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Produktdetails
  • Verlag: Hatje Cantz Verlag
  • Seitenzahl: 192
  • Abmessung: 247mm x 200mm x 42mm
  • Gewicht: 1600g
  • ISBN-13: 9783775705493
  • ISBN-10: 377570549X
  • Artikelnr.: 24175989
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.1998

Der Dadasoph und das Eis
Raoul Hausmann, Scharfrichter der bürgerlichen Seele

Als im Jahre 1989 die Tochter des Schriftstellers, Fotografen, Malers und "Dadasophen" Raoul Hausmann (1886 bis 1971), hochbetagt und gebrechlich, unter die gesetzliche Vormundschaft eines Gebrechlichkeitspflegers gestellt wurde, tauchten wenig später auf den Trödelmärkten der Stadt Dokumente und Materialien auf, die Hausmann bei seiner Emigration im Jahre 1933 bei seiner ersten Frau und der gemeinsamen Tochter deponiert hatte. Noch vor dem Tod Vera Hausmanns im Jahre 1992 erwarb die "Berlinische Galerie", durch die plötzlichen Angebote aufmerksam geworden, diesen Teil des Nachlasses und fügte ihn mit den Briefen, Texten, Fotografien und Objekten zusammen, die Hannah Höch während des Zusammenlebens mit Hausmann in den Jahren zwischen 1915 und 1922 gesammelt hatte.

Im Anschluß an die Hausmann-Retrospektive "Der deutsche Spießer ärgert sich" im Gropiusbau (F.A.Z. vom 29. August 1994) legt die "Berlinische Galerie" nun einen umfangreichen Band über die Aktivitäten des unermüdlichen Avantgardisten in Berlin vor. Das bekannte Kapitel der Teilhabe Hausmanns an den dadaistischen Aktionen und Ausstellungen der Jahre 1918 ist in dieser vorzüglich kommentierten Dokumentation nur eine Episode. Sie zeigt vor allem die intellektuellen Suchbewegungen des selbsternannten Henkers der bürgerlichen Welt in den zwanziger Jahren bis hin zur Mitarbeit an Franz Jungs Zeitschrift "Gegner" im Jahre 1931.

Die Selbstinszenierungen mit Monokel oder im nach eigener Modetheorie entworfenen Anzug können über die äußere Erfolglosigkeit Hausmanns in diesen Jahren nicht hinwegtäuschen. Interessant aber ist der Blick in den Bienenkorb der Gedanken und Projekte, den der Nachlaß ermöglicht. Im stets hingebungsvollen Grübeln über die lichtlose Materie, die körperexterne Empfindung, die "Kulturkreislehre" des Ethnologen Leo Frobenius oder die Deutung von Hysterie und Neurasthenie vor dem Hintergrund kosmischer Allbeseelung erweist sich Hausmann als einer jener zeittypischen Querfeldeindenker zwischen Avantgarde und Okkultismus, die gegen die universelle Geltung des Kausalitätsbegriffs rebellierten. Er war am "Archiv für die Hieroglyphische Erschließung des Raumes" ebenso interessiert wie an der Biosophie Ernst Fuhrmanns und setzte in umständlicher Erörterung dem Grafen Hermann Kayserling das eigene "Organdenken" auseinander.

Einer der Schlüssel für die Suchrichtung Hausmanns ist seine Begeisterung für die "Welteislehre" des Ingenieurs Hanns Hörbiger (1860 bis 1931), des Vaters der Schauspieler Paul und Attila Hörbiger. Diese aus der Annahme der Vereisung der Mondoberfläche entwickelte "Glazialkosmogonie" galt nicht nur Literaten, sondern auch Naturwissenschaften der zwanziger Jahre als das geologisch-kosmologische Gegenstück zur Relativitätstheorie. Die kataklystische Natur mit ihren Eruptionen und Protuberanzen folgte dann jener explosiven Logik, deren Ästhetik die Avantgarde sich verschrieben hatte. Hausmanns Typoskripte - etwa "Das Prinzip der universalen Funktionalität und die Welteislehre" - und Aufzeichnungen suchen immer wieder den Brückenschlag zwischen innergesellschaftlicher Rebellion und kosmischem Kataklysmus. Die Welteislehre, der sich später die Nationalsozialisten annahmen, war ein ideales Instrument zur Aufsprengung der Allianz des bürgerlich-liberalen Weltbildes mit einem Evolutionsbegriff, der die phlegmatisch-sukzessive Vervollkommnung als Grundprinzip in Natur wie Kultur zu garantieren schien. LOTHAR MÜLLER

"Scharfrichter der bürgerlichen Seele. Raoul Hausmann in Berlin 1900 bis 1933. Unveröffentlichte Briefe Texte Dokumente aus den Künstler-Archiven der Berlinischen Galerie." Herausgegeben und kommentiert von Eva Zürchner. Berlinische Galerie, Berlin 1998. 532 S., br., als Museumsausgabe 48, im Buchhandel (Hatje Verlag, Stuttgart) geb., 98 Mark. Anläßlich des Erscheinens der Edition ist bis zum 29. März in der Berliner Akademie der Künste die Ausstellung "Raoul Hausmann und seine Freunde" zu sehen.

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