Stefan Zweigs Novelle lotet auf engstem Raum die Abgründe der menschlichen Seele aus. Von der Gestapo verhaftet und in ein Hotelzimmer gesperrt, flüchtet Dr. B. in die abstrakte Welt des Schachspiels, um sich so seine geistige Widerstandskraft zu bewahren. Auf einem Passagierdampfer nach Buenos Aires, begegnet Dr. B. zufällig dem Schachweltmeister Mirko Czentovic. Ein atemberaubender Kampf beginnt, bei dem der eigentliche Gegner nicht gegenüber am Brett, sondern tief in der eigenen Seele sitzt.
Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.06.2010DAS HÖRBUCH
Eine Meisterpartie
Stefan Zweigs „Schachnovelle“
als glänzend gelungenes Hörspiel
Nachdem Stefan Zweig gemeinsam mit seiner Frau Lotte im September 1941 ein winziges Häuschen in einem Vorort von Petrópolis bezogen hatte, schrieb er an seine erste Frau, Friderike, wie froh er sei, „America entronnen zu sein, ich passe nicht hin durch meine Ungeschäftlichkeit“. Er korrigiere jetzt, teilte er aus brasilianischen Exil mit, „viel an der Autobiografie“ und habe „eine kleine Schachnovelle entworfen, angeregt davon, dass ich mir für die Abgeschiedenheit ein Schachbuch gekauft habe und mit Lotte täglich die Partien der grossen Meister nachspiele“. Er würde bis zuletzt an dieser Novelle arbeiten, aus Vorsicht ließ er mehrere Typoskripte anfertigen, schickte sie nach Rio de Janeiro, New York und Buenos Aires, bevor er sich am 22. Februar 1942 das Leben nahm.
Man hat die „Schachnovelle“ oft als eine Art Abschiedsbrief Zweigs gelesen. Sie ist es wenigstens so sehr wie die Erinnerungen an die „Welt von Gestern“. Der Unterschied der Zeiten wie der Fortschritt zum Schlechteren werden im Zusammentreffen unvereinbarer Charaktere gestaltet. Auf einem Passagierdampfer begegnen sich: ein Anwalt, der in der Gestapo-Haft seinen Peinigern ein Schachlehrbuch stahl und im Geiste die dort versammelten Meisterpartien nachspielte, um nicht der Isolationsfolter zu erliegen; ein Schachweltmeister, der wie ein Rechenmaschine vor dem Brett sitzt, der stumpfsinnige, fantasielose, im Kern bösartige Mirko Czentovic; der dritte im Bunde ist der neugierige, sensationslüsterne McConnor, eine Erfolgsmensch. In dieser Gesellschaft, durch Zufall hineingezogen und ins Spiel verwickelt, hat der Anwalt, hat der Anstand kaum eine Chance.
1959 wurde unter der Regie von Hans Hausmann ein Hörspiel nach Zweigs „Schachnovelle“ aufgenommen. Mögen bei der unvermeidlichen Kürzung auch Nuancen der Personencharakteristik und Details der Spielschilderungen geopfert worden sein, so hat man doch kaum sonst die Dramatik des Geschehens so eindrucksvoll erlebt. Das ist ein Verdienst der Regie, die das Drama in der Novelle erkannte und in Szene setzte, und es ist das Verdienst der Schauspieler, die hier glänzen: Gert Westphal als Erzähler, Mario Adorf, der den Czentovic wenig später auch in einer Verfilmung spielte. Vor allem aber bleibt Willy Trenk-Trebitsch als Dr. Blatt in Erinnerung – Trenk-Trebitsch, der 1902 in Wien geboren worden war, in der Uraufführung der „Dreigroschenoper“ den Mackie Messer gegeben hatte, 1938 nach Paris geflohen war und von dort 1940 in die USA entkam, verleiht dem Anwalt, der im Schachspiel Rettung und Verwirrung fand, eine ungeheure Intensität. Es gelingt ihm, den abrupten Wechsel glaubhaft zu machen: Er trifft den Ton sympathischer Weltläufigkeit, souveräner Humanität ebenso wie den des Gehetzten, zwanghaft Handelnden. Verletzlichkeit wurde selten so unsentimental wie hier vergegenwärtigt.
JENS BISKY
STEFAN ZWEIG: Schachnovelle. Hörspielbearbeitung: Klaus L. Graeupner. Regie: Hans Hausmann. Sprecher: Gert Westphal, Mario Adorf, Willy Trenk-Trebitsch. Produktion: Hessischer Rundfunk/Saarländischer Rundfunk/Schweizer Radio DRS 1959. Hörverlage, München 2010. 1 CD, 65 Minuten, 14,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Eine Meisterpartie
Stefan Zweigs „Schachnovelle“
als glänzend gelungenes Hörspiel
Nachdem Stefan Zweig gemeinsam mit seiner Frau Lotte im September 1941 ein winziges Häuschen in einem Vorort von Petrópolis bezogen hatte, schrieb er an seine erste Frau, Friderike, wie froh er sei, „America entronnen zu sein, ich passe nicht hin durch meine Ungeschäftlichkeit“. Er korrigiere jetzt, teilte er aus brasilianischen Exil mit, „viel an der Autobiografie“ und habe „eine kleine Schachnovelle entworfen, angeregt davon, dass ich mir für die Abgeschiedenheit ein Schachbuch gekauft habe und mit Lotte täglich die Partien der grossen Meister nachspiele“. Er würde bis zuletzt an dieser Novelle arbeiten, aus Vorsicht ließ er mehrere Typoskripte anfertigen, schickte sie nach Rio de Janeiro, New York und Buenos Aires, bevor er sich am 22. Februar 1942 das Leben nahm.
Man hat die „Schachnovelle“ oft als eine Art Abschiedsbrief Zweigs gelesen. Sie ist es wenigstens so sehr wie die Erinnerungen an die „Welt von Gestern“. Der Unterschied der Zeiten wie der Fortschritt zum Schlechteren werden im Zusammentreffen unvereinbarer Charaktere gestaltet. Auf einem Passagierdampfer begegnen sich: ein Anwalt, der in der Gestapo-Haft seinen Peinigern ein Schachlehrbuch stahl und im Geiste die dort versammelten Meisterpartien nachspielte, um nicht der Isolationsfolter zu erliegen; ein Schachweltmeister, der wie ein Rechenmaschine vor dem Brett sitzt, der stumpfsinnige, fantasielose, im Kern bösartige Mirko Czentovic; der dritte im Bunde ist der neugierige, sensationslüsterne McConnor, eine Erfolgsmensch. In dieser Gesellschaft, durch Zufall hineingezogen und ins Spiel verwickelt, hat der Anwalt, hat der Anstand kaum eine Chance.
1959 wurde unter der Regie von Hans Hausmann ein Hörspiel nach Zweigs „Schachnovelle“ aufgenommen. Mögen bei der unvermeidlichen Kürzung auch Nuancen der Personencharakteristik und Details der Spielschilderungen geopfert worden sein, so hat man doch kaum sonst die Dramatik des Geschehens so eindrucksvoll erlebt. Das ist ein Verdienst der Regie, die das Drama in der Novelle erkannte und in Szene setzte, und es ist das Verdienst der Schauspieler, die hier glänzen: Gert Westphal als Erzähler, Mario Adorf, der den Czentovic wenig später auch in einer Verfilmung spielte. Vor allem aber bleibt Willy Trenk-Trebitsch als Dr. Blatt in Erinnerung – Trenk-Trebitsch, der 1902 in Wien geboren worden war, in der Uraufführung der „Dreigroschenoper“ den Mackie Messer gegeben hatte, 1938 nach Paris geflohen war und von dort 1940 in die USA entkam, verleiht dem Anwalt, der im Schachspiel Rettung und Verwirrung fand, eine ungeheure Intensität. Es gelingt ihm, den abrupten Wechsel glaubhaft zu machen: Er trifft den Ton sympathischer Weltläufigkeit, souveräner Humanität ebenso wie den des Gehetzten, zwanghaft Handelnden. Verletzlichkeit wurde selten so unsentimental wie hier vergegenwärtigt.
JENS BISKY
STEFAN ZWEIG: Schachnovelle. Hörspielbearbeitung: Klaus L. Graeupner. Regie: Hans Hausmann. Sprecher: Gert Westphal, Mario Adorf, Willy Trenk-Trebitsch. Produktion: Hessischer Rundfunk/Saarländischer Rundfunk/Schweizer Radio DRS 1959. Hörverlage, München 2010. 1 CD, 65 Minuten, 14,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de