Schattenparadies Patrick ist nach Irland gekommen, um über Silvester die Ferien mit seiner Freundin zu verbringen. Bald merkt er, wie sehr sie sich verändert hat. Bei einem Ausflug nach Dublin wird Patrick in Fionas schreckliches Geheimnis hineingezogen. Hansjörg Schertenleib erschuf eine atmosphärische Liebesgeschichte im faszinierenden Lokalkolorit Irlands.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.10.2001Weggewischt
Junge Liebe auf der Flucht,
zwischen Zürich und Dublin
Man muss davonlaufen, um endlich zu sich zu finden, das ist eine alte Formel, vertraut aus Büchern und Filmen. Das feste sichere Heim ist eine Illusion – Zuhause kann heute überall sein, improvisiert, für ein paar Stunden, nie auf Dauer. In einem Sattelschlepper zum Beispiel, auf den Überlandstraßen Irlands, unterwegs nach Barcelona, über Dublin. Eine heimelige Atmosphäre: „Der Laster war dekoriert wie ein Weihnachtsbaum. Um die ganze Fahrerkabine liefen flackernde Lichter und auf dem Armaturenbrett standen blinkende Glühbirnen in Form eines Rentiers.” Draußen prasselt der Regen auf die Scheiben, drinnen riecht es intensiv nach Fisch. „Auf Hochzeitsreise?”, fragt der Fahrer den Jungen und das Mädchen, Patrick und Fiona, die er am Straßenrand aufgegabelt hat. „Sie ist meine Schwester”, erwidert Patrick. „Schon mal in Spanien gewesen?” Patrick schüttelt den Kopf. Er nimmt für sich und Fiona eine Cola aus dem Kühlschrank, Frank, der Fahrer, lässt sich ein Lager Bier geben. Als er einen anderen Lastzug überholt, spritzt es von allen Seiten. „Für ein paar qualvoll lange Sekunden war die Welt vor der Windschutzscheibe ausgelöscht.”
Für sich sein, zu zweit, zu dritt, die übrige Welt ausgelöscht . .. Schattenparadies ist eine Fluchtgeschichte, in der die einzelnen Augenblicke nur noch zählen und das Leben im besten Fall eine Kette von Zugaben wird. Jamestown. Drumsna. Aghamore. Dromod. Menschenleere, öde Orte. „In Roosky fuhren wir ein Stück den Shannon entlang. Im Hafen lagen mehrere Boote hintereinander, in einer Kabine brannte Licht, was mich natürlich sofort an die kurze Zeit in unserem Boot erinnerte.” Unser Boot . .. Fiona und Patrick hatten sich für die Silvesternacht 1998/99 auf einer verlassenen kleinen Yacht eingenistet. Eigentlich wollte Patrick die Tage nach Weihnachten bei Fionas Familie verbringen, in der Nähe von Sligo. Aber dann hielt Fiona es nicht mehr aus, musste fort, von der Mutter, vom Stiefvater – Tony heißt er, wie Anthony Perkins, im Film Psycho.
„Gib mir mal eine CD rüber”, sagt Frank zu Fiona – egal welche, sind alle gut. Fiona kriegt Johnny Cash in die Finger. Patrick ist skeptisch, er mag Country nicht. „Das ist kein Country. das ist Johnny Cash.” Seit sieben Jahren macht Frank nun den Job, zuvor war er in einer Fischfabrik. „Hübsches Mädchen, deine Freundin ... pass gut auf sie auf, hörst du?” – „Fiona ist meine Schwester.” – „Logisch. Und ich bin der Weihnachtsmann.”
Das ist natürlich nicht leicht für zwei Minderjährige, on the road. Ein paar Pfund, ein paar Franken, ein kleiner Betrag nur auf dem Konto. Regen und Kälte, meistens Misstrauen bei den anderen, in den Hotels und Herbergen. Verrauchte Bars und stinkende Bettdecken, keine frischen Klamotten zum Wechseln. Und das geduldige, unsichere Warten, auf den richtigen Moment, um das erste Mal miteinander zu schlafen. Fiona trägt ein Geheimnis mit sich herum, Patrick wird gequält von Erinnerungen, an den toten kleinen Bruder, ertrunken beim Badeurlaub in Spanien, elf Jahre alt. „Er war voller Energie und unbändigem Willen. Wie ein Wesen von einem anderen Planeten, das mit unserer Familie nichts zu tun hatte. Auch mit mir nicht.”
„Schon mal in Spanien gewesen?” fragt Frank. Die drei im Führerhaus, das ist eine brauchbare Familie. Bis Dublin wenigstens, O’Connell Bridge. In Dublin wird die Situation hoffnungslos. „You call it madness, but I call it love ...” Patrick kriegt bei einem zwielichtigen Deal einen Messerstich ab, sie beschließen zurückzufahren nach Zürich, wo ein blaues Zimmer wartet. In Sligo hatten sie, auf Tonys Schrottplatz, in einem ausrangierten roten Campingbus die Nacht verbracht, ganz oben auf einem wackligen Haufen von Autowracks. „Wahrscheinlich hatte der Wagen eine Frontalkollision gehabt.”
FRITZ GÖTTLER
HANSJÖRG SCHERTENLEIB: Schattenparadies. Carlsen Verlag 2001. 256 Seiten, 26 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Junge Liebe auf der Flucht,
zwischen Zürich und Dublin
Man muss davonlaufen, um endlich zu sich zu finden, das ist eine alte Formel, vertraut aus Büchern und Filmen. Das feste sichere Heim ist eine Illusion – Zuhause kann heute überall sein, improvisiert, für ein paar Stunden, nie auf Dauer. In einem Sattelschlepper zum Beispiel, auf den Überlandstraßen Irlands, unterwegs nach Barcelona, über Dublin. Eine heimelige Atmosphäre: „Der Laster war dekoriert wie ein Weihnachtsbaum. Um die ganze Fahrerkabine liefen flackernde Lichter und auf dem Armaturenbrett standen blinkende Glühbirnen in Form eines Rentiers.” Draußen prasselt der Regen auf die Scheiben, drinnen riecht es intensiv nach Fisch. „Auf Hochzeitsreise?”, fragt der Fahrer den Jungen und das Mädchen, Patrick und Fiona, die er am Straßenrand aufgegabelt hat. „Sie ist meine Schwester”, erwidert Patrick. „Schon mal in Spanien gewesen?” Patrick schüttelt den Kopf. Er nimmt für sich und Fiona eine Cola aus dem Kühlschrank, Frank, der Fahrer, lässt sich ein Lager Bier geben. Als er einen anderen Lastzug überholt, spritzt es von allen Seiten. „Für ein paar qualvoll lange Sekunden war die Welt vor der Windschutzscheibe ausgelöscht.”
Für sich sein, zu zweit, zu dritt, die übrige Welt ausgelöscht . .. Schattenparadies ist eine Fluchtgeschichte, in der die einzelnen Augenblicke nur noch zählen und das Leben im besten Fall eine Kette von Zugaben wird. Jamestown. Drumsna. Aghamore. Dromod. Menschenleere, öde Orte. „In Roosky fuhren wir ein Stück den Shannon entlang. Im Hafen lagen mehrere Boote hintereinander, in einer Kabine brannte Licht, was mich natürlich sofort an die kurze Zeit in unserem Boot erinnerte.” Unser Boot . .. Fiona und Patrick hatten sich für die Silvesternacht 1998/99 auf einer verlassenen kleinen Yacht eingenistet. Eigentlich wollte Patrick die Tage nach Weihnachten bei Fionas Familie verbringen, in der Nähe von Sligo. Aber dann hielt Fiona es nicht mehr aus, musste fort, von der Mutter, vom Stiefvater – Tony heißt er, wie Anthony Perkins, im Film Psycho.
„Gib mir mal eine CD rüber”, sagt Frank zu Fiona – egal welche, sind alle gut. Fiona kriegt Johnny Cash in die Finger. Patrick ist skeptisch, er mag Country nicht. „Das ist kein Country. das ist Johnny Cash.” Seit sieben Jahren macht Frank nun den Job, zuvor war er in einer Fischfabrik. „Hübsches Mädchen, deine Freundin ... pass gut auf sie auf, hörst du?” – „Fiona ist meine Schwester.” – „Logisch. Und ich bin der Weihnachtsmann.”
Das ist natürlich nicht leicht für zwei Minderjährige, on the road. Ein paar Pfund, ein paar Franken, ein kleiner Betrag nur auf dem Konto. Regen und Kälte, meistens Misstrauen bei den anderen, in den Hotels und Herbergen. Verrauchte Bars und stinkende Bettdecken, keine frischen Klamotten zum Wechseln. Und das geduldige, unsichere Warten, auf den richtigen Moment, um das erste Mal miteinander zu schlafen. Fiona trägt ein Geheimnis mit sich herum, Patrick wird gequält von Erinnerungen, an den toten kleinen Bruder, ertrunken beim Badeurlaub in Spanien, elf Jahre alt. „Er war voller Energie und unbändigem Willen. Wie ein Wesen von einem anderen Planeten, das mit unserer Familie nichts zu tun hatte. Auch mit mir nicht.”
„Schon mal in Spanien gewesen?” fragt Frank. Die drei im Führerhaus, das ist eine brauchbare Familie. Bis Dublin wenigstens, O’Connell Bridge. In Dublin wird die Situation hoffnungslos. „You call it madness, but I call it love ...” Patrick kriegt bei einem zwielichtigen Deal einen Messerstich ab, sie beschließen zurückzufahren nach Zürich, wo ein blaues Zimmer wartet. In Sligo hatten sie, auf Tonys Schrottplatz, in einem ausrangierten roten Campingbus die Nacht verbracht, ganz oben auf einem wackligen Haufen von Autowracks. „Wahrscheinlich hatte der Wagen eine Frontalkollision gehabt.”
FRITZ GÖTTLER
HANSJÖRG SCHERTENLEIB: Schattenparadies. Carlsen Verlag 2001. 256 Seiten, 26 Mark.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001Dann spielte ich Luftgitarre
Hansjörg Schertenleib feiert die Tristesse des Abhauens
Jugendgeschichten, die vom Abhauen handeln, sind in der Regel grau grundiert: Nur ein trostloser und eintöniger Alltag taugt als Schwingboden für den ganz großen Absprung. Schlimme Verwandte oder öde Schulstunden - wer flieht, der läßt ein zum Klischee erstarrtes Leben hinter sich. Auch der in Zürich geborene und in Irland lebende Schriftsteller Hansjörg Schertenleib baut in seinem Jugendroman "Schattenparadies" solche Kulissen auf: Patrick aus der beschaulichen Schweiz hat gerade das Gymnasium geschmissen, Fiona aus Irland hält das albtraumhafte Zusammenleben mit ihrer resignierten Mutter und ihrem gruseligen Onkel nicht länger aus. Als Patrick in der winterlichen Zeit zwischen den Jahren zu Besuch bei Fiona ist, verlängern die beiden eine Einkaufsfahrt mit dem rostigen Opel Ascona einfach ins Ungewisse. Den Alltag - das ist das Überraschende an diesem Buch - hängen sie damit nicht ab. Denn auch für das Abhauen stehen Klischees bereit: Sie sind bloß ein wenig schöner als die anderen.
Es ist der Blick für die flüchtige Schönheit des Banalen, der Schertenleibs Roman doch ein wenig abseits der vorgezeichneten Wege führt. In einem täglichen Ritual berichten sich Fiona und Patrick von ihren "Lebensrettern" - sei es das Geräusch des Dynamos am Fahrrad oder das Blubbern der weißen Bohnen in der Pfanne. Das Ensemble aus Gaslampen, Kerzen, Muscheln, Treibholzstücken und ausgebleichten Schafsknochen, das Fionas Versteck in einem verschrotteten Campingbus schmückt, bezeugt dieselbe nüchterne Aufmerksamkeit für die Zeichensprache des Alltäglichen wie das Blinken der Spielautomaten auf der Fähre nach England. Gerade die Wiedererkennbarkeit solcher Umgebungen durchkreuzt das literarische Klischee von der völlig eigenen und völlig anderen Erfahrung, die es auf den Fluchtwegen der Pubertät zu erwerben gelte.
Überhaupt finden sich Fiona und Patrick eingebettet in eine - manchmal etwas zu dick geratene - Schicht aus Musik und Mode, welche die Ausreißer sowohl an die Gegenwart als auch an ihre Generation zurückbindet. Fiona trägt Puma-Turnschuhe und Kapuzensweater. Während Patrick ihr ein Tank Top schenkt, näht sie ihm einen hippen Wollpullover mit Stern auf der Brust und Tasche auf dem Bauch. Der in Handarbeit hergestellte Markenartikel verkörpert die Haltung der Heranwachsenden: Weniger um neue Formen als um die Möglichkeit, diese selbst in der Hand zu haben, ist es ihnen zu tun. Auch Bandnamen ziehen sich fast leitmotivisch durch den Text und helfen bei der schnellen Einordnung der Figuren: Fionas in seinem Jugendzimmer versunkener Bruder hört Pearl Jam und Soundgarden, der kauzige Pfarrer, der den beiden kurzfristig aus der Not hilft, legt Elton John und die Dire Straits auf, und der Lastwagenfahrer, der die Flüchtigen nach Dublin fährt, steht selbstredend auf Johnny Cash. Fiona hingegen mag Madonna, und Patrick bewundert den Sänger von R.E.M. Ein wenig gleicht auch die Geschichte, die der Junge in der Ichperspektive erzählt, einem Song dieser Popgruppe: atmosphärisch dicht, eingängig und melancholisch - aber ohne übertriebene Ansprüche auf Originalität. Sogar die abgedroschene Wendung "Irgendwo bellte ein Hund" taucht auf, als Patrick und Fiona heimlich in einem Boot übernachten. Man wird aber für die Phrase entschädigt, als das Paar, anfangs nur mit Widerwillen, einen Bluesclub in Dublin besucht: "Irgendwann ertappte ich mich dabei, daß ich zu den Gitarrensolos Luftgitarre spielte."
Während für Patrick, der in eine beunruhigend offene Zukunft blickt, die Erinnerung an seinen verunglückten kleinen Bruder fast das einzige Reisegepäck ist, ahnt der Leser schon bald, daß Fiona schwer an einem ganz anderen Ballast trägt und daß ihr schmieriger Onkel Tony irgend etwas damit zu tun hat. Auch die Teenagerliebe zwischen Patrick und Fiona, die fast wie Brüderchen und Schwesterchen auftreten, wird von der Hypothek dieser dunklen Vorgeschichte belastet. Ihre erste Liebesnacht erstickt in einer Dubliner Bruchbude unter stinkenden Wolldecken. Die Schneedecke in der Schweiz, wo die Geschichte endet, bringt das geschehene Unglück zwar nicht zum Verschwinden. Doch sie gibt immerhin einen weißen Hintergrund ab, vor dem auch die Liebe zwischen Patrick und Fiona neue Konturen gewinnen kann.
ANDREAS ROSENFELDER
Hansjörg Schertenleib: "Schattenparadies". Carlsen Verlag, Hamburg 2001. 196 S., geb., 26,- DM. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hansjörg Schertenleib feiert die Tristesse des Abhauens
Jugendgeschichten, die vom Abhauen handeln, sind in der Regel grau grundiert: Nur ein trostloser und eintöniger Alltag taugt als Schwingboden für den ganz großen Absprung. Schlimme Verwandte oder öde Schulstunden - wer flieht, der läßt ein zum Klischee erstarrtes Leben hinter sich. Auch der in Zürich geborene und in Irland lebende Schriftsteller Hansjörg Schertenleib baut in seinem Jugendroman "Schattenparadies" solche Kulissen auf: Patrick aus der beschaulichen Schweiz hat gerade das Gymnasium geschmissen, Fiona aus Irland hält das albtraumhafte Zusammenleben mit ihrer resignierten Mutter und ihrem gruseligen Onkel nicht länger aus. Als Patrick in der winterlichen Zeit zwischen den Jahren zu Besuch bei Fiona ist, verlängern die beiden eine Einkaufsfahrt mit dem rostigen Opel Ascona einfach ins Ungewisse. Den Alltag - das ist das Überraschende an diesem Buch - hängen sie damit nicht ab. Denn auch für das Abhauen stehen Klischees bereit: Sie sind bloß ein wenig schöner als die anderen.
Es ist der Blick für die flüchtige Schönheit des Banalen, der Schertenleibs Roman doch ein wenig abseits der vorgezeichneten Wege führt. In einem täglichen Ritual berichten sich Fiona und Patrick von ihren "Lebensrettern" - sei es das Geräusch des Dynamos am Fahrrad oder das Blubbern der weißen Bohnen in der Pfanne. Das Ensemble aus Gaslampen, Kerzen, Muscheln, Treibholzstücken und ausgebleichten Schafsknochen, das Fionas Versteck in einem verschrotteten Campingbus schmückt, bezeugt dieselbe nüchterne Aufmerksamkeit für die Zeichensprache des Alltäglichen wie das Blinken der Spielautomaten auf der Fähre nach England. Gerade die Wiedererkennbarkeit solcher Umgebungen durchkreuzt das literarische Klischee von der völlig eigenen und völlig anderen Erfahrung, die es auf den Fluchtwegen der Pubertät zu erwerben gelte.
Überhaupt finden sich Fiona und Patrick eingebettet in eine - manchmal etwas zu dick geratene - Schicht aus Musik und Mode, welche die Ausreißer sowohl an die Gegenwart als auch an ihre Generation zurückbindet. Fiona trägt Puma-Turnschuhe und Kapuzensweater. Während Patrick ihr ein Tank Top schenkt, näht sie ihm einen hippen Wollpullover mit Stern auf der Brust und Tasche auf dem Bauch. Der in Handarbeit hergestellte Markenartikel verkörpert die Haltung der Heranwachsenden: Weniger um neue Formen als um die Möglichkeit, diese selbst in der Hand zu haben, ist es ihnen zu tun. Auch Bandnamen ziehen sich fast leitmotivisch durch den Text und helfen bei der schnellen Einordnung der Figuren: Fionas in seinem Jugendzimmer versunkener Bruder hört Pearl Jam und Soundgarden, der kauzige Pfarrer, der den beiden kurzfristig aus der Not hilft, legt Elton John und die Dire Straits auf, und der Lastwagenfahrer, der die Flüchtigen nach Dublin fährt, steht selbstredend auf Johnny Cash. Fiona hingegen mag Madonna, und Patrick bewundert den Sänger von R.E.M. Ein wenig gleicht auch die Geschichte, die der Junge in der Ichperspektive erzählt, einem Song dieser Popgruppe: atmosphärisch dicht, eingängig und melancholisch - aber ohne übertriebene Ansprüche auf Originalität. Sogar die abgedroschene Wendung "Irgendwo bellte ein Hund" taucht auf, als Patrick und Fiona heimlich in einem Boot übernachten. Man wird aber für die Phrase entschädigt, als das Paar, anfangs nur mit Widerwillen, einen Bluesclub in Dublin besucht: "Irgendwann ertappte ich mich dabei, daß ich zu den Gitarrensolos Luftgitarre spielte."
Während für Patrick, der in eine beunruhigend offene Zukunft blickt, die Erinnerung an seinen verunglückten kleinen Bruder fast das einzige Reisegepäck ist, ahnt der Leser schon bald, daß Fiona schwer an einem ganz anderen Ballast trägt und daß ihr schmieriger Onkel Tony irgend etwas damit zu tun hat. Auch die Teenagerliebe zwischen Patrick und Fiona, die fast wie Brüderchen und Schwesterchen auftreten, wird von der Hypothek dieser dunklen Vorgeschichte belastet. Ihre erste Liebesnacht erstickt in einer Dubliner Bruchbude unter stinkenden Wolldecken. Die Schneedecke in der Schweiz, wo die Geschichte endet, bringt das geschehene Unglück zwar nicht zum Verschwinden. Doch sie gibt immerhin einen weißen Hintergrund ab, vor dem auch die Liebe zwischen Patrick und Fiona neue Konturen gewinnen kann.
ANDREAS ROSENFELDER
Hansjörg Schertenleib: "Schattenparadies". Carlsen Verlag, Hamburg 2001. 196 S., geb., 26,- DM. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Zwei Bücher über das Erwachsenwerden will Tobias Rapp uns vorstellen ("Achtung, Fluchtgefahr!" von Hans Olsson, erschienen bei Oetinger, und Hansjörg Schertenleibs bei Carlsen verlegtes "Schattenparadies") und hat doch so wenig zu sagen. Zu Olssons Buch fällt ihm außer dem Plot des Ganzen gerade mal ein, dass das Leben des Helden, das der Autor "langsam auffächert," wie es heißt, auf eine "große und alles entscheidende Flucht" hinausläuft, die aber am Ende steht und dementsprechend offen ist.
Beim "Schattenparadies" ist es kaum mehr. Nur macht Rapp hier in wenigen Sätzen deutlich, dass die eigentlich "recht unterhaltsame und nachvollziehbare" Geschichte zweier jugendlicher Tramps in Irland irgendwann "abstürzt," weil nämlich der Autor schlicht zu dick aufträgt: "So holzschnittartig spielt das Leben einfach nicht." Und das ist immerhin eine Aussage.
© Perlentaucher Medien GmbH
Beim "Schattenparadies" ist es kaum mehr. Nur macht Rapp hier in wenigen Sätzen deutlich, dass die eigentlich "recht unterhaltsame und nachvollziehbare" Geschichte zweier jugendlicher Tramps in Irland irgendwann "abstürzt," weil nämlich der Autor schlicht zu dick aufträgt: "So holzschnittartig spielt das Leben einfach nicht." Und das ist immerhin eine Aussage.
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