Resi hätte wissen können, dass ein Untermietverhältnis unter Freunden nicht die sicherste Wohnform darstellt, denn: Was ist Freundschaft? Die hört bekanntlich beim Geld auf. Und Resi hätte wissen können, dass spätestens mit der Familiengründung der erbfähige Teil der Clique abbiegt Richtung Eigenheim und Abschottung und sie als Aufsteigerkind zusehen muss, wie sie da mithält. Aber Resi wusste's nicht. Noch in den Achtzigern hieß es, alle Menschen wären gleich und würden durch Tüchtigkeit und Einsicht demnächst auch gerecht zusammenleben. Das Scheitern der Eltern in dieser Hinsicht musste verschleiert werden. Darüber ist Resi reichlich wütend. Und entschlossen, ihre Kinder aufzuklären, ob sie's wollen oder nicht.
Ausstattung: Pepper: Preis der Leipziger Buchmesse
Ausstattung: Pepper: Preis der Leipziger Buchmesse
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.12.2021Das Haus als Protagonist
Mehr als bloße Kulisse: In einigen Romanen erzählen Häuser selbst Geschichten - von Architektur und Familie, Erinnern und Vergessen, Status und Verdrängung. Ein Streifzug.
Von Judith Lembke, Birgit Ochs und Anne-Christin Sievers
Ob kleine Hütte, Mietwohnung oder Villa: Ein Haus ist von jeher nicht nur Schutzraum, sondern auch Schauplatz familiärer Dramen und Erfolge sowie Austragungsort gesellschaftlicher und politischer Umbrüche. Nicht von ungefähr waren die Dächer, unter denen Menschen wohnen, schon immer Gegenstand der Literatur - von Thomas Manns "Buddenbrooks", über Theodor Fontanes "Frau Jenny Treibel" bis hin zu Goethes "Wahlverwandtschaften".
Diese Bedeutungsfülle machen sich auch zeitgenössische Erzähler und Erzählerinnen zunutze und entwickeln anhand von Fragen rund ums Bauen und Wohnen Geschichten. In den vergangenen Jahren sind viele Romane erschienen, in denen Wohngebäude eine besonders tragende Rolle spielen.
In einigen dienen Häuser nicht nur als Kulissen der Handlung, sondern motivieren selbst die Geschichte, werden gar zum Hauptakteur. Mal stehen sie symbolisch für Macht und Status ihrer Besitzer, mal sind sie Ort der Erinnerung, an dem sich die Historie eine ganzen Familie entfaltet. Manchmal fällt beides zusammen. In jüngster Zeit erzählen immer mehr Autoren zudem von überhitzten Wohnungsmärkten, auf denen Bewohner das Zuhause verlieren und aus ihrem Viertel verdrängt werden.
Ein Streifzug durch Texte, die aus Häusern Literatur machen.
Häuser machen Leute
Kein anderes Haus steht so für Status und Erfolg wie die Villa. Wobei schiere Größe und ein millionenhoher Kaufpreis allein nicht reichen, um hierzulande im Kreis einer bestimmten kulturellen Szene zu reüssieren. Anders, wenn der Entwurf originär ist, als Beitrag zur Baukultur gilt, oder gar von einem stammt, der Architekturgeschichte geschrieben hat. Dann wird eine solche Villa für die Eigner zum großen kulturellen Kapital.
Darauf setzt Hanif Amid, ein so windiger wie skrupelloser Schönheitschirurg aus "Das weiße Haus" von Wolfgang Mueller. Es ist das Etikett für jenen real existierenden Haustyp, der Größe durch Minimalismus zeigen soll, und reines Understatement. Genau das Richtige also für einen wie Amid, der in die gehobenen Kreise vordringen will. Er hat eine Praxis am Gendarmenmarkt und ein Haus in Lebus, einer Kleinstadt in Brandenburg. Nicht zuletzt in dieser Umgebung erregt die zweigeschossige Villa in weiß geschlacktem Beton mit Glas und Stahlrahmen in lackiertem Schwarz Aufmerksamkeit. "Wie ein so schnörkelloser Bau die triste Landschaft verzaubern konnte. (. . .) Ein solches Haus strahlte eine Internationalität aus, wie sie hier am Grenzfluss zu Polen, völlig ungewöhnlich war."
Diese Villa ist die perfekte Kandidatin für ein Buch über neue Architektenhäuser, an dem Publizistin Elisabeth Winterscheidt arbeitet. Sie kommt Amid wie gerufen. Denn das beeindruckendste Haus nützt nichts, wenn niemand es zur Kenntnis nimmt. Neben Architekturpreisen adeln Bildbände und Hausporträts in Print und Online solche Projekte. Die Wirkung auf das Selbstbild und -wertgefühl von Planern wie Bauherren ist nicht zu unterschätzen.
Winterscheidt urteilt, bevor sie Amid verfällt und die arg irrwitzige Handlung Fahrt aufnimmt, über die Mehrzahl der Bauherren, ob Unternehmer oder Kreative: "Alle schienen von der Angst durchtränkt, sie könnten sich mit dem Vorhaben blamieren. Etwas zu besitzen, das schlechten Geschmack bewies."
Immerhin gegen diese Gefahr ist Hannah Lekebusch in Andreas Schäfers Roman "Das Gartenzimmer" gefeit. Ihr Mann und sie kaufen mit der Villa Rosen ein "Denkmalgeschütztes Kleinod der Vormoderne. 280 Quadratmeter, 8 Zimmer. Baujahr 1909". So preist eine Annonce später die besondere, in Berlin-Grunewald gelegene Immobilie an. Sie ist das spät entdeckte Erstlingswerk Max Tauberts, eines international gefeierten Architekten, der unverkennbar Züge von Mies van der Rohe trägt.
Hannah und Frieder haben mit dem Kauf eines Hauses, dem ein Platz in der Architekturgeschichte gebührt, alles richtig gemacht. So scheint es. Mit Verve stürzt vor allem sie sich in die Sanierung der Villa. Begeistert sich für gestalterische Details wie für die Aussicht, mit diesem Haus das Werkverzeichnis Tauberts zu vervollständigen - und die Augen der internationalen, interessierten Öffentlichkeit auf ihr Zuhause zu richten. Hannah verschreibt sich zunehmend dieser Mission. Dabei spielt auch hier ein Journalist eine maßgebliche Rolle. Die Worte des Architekturkritikers Julius Sander - "Das ist ein guter Ort" - sind für Hannah wie ein Gütesiegel. Die Sache wird ihr freilich über den Kopf wachsen. Die anfängliche Begeisterung sich in zwanghafte Ergebenheit verwandeln.
Schäfer verwebt die Entstehungsgeschichte der Villa und das Schicksal ihrer ersten Eigentümer, des jüdischen Philosophieprofessors Adam Rosen und seiner Frau Elsa, mit der Sanierungsphase und Inbesitznahme der neuen Hausherren. Das Haus, Hauptschauplatz des Buchs, ist nicht nur Kulisse für Leid und Gräuel der NS-Zeit sowie prestigeträchtiges Zuhause der Lekebuschs, es entfaltet zudem eine unheimliche Macht.
Die freilich haben die Bewohner ihm erst eingeräumt, vor allem Hannah. Für sie gilt, was Elisabeth Winterscheidt in "Das weiße Haus" sagt: "Diese wohlhabenden Menschen (. . .) sehnten sich nach etwas, das sie in ihrem Innern wiederbeleben sollte." Häuser machen Leute.
Verdrängt aus dem Kiez
Das Gegenteil davon gilt ebenso. Wie und vor allem auch wo man wohnt, sagt viel über die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu aus. Aber was passiert, wenn man sich die Innenstadt nicht mehr leisten kann und an den Rand gedrängt wird?
Falls es noch Beweise für die ständige Behauptung brauchte, dass Wohnen die soziale Frage unserer Zeit ist, dann hat sie die Literatur in den zurückliegenden Jahren geliefert. Es sind so viele Romane zur Wohnungsfrage erschienen, dass man Gentrifizierungsliteratur fast ein eigenes Genre nennen kann.
Auch die Zuspitzung des Häuserkampfes lässt sich aus den Romanen ablesen, die selbstverständlich alle in Berlin spielen. Im ersten Buch aus dieser Reihe, Jan Peter Bremers "Der amerikanische Investor" von 2011, wurde zwar das Mietshaus des Protagonisten luxussaniert. Bleiben konnte er immerhin.
In den neuen Romanen ist der Verlust real. Jan Brandt bekommt in seinem autobiographischen Doppelroman "Ein Haus auf dem Land/Eine Wohnung in der Stadt" eine Eigenbedarfskündigung. Das schäbige Mietshaus des Bauarbeiters Olli in Eva Ladipos "Räuber" soll einer Luxusimmobilie weichen. Und Schriftstellerin Resi in Anke Stellings "Schäfchen im Trockenen" wird Opfer der Rache eines enttäuschten Freundes, der als Hauptmieter die sagenhaft günstige Wohnung in Prenzlauer Berg kündigt, in der Resi mit Mann und vier Kindern zur Untermiete lebt.
Dabei hat die Aufsteigerin Resi nicht nur mit dem Verlust ihrer Wohnung zu kämpfen, sondern vor allem mit der Wut auf ihre ehemaligen Freunde: Schwaben wie sie, haben sich die Wohlstandsbürgerkinder in vanilleeisfarbenem Eigentum eingerichtet, natürlich in Form einer Baugruppe, während Resi ihr Büro in der Speisekammer hat. Die Baugruppe K23 ist wie eine Burg mit bodentiefen Fenstern; Abschottung garantieren nicht Zugbrücke und Wassergraben, sondern der hohe Quadratmeterpreis.
In Stellings Roman definiert sich die Zugehörigkeit zu einem Milieu nicht nur übers Eigentum, sondern auch über den Fußbodenbelag: In Resis Stuttgarter Elternhaus lag in der Küche PVC mit grauem Schlierenmuster, bei ihren großbürgerlichen Freunden hingegen sind es Terrakottafliesen. Am Ende muss Resi weichen, nach Ahrensfelde, denn "es gibt kein Recht auf eine Wohnung in der Innenstadt".
Dass die Hölle außerhalb des Berliner S-Bahn-Rings beginnt, darin sind sich alle Gentrifizierungsautoren einig. Bei Stelling liegt sie in Ahrensfelde, Bauarbeiter Olli droht das prollige Hellersdorf und Schriftsteller Jan Brandt das großbürgerliche Schmargendorf. Auch wo die Autoren den Himmel verorten, ist klar: im Berlin der Neunziger- und Nullerjahre, als sich Arbeiterfamilien wie Ollis noch das Leben in Prenzlauer Berg leisten konnten und die Kreuzberger 100-Quadratmeter-Wohnung von Jan Brandt nur 750 Euro warm kostete.
Die Zeit überdauert hat der Anspruch. Wenn schon nicht die gekündigte Wohnung, dann würde Brandt doch gerne dieselbe Fläche behalten, für sich und seine Sachen. Dafür nimmt er den Leser mit auf Wohnungssuche. Mit der Akribie eines Mieterrechtsanwalts dokumentiert er die Härten des Berliner Immobilienmarktes von Maklerprosa bis Mietminderungsschreiben- mitunter etwas langatmig.
Sein Resümee "Immobilien holen das Schlechteste aus dem Menschen heraus" lässt sich auch auf Ladipos Buch "Räuber" übertragen, in dem sich ein linker Politiker in einen Investor verwandelt. Glücklicherweise springt Bauarbeiter Olli beim Kampf um seine Wohnung eine Journalistin zur Seite, die auch bestens in Stellings Baugruppe passen würde, in diesem Fall aber zu den Guten gehört. Das zeigt: Wo die Demarkationslinien im Häuserkampf verlaufen, ist vor allem eine Frage des Standpunkts.
Ort der Familiengeschichte
Durch den Verlust der Wohnung gerät etwas ins Wanken, führt vor Augen "wie brüchig das Leben ist", schreibt Jan Brandt. Denn das gemeinsame Zuhause ist der Ort, an dem sich die Familiengeschichte ereignet. Sie schreibt sich in die Mauern ein. Als historisches Beispiel par excellence gelten die "Buddenbrooks" von Thomas Mann. Steht das Giebelhaus in der Lübecker Mengstraße zunächst für den Aufstieg der bürgerlichen Kaufleute und verkörpert es die Einheit von Familie und Firma im 19. Jahrhundert, so besiegeln sein Verkauf und Verlust am Ende die Auflösung dieser Einheit, den Verfall der Familie und ihr Entgleiten ins Künstlerische.
Doch auch in zeitgenössischen Texten setzen sich Autoren mit dem Haus als Ort der Familiengeschichte und des Erinnerns auseinander. In Katharina Hagenas Bestsellerroman "Der Geschmack von Apfelkernen" erbt Ich-Erzählerin Iris, eine junge Bibliothekarin, das Haus ihrer verstorbenen Großmutter Bertha. Während sie durch leere Räume wandelt, Omas alte Kleider aus Schränken holt, in Fotoalben blättert, lässt das Haus vergessene und verdrängte Erinnerungen aufsteigen: an die sommerliche Leichtigkeit ihrer Kindheit, aber auch an unaufgeklärte Familiengeheimnisse wie die Rolle des Großvaters im Dritten Reich und ihre Cousine Rosemarie, die vom Dach des Gewächshauses in den Tod stürzte. Dabei sind es die sinnlichen Eindrücke des Hauses, wie es duftet ("nach Äpfeln und kalten Steinen"), klingt, sich anfühlt, die Verschüttetes zutage treten lassen. So wird das Haus als Ort des Erinnerns sinnlich erfahrbar, und es gelingt Hagena, eine Stimmung einzufangen, die beim Leser vergessene Gerüche und Gefühle ins Gedächtnis zurückholt.
Eher traumatisch stellt sich die Geschichte einer Kindheit in den Siebzigerjahren dar, die Andreas Maier im Roman "Das Haus" erzählt, dem zweiten Teil seiner autobiographischen Familiensaga "Ortsumgehung" aus der Wetterau. Während die ersten drei Lebensjahre seines Alter Egos Andreas geprägt sind von ausgedehnten Spaziergängen mit seiner Urgroßmutter, ein ziel-, zwang- und zeitloses Umherstreifen, von Momenten einfachen Glücks, markiert der Einzug in das wuchtige, neue Haus der Familie das Ende der unbeschwerten Kindheit: "Seitdem wir in dem neuen Haus wohnten, änderten sich die Gespräche über mich." Von da an wird der introvertierte, wortkarge Junge zum "Problemandreas", der sich erfolgreich weigert, den Kindergarten zu besuchen. Er bleibt im Haus, das Schutz vor der bedrohlichen Außenwelt bietet, und dennoch kein Zuhause ist, in dem er sich geborgen und verstanden fühlt. Das Gebäude bleibt kalt und abweisend.
Bis die Einschulung dem Rückzug ein unerbittliches Ende setzt, erkundet Andreas neugierig und minutiös die Räume. Am glücklichsten ist er, wenn er sich in die Tiefen des dunklen Kellers zurückziehen kann, fasziniert vom Heizraum mit den bunten Schaltern, Lampen und Anzeigen, die auf ihn fast magisch wirken. Die Sehnsucht danach, von "Draußen" wieder nach "Drinnen" (so heißen auch die beiden Teile des Romans) zurückzukehren, bleibt.
Einen kühlen Hauch verströmt auch "Die Villa" in Hans Joachim Schädlichs Roman, der die Zeit vom Ende der Weimarer Republik bis zu den Anfängen der DDR umspannt. In dem 1890 errichteten Gründerzeitbau im vogtländischen Reichenbach verbringt die zu Wohlstand gekommene Familie Kramer ihre besten Jahre - bis der Vater, ein überzeugter Nazi, am Herzinfarkt stirbt, der Krieg die ländliche Idylle zerstört und die Villa nach dem Einmarsch von Amerikanern und Russen abgerissen wird.
Schädlich berichtet in nüchtern-protokollarischem Ton von Schrecken der Kriegszeit wie vom Leben der Familie, das ebenso stumm und starr bleibt wie das Gebäude. Sentimentale Gefühle bringen weder der Autor noch seine Figuren dem Haus entgegen. Schädlichs Buch beginnt mit einer registerhaften Beschreibung der Villa und listet am Ende alle Gebäudeteile auf, die nach ihrem Abriss laut Denkmalschutz herauszubrechen sind. Es bleiben Teile, die kein Ganzes mehr ergeben.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mehr als bloße Kulisse: In einigen Romanen erzählen Häuser selbst Geschichten - von Architektur und Familie, Erinnern und Vergessen, Status und Verdrängung. Ein Streifzug.
Von Judith Lembke, Birgit Ochs und Anne-Christin Sievers
Ob kleine Hütte, Mietwohnung oder Villa: Ein Haus ist von jeher nicht nur Schutzraum, sondern auch Schauplatz familiärer Dramen und Erfolge sowie Austragungsort gesellschaftlicher und politischer Umbrüche. Nicht von ungefähr waren die Dächer, unter denen Menschen wohnen, schon immer Gegenstand der Literatur - von Thomas Manns "Buddenbrooks", über Theodor Fontanes "Frau Jenny Treibel" bis hin zu Goethes "Wahlverwandtschaften".
Diese Bedeutungsfülle machen sich auch zeitgenössische Erzähler und Erzählerinnen zunutze und entwickeln anhand von Fragen rund ums Bauen und Wohnen Geschichten. In den vergangenen Jahren sind viele Romane erschienen, in denen Wohngebäude eine besonders tragende Rolle spielen.
In einigen dienen Häuser nicht nur als Kulissen der Handlung, sondern motivieren selbst die Geschichte, werden gar zum Hauptakteur. Mal stehen sie symbolisch für Macht und Status ihrer Besitzer, mal sind sie Ort der Erinnerung, an dem sich die Historie eine ganzen Familie entfaltet. Manchmal fällt beides zusammen. In jüngster Zeit erzählen immer mehr Autoren zudem von überhitzten Wohnungsmärkten, auf denen Bewohner das Zuhause verlieren und aus ihrem Viertel verdrängt werden.
Ein Streifzug durch Texte, die aus Häusern Literatur machen.
Häuser machen Leute
Kein anderes Haus steht so für Status und Erfolg wie die Villa. Wobei schiere Größe und ein millionenhoher Kaufpreis allein nicht reichen, um hierzulande im Kreis einer bestimmten kulturellen Szene zu reüssieren. Anders, wenn der Entwurf originär ist, als Beitrag zur Baukultur gilt, oder gar von einem stammt, der Architekturgeschichte geschrieben hat. Dann wird eine solche Villa für die Eigner zum großen kulturellen Kapital.
Darauf setzt Hanif Amid, ein so windiger wie skrupelloser Schönheitschirurg aus "Das weiße Haus" von Wolfgang Mueller. Es ist das Etikett für jenen real existierenden Haustyp, der Größe durch Minimalismus zeigen soll, und reines Understatement. Genau das Richtige also für einen wie Amid, der in die gehobenen Kreise vordringen will. Er hat eine Praxis am Gendarmenmarkt und ein Haus in Lebus, einer Kleinstadt in Brandenburg. Nicht zuletzt in dieser Umgebung erregt die zweigeschossige Villa in weiß geschlacktem Beton mit Glas und Stahlrahmen in lackiertem Schwarz Aufmerksamkeit. "Wie ein so schnörkelloser Bau die triste Landschaft verzaubern konnte. (. . .) Ein solches Haus strahlte eine Internationalität aus, wie sie hier am Grenzfluss zu Polen, völlig ungewöhnlich war."
Diese Villa ist die perfekte Kandidatin für ein Buch über neue Architektenhäuser, an dem Publizistin Elisabeth Winterscheidt arbeitet. Sie kommt Amid wie gerufen. Denn das beeindruckendste Haus nützt nichts, wenn niemand es zur Kenntnis nimmt. Neben Architekturpreisen adeln Bildbände und Hausporträts in Print und Online solche Projekte. Die Wirkung auf das Selbstbild und -wertgefühl von Planern wie Bauherren ist nicht zu unterschätzen.
Winterscheidt urteilt, bevor sie Amid verfällt und die arg irrwitzige Handlung Fahrt aufnimmt, über die Mehrzahl der Bauherren, ob Unternehmer oder Kreative: "Alle schienen von der Angst durchtränkt, sie könnten sich mit dem Vorhaben blamieren. Etwas zu besitzen, das schlechten Geschmack bewies."
Immerhin gegen diese Gefahr ist Hannah Lekebusch in Andreas Schäfers Roman "Das Gartenzimmer" gefeit. Ihr Mann und sie kaufen mit der Villa Rosen ein "Denkmalgeschütztes Kleinod der Vormoderne. 280 Quadratmeter, 8 Zimmer. Baujahr 1909". So preist eine Annonce später die besondere, in Berlin-Grunewald gelegene Immobilie an. Sie ist das spät entdeckte Erstlingswerk Max Tauberts, eines international gefeierten Architekten, der unverkennbar Züge von Mies van der Rohe trägt.
Hannah und Frieder haben mit dem Kauf eines Hauses, dem ein Platz in der Architekturgeschichte gebührt, alles richtig gemacht. So scheint es. Mit Verve stürzt vor allem sie sich in die Sanierung der Villa. Begeistert sich für gestalterische Details wie für die Aussicht, mit diesem Haus das Werkverzeichnis Tauberts zu vervollständigen - und die Augen der internationalen, interessierten Öffentlichkeit auf ihr Zuhause zu richten. Hannah verschreibt sich zunehmend dieser Mission. Dabei spielt auch hier ein Journalist eine maßgebliche Rolle. Die Worte des Architekturkritikers Julius Sander - "Das ist ein guter Ort" - sind für Hannah wie ein Gütesiegel. Die Sache wird ihr freilich über den Kopf wachsen. Die anfängliche Begeisterung sich in zwanghafte Ergebenheit verwandeln.
Schäfer verwebt die Entstehungsgeschichte der Villa und das Schicksal ihrer ersten Eigentümer, des jüdischen Philosophieprofessors Adam Rosen und seiner Frau Elsa, mit der Sanierungsphase und Inbesitznahme der neuen Hausherren. Das Haus, Hauptschauplatz des Buchs, ist nicht nur Kulisse für Leid und Gräuel der NS-Zeit sowie prestigeträchtiges Zuhause der Lekebuschs, es entfaltet zudem eine unheimliche Macht.
Die freilich haben die Bewohner ihm erst eingeräumt, vor allem Hannah. Für sie gilt, was Elisabeth Winterscheidt in "Das weiße Haus" sagt: "Diese wohlhabenden Menschen (. . .) sehnten sich nach etwas, das sie in ihrem Innern wiederbeleben sollte." Häuser machen Leute.
Verdrängt aus dem Kiez
Das Gegenteil davon gilt ebenso. Wie und vor allem auch wo man wohnt, sagt viel über die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu aus. Aber was passiert, wenn man sich die Innenstadt nicht mehr leisten kann und an den Rand gedrängt wird?
Falls es noch Beweise für die ständige Behauptung brauchte, dass Wohnen die soziale Frage unserer Zeit ist, dann hat sie die Literatur in den zurückliegenden Jahren geliefert. Es sind so viele Romane zur Wohnungsfrage erschienen, dass man Gentrifizierungsliteratur fast ein eigenes Genre nennen kann.
Auch die Zuspitzung des Häuserkampfes lässt sich aus den Romanen ablesen, die selbstverständlich alle in Berlin spielen. Im ersten Buch aus dieser Reihe, Jan Peter Bremers "Der amerikanische Investor" von 2011, wurde zwar das Mietshaus des Protagonisten luxussaniert. Bleiben konnte er immerhin.
In den neuen Romanen ist der Verlust real. Jan Brandt bekommt in seinem autobiographischen Doppelroman "Ein Haus auf dem Land/Eine Wohnung in der Stadt" eine Eigenbedarfskündigung. Das schäbige Mietshaus des Bauarbeiters Olli in Eva Ladipos "Räuber" soll einer Luxusimmobilie weichen. Und Schriftstellerin Resi in Anke Stellings "Schäfchen im Trockenen" wird Opfer der Rache eines enttäuschten Freundes, der als Hauptmieter die sagenhaft günstige Wohnung in Prenzlauer Berg kündigt, in der Resi mit Mann und vier Kindern zur Untermiete lebt.
Dabei hat die Aufsteigerin Resi nicht nur mit dem Verlust ihrer Wohnung zu kämpfen, sondern vor allem mit der Wut auf ihre ehemaligen Freunde: Schwaben wie sie, haben sich die Wohlstandsbürgerkinder in vanilleeisfarbenem Eigentum eingerichtet, natürlich in Form einer Baugruppe, während Resi ihr Büro in der Speisekammer hat. Die Baugruppe K23 ist wie eine Burg mit bodentiefen Fenstern; Abschottung garantieren nicht Zugbrücke und Wassergraben, sondern der hohe Quadratmeterpreis.
In Stellings Roman definiert sich die Zugehörigkeit zu einem Milieu nicht nur übers Eigentum, sondern auch über den Fußbodenbelag: In Resis Stuttgarter Elternhaus lag in der Küche PVC mit grauem Schlierenmuster, bei ihren großbürgerlichen Freunden hingegen sind es Terrakottafliesen. Am Ende muss Resi weichen, nach Ahrensfelde, denn "es gibt kein Recht auf eine Wohnung in der Innenstadt".
Dass die Hölle außerhalb des Berliner S-Bahn-Rings beginnt, darin sind sich alle Gentrifizierungsautoren einig. Bei Stelling liegt sie in Ahrensfelde, Bauarbeiter Olli droht das prollige Hellersdorf und Schriftsteller Jan Brandt das großbürgerliche Schmargendorf. Auch wo die Autoren den Himmel verorten, ist klar: im Berlin der Neunziger- und Nullerjahre, als sich Arbeiterfamilien wie Ollis noch das Leben in Prenzlauer Berg leisten konnten und die Kreuzberger 100-Quadratmeter-Wohnung von Jan Brandt nur 750 Euro warm kostete.
Die Zeit überdauert hat der Anspruch. Wenn schon nicht die gekündigte Wohnung, dann würde Brandt doch gerne dieselbe Fläche behalten, für sich und seine Sachen. Dafür nimmt er den Leser mit auf Wohnungssuche. Mit der Akribie eines Mieterrechtsanwalts dokumentiert er die Härten des Berliner Immobilienmarktes von Maklerprosa bis Mietminderungsschreiben- mitunter etwas langatmig.
Sein Resümee "Immobilien holen das Schlechteste aus dem Menschen heraus" lässt sich auch auf Ladipos Buch "Räuber" übertragen, in dem sich ein linker Politiker in einen Investor verwandelt. Glücklicherweise springt Bauarbeiter Olli beim Kampf um seine Wohnung eine Journalistin zur Seite, die auch bestens in Stellings Baugruppe passen würde, in diesem Fall aber zu den Guten gehört. Das zeigt: Wo die Demarkationslinien im Häuserkampf verlaufen, ist vor allem eine Frage des Standpunkts.
Ort der Familiengeschichte
Durch den Verlust der Wohnung gerät etwas ins Wanken, führt vor Augen "wie brüchig das Leben ist", schreibt Jan Brandt. Denn das gemeinsame Zuhause ist der Ort, an dem sich die Familiengeschichte ereignet. Sie schreibt sich in die Mauern ein. Als historisches Beispiel par excellence gelten die "Buddenbrooks" von Thomas Mann. Steht das Giebelhaus in der Lübecker Mengstraße zunächst für den Aufstieg der bürgerlichen Kaufleute und verkörpert es die Einheit von Familie und Firma im 19. Jahrhundert, so besiegeln sein Verkauf und Verlust am Ende die Auflösung dieser Einheit, den Verfall der Familie und ihr Entgleiten ins Künstlerische.
Doch auch in zeitgenössischen Texten setzen sich Autoren mit dem Haus als Ort der Familiengeschichte und des Erinnerns auseinander. In Katharina Hagenas Bestsellerroman "Der Geschmack von Apfelkernen" erbt Ich-Erzählerin Iris, eine junge Bibliothekarin, das Haus ihrer verstorbenen Großmutter Bertha. Während sie durch leere Räume wandelt, Omas alte Kleider aus Schränken holt, in Fotoalben blättert, lässt das Haus vergessene und verdrängte Erinnerungen aufsteigen: an die sommerliche Leichtigkeit ihrer Kindheit, aber auch an unaufgeklärte Familiengeheimnisse wie die Rolle des Großvaters im Dritten Reich und ihre Cousine Rosemarie, die vom Dach des Gewächshauses in den Tod stürzte. Dabei sind es die sinnlichen Eindrücke des Hauses, wie es duftet ("nach Äpfeln und kalten Steinen"), klingt, sich anfühlt, die Verschüttetes zutage treten lassen. So wird das Haus als Ort des Erinnerns sinnlich erfahrbar, und es gelingt Hagena, eine Stimmung einzufangen, die beim Leser vergessene Gerüche und Gefühle ins Gedächtnis zurückholt.
Eher traumatisch stellt sich die Geschichte einer Kindheit in den Siebzigerjahren dar, die Andreas Maier im Roman "Das Haus" erzählt, dem zweiten Teil seiner autobiographischen Familiensaga "Ortsumgehung" aus der Wetterau. Während die ersten drei Lebensjahre seines Alter Egos Andreas geprägt sind von ausgedehnten Spaziergängen mit seiner Urgroßmutter, ein ziel-, zwang- und zeitloses Umherstreifen, von Momenten einfachen Glücks, markiert der Einzug in das wuchtige, neue Haus der Familie das Ende der unbeschwerten Kindheit: "Seitdem wir in dem neuen Haus wohnten, änderten sich die Gespräche über mich." Von da an wird der introvertierte, wortkarge Junge zum "Problemandreas", der sich erfolgreich weigert, den Kindergarten zu besuchen. Er bleibt im Haus, das Schutz vor der bedrohlichen Außenwelt bietet, und dennoch kein Zuhause ist, in dem er sich geborgen und verstanden fühlt. Das Gebäude bleibt kalt und abweisend.
Bis die Einschulung dem Rückzug ein unerbittliches Ende setzt, erkundet Andreas neugierig und minutiös die Räume. Am glücklichsten ist er, wenn er sich in die Tiefen des dunklen Kellers zurückziehen kann, fasziniert vom Heizraum mit den bunten Schaltern, Lampen und Anzeigen, die auf ihn fast magisch wirken. Die Sehnsucht danach, von "Draußen" wieder nach "Drinnen" (so heißen auch die beiden Teile des Romans) zurückzukehren, bleibt.
Einen kühlen Hauch verströmt auch "Die Villa" in Hans Joachim Schädlichs Roman, der die Zeit vom Ende der Weimarer Republik bis zu den Anfängen der DDR umspannt. In dem 1890 errichteten Gründerzeitbau im vogtländischen Reichenbach verbringt die zu Wohlstand gekommene Familie Kramer ihre besten Jahre - bis der Vater, ein überzeugter Nazi, am Herzinfarkt stirbt, der Krieg die ländliche Idylle zerstört und die Villa nach dem Einmarsch von Amerikanern und Russen abgerissen wird.
Schädlich berichtet in nüchtern-protokollarischem Ton von Schrecken der Kriegszeit wie vom Leben der Familie, das ebenso stumm und starr bleibt wie das Gebäude. Sentimentale Gefühle bringen weder der Autor noch seine Figuren dem Haus entgegen. Schädlichs Buch beginnt mit einer registerhaften Beschreibung der Villa und listet am Ende alle Gebäudeteile auf, die nach ihrem Abriss laut Denkmalschutz herauszubrechen sind. Es bleiben Teile, die kein Ganzes mehr ergeben.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.07.2019Wem die Welt
offensteht
Im ohnehin schwierigen Genre des Berlin-Romans wagt Anke Stelling noch einmal die schwierigste Disziplin, die Milieustudie Prenzlauer Berg. Und zwar mit allem, was dazugehört: Dachgeschosswohnungen, Freiberufler, Mütter, Zugezogene aus Schwaben, Latte macchiato. Doch Stelling seziert diese klischeebehaftete Gesellschaftsschicht aus der Sicht einer vierfachen Mutter, die sich eine Existenz als Schriftstellerin aufbauen will, mit einer Genauigkeit und Gnadenlosigkeit, die weit über den Ort und das Milieu hinausweisen. „Schäfchen im Trockenen“ wird so zum Porträt einer (westdeutschen) Generation, die mit dem Gefühl ins Leben gestartet ist, dass ihr die Welt offensteht und sie diese nach den eigenen Vorstellungen gestalten kann. Und die nun mit Mitte vierzig feststellt, wie klein und eng diese Welt sein kann.
VERENA MAYER
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
offensteht
Im ohnehin schwierigen Genre des Berlin-Romans wagt Anke Stelling noch einmal die schwierigste Disziplin, die Milieustudie Prenzlauer Berg. Und zwar mit allem, was dazugehört: Dachgeschosswohnungen, Freiberufler, Mütter, Zugezogene aus Schwaben, Latte macchiato. Doch Stelling seziert diese klischeebehaftete Gesellschaftsschicht aus der Sicht einer vierfachen Mutter, die sich eine Existenz als Schriftstellerin aufbauen will, mit einer Genauigkeit und Gnadenlosigkeit, die weit über den Ort und das Milieu hinausweisen. „Schäfchen im Trockenen“ wird so zum Porträt einer (westdeutschen) Generation, die mit dem Gefühl ins Leben gestartet ist, dass ihr die Welt offensteht und sie diese nach den eigenen Vorstellungen gestalten kann. Und die nun mit Mitte vierzig feststellt, wie klein und eng diese Welt sein kann.
VERENA MAYER
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Anke Stellings neuer Roman ist "mit Wirklichkeit beschmutzt", stellt Rezensent Jens Bisky nach einer ebenso "atemlosen" wie "empörten" Lektüre fest - und meint das alles ganz und gar positiv. Denn so wütend, rasant und "böse" hat lange niemand mehr das Berliner Selbstverwirklichungsmilieu auseinandergenommen, fährt der Kritiker fort, der hier die Geschichte um die im Stuttgarter Mief der Achtziger aufgewachsene Resi liest, die inzwischen mit Künstler-Mann und vier Kindern in Berlin lebt, auf der Suche nach einer passenden Wohnung ist, vorab allerdings ihr Leben niederschreibt. Wie Stelling hier Selbstverwirklichungsillusionen urbaner Kreativer, "robuste Bürgerlichkeit" und Existenz- und Statussorgen aufeinanderprallen lässt, erinnert Bisky an den realistischen Roman des 19. Jahrhunderts.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH