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Wyatt Palmer ist Stadtdirektor in Five Oaks, einer Kleinstadt in Michigan. Seine Frau erlernt Zaubertricks, seine Mutter erfindet einen individuellen Wortschatz, seine Tante schreibt an ihrer eigenen Version der Bibel, und unser Held versucht, ein 'normales' Leben zu führen. In diesem Roman geht es um Moral und Charakter und die zutiefst komplexen Fragen, die ein einfaches Leben an uns alle stellt.

Produktbeschreibung
Wyatt Palmer ist Stadtdirektor in Five Oaks, einer Kleinstadt in Michigan. Seine Frau erlernt Zaubertricks, seine Mutter erfindet einen individuellen Wortschatz, seine Tante schreibt an ihrer eigenen Version der Bibel, und unser Held versucht, ein 'normales' Leben zu führen. In diesem Roman geht es um Moral und Charakter und die zutiefst komplexen Fragen, die ein einfaches Leben an uns alle stellt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.07.2000

Verdammt noch mal, das Glück
Träge Strömung: Charles Baxters Roman "Schattenspiel"

Es lohnt sich, Charles Baxter, der 1947 in Minnesota geboren wurde, hierzulande zu entdecken. Der Professor für Creative Writing an der Michigan University - ein Posten, der amerikanischen Autoren das Überleben sichert - hat bislang je einen Band mit Gedichten und Essays, zwei Romane und drei Erzählsammlungen veröffentlicht. Er ist ein typischer short story writer, der schon mehrfach für die besten American Short Stories ausgezeichnet worden ist. Doch da deutsche Verleger von ihrem Glauben, allein Romane fänden Käufer, ungern lassen, erscheint dieser Autor zunächst nicht mit seinen stärksten Seiten.

Epischer Atem, die Entwicklung verschiedener Handlungsstränge ist nicht seine Stärke. Der Roman "Schattenspiel" ist wie ein Fluss, von dem man kaum merkt, dass er eine Strömung hat. Er spielt im Mittleren Westen, dem der Autor entstammt, also in einer kargen Landschaft mit unscheinbaren Städten und Menschen, die ein wenig spektakuläres Leben führen. Man müsse, sagte er in einem Interview, in die Tiefe graben, um diesen Menschen gerecht zu werden. Geheimnis, Magie sind Schlüsselwörter dieses Autors. Er liebt die Außenseiter und Unangepassten, deren Leben durch den Einbruch des Unvorhergesehenen eine unerwartete Wendung nimmt.

Im Mittelpunkt steht Wyatt, den der Roman in verschiedenen Stadien seines Lebens zeigt. Man sieht ihn als Jungen, der bei einem Gewitter von zu Hause ausrückt, weil er sich zu wenig geliebt glaubt; als Collegestudenten, der sich der Kunst verschrieben hat und Hals über Kopf heiratet, weil er eine junge Frau schön und wunderbar findet: "Ein Grund, sie nicht zu heiraten, fiel ihm nicht ein." Er ist kein tumber Tor, er mag ganz einfach Frauen, lachende Frauen. Er ist ein strahlender Mensch, dieser Wyatt. "Morgens dachte er oft: ich sollte glücklich sein. Doch. Doch. Verdammt noch mal, ich bin ein glücklicher Mann." Als er dies denkt, hat ihn das Leben schon gebeutelt. Seine Frau hat entdeckt, dass er nicht ganz der Treffer ist, den sie gezogen zu haben glaubte. In seiner Heimatstadt, die öde ist und ausgezehrt von Arbeits- und Hoffnungslosigkeit, arbeitet er in der Stadtverwaltung. Bis er eines Tages mit dem Bösen in Gestalt eines skrupellosen Industriellen konfrontiert wird und am Ende mit seiner Familie nach New York flüchtet.

Indes, das Skizzieren der Handlung macht bei Baxter wenig Sinn. Was bei ihm zählt, sind Empfindungen, Stimmungen, Atmosphärisches. Nicht von ungefähr spielt das Wasser in diesem Roman eine große Rolle, der Fluss, der See, in dem Menschen ertrinken, sich ertränken, an dem ihnen Gott erscheint. Mit leichter Hand, schwebend, aber nicht verschwommen schildert Baxter menschliche Beziehungen. Seine Kunst besteht darin, mit Hilfe einer Sprache, die durch Schönheit der Bilder, rhythmische Valeurs, Anschaulichkeit und Prägnanz gekennzeichnet ist, Lebensfülle sichtbar zu machen. "Schattenspiel" enthält eine Fülle atmosphärisch schöner Passagen, vor allem aber zauberhafter Porträts. Da ist Wyatts früh verstorbener Vater mit seiner "Gedankenschublade", in die er Papierschnitzel mit Fragen, Zweifel, Einsichten steckt; die geisteskranke Mutter mit ihren hellen und dunklen Bewusstseinsphasen, ihrer Isolation und Verlorenheit, aus der sie am Ende erfolgreich ausbricht; die skurrile, aber lebenstüchtige Tante Ellen, die den ihr anvertrauten Kindern die Augen für das Ungewöhnliche, das Abenteuerliche öffnen möchte; da ist Cyril, der gestrandete Cousin, den Wyatt wie einen Bruder liebt und dem er zu einem gnädigen Tod verhilft.

Alle diese miteinander verwandten Menschen befinden sich im Gnadenstand der Liebe. Für Baxter, der den Gottesglauben abgelegt hat, aber überall nach Manifestationen des Heiligen sucht, ist Liebe zum Zentralbegriff geworden. Das Motto seines Romans ist ein Gedicht von Louis MacNeice, das so beginnt: "Da er es ablehnte, sich in Gott zu verlieben, überließ er / Sich der Liebe zu den erschaffenen Dingen . . ." Der verschrobenen Tante Ellen, die an einer eigenen Version der Bibel schreibt, erscheint Gott als Krähe. Das ist zwar ein bisschen komisch, doch von Tante Ellen aus betrachtet, ist dieses finstere unorthodoxe Gottesbild durchaus schlüssig. Den Gegenpol zur Liebe bildet das Böse, das Gewalttätige, das "Post-Ethische". Cyril hat davon einiges in seinem Charakter. Aber auch Wyatt ist davon nicht frei. Er betrügt seine angebetete Frau aus purer Neugier: "Unzufriedenheit an Frauen fand er interessant." Dass er dann vom manierierten "Sexualstil" der unzufriedenen Bürofrau, der durch "Verzweiflung und Übertreibung" gekennzeichnet ist, eher abgestoßen wird, verwundert nicht. Und schließlich wird er sogar zum Brandstifter, wodurch ein Hund grausam zu Tode kommt.

Hier befindet man sich dann schon bei den eher fragwürdigen Partien des Buchs. Baxter wählt, um den Roman in Schwung zu bringen, ein für Amerika einigermaßen exotisches Sujet, die Umweltthematik. In Wyatts verschlafenes Städtchen kommt ein ehemaliger Klassenkamerad, der, nachdem einige Bestechungsgelder geflossen sind, eine chemische Fabrik errichtet, die offenbar keinerlei Schutzauflagen erfüllt. Dass die Menschen die auffällig zunehmenden Krankheitsfälle schweigend hinnehmen, nur um ihren Arbeitsplatz zu erhalten, kann man sich kaum vorstellen. Mit Wyatts Flucht nach New York durchhaut der Autor den gordischen Knoten auf recht unelegante Weise. Auch hätte er darauf verzichten können, dem industriellen Unhold einen jüdischen Namen zu geben. Da das Judentum dieses "Schwartzwalder" ansonsten keine Rolle spielt, hätte Wilson es auch getan. Es ist schade, dass der Verlag, vielleicht bewogen durch die Umweltthematik, gerade diesen Roman als erstes von Baxters Büchern in Deutschland herausbringt.

RENATE SCHOSTACK.

Charles Baxter: "Schattenspiel". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Jürgen Dierking. Achilla Presse Verlagsbuchhandlung, Bremen und Hamburg 1999. 504 S., geb., 54,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

"Ein ebenso unterhaltsames wie zutiefst verstörendes Buch" sei dieser Roman aus dem Mittleren Westen Amerikas, meint Jan Wagner. Baxters Verweise auf "Alice im Wunderland" kämen nicht von ungefähr: Hier wie dort gibt es keine klare Grenze zwischen Normalität und Wunderbarem. Besonders gefällt Wagner, dass Baxter seine Figuren weder gut noch böse zeichnet und sich alles Moralisieren verkneift: "Das Fehlen ethischer Gemeinplätze macht es dem Leser schwer, vorschnelle Urteile über die Figuren zu fällen", versucht Wagner das Buch schmackhaft zu machen.

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