Vorzeigekonservativer, der der Logik der Diskriminierung nicht entkommt: Er wird als Sonderfall betrachtet, gerade weil er sich für ein farbenblindes Recht ausspricht. Das Schachspiel wurde für Oliver Garland zur Schule der Selbstkontrolle. Alle Schritte muß berechnen, wer als Schwarzer in der Welt der Weißen als ebenbürtig gelten will; ihm wird nichts verziehen und nichts geschenkt. Und doch hat auch auf dem Schachbrett Weiß den ersten Zug.
Carter, Rechtsprofessor in Yale, hat für diesen seinen ersten Roman einen gewaltigen Vorschuß erhalten. Bekannt geworden ist er mit autobiographischen Betrachtungen über die Minderheitenförderung an den Universitäten. Er beschrieb die Erfahrungen der Entfremdung, die auch der am besten integrierte Schwarze macht, wenn er Tag für Tag mit der Herablassung weißer Liberaler konfrontiert ist. In weiteren vielgelesenen Traktaten zeigte er, daß gläubige Christen, die sich nicht zufällig in der dunkleren Nation in besonders großer Zahl finden, im heutigen Amerika in ähnlicher Weise Fremde sind. Talcott Garland spricht mit Carters Stimme. Auch auf der Flucht vor Killern holt er Atem für einen Kommentar zum Niedergang Amerikas.
Dieser essayistische Zug der Ich-Erzählung, der dem Buch die epische Länge gibt, ist der narrative Clou. Gewöhnlich fehlt dem gewöhnlichen Sterblichen, den das Arrangement eines Thriller-Autors zum Helden stempelt, die psychologische Plausibilität. Warum sieht er Gespenster? Daß Talcott Garland an jedem Kapitelschluß einen Verfolger im Dunkel ausmacht, das kann man glauben. Der schwarze Mann hat die kürzeste Lebenserwartung aller Amerikaner. Die Überdetermination der Krimihandlung ist Nachvollzug des historischen Verhängnisses. Hinter jeder Ecke lauern die Dämonen Amerikas. Aus dieser Einheit von Form und Motivik gewinnt der Roman seine überwältigende Kraft.
Stephen L. Carter: "Schachmatt". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Jobst-Christian Rojahn und Hans-Ulrich Möhring. List Verlag, München 2002. 859 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vom Zorn eines Richters: Stephen L. Carters eleganter Thriller
Nie war er mit solcher Genugtuung Richter. Vor ihm und den beiden anderen Mitgliedern der Kammer stand ein Anwalt, der ein Minderheitsvotum zitierte, das er vor vielen Jahren verfaßt hatte. Er nahm den Schmeichler ins Kreuzverhör. Ob er denn wisse, wie oft sich das Gericht seitdem mit dieser Frage beschäftigt habe? Er wußte es nicht. Siebzehnmal. Und wisse er, wie oft das Gericht diesen Ansatz verworfen habe? Siebzehnmal. Und wisse er wohl, wie viele dieser Urteile er verfaßt habe? Der Schimmerlose ging in die Falle. Siebzehn? "Kein einziges. Ich halte an der Ansicht fest, die Sie zitiert haben." Gelächter füllte den Gerichtssaal, doch die Lektion für den Gedemütigten war noch nicht beendet. "Meine Ansichten sind unerheblich, Herr Rechtsanwalt. Vor einem Bundesberufungsgericht müssen Sie das Recht des Gerichtskreises zitieren, nicht die Ansichten einzelner Richter. Vielleicht ist Ihnen das aus dem Studium noch erinnerlich."
Diese Geschichte erzählt Wallace Warrenton Wainwright, Beisitzer am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, über Oliver Garland, seinen früheren Kollegen am Bundesberufungsgericht für den Hauptstadtbezirk, den District of Columbia. Richter Garland ist verstorben und hat seinem Sohn Talcott einen kryptischen Auftrag hinterlassen. Er hat "Vorkehrungen" getroffen, die der Sohn erst in Erfahrung bringen muß, bevor er ihnen gemäß handeln kann. Talcott Garland, Rechtsprofessor an der Alma mater seines alten Herrn, will herausfinden, was für ein Mann sein Vater gewesen ist. Richter Wainwrights Anekdote enthält eigentlich nichts Neues. Mit einschüchternder Brillanz konnte Oliver Garland die Objektivität des Rechts zur Geltung bringen, die disziplinierende Kraft einer Ordnung, die Unterwerfung fordert, weil ihre überpersönliche Vernünftigkeit vorausgesetzt werden muß.
In diesem Geist, mit siebzehnmal und öfter eingehämmerten Sinnsprüchen, hat der Richter, wie sein Sohn ihn nennt, auch seine Kinder erzogen. Der Richter bleibt für den Professor der Richter auch nach seinem Tod. Es gehört zur objektiven Natur der Rechtsgeltung, daß sie gegen den Tod gleichgültig ist. Das klassische Beispiel für diese die Zeit stillstellende Gewalt der Rechtsinstitute ist der Letzte Wille, der erst postum Wirkung entfaltet, aber für alle Ewigkeit. Während aber ein Testament die Verfügungen offenlegt und deshalb von einem Notar beglaubigt wird, hat Richter Garland seine Vorkehrungen geheimgehalten. Sogar von der Existenz dieser Anordnungen erfährt ihr Adressat aus dem Munde von Dritten, Parteien, die alles zu tun drohen und dann auch wirklich alles tun, um in den Besitz der Befehle zu gelangen. Nicht das bürgerliche Recht mit seinen sachlichen Regelungen für die Weitergabe von Besitztiteln ist der Urtext, der die Vorkehrungen legitimiert, sondern ein ursprünglicheres Gesetz, die Familienehre.
Der Begriff "Vorkehrungen" trifft das ängstliche, obsessive Moment der juristischen Überlistung der Zeit, die Vorbereitung für einen Fall, dessen Eintreten der Vorausdenkende nicht erleben wird. Im amerikanischen Original wird nach "the arrangements" gefahndet, und diese Vokabel schillert noch sinistrer. Ein Arrangeur operiert im verborgenen, aber nicht notwendig in der Illegalität. Denn die Jurisprudenz, wie sie in Stephen L. Carters Roman praktiziert wird, ist selbst eine Kunst des Arrangierens, der eleganten Konstruktion von Vorwänden, Entschuldigungen, Rationalisierungen. Zwei Nennonkel wachen als Schutzpatrone über Talcott Garland: Uncle Jack, ehemaliger CIA-Agent und Drahtzieher des organisierten Verbrechens, und Uncle Mal, Seniorpartner einer großen Anwaltskanzlei und Strippenzieher auf dem Hauptstadtparkett. Beide sind Virtuosen der indirekten Steuerung, wahren mit dem Decorum ihre Freiheit.
In den "arrangements" klingen auch die Vorkehrungen an, die der Erzähler getroffen hat. Wie jeder gute Thriller verführt "Schachmatt" den Leser, indem er die Konstruktion durchschimmern läßt. Man kann sich darauf verlassen, daß alles am Ende aufgeht. Und wirklich zeigt sich am Ende, daß Talcott die Vorkehrungen früher hätte aufdecken können, wäre da nicht eine Erinnerungsschwäche gewesen, von der er am Anfang gesprochen hatte, so beiläufig, daß der Leser es längst vergessen hat. Indem der Sohn sich überhaupt darauf einläßt, die Anweisungen seines Vaters ausfindig zu machen, befolgt er sie schon. Auch das offizielle Testament ist nur ein Artikel des verborgenen Kodex: Talcott erbt das Strandhaus auf der Insel Martha's Vineyard, in dem die Indizien aufgehäuft sind, die schließlich Zorn und Wahn des Richters entschlüsseln.
Alles hat Oliver Garland nach juristischer Logik eingerichtet. Denn auch die Verfassung der Vereinigten Staaten ist ein solches Arrangement. Welche Vorkehrungen die Gründerväter getroffen haben, versuchen die Mitglieder des Obersten Gerichtshofs zu ermitteln. Aber diesen Ermittlungen müssen sie die Normen schon zugrunde legen, die sie erst auf den Begriff bringen sollen. Eigentlich war es Oliver Garland bestimmt, auf die Bank der neun Oberarrangeure berufen zu werden. Dann hätten Anwälte vor ihm seine Sondervoten zitieren dürfen: Die Oberrichter sind so frei, sich jederzeit korrigieren zu können. Indem der Tote für den Sohn immer noch "the Judge" ist, wird nicht nur die Unterwerfung unter den Patriarchen fortgeschrieben, sondern zugleich der Augenblick der größten Demütigung des Vaters festgehalten. Denn aus Judge Garland wurde nie Justice Garland. Reagan hatte ihn nominiert, die Anhörung im Senat wurde zum Tribunal. In schlechter Gesellschaft war er gesehen worden, nachts im Gerichtsgebäude. Mit Uncle Jack. Alles nachzulesen - einer von Carters zeithistorischen Scherzen - im Bestseller von Bob Woodward.
Hätte Talcott rebelliert, wenn der Lebenstraum des Vaters sich erfüllt hätte? Ein Mann wie Wainwright wird als Mr. Justice angeredet, Herr Gerechtigkeit. Daß alles noch viel schlimmer war, als schon bei Woodward steht, ist das Geheimnis, das Talcott entdeckt. Jeder Spruch, den Richter Garland unter der Maske der Objektivität verkündete, war Moment eines diabolischen Plans. Der Richter behielt sich seine eigenen Arrangements vor. Er nahm sich das Recht zur Selbstjustiz. Aber enthüllt dieser Größenwahn nicht nur, daß der gefeierte Absolvent der ehrwürdigen Ostküstenuniversität seine Lektion gelernt hat? Denn alle Professoren, Talcott Garlands Kollegen, die Carter einen wunderbar komischen Reigen tanzen läßt, nutzen die venia legendi als Lizenz zur Subjektivität, geben in dreister oder charmanter Manier ihre Vorurteile als die Stimme des Gesetzes aus. Talcott Garland hat nicht das Zeug zum akademischen Star. Sein Spezialgebiet ist denkbar unglamourös, das Recht des Schadenersatzes. Ein Unglück, das sich nicht kompensieren ließ, hatte Talcotts Vater auf die schiefe Bahn gebracht: der Tod eines Kindes. In der Motivökonomie des Romans steht dieser Schicksalsschlag zugleich symbolisch für den nicht auszugleichenden Nachteil, mit dem Vater und Sohn in ihren Karrieren zu kämpfen hatten. Die Garlands sind Schwarze, Angehörige der "dunkleren Nation", wie Talcott ironisch sagt. Der Komparativ ist nur unter den Schwarzen in Gebrauch, die für ihre eigene Hierarchie den weißen Maßstab übernehmen und die hellere Hautfarbe prämieren. Für die Weißen dagegen ist ein Schwarzer ein Schwarzer. Oliver Garland ist ein Richter vom Schlage eines Clarence Thomas, ein Vorzeigekonservativer, der der Logik der Diskriminierung nicht entkommt: Er wird als Sonderfall betrachtet, gerade weil er sich für ein farbenblindes Recht ausspricht. Das Schachspiel wurde für Oliver Garland zur Schule der Selbstkontrolle. Alle Schritte muß berechnen, wer als Schwarzer in der Welt der Weißen als ebenbürtig gelten will; ihm wird nichts verziehen und nichts geschenkt. Und doch hat auch auf dem Schachbrett Weiß den ersten Zug.
Carter, Rechtsprofessor in Yale, hat für diesen seinen ersten Roman einen gewaltigen Vorschuß erhalten. Bekannt geworden ist er mit autobiographischen Betrachtungen über die Minderheitenförderung an den Universitäten. Er beschrieb die Erfahrungen der Entfremdung, die auch der am besten integrierte Schwarze macht, wenn er Tag für Tag mit der Herablassung weißer Liberaler konfrontiert ist. In weiteren vielgelesenen Traktaten zeigte er, daß gläubige Christen, die sich nicht zufällig in der dunkleren Nation in besonders großer Zahl finden, im heutigen Amerika in ähnlicher Weise Fremde sind. Talcott Garland spricht mit Carters Stimme. Auch auf der Flucht vor Killern holt er Atem für einen Kommentar zum Niedergang Amerikas.
Dieser essayistische Zug der Ich-Erzählung, der dem Buch die epische Länge gibt, ist der narrative Clou. Gewöhnlich fehlt dem gewöhnlichen Sterblichen, den das Arrangement eines Thriller-Autors zum Helden stempelt, die psychologische Plausibilität. Warum sieht er Gespenster? Daß Talcott Garland an jedem Kapitelschluß einen Verfolger im Dunkel ausmacht, das kann man glauben. Der schwarze Mann hat die kürzeste Lebenserwartung aller Amerikaner. Die Überdetermination der Krimihandlung ist Nachvollzug des historischen Verhängnisses. Hinter jeder Ecke lauern die Dämonen Amerikas. Aus dieser Einheit von Form und Motivik gewinnt der Roman seine überwältigende Kraft.
Stephen L. Carter: "Schachmatt". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Jobst-Christian Rojahn und Hans-Ulrich Möhring. List Verlag, München 2002. 859 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Rechtsexperte als Autor
Mit Schachmatt ist dem 1955 geborenen Rechtsprofessor Stephen L. Carter ein überraschendes Romandebut gelungen. In Amerika ist es unmittelbar nach Erscheinen zum Bestseller geworden. Und das zu Recht. Carter hat einen literarisch ambitionierten, äußerst spannenden Gesellschaftsroman geschrieben, in dessen Mittelpunkt Ereignisse stehen, die in dem Milieu angesiedelt sind, in dem sich der einflussreiche und bekannte Rechtsexperte am besten auskennt: Es ist die Welt der Rechtssprechung und der Universität. In ihr tun sich in The Emperor of Ocean Park, wie der Roman im Original heißt, Abgründe auf, deren Authentizität Carter zwar leugnet, an deren Wahrscheinlichkeit er aber keinen Zweifel lässt.
Wie nahe dem Autor sein Gegenstand ist, zeigt sich schon zu Beginn: der Ich-Erzähler Talcott Garland entstammt der wohlhabenden schwarzen Oberschicht der Ostküste, und sein unmittelbar vor Einsetzen der Erzählung verstorbener Vater Oliver Garland war ein bekannter Richter. Oliver Garland war in seinem Beruf ebenso kontrovers wie konservativ. Er besaß Verbindungen zu den höchsten Kreisen Washingtons. Zudem war er ein depressiver Alkoholiker, der es der Familie nicht immer leicht machte.
Unterwelt
Auf der Beerdigung seines Vaters wird Talcott Garland von einem Mann namens Jack Ziegler bedroht. Dieser stellt sich als ein Mafiosi heraus, dessen Freundschaft mit dem Richter Garland diesen um die mögliche Berufung zum obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten brachte. Talcott beginnt zu ahnen, dass er im Mittelpunkt der Jagd nach einer brisanten Hinterlassenschaft seines Vaters, von der er die Wahrheit nicht kennt, steht. Unweigerlich wird er in ein Spiel hineingezogen, dessen Regeln er zu Beginn nicht kennt. Bald sind nicht nur sein Job und seine Familie in höchster Gefahr, sondern auch sein Leben.
Komplex wie ein Schachspiel
Schachmatt ist trotz seines literarischen Anspruchs - der voll eingelöst wird - leicht und locker zu lesen; wie ein Krimi, der den Leser zu immer schnelleren Lektüre antreibt, weil die Spannung sonst unerträglich würde. Wie nebenbei glänzt Carter darüber hinaus mit literarischen Verweisen und Zitaten, die dem Roman eine Tiefe geben, die wenig amerikanische Gegenwartsromane besitzen. Zugrunde gelegt ist eine überaus spannend konstruierte Geschichte, die den Leser auch die ausgedehnten Exkurse zum Rassismus und zur amerikanischen Gesellschaft mit Interesse verfolgten lässt. Die eingeflochtenen Verweise zum titelgebenden Schachspiel geben der Handlung ihren Takt. Ebenso wie ein gutes Schachspiel ist das Buch: hochkomplex und äußerst spannend. (Andreas Rötzer)
"Seit Tom Wolfe habe ich keinen so vielschichtigen, mitreißenden und bereichernden Roman gelesen wie `Schachmatt`" (USA Today)
"Man kann dieses Buch einfach nicht aus der Hand legen ... Ein ebenso außergewöhnlicher wie überzeugender Roman." (New York Times)
"Ein unterhaltsamer, eleganter und ideenreicher Roman mit einem wunderbaren Kosmos von Figuren." (The New York Review of Books)
"Scharfsichtige Beobachtungen, gepaart mit einem ernsthaften sozialen Gewissen, das den meisten Büchern dieser Art fehlt ... Ein sprachliches Meisterwerk." (Time)
"Wunderbar erzählt und clever konstruiert. `Schachmatt` ist eine lebendige und vielschichtige Familiensaga, die geschickt verbunden ist mit der Spannung eines Thrillers ... Ein wirklicher Genuss!" (John Grisham)
Mit Schachmatt ist dem 1955 geborenen Rechtsprofessor Stephen L. Carter ein überraschendes Romandebut gelungen. In Amerika ist es unmittelbar nach Erscheinen zum Bestseller geworden. Und das zu Recht. Carter hat einen literarisch ambitionierten, äußerst spannenden Gesellschaftsroman geschrieben, in dessen Mittelpunkt Ereignisse stehen, die in dem Milieu angesiedelt sind, in dem sich der einflussreiche und bekannte Rechtsexperte am besten auskennt: Es ist die Welt der Rechtssprechung und der Universität. In ihr tun sich in The Emperor of Ocean Park, wie der Roman im Original heißt, Abgründe auf, deren Authentizität Carter zwar leugnet, an deren Wahrscheinlichkeit er aber keinen Zweifel lässt.
Wie nahe dem Autor sein Gegenstand ist, zeigt sich schon zu Beginn: der Ich-Erzähler Talcott Garland entstammt der wohlhabenden schwarzen Oberschicht der Ostküste, und sein unmittelbar vor Einsetzen der Erzählung verstorbener Vater Oliver Garland war ein bekannter Richter. Oliver Garland war in seinem Beruf ebenso kontrovers wie konservativ. Er besaß Verbindungen zu den höchsten Kreisen Washingtons. Zudem war er ein depressiver Alkoholiker, der es der Familie nicht immer leicht machte.
Unterwelt
Auf der Beerdigung seines Vaters wird Talcott Garland von einem Mann namens Jack Ziegler bedroht. Dieser stellt sich als ein Mafiosi heraus, dessen Freundschaft mit dem Richter Garland diesen um die mögliche Berufung zum obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten brachte. Talcott beginnt zu ahnen, dass er im Mittelpunkt der Jagd nach einer brisanten Hinterlassenschaft seines Vaters, von der er die Wahrheit nicht kennt, steht. Unweigerlich wird er in ein Spiel hineingezogen, dessen Regeln er zu Beginn nicht kennt. Bald sind nicht nur sein Job und seine Familie in höchster Gefahr, sondern auch sein Leben.
Komplex wie ein Schachspiel
Schachmatt ist trotz seines literarischen Anspruchs - der voll eingelöst wird - leicht und locker zu lesen; wie ein Krimi, der den Leser zu immer schnelleren Lektüre antreibt, weil die Spannung sonst unerträglich würde. Wie nebenbei glänzt Carter darüber hinaus mit literarischen Verweisen und Zitaten, die dem Roman eine Tiefe geben, die wenig amerikanische Gegenwartsromane besitzen. Zugrunde gelegt ist eine überaus spannend konstruierte Geschichte, die den Leser auch die ausgedehnten Exkurse zum Rassismus und zur amerikanischen Gesellschaft mit Interesse verfolgten lässt. Die eingeflochtenen Verweise zum titelgebenden Schachspiel geben der Handlung ihren Takt. Ebenso wie ein gutes Schachspiel ist das Buch: hochkomplex und äußerst spannend. (Andreas Rötzer)
"Seit Tom Wolfe habe ich keinen so vielschichtigen, mitreißenden und bereichernden Roman gelesen wie `Schachmatt`" (USA Today)
"Man kann dieses Buch einfach nicht aus der Hand legen ... Ein ebenso außergewöhnlicher wie überzeugender Roman." (New York Times)
"Ein unterhaltsamer, eleganter und ideenreicher Roman mit einem wunderbaren Kosmos von Figuren." (The New York Review of Books)
"Scharfsichtige Beobachtungen, gepaart mit einem ernsthaften sozialen Gewissen, das den meisten Büchern dieser Art fehlt ... Ein sprachliches Meisterwerk." (Time)
"Wunderbar erzählt und clever konstruiert. `Schachmatt` ist eine lebendige und vielschichtige Familiensaga, die geschickt verbunden ist mit der Spannung eines Thrillers ... Ein wirklicher Genuss!" (John Grisham)
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Seine überwältigende Kraft erhält dieser Justiz-Thriller nach Ansicht von Rezensent Patrick Bahners durch die Einheit von Form und Motivik. Bahners Informationen zufolge wird die Geschichte von einem Beisitzer am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten erzählt, der wiederum von einem verstorbenen früheren Kollegen erzählt, der dem Sohn einen kryptischen Auftrag hinterlassen habe. Dieser Auftrag nun führt Roman und Helden in die Abgründe des amerikanischen Systems, zum CIA und dem organisierte Verbrechen. Wie jeder gute Thriller verführe er seine Leser dadurch, dass er die Konstruktion durchschimmern lasse und man sich auf einen guten Ausgang verlassen könne, schreibt der Rezensent. Autor Carter, schwarzer Rechtsprofessor in Yale, sei mit autobiografischen Betrachtungen über die Minderheitenförderung an amerikanischen Universitäten bekannt geworden, in denen er die Entfremdungserfahrungen beschrieb, die er mit dem herablassenden Wohlwollen liberaler Weißer machte. Essayistische Züge werden für den Rezensenten Bahners nun auch zum Clou von Carters erstem Roman, die dem Roman seine epische Länge gäben. Gewöhnlich fehle dem gewöhnlichen Sterblichen, den das Thriller-Arrangement zum Helden stempelte, die psychologische Plausibilität. Nun spreche der Held mit Autor Carters Stimme und hinter jeder Ecke lauerten die Dämonen Amerikas.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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