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In »Liebe bei den Bären« erfährt ein ältlicher Junge, der mit seinem Vater lebt, sein erstes Begehren. - In »Eine Stunde Kanal« behandelt ein Heiler in Hamburg, der mehreren Kindern beim Kanalbad zusieht, einen Kunden, der sich für eine Frau nicht und auch für nichts sonst entscheiden kann. - »Am Amazonas« zeigt eine verstreute Großstadtgruppe, wie sie zu Hause in der Wildnis ein Haus sucht und das Suchen verewigt. - »Das Geschlecht der Dichter« bewegt sich wechselweise von Görlitz ins Berliner Hotel Schweizerhof. - Im Rahmen von »Kenn-samoto, eine Karriere« strebt ein arbeitsamer, nicht allzu…mehr

Produktbeschreibung
In »Liebe bei den Bären« erfährt ein ältlicher Junge, der mit seinem Vater lebt, sein erstes Begehren. - In »Eine Stunde Kanal« behandelt ein Heiler in Hamburg, der mehreren Kindern beim Kanalbad zusieht, einen Kunden, der sich für eine Frau nicht und auch für nichts sonst entscheiden kann. - »Am Amazonas« zeigt eine verstreute Großstadtgruppe, wie sie zu Hause in der Wildnis ein Haus sucht und das Suchen verewigt. - »Das Geschlecht der Dichter« bewegt sich wechselweise von Görlitz ins Berliner Hotel Schweizerhof. - Im Rahmen von »Kenn-samoto, eine Karriere« strebt ein arbeitsamer, nicht allzu lebenshungriger Japaner institutionell nach oben. - »Der Wald der Linderungen« spricht von einem Lebend-Toten, Scharkow, der dem Erzählen nur als Abschweifung von dessen Hauptthema, den täglichen Todesarten, unterläuft. - Das »Bildnis des Autors als Frühvollendeter« läßt den Autor, der sowohl ältlicher Junge, Heiler, Haussucher, Dichter, Streber wie auch täglicher Todesbereiter ist, mehrere seiner Gedanken verfassen. - »Aufbruch« ist nichts als Epilog.
Autorenporträt
Laederach, JürgJürg Laederach geboren 1945 in Basel, studierte Mathematik in Zürich und Romanistik, Anglistik und Musikwissenschaften in Basel. Als Schriftsteller und Übersetzer war er korrespondierendes Mitglied in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Laederach wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Italo-Svevo-Preis 2005. Er starb am 19. März 2018 in Basel.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.1995

Hörspiele wie wir alle
"Eccentric": Jürg Laederach kritzelt Figuren der Seltsamkeit

Jürg Laederach ist längst kein Unbekannter mehr, über die Maßen bekannt aber ist er auch nie geworden. Schon 1982 wurde ihm ein "Werk von abenteuerlicher Vielfalt" nachgesagt, als ein erstes Resümee möglich und geraten schien, weil der damals neue Prosaband "Nach Einfall der Dämmerung" unmittelbar auf sein Debüt mit "Einfall der Dämmerung" (1974) zurückverwies. Seither ist die Kette von Erzählungen, Romanen, Theaterstücken und Essays nicht abgerissen. Diesmal gibt es neuerlich einen Band mit Erzählungen - "Schattenmänner" - sowie "Figuren der Seltsamkeit": gesammelte Literatur-, Kunst- und Musikkritiken, wobei vor allem letztere zu erwähnen sind, also die Besprechungen zu Count Basie, Dizzy Gillespie, Keith Jarrett, Miles Davis . . . - denn Laederach ist nicht zuletzt vom Jazz inspiriert: "Das Wort ,Jazz'", hat Marshall McLuhan einmal notiert, "kommt vom französischen Wort jaser, plappern."

Die Erzählungen beginnen vielversprechend: "Er fühlt sich genau richtig, und das ist die wahre Gabe der Liebe", werden dann aber entsetzlich öde. Es geht um den Vorwurf des allgegenwärtigen unsozialen Wohnungsbaus: "Ja, was ich schon immer wissen wollte, wie reagiert das Gefühl, mal ganz spontan gesagt, wenn es eine Mieterhöhung vorgesetzt kriegt." Es geht um Wohnungsnot. Dann auch um Todesarten. Dann um Psychotherapie. Um eine erste Liebe. Und schließlich ist auch von solchem Schreiben selbst die Rede: "Bildnis des Autors als Frühvollendeter" und Bildnis seiner Händel mit der Kritik.

"Ich nenne im folgenden dieses unmäßige Schreiben Erektion", liest man da, und schon ist man in die Falle getappt. Denn nun setzt das Spiel der Zitate, Verweise und Querverbindungen ein, etwa so, daß man an die Grazer Poetikvorlesungen sich erinnert, in denen Laederach vom "Schriftsteller, Dichter, Literat" und seinen "Wallungen" spricht und diese oder die Wiederherstellbarkeit seiner "Ursprungs-Wallung" mit der Frage verbindet, wie man zum "Schriftsteller, Dichter, Literat von Berufes wegen", kurz: Profi-Autor wird. Die Beschreibung immerhin stimmt: "Nicht daß ich mich verbarg. In meiner Rede verbarg sich alles. Nachfragen war zwecklos. Ich antwortete, und die Antwort war ein neues Versteck."

Ganz so einfach ist es dennoch nicht, wie überhaupt der Rekurs auf die wirkliche Welt, die hinter den Wortkaskaden durchscheinen mag, einfach deshalb perfide heißen muß, weil nur zu deutlich ins Auge springt, wie sehr die Ambition dieser Texte darauf geht, daß Literatur nicht heißen könne, einem mit hübschen Geschichten die Zeit zu vertreiben, sondern daß vielmehr ihr Zeitvertreib in den Wortkaskaden als solchen liegt. Dabei war, als Laederach die Szene betrat, die Verweigerung gegenüber den realistischen Fundamenten einer Nachkriegsliteratur bereits ebenso habituell geworden wie der einstige Avantgardismus der experimentellen Literatur traditionell. Statt dessen galt es unter Beweis zu stellen, daß aus all den destruktiven Gesten weiterführende neue Bauformen des Erzählens zu gewinnen und daß die vorgefertigten Raster der Retortensprachspiele mit neuem Odem zu beleben seien. Wenigstens bis zu seinen "69 Arten den Blues zu spielen" (1984) ist Laederach beides auch nicht schlecht gelungen.

Die jüngsten Erzählungen dagegen, in ihrer fortgesetzt "zwanghaften Sprachlichkeit" (Adolf Muschg), dokumentieren eher, wie inzwischen auch dieser Ansatz ins Leere läuft - beliebig fortsetzbar wie nach Belieben ad acta zu legen. Weiterhin wird die Literaturtheorie der letzten zwei bis drei Jahrzehnte sich darin wiedererkennen. Aber keinerlei Notwendigkeit wird spürbar, das zu schreiben oder so zu schreiben.

Anders die weitaus weniger prätentiösen Charakteristiken der "Figuren der Seltsamkeit". Wo die "Schattenmänner" gänzlich gesucht erscheinen, haben die Kritiken Laederachs das Exzentrische mit feinem Spürsinn gefunden - und es bleibt allenfalls zu beklagen, daß sämtliche Angaben zu den konkreten Anlässen dieser Essays getilgt wurden. Etwa das "Testament per Telefon" oder "Jonathan Cott protokollierte Glenn Gould am Apparat" - es hätte eine Fußnote wohl nicht geschadet, die auf die wunderbare deutsche Ausgabe von Cotts "Telefongesprächen mit Glenn Gould", die der Alexander Verlag (Berlin 1987) vorgelegt hat, bibliographisch verweist.

Dafür freilich wissen Laederachs Besprechungen ihre eigenen Fährten zu legen, denen zu folgen sich lohnt. So im Beispiel über Gould und das Telefon: "Waren wir mal lebende Brief-Anthologien, sind wir inzwischen alle zu Hörspielen rund um die Uhr verkommen; Gould bereits etwas früher." Im Stil jener Literaturkritik, die den Ton während der zurückliegenden zwei Jahrzehnte Laederachscher Textproduktion angegeben hat, wäre deshalb zusammenzufassen: Wir haben das Recht und die Pflicht, alle auf Unterhaltung bedachten Leser vor den Erzählungen zu warnen, und alle, die Sinn für die Befremdlichkeit ihrer Mitwelt haben, dagegen mit Nachdruck auf "Eccentric" hinzuweisen. BERNHARD DOTZLER

Jürg Laederach: "Schattenmänner". Erzählungen. 199 S., br., 18,80 DM.

"Eccentric. Kunst und Leben: Figuren der Seltsamkeit". 306 S., br., 22,80 DM. Beide im Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995.

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