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Zeit: 1888. In der Hafenmetropole Bankok wird von einer Reederei dringend ein Schiffsführer gesucht, der eine günstige Ladung von hier nach Singapur transportieren soll. Im Hafen wartet eine schnittige Dreimastbark, schon beladen und bemannt mit einer malaiischen Crew. Auf eine maßgebliche Empfehlung hin übergibt der Eigner seinen Segler einem jungen, frisch ernannten Kapitän als erstes Kommando.
Entfernung von Hafen zu Hafen: 800 Seemeilen - eine Strecke, die Schiffe wie das eben erwähnte flott in zehn Tagen zurücklegen. Der junge englische Kapitän jedoch, der glaubte, schon sein Glück gemacht zu haben, benötigt die doppelte Zeit. Für ihn wird sein erstes Kommando gleichsam zu einem Horrortrip. Zu einer Prüfung ohnegleichen, die seiner gesamten Existenz gilt.
Jene Schattenlinie, die unsere unbekümmerte Jugend vom Beginn unserer Reife trennt, von unserem neuen Verantwortungsgefühl für die anderen, die Gesellschaft, läßt dieser Schiffskommandant für immer hinter sich.
»Schattenlinie« erschien 1917. Der Roman ist das Meisterwerk aus der Spätzeit des Autors Joseph Conrad. Zugleich ist er sein einziger autobiographischer Roman. Er selbst, Conrad, ist also der Ich-Erzähler, der neuernannte Kapitän. Auch er erhielt sein erstes Kommando in Bankok.
Muß man noch erwähnen, daß Joseph Conrad (1857-1924) ein Pseudonym des gebürtigen Polen Teodor Józef Konrad (1857-1924) ein Pseudonym des gebürtigen Polen Teodor Józef Konrad (Nalecz) Korzeniowski ist? Mit siebzehn verließ er seine Heimat. Rund zwanzig Jahre fuhr er zur See. Erst als Kapitän der britischen Handelsmarine entschloß er sich, seinen von Kind auf gehegten Berufswunsch zu realisieren: den eines Buchautors.
Man hat Conrad nachgesagt, er schreibe »das genaueste und schönste Englisch seiner Zeit«. Seine Prosa ist nüchtern, spannend, nautisch präzis und gedämpft farbig in einem, dabei nicht ohne Humor. Ihre Spiritualität aber bleibt immer bitterklar - ob sich nun beim Dichter ein tiefer Pessimismus geltend macht oder ob er sich stoisch und unbeugsam zu einer humanen Maxime bekennt.
Thomas Mann, oft als der unbestreitbar größte Romancier des 20. Jahrhunderts gefeiert, erinnerte bei solchen Anlässen nicht selten an Joseph Conrad: »Er überragt uns alle.«
Nunmehr beginnt dieser großartige, wirklich große Erzähler überall auf der Welt eine neue Aktualität zu gewinnen. Auch Heinz Piontek trägt dazu bei mit seiner glänzenden Übersetzung des Romans.
Zeit: 1888. In der Hafenmetropole Bankok wird von einer Reederei dringend ein Schiffsführer gesucht, der eine günstige Ladung von hier nach Singapur transportieren soll. Im Hafen wartet eine schnittige Dreimastbark, schon beladen und bemannt mit einer malaiischen Crew. Auf eine maßgebliche Empfehlung hin übergibt der Eigner seinen Segler einem jungen, frisch ernannten Kapitän als erstes Kommando.
Entfernung von Hafen zu Hafen: 800 Seemeilen - eine Strecke, die Schiffe wie das eben erwähnte flott in zehn Tagen zurücklegen. Der junge englische Kapitän jedoch, der glaubte, schon sein Glück gemacht zu haben, benötigt die doppelte Zeit. Für ihn wird sein erstes Kommando gleichsam zu einem Horrortrip. Zu einer Prüfung ohnegleichen, die seiner gesamten Existenz gilt.
Jene Schattenlinie, die unsere unbekümmerte Jugend vom Beginn unserer Reife trennt, von unserem neuen Verantwortungsgefühl für die anderen, die Gesellschaft, läßt dieser Schiffskommandant für immer hinter sich.
»Schattenlinie« erschien 1917. Der Roman ist das Meisterwerk aus der Spätzeit des Autors Joseph Conrad. Zugleich ist er sein einziger autobiographischer Roman. Er selbst, Conrad, ist also der Ich-Erzähler, der neuernannte Kapitän. Auch er erhielt sein erstes Kommando in Bankok.
Muß man noch erwähnen, daß Joseph Conrad (1857-1924) ein Pseudonym des gebürtigen Polen Teodor Józef Konrad (1857-1924) ein Pseudonym des gebürtigen Polen Teodor Józef Konrad (Nalecz) Korzeniowski ist? Mit siebzehn verließ er seine Heimat. Rund zwanzig Jahre fuhr er zur See. Erst als Kapitän der britischen Handelsmarine entschloß er sich, seinen von Kind auf gehegten Berufswunsch zu realisieren: den eines Buchautors.
Man hat Conrad nachgesagt, er schreibe »das genaueste und schönste Englisch seiner Zeit«. Seine Prosa ist nüchtern, spannend, nautisch präzis und gedämpft farbig in einem, dabei nicht ohne Humor. Ihre Spiritualität aber bleibt immer bitterklar - ob sich nun beim Dichter ein tiefer Pessimismus geltend macht oder ob er sich stoisch und unbeugsam zu einer humanen Maxime bekennt.
Thomas Mann, oft als der unbestreitbar größte Romancier des 20. Jahrhunderts gefeiert, erinnerte bei solchen Anlässen nicht selten an Joseph Conrad: »Er überragt uns alle.«
Nunmehr beginnt dieser großartige, wirklich große Erzähler überall auf der Welt eine neue Aktualität zu gewinnen. Auch Heinz Piontek trägt dazu bei mit seiner glänzenden Übersetzung des Romans.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2017Bericht von der seelischen Grenze
Einer der großen Seeschriftsteller in einer hinreißenden Ausgabe: Joseph Conrads "Die Schattenlinie"
Die Buchausgabe des Romans "Die Schattenlinie" erschien vor ziemlich genau hundert Jahren, im April 1917. Joseph Conrad - mit bürgerlichem Namen Józef Teodor Nalecz Konrad Korzeniowski - greift darin Ereignisse aus seinem Seemannsleben auf, als er 1888 in Südostasien zum ersten und einzigen Mal als Kapitän ein Schiff befehligte. Das Spätwerk eines großen Schriftstellers also - Conrad starb 1924 -, der mit den Augen des Alters und des sesshaft Gewordenen auf ein prägendes Erlebnis des jungen Seemanns zurückschaut.
Zugleich pulsiert in diesem Buch die neue Zeit, und das ist der Erste Weltkrieg, in den auch Conrads Sohn Borys gezogen ist. (Das Buch ist ihm und seiner Generation gewidmet.) Also: eine Kriegsgeschichte in Form einer Seegeschichte? Auch das ließe sich vertreten, wenn man sie als Drama der Prüfung eines jungen Mannes liest. Plötzlich erkennt der namenlose Ich-Erzähler, dass seine Besatzung an Tropenfieber erkrankt ist und der Geist seines Vorgängers noch über die Schiffsplanken zu wehen scheint; der Arzt hat ihm im Hafen von Bangkok die ominöse Botschaft hinterlassen, das Fieber werde wiederkommen.
"Die Schattenlinie" zeigt einen Mann, der erstmals völlig auf sich allein gestellt ist und nach bohrenden Selbstbefragungen moralische Entscheidungen treffen muss, deren Tragweite er kaum überschauen kann. Auf die Handlung kommt es Joseph Conrad nur insoweit an, als sie ihm ein Sprungbrett für die weit ausgreifende psychologische Erkundung seiner Figuren liefert. Wie auch die Erzählung "Der geheime Teilhaber", die den Band vervollständigt und ihren Stoff aus derselben Lebensetappe schöpft, lebt "Die Schattenlinie" vom Innehalten und der Reflexion. Conrad dehnt die Zeit nach Belieben, eines der Markenzeichen seines Schreibens. Der Titel bezieht sich auf die seelische Grenze, die junge Leute mit dem Eintritt in die "bewusstere, auch bitterere Periode des reiferen Lebens" überschreiten.
Die deutsche Ausgabe ist musterhaft. Der Göttinger Anglist Daniel Göske hat nicht nur eine souveräne, leichtfüßige Übertragung geliefert, sondern auch ein kluges Nachwort geschrieben sowie ein Glossar zu nautischen Begriffen und eine fünfzigseitige Chronik zu Conrads Leben dazugestellt. In dieser Form leuchtet Conrads Kunst - die Vertiefung und Intensivierung der Psychologie, die Erfassung des krisenhaften Augenblicks - noch heller.
Joseph Conrad hat mehr für die moderne Romantechnik getan als andere, deren ostentative Modernität offen zutage liegt. Noch immer staunt man darüber, dass dieser Französisch sprechende Pole erst als junger Mann Englisch lernte - seinen starken osteuropäischen Akzent verlor er nie - und wohl nur durch die Liebe zu dieser Literatursprache zum Schriftsteller wurde.
Paul Ingendaay
Joseph Conrad: "Die Schattenlinie. Der geheime Teilhaber". Kommentiert und aus dem Englischen übersetzt von Daniel Göske. Hanser, 420 Seiten, 30 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Einer der großen Seeschriftsteller in einer hinreißenden Ausgabe: Joseph Conrads "Die Schattenlinie"
Die Buchausgabe des Romans "Die Schattenlinie" erschien vor ziemlich genau hundert Jahren, im April 1917. Joseph Conrad - mit bürgerlichem Namen Józef Teodor Nalecz Konrad Korzeniowski - greift darin Ereignisse aus seinem Seemannsleben auf, als er 1888 in Südostasien zum ersten und einzigen Mal als Kapitän ein Schiff befehligte. Das Spätwerk eines großen Schriftstellers also - Conrad starb 1924 -, der mit den Augen des Alters und des sesshaft Gewordenen auf ein prägendes Erlebnis des jungen Seemanns zurückschaut.
Zugleich pulsiert in diesem Buch die neue Zeit, und das ist der Erste Weltkrieg, in den auch Conrads Sohn Borys gezogen ist. (Das Buch ist ihm und seiner Generation gewidmet.) Also: eine Kriegsgeschichte in Form einer Seegeschichte? Auch das ließe sich vertreten, wenn man sie als Drama der Prüfung eines jungen Mannes liest. Plötzlich erkennt der namenlose Ich-Erzähler, dass seine Besatzung an Tropenfieber erkrankt ist und der Geist seines Vorgängers noch über die Schiffsplanken zu wehen scheint; der Arzt hat ihm im Hafen von Bangkok die ominöse Botschaft hinterlassen, das Fieber werde wiederkommen.
"Die Schattenlinie" zeigt einen Mann, der erstmals völlig auf sich allein gestellt ist und nach bohrenden Selbstbefragungen moralische Entscheidungen treffen muss, deren Tragweite er kaum überschauen kann. Auf die Handlung kommt es Joseph Conrad nur insoweit an, als sie ihm ein Sprungbrett für die weit ausgreifende psychologische Erkundung seiner Figuren liefert. Wie auch die Erzählung "Der geheime Teilhaber", die den Band vervollständigt und ihren Stoff aus derselben Lebensetappe schöpft, lebt "Die Schattenlinie" vom Innehalten und der Reflexion. Conrad dehnt die Zeit nach Belieben, eines der Markenzeichen seines Schreibens. Der Titel bezieht sich auf die seelische Grenze, die junge Leute mit dem Eintritt in die "bewusstere, auch bitterere Periode des reiferen Lebens" überschreiten.
Die deutsche Ausgabe ist musterhaft. Der Göttinger Anglist Daniel Göske hat nicht nur eine souveräne, leichtfüßige Übertragung geliefert, sondern auch ein kluges Nachwort geschrieben sowie ein Glossar zu nautischen Begriffen und eine fünfzigseitige Chronik zu Conrads Leben dazugestellt. In dieser Form leuchtet Conrads Kunst - die Vertiefung und Intensivierung der Psychologie, die Erfassung des krisenhaften Augenblicks - noch heller.
Joseph Conrad hat mehr für die moderne Romantechnik getan als andere, deren ostentative Modernität offen zutage liegt. Noch immer staunt man darüber, dass dieser Französisch sprechende Pole erst als junger Mann Englisch lernte - seinen starken osteuropäischen Akzent verlor er nie - und wohl nur durch die Liebe zu dieser Literatursprache zum Schriftsteller wurde.
Paul Ingendaay
Joseph Conrad: "Die Schattenlinie. Der geheime Teilhaber". Kommentiert und aus dem Englischen übersetzt von Daniel Göske. Hanser, 420 Seiten, 30 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main