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Produktdetails
  • Verlag: List
  • Seitenzahl: 543
  • Abmessung: 43mm x 146mm x 220mm
  • Gewicht: 825g
  • ISBN-13: 9783471770399
  • ISBN-10: 3471770399
  • Artikelnr.: 24638713
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.06.2000

Sie begriff den Hass nicht
Eine Biografie der legendären Fotografin Tina Modotti
Tina Modotti war schon zu Lebzeiten eine Legende – so verwundert es nicht, dass es bereits unzählige literarische und wissenschaftliche Versuche gibt, sich ihrer geheimnisvollen Persönlichkeit zu nähern. Ihre Biografie, die sie im nachrevolutionären Mexiko zur Zeitgenossin von Diego Rivera, Frida Kahlo und Edward Weston machte, dann über die Sowjetunion in den Spanischen Bürgerkrieg führte, und nicht zuletzt ihr plötzlicher Tod in einem Taxi hat nicht nur abenteuerliche Spekulationen genährt, sondern auch diverse politische Gruppen auf den Plan gerufen, die sie für sich vereinnahmen wollten. „Tina Modotti war – und das war sehr passend für sie – unterwegs gestorben. Obwohl sie liebend gern einem Ort, einem Volk und einem Beruf angehört hätte, war ihr alles, was sie berührte, entglitten”, schreibt die amerikanische Autorin Patricia Albers in ihrer neuen Biografie, und besser kann man das ruhelose Leben der berühmten Fotografin nicht auf den Punkt bringen.
Anscheinend gibt es sie immer noch: jene Koffer oder Schachteln, die nach Jahrzehnten auf dem Dachboden einer bekannten Persönlichkeit gefunden werden. Als die Autorin Verwandte von Modottis erstem Ehemann Lobo aufsuchte, stieß sie auf solch eine Schatztruhe, die zahlreiche Briefe, Fotos und Aufzeichnungen barg. Aber außer der Gewissheit, dass die Ehe mit Lobo nur vorgetäuscht war, „warfen diese Dokumente eben so viele Fragen auf, wie sie Antworten gaben, und es bedurfte jahrelanger weiterer Nachforschungen, um hinter ihre Bedeutung zu kommen”. So hat Albers jede Spur verfolgt, sich durch Archive gewühlt, den Briefwechsel der Modotti auf Hinweise untersucht. Dabei ist es der unermüdlichen Forscherin zwar nicht gelungen, ganz hinter das Geheimnis dieser rätselhaften Frau zu kommen, sie ist ihr aber immerhin näher gekommen. In seiner Sachlichkeit unterscheidet sich das Buch, das ohne Wertung auskommt, angenehm von früheren Modotti-Biografien, die sich durch Hingabe oder vehemente Ablehnung auszeichneten.
Der andere Weg
Wer war Tina Modotti? Selbst ihre berühmten Fotos und der Briefwechsel offenbaren wenig über eine Person, die es geschickt verstand, ihre Gefühle hinter einer undurchdringlichen Maske zu verbergen. Als 17-Jährige ging die Tochter einer armen Arbeiterfamilie aus dem Friaul in die USA, um Elend und Armut zu entkommen. Sie arbeitete am Fließband und als Hutmacherin, bis sie als Modell und Stummfilmschauspielerin entdeckt wurde. Die Begegnung mit dem Künstler Lobo bringt die erste entscheidende Veränderung – wie es immer Männer waren, an denen sie sich orientierte, um einen anderen Weg einzuschlagen. Lobo, ein reicher Erbe, nicht sonderlich erfolgreich als Dichter und Künstler, öffnete ihr die Welt der Boheme und sicherte ihr ein sorgenfreies Leben. Die Autorin vermutet, dass die vorgebliche Hochzeit der beiden zur Beruhigung der auf Tradition bedachten Mutter Lobos diente, die das Paar mit monatlichen Zuwendungen unterstützte.
In Los Angeles lernte Modotti jenen Mann kennen und lieben, dem sie das Medium verdankt, in dem sie sich am wirkungsvollsten ausdrücken konnte: Der angesehene Fotograf Edward Weston führt sie in die Geheimnisse von Bildkomposition und der Laborarbeit ein. Als das Paar nach Mexiko City übersiedelte, fand Modotti den Weg zu streng komponierten, später explizit politischen Fotos, die sie nicht nur in Künstlerkreisen bekannt machten. Neben der Dokumentation von Diego Riveras Wandgemälden, die er in öffentlichem Auftrag für Schulen und staatliche Einrichtungen fertig stellte, hielt sie das Leben der armen Landbevölkerung Mexikos auf Fotos fest, deren Aussagekraft weit über plumpe Sozialanklage hinausgehen. Edward Weston verdankt die Welt auch einige der schönsten Porträts und Aktaufnahmen von Tina Modotti.
Albers beschreibt ein Leben, in dem nichts von Dauer war, weder die Freundschaft und Liebe von Menschen noch die Möglichkeit, eine Weile ohne finanzielle Bedrängnis zu leben. Wegen des Faschismus in Italien war der Kontakt zu ihrer Familie jahrelang abgeschnitten, Lobo starb an einer Pocken-Infektion, und Edward Weston verließ sie, um zu seiner Familie in die USA zurückzukehren. Doch der härteste Schicksalsschlag sollte die Ermordung ihrer großen Liebe Julio Antonio Mella sein – ein cubanischer Revolutionär, der sich ebenso gegen die Diktatur auf Cuba wie gegen den Stalinismus der Kommunistischen Partei auflehnte. Auf einem Abendspaziergang mit seiner Geliebten wurde er aus dem Hinterhalt erschossen. Modotti wurde von der mexikanischen Presse verleumdet und von der Polizei verfolgt, die einen Mord aus Leidenschaft vermutete. Am Ende kam neben der unendlichen Trauer auch noch die Ausweisung aus Mexiko hinzu, weil die Regierung den Mord an Mella nutzte, um in der Linken aufzuräumen. Später wird sich herausstellen, dass Modotti zudem von Mussolinis Geheimdienst beobachtet wurde. Ihre Schutzlosigkeit rührte daher, wie ihr letzter Gefährte Vittorio Vidali einmal feststellte, dass sie „unverbesserlich blauäugig” war, „sie war nicht nur . . . unfähig, zu hassen, sondern sie begriff auch den Hass anderer nicht”.
Nach einer Odyssee über Berlin und Paris ging Modotti mit Vittorio Vidali Anfang der dreißiger Jahre nach Moskau, um für die Rote Hilfe zu arbeiten und sich um die lateinamerikanische Gemeinde zu kümmern. Weil sie hier wenig Briefe schrieb, weiß man kaum etwas über diese Zeit, ebenso wenig über die nachfolgende, in der sie als Krankenschwester im Madrid des Spanischen Bürgerkrieges arbeitete. Mit Vorbehalt bezieht sich Albers auf die Autobiografie Vidalis, dessen Person bis heute umstritten ist. Seine unrühmliche Rolle im Spanischen Bürgerkrieg, als die Stalinisten die republikanische Front von Anarchisten und Mitgliedern der trotzkinahen POUM „säuberten”, ist inzwischen zwar historisch verbürgt, aber es bleiben immer noch Fragen offen. Beispielsweise jene, inwieweit Tina Modotti eingeweiht war und ob sie seine Taten billigte. In Moskau, aber auch in Spanien erwies sie sich jedenfalls als unduldsame und verbissene Kommunistin, die keine Meinung jenseits der Parteilinie zuließ.
Patricia Albers ist den Spuren dieses Lebens gefolgt, das sich immer mehr auf den Abgrund zu bewegte – bis zum bitteren Ende: Zurück in Mexiko, als Modotti gezwungen war, sich in der Illegalität einzurichten und in Armut zu leben, blieben ihr noch drei Jahre. Vergangen war die Schönheit, die Lebensfreude und die Hoffnung auf eine glorreiche Zukunft. Frühere Freunde haben sie kaum wieder erkannt. Sie war „wie mein Heimatland: traurig, schmerzerfüllt und glanzvoll”, schrieb einer, der sie kannte, und hat damit treffend das Elend ihrer letzten Jahre charakterisiert.
ELKE SCHUBERT
PATRICIA ALBERS: Schatten, Feuer, Schnee. Das Leben der Tina Modotti. List Verlag, München 2000. 528 Seiten, 48 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Elke Schubert lobt an dieser Biografie über Tina Modotti vor allem die Sachlichkeit und die Recherchen der Autorin. Auch habe die Auswertung bisher unbekannter Briefe, Fotos und anderer Schätze, die Albas bei Verwandten des ersten Ehemanns Tina Modottis gefunden hat, zu weiteren Nachforschungen angeregt. Zwar bleiben für die Rezensentin dennoch einige Fragen ungeklärt, besonders aus Modettis Zeit in Moskau und Spanien, da es aus dieser Zeit nur wenige aufschlussreiche Briefe gibt. Als Beispiel dafür nennt sie u. a. die Frage, inwieweit Modotti über die "unrühmliche Rolle" ihres Lebensgefährten Vittorio Vidali im Spanischen Bürgerkrieg informiert war. Dennoch ist die Autorin dem "Geheimnis dieser rätselhaften Frau (...) immerhin näher gekommen", so Schubert. Mit ihrer Feststellung, dass Modotti `alles, was sie berührte, entglitten` sei - ein Ort, ein Volk oder ein Beruf, zu dem sie sich zugehörig gefühlt hätte - sei es der Autorin gelungen, Modottis Rastlosigkeit "auf den Punkt zu bringen".

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