In den achtziger Jahren entschied sich die amerikanische Regierung, die Aktenbestände der Vorgängerorganisation der CIA, des 'Office of Stategic Services' (OSS), der Forschung zugänglich zu machen. Der Autor, Christof Mauch, verbrachte mehr als ein Jahr im Washingtoner Archiv, um sich einen Überblick über die mehr als zwei Kilometer Geheimdienstakten zu verschaffen. Über einzelne Stützpunkte, besonders über die Außenstelle Bern, waren die amerikanischen Geheimdienste sowohl über die Vorbereitungen zum Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 auf dem Laufenden als auch über die Produktion von V-Raketen in Peenemünde, wobei es teilweise zu Verstößen gegen die Genfer Konvention kam. Zu den amerikanischen Geheimdienstaktionen zählte auch die Gewinnung des Auslandspressechefs der NSDAP, Ernst 'Putzi' Hanfstaengel, der als Roosevelts 'Privatspion' täglich Analysen von Hitlers und Goebbels Rundfunkreden lieferte. Christof Mauch zeigt, welche Diskussionen man in Washington führte, um die 'Achillesferse des Dritten Reichs' - das heißt die politischen, ökonomischen und moralischen Schwachstellen von Hitlerdeutschland - zu identifizieren. Unter anderem 'errechneten' die führenden Wirtschaftswissenschaftler der USA, welche Ziele man in Deutschland bombardieren müsse, um mit dem geringsten Einsatz den größten Zerstörungseffekt zu erzielen. Mit seiner Darstellung hat Christof Mauch ein Standartwerk der Geschichtsschreibung vorgelegt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.1999Mystische Bauwerke
Die amerikanischen Geheimdienste mit dem Gentleman-Dilettanten William Donovan an der Spitze und das Dritte Reich
Christof Mauch: Schattenkrieg gegen Hitler. Das Dritte Reich im Visier der amerikanischen Geheimdienste 1941-1945. Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 1999. 448 Seiten, 49,80 Mark.
"Wild Bill" und seine Ideen stießen zunächst auf wenig Gegenliebe. Amerikanische Gentlemen seien zu fein, fremde Post zu lesen, meinte das Ostküsten-Establishment und lehnte das dreckige Geschäft des Herumschnüffelns ab. Das war zu einer Zeit, als Amerika sich noch isolationistischen Tagträumen hingab. Noch 1941 wähnte ein hoher Beamter des State Department, der Aufbau eines amerikanischen Geheimdiensts, welcher auch die ethnischen Gruppierungen etlicher Bindestrich-Amerikaner im eigenen Land prüfend im Auge behalten sollte, komme der Gründung einer potentiellen amerikanischen Gestapo nahe. Doch bei Licht betrachtet war die Idee so unamerikanisch nicht - jedenfalls für Amerikaner, die sich im Kriege befinden. Schon George Washington hatte sich von den Gründungsvätern eine Art Reptilienfonds bewilligen lassen, damit er Spionage gegen die Briten finanzieren konnte. Und im Bürgerkrieg verließ sich Abraham Lincoln nicht nur auf Luftaufklärung mittels Ballons, sondern richtete 1863 einen Kriegsgeheimdienst ein. Er nannte sich Bureau of Military Information, hatte auch Sympathisanten der Südstaaten hinter der Nordstaatenfront zu überwachen, wurde freilich schon 1865 wieder aufgelöst.
Der typische Amerikaner betrachtete die Geheimdienste als europäisches Übel, dessen man sich im Krieg notgedrungen bedienen mußte. Kaum herrschte wieder Frieden, wähnte sich das Land im Schutz zweier riesiger Ozeane so sicher, daß es meinte, es könnte auf diesen "imperialistischen Fluch" verzichten. Weil die im Ersten Weltkrieg aufgebaute Military Information Division des Kriegsministeriums in den zwanziger und dreißiger Jahren durch ständige Etatkürzungen schließlich eine Kümmerexistenz führte, stolperten die Vereinigten Staaten beinahe "blind" in den Zweiten Weltkrieg. Im Auftrag Roosevelts schuf schließlich William Joseph Donovan, ein erfolgreicher Rechtsanwalt an der Wall Street, das Office of Strategic Services (OSS) - jenen amerikanischen Geheimdienst des Zweiten Weltkriegs also, der seriöse und abenteuerliche, bürokratische und phantastische Elemente in sich vereint und einem Polypen mit zahllosen Tentakeln vergleichbar ist: Neben seinem "Hirn", der Research & Analysis Division (R & D), in der Professoren der Ivy League politische und geographische, ökonomische und strategische Expertisen über Absichten, Möglichkeiten und Schwachpunkte des Feindes erstellten, gab es natürlich auch jene Abteilungen, die das Herz jedes James-Bond-Liebhabers höher schlagen lassen. Die Special Assistents Division (SAD) erfand Drogen, Suizidtabletten oder Sprengstoffe, die wie Kohle, Steine oder Düngemittel aussahen; die Research- und Development-Branch (R & D) produzierte Miniaturbomben und Zündverzögerer, schallgedämpfte Revolver oder einen Weitwinkel-Fotoapparat, der keiner Schärfeneinstellung bedurfte; die C & D, die Censorship- and Documentation-Division, war auf die Fälschung von Führerscheinen, Personalausweisen oder Arbeitserlaubnissen in den von den Deutschen besetzten Zonen spezialisiert.
Spionage, Sabotage, Subversion.
Daß die klassischen, die romanhaften Ingredienzien des geheimen Gewerbes nicht zu kurz kamen, dafür sorgte schon sein phantasiebegabter Gründer, der seinen Spitznamen "Wild Bill" als Kommandeur des 165. Infanterieregiments an der französischen Front im Ersten Weltkrieg erhielt. Die von ihm vielbewunderten Briten, Altmeister des Schattenkriegs, überzeugten ihn von Spionage, Sabotage und Subversionen als effektiven Formen der Kriegführung, als er im Sommer 1940 als Emissär Roosevelts nach Großbritannien flog. Den völlig unerwarteten Zusammenbruch der französischen Armee 1940 erklärte er nicht mit besserer Führung und überlegenem Material der deutschen Truppen, sondern ausschließlich mit dem Wirken einer fünften Kolonne, deren Existenz für Donovan offenbar zum unbeirrbaren Glaubenssatz wurde, wenn nicht zur fixen Idee gerann. In einer Broschüre, die er zusammen mit einem Korrespondenten der "Chicago Tribune" verfaßte und in der er Amerika vor den Gefahren moderner trojanischer Pferde warnen wollte, schildert er Hitler als hinterlistigen Magier, der seine Siege angeblich nur seiner hervorragenden Propaganda und tausend Tricks der psychologischen Kriegführung verdanke. Ein Besessener also?
Ohne Donovans festen Glauben an die fünfte Kolonne, urteilt Christof Mauch in seiner großangelegten, gründlichen Studie "Schattenkrieg gegen Hitler", lasse sich das Gewicht nicht verstehen, das man im OSS auf die Analyse feindlicher Propaganda, auf die Strategien psychologischer Kriegführung und auf die Beobachtung ethnischer Gruppen im eigenen Lande gelegt habe. Mauch, stellvertretender Leiter des Deutschen Historischen Instituts in Washington, hatte Einblick in die von der amerikanischen Regierung in den achtziger Jahren freigegebenen Akten des OSS. Er schildert Donovan als eingefleischten Gegner alles Totalitären, der Amerika Anfang der vierziger Jahre aus seinen isolationistischen Tagträumen wachzurütteln suchte. Mittels einer Expertise gelang es dem Wall Street Lawyer, jenes berühmte Geschäft einzufädeln, das den Briten fünfzig alte Zerstörer gegen die Abtretung von Stützpunkten überließ und den Anfang vom Ende der amerikanischen Neutralität bedeutete.
Es waren stets Beziehungen unter Gentlemen des weißen Ostküsten-Establishments, die Donovan dabei ins Spiel zu bringen verstand: Wie Roosevelt hatte er an der Columbia University Jura studiert, wie dessen späterer Kriegsminister Henry Stimson oder Marineminister Frank Knox zählte er zur republikanischen Prominenz der Ostküste. Und es waren durchweg erfolgsverwöhnte Gentlemen, die "Wild Bill" gut kannte und auf die er sich verlassen konnte - Industriebosse, Diplomaten und Aufsichtsratsvorsitzende -, die er beim Aufbau seines Dienstes in die Schlüsselpositionen lancierte. Dabei scheint die Atmosphäre des Geheimnisvollen und Abenteuerlichen auf die "dramatische Figur" Donovan geradezu magische Anziehungskraft ausgeübt zu haben.
Kritiker rügten seinen Hang zur Konfusion, seinen chaotischen Stil und seine Faszination durch die bizarrsten Projekte. Doch zahlreicher waren die Freunde, die selbst diesen Schwächen angenehme Seiten abgewinnen: Sie bewunderten an ihm Mut, Offenheit und die Kunst des Delegierens, sie rühmten seine Freude am Experiment, seine visionäre Kraft und seinen großen Charme. Der neue Geheimdienstboß habe fast jeden Mitarbeiter persönlich gekannt, sich alles angehört, sich von den Arbeitsbedingungen in Nordafrika oder der Normandie selbst überzeugt und sich auf die Kunst des Motivierens wie kein anderer verstanden. So mauserte sich der Gentleman-Dilettant bald zum Profi, der seinen Dienst in eine ernstzunehmende Kriegswaffe verwandelte. Die politische Einstellung der Masse seiner Mitarbeiter kümmerte ihn nicht, entscheidend blieb stets, daß es sich um herausragende Fachleute handelte. Unter den deutschen Emigranten, die in seiner Research- und Analyse-Abteilung arbeiteten, finden sich Konservative und linke Katholiken, aber auch Sozialisten wie Herbert Marcuse. Daß es Donovan gelang, führende amerikanische Wissenschaftler zu integrieren, führte dazu, daß die Expertisen des OSS oft akkurater als die des State Departments oder der Militärs waren. Dennoch schlichen sich immer wieder Fehler ein, etwa wenn der deutsche Bestand an Flugzeugen im Juni 1941 mit 24 000 Stück beziffert wurde - eine maßlose Überschätzung, denn die Luftwaffe verfügt zu diesem Zeitpunkt nur über 3000 Jagdflugzeuge und Bomber.
Richtig war dagegen das Urteil der Fachleute von Donovans Enemy Objectives Unit (EOU), in der an führender Stelle der spätere Präsidentenberater Walt Rostow tätig war. Als Londoner Außenstelle des OSS hatte sie Ziele für Präzisionsbombardements ausfindig zu machen. Um der deutschen Kriegswirtschaft den größten meßbaren Sachschaden zuzufügen, benannte sie die synthetischen Treibstofffabriken als Objekte gegen Einwände der Briten, die eher Bahnanlagen zerstören wollten. Kein anderer als der deutsche Rüstungsminister Albert Speer gab dieser EOU-Einschätzung nachträglich recht: Die Tagesangriffe der amerikanischen Eighth Air Force im Mai und Juni 1944 gegen die Hydrieranlagen in Mitteldeutschland, so Speer in seinen Memoiren, hätten nicht nur eine neue Ära des Luftkriegs, sondern auch das "Ende der deutschen Rüstungsproduktion" bedeutet.
Wenig Einfluß.
Mauch schreibt in der Art angelsächsischer Historiker: bei aller gebotenen Seriosität eingängig, gut lesbar, streckenweise spannend. Auf die entscheidenden politischen Weichenstellungen hat der OSS nach seinem Urteil allerdings wenig Einfluß gehabt, wie das Beispiel des "Gentleman-Spy" Allen Dulles zeigt, der in Bern sein "großes Fenster in die faschistische Welt" unterhielt. Wie kein anderer wußte Dulles, schon wegen seiner engen Kontakte zu deutschen Angehörigen des Widerstandes, die innere Lage des Reichs realistisch einzuschätzen. Seine Forderung, den Deutschen müsse durch die Alliierten eine positive Perspektive für die Nachkriegszeit angeboten werden, verhallte indes so ungehört wie seine Warnungen vor der Casablanca-Formel von der bedingungslosen Kapitulation. Doch liegen Wahrheit und Irrtum auch im Falle Dulles nahe beieinander. Amerikas Spymaster in der Schweiz tat sich schwer damit, die sogenannte Alpenfestung, die vermeintliche Zitadelle des letzten, erbitterten Widerstands der Deutschen, rechtzeitig als Chimäre ins Reich der Sage zu verweisen. Um dieses mythische Bollwerk zu stürmen, stoppte Eisenhower den Vormarsch nach Berlin und Prag und ließ seine Armeen nach Süden einschwenken - eine Fehlentscheidung, die das Schicksal Europas auf lange Sicht bestimmen sollte.
PETER MERSEBURGER
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Die amerikanischen Geheimdienste mit dem Gentleman-Dilettanten William Donovan an der Spitze und das Dritte Reich
Christof Mauch: Schattenkrieg gegen Hitler. Das Dritte Reich im Visier der amerikanischen Geheimdienste 1941-1945. Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 1999. 448 Seiten, 49,80 Mark.
"Wild Bill" und seine Ideen stießen zunächst auf wenig Gegenliebe. Amerikanische Gentlemen seien zu fein, fremde Post zu lesen, meinte das Ostküsten-Establishment und lehnte das dreckige Geschäft des Herumschnüffelns ab. Das war zu einer Zeit, als Amerika sich noch isolationistischen Tagträumen hingab. Noch 1941 wähnte ein hoher Beamter des State Department, der Aufbau eines amerikanischen Geheimdiensts, welcher auch die ethnischen Gruppierungen etlicher Bindestrich-Amerikaner im eigenen Land prüfend im Auge behalten sollte, komme der Gründung einer potentiellen amerikanischen Gestapo nahe. Doch bei Licht betrachtet war die Idee so unamerikanisch nicht - jedenfalls für Amerikaner, die sich im Kriege befinden. Schon George Washington hatte sich von den Gründungsvätern eine Art Reptilienfonds bewilligen lassen, damit er Spionage gegen die Briten finanzieren konnte. Und im Bürgerkrieg verließ sich Abraham Lincoln nicht nur auf Luftaufklärung mittels Ballons, sondern richtete 1863 einen Kriegsgeheimdienst ein. Er nannte sich Bureau of Military Information, hatte auch Sympathisanten der Südstaaten hinter der Nordstaatenfront zu überwachen, wurde freilich schon 1865 wieder aufgelöst.
Der typische Amerikaner betrachtete die Geheimdienste als europäisches Übel, dessen man sich im Krieg notgedrungen bedienen mußte. Kaum herrschte wieder Frieden, wähnte sich das Land im Schutz zweier riesiger Ozeane so sicher, daß es meinte, es könnte auf diesen "imperialistischen Fluch" verzichten. Weil die im Ersten Weltkrieg aufgebaute Military Information Division des Kriegsministeriums in den zwanziger und dreißiger Jahren durch ständige Etatkürzungen schließlich eine Kümmerexistenz führte, stolperten die Vereinigten Staaten beinahe "blind" in den Zweiten Weltkrieg. Im Auftrag Roosevelts schuf schließlich William Joseph Donovan, ein erfolgreicher Rechtsanwalt an der Wall Street, das Office of Strategic Services (OSS) - jenen amerikanischen Geheimdienst des Zweiten Weltkriegs also, der seriöse und abenteuerliche, bürokratische und phantastische Elemente in sich vereint und einem Polypen mit zahllosen Tentakeln vergleichbar ist: Neben seinem "Hirn", der Research & Analysis Division (R & D), in der Professoren der Ivy League politische und geographische, ökonomische und strategische Expertisen über Absichten, Möglichkeiten und Schwachpunkte des Feindes erstellten, gab es natürlich auch jene Abteilungen, die das Herz jedes James-Bond-Liebhabers höher schlagen lassen. Die Special Assistents Division (SAD) erfand Drogen, Suizidtabletten oder Sprengstoffe, die wie Kohle, Steine oder Düngemittel aussahen; die Research- und Development-Branch (R & D) produzierte Miniaturbomben und Zündverzögerer, schallgedämpfte Revolver oder einen Weitwinkel-Fotoapparat, der keiner Schärfeneinstellung bedurfte; die C & D, die Censorship- and Documentation-Division, war auf die Fälschung von Führerscheinen, Personalausweisen oder Arbeitserlaubnissen in den von den Deutschen besetzten Zonen spezialisiert.
Spionage, Sabotage, Subversion.
Daß die klassischen, die romanhaften Ingredienzien des geheimen Gewerbes nicht zu kurz kamen, dafür sorgte schon sein phantasiebegabter Gründer, der seinen Spitznamen "Wild Bill" als Kommandeur des 165. Infanterieregiments an der französischen Front im Ersten Weltkrieg erhielt. Die von ihm vielbewunderten Briten, Altmeister des Schattenkriegs, überzeugten ihn von Spionage, Sabotage und Subversionen als effektiven Formen der Kriegführung, als er im Sommer 1940 als Emissär Roosevelts nach Großbritannien flog. Den völlig unerwarteten Zusammenbruch der französischen Armee 1940 erklärte er nicht mit besserer Führung und überlegenem Material der deutschen Truppen, sondern ausschließlich mit dem Wirken einer fünften Kolonne, deren Existenz für Donovan offenbar zum unbeirrbaren Glaubenssatz wurde, wenn nicht zur fixen Idee gerann. In einer Broschüre, die er zusammen mit einem Korrespondenten der "Chicago Tribune" verfaßte und in der er Amerika vor den Gefahren moderner trojanischer Pferde warnen wollte, schildert er Hitler als hinterlistigen Magier, der seine Siege angeblich nur seiner hervorragenden Propaganda und tausend Tricks der psychologischen Kriegführung verdanke. Ein Besessener also?
Ohne Donovans festen Glauben an die fünfte Kolonne, urteilt Christof Mauch in seiner großangelegten, gründlichen Studie "Schattenkrieg gegen Hitler", lasse sich das Gewicht nicht verstehen, das man im OSS auf die Analyse feindlicher Propaganda, auf die Strategien psychologischer Kriegführung und auf die Beobachtung ethnischer Gruppen im eigenen Lande gelegt habe. Mauch, stellvertretender Leiter des Deutschen Historischen Instituts in Washington, hatte Einblick in die von der amerikanischen Regierung in den achtziger Jahren freigegebenen Akten des OSS. Er schildert Donovan als eingefleischten Gegner alles Totalitären, der Amerika Anfang der vierziger Jahre aus seinen isolationistischen Tagträumen wachzurütteln suchte. Mittels einer Expertise gelang es dem Wall Street Lawyer, jenes berühmte Geschäft einzufädeln, das den Briten fünfzig alte Zerstörer gegen die Abtretung von Stützpunkten überließ und den Anfang vom Ende der amerikanischen Neutralität bedeutete.
Es waren stets Beziehungen unter Gentlemen des weißen Ostküsten-Establishments, die Donovan dabei ins Spiel zu bringen verstand: Wie Roosevelt hatte er an der Columbia University Jura studiert, wie dessen späterer Kriegsminister Henry Stimson oder Marineminister Frank Knox zählte er zur republikanischen Prominenz der Ostküste. Und es waren durchweg erfolgsverwöhnte Gentlemen, die "Wild Bill" gut kannte und auf die er sich verlassen konnte - Industriebosse, Diplomaten und Aufsichtsratsvorsitzende -, die er beim Aufbau seines Dienstes in die Schlüsselpositionen lancierte. Dabei scheint die Atmosphäre des Geheimnisvollen und Abenteuerlichen auf die "dramatische Figur" Donovan geradezu magische Anziehungskraft ausgeübt zu haben.
Kritiker rügten seinen Hang zur Konfusion, seinen chaotischen Stil und seine Faszination durch die bizarrsten Projekte. Doch zahlreicher waren die Freunde, die selbst diesen Schwächen angenehme Seiten abgewinnen: Sie bewunderten an ihm Mut, Offenheit und die Kunst des Delegierens, sie rühmten seine Freude am Experiment, seine visionäre Kraft und seinen großen Charme. Der neue Geheimdienstboß habe fast jeden Mitarbeiter persönlich gekannt, sich alles angehört, sich von den Arbeitsbedingungen in Nordafrika oder der Normandie selbst überzeugt und sich auf die Kunst des Motivierens wie kein anderer verstanden. So mauserte sich der Gentleman-Dilettant bald zum Profi, der seinen Dienst in eine ernstzunehmende Kriegswaffe verwandelte. Die politische Einstellung der Masse seiner Mitarbeiter kümmerte ihn nicht, entscheidend blieb stets, daß es sich um herausragende Fachleute handelte. Unter den deutschen Emigranten, die in seiner Research- und Analyse-Abteilung arbeiteten, finden sich Konservative und linke Katholiken, aber auch Sozialisten wie Herbert Marcuse. Daß es Donovan gelang, führende amerikanische Wissenschaftler zu integrieren, führte dazu, daß die Expertisen des OSS oft akkurater als die des State Departments oder der Militärs waren. Dennoch schlichen sich immer wieder Fehler ein, etwa wenn der deutsche Bestand an Flugzeugen im Juni 1941 mit 24 000 Stück beziffert wurde - eine maßlose Überschätzung, denn die Luftwaffe verfügt zu diesem Zeitpunkt nur über 3000 Jagdflugzeuge und Bomber.
Richtig war dagegen das Urteil der Fachleute von Donovans Enemy Objectives Unit (EOU), in der an führender Stelle der spätere Präsidentenberater Walt Rostow tätig war. Als Londoner Außenstelle des OSS hatte sie Ziele für Präzisionsbombardements ausfindig zu machen. Um der deutschen Kriegswirtschaft den größten meßbaren Sachschaden zuzufügen, benannte sie die synthetischen Treibstofffabriken als Objekte gegen Einwände der Briten, die eher Bahnanlagen zerstören wollten. Kein anderer als der deutsche Rüstungsminister Albert Speer gab dieser EOU-Einschätzung nachträglich recht: Die Tagesangriffe der amerikanischen Eighth Air Force im Mai und Juni 1944 gegen die Hydrieranlagen in Mitteldeutschland, so Speer in seinen Memoiren, hätten nicht nur eine neue Ära des Luftkriegs, sondern auch das "Ende der deutschen Rüstungsproduktion" bedeutet.
Wenig Einfluß.
Mauch schreibt in der Art angelsächsischer Historiker: bei aller gebotenen Seriosität eingängig, gut lesbar, streckenweise spannend. Auf die entscheidenden politischen Weichenstellungen hat der OSS nach seinem Urteil allerdings wenig Einfluß gehabt, wie das Beispiel des "Gentleman-Spy" Allen Dulles zeigt, der in Bern sein "großes Fenster in die faschistische Welt" unterhielt. Wie kein anderer wußte Dulles, schon wegen seiner engen Kontakte zu deutschen Angehörigen des Widerstandes, die innere Lage des Reichs realistisch einzuschätzen. Seine Forderung, den Deutschen müsse durch die Alliierten eine positive Perspektive für die Nachkriegszeit angeboten werden, verhallte indes so ungehört wie seine Warnungen vor der Casablanca-Formel von der bedingungslosen Kapitulation. Doch liegen Wahrheit und Irrtum auch im Falle Dulles nahe beieinander. Amerikas Spymaster in der Schweiz tat sich schwer damit, die sogenannte Alpenfestung, die vermeintliche Zitadelle des letzten, erbitterten Widerstands der Deutschen, rechtzeitig als Chimäre ins Reich der Sage zu verweisen. Um dieses mythische Bollwerk zu stürmen, stoppte Eisenhower den Vormarsch nach Berlin und Prag und ließ seine Armeen nach Süden einschwenken - eine Fehlentscheidung, die das Schicksal Europas auf lange Sicht bestimmen sollte.
PETER MERSEBURGER
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Paul Stauffer lobt an dieser Studie besonders die Fähigkeit des Autors, „seine akribisch erarbeiteten Forschungsergebnisse in gut lesbarer Form zu präsentieren“, aber: Zwar äußert Stauffer durchaus Verständnis dafür, dass Maucher sich vor allem mit den amerikanischen Geheimdiensttätigkeiten um Allan Dulles, die sich speziell gegen Deutschland richteten, befasst hat. Bedauerlich findet der Rezensent aber dennoch, dass Maucher kaum auf die Unterstützung eingeht, die Dulles bei seiner Tätigkeit in Bern von Schweizer „Vertretern ganz unterschiedlicher Lebensbereiche und Gesellschaftskreise“ erhalten hat. Auch merkt er kritisch an, dass Maucher von einem „deutschen Geschäftsmann“ Walter Bovari spricht, obwohl es sich bei diesem doch offenbar um den Schweizer Industriellen und Chef des Brown-Boveri-Konzerns gehandelt habe. Völlig unerwähnt bleibe der Physiker Paul Scherrer (ETH Zürich), der Alan Dulles wichtige Auskünfte zur Entwicklung der Atombombe gegeben habe. Dennoch merkt Stauffer anerkennend an, dass dieses Buch die wichtige Erkenntnis vermittelt, die Schweiz sei als „Nachrichtenzentrum“ im Zweiten Weltkrieg von größerer Bedeutung gewesen, „als hierzulande bisher angenommen“.
© Perlentaucher Medien GmbH
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