Laut Lexikon ist ein Schatten das Gebiet hinter einem Körper, in das Teilchen bzw. Wellen (z.B. Licht oder Schall) nicht eindringen können. Doch gerade diese Räume im Halbdunkel interessieren Ferdinand Alt, die Hauptfigur in André Hellers erstem Roman „Schattentaucher“.
Ferdinand, für den Träume
quasi Staatsbesuche sind, widmet sich der Schattenkunde. Als moderner Flaneur durchstreift er Wien.…mehrLaut Lexikon ist ein Schatten das Gebiet hinter einem Körper, in das Teilchen bzw. Wellen (z.B. Licht oder Schall) nicht eindringen können. Doch gerade diese Räume im Halbdunkel interessieren Ferdinand Alt, die Hauptfigur in André Hellers erstem Roman „Schattentaucher“.
Ferdinand, für den Träume quasi Staatsbesuche sind, widmet sich der Schattenkunde. Als moderner Flaneur durchstreift er Wien. Dabei begegnet er Menschen, glücklichen Verlierern wie geborenen Gaunern, Reiterstandbildern und nächtlichen Rattenversammlungen. Irgendwie haben diese Spaziergänge den Charakter von optischen Beutezügen. „Ferdinand saß mit einem Buch in der Hand im Kaffeehaus und schaute, wie die Wiener sagen, ins Narrenkastl. Das heißt, er war an der Grenze zwischen wirklicher und unwirklicher Welt.“ Ob beim Beobachten der Krähen im Park von Schönbrunn oder einer Feuerbrunst in einem Hochhaus, ob bei der Fahrt ins Salzkammergut, beim Restaurantbesuch mit Dora oder beim Ausflug mit Helene; er betrachtet seine Umwelt stets mit solcher Intensität, als wenn jeder Augenblick sein letzter sein könnte.
Als Schattentaucher unternimmt Ferdinand meist abends oder im nächtlichen Wien seine Erkundungen nach den Besonderheiten der Donaumetropole. Die Spaziergänge im schönen Herbst mit seinen farbigen Schattenlichtern hinterlassen bei ihm ebenfalls die stärksten Eindrücke. Stets übt er sich in der Meisterschaft als vollkommener Reisender. Nebenbei erfahren wir auch einiges aus dem Leben des Schattenkundschafters: 1944 in Bolivien geboren, Kindheit im dreizehnten Wiener Gemeindebezirk und schließlich Klavierstimmer, der merkwürdige Experimente für eine supermoderne Symphonie durch-führt.
Es sind einundsechzig Beschreibungen aus dem Leben des dämmerungsaktiven Ferdinand Alt, die alle mit leichter Hand geschrieben sind. Die Einfachheit dieser kurzen Prosatexte geht aber nicht mit einer gedanklichen Oberflächlichkeit daher; es sind vielmehr Texte, die die Phantasie anregen, ähnliche Beobachtungen zu unternehmen. André Heller ist ein weiser Zauberer, der mit seinen originellen und künstlerischen Tricks den Leser zum Umblättern bringt.
André Heller, der 1947 in Wien geboren wurde, zählt zu den kreativsten und erfolg-reichsten Multimediakünstlern der Welt. Als Chansonnier kann er auf Millionen verkaufter Schallplatten mit eigenen Liedern verweisen. Zugleich umfassen seine Inszenierungen Gartenkunstwerke, poetisches Varieté, Wunderkammern, Labyrinthe, Feuerwerksspektakel, Shows, Theaterstücke und natürlich Prosaveröffentlichungen. Sein erster Roman war "Schattentaucher", der 1987 erschien und nun als schmales Bändchen im Münchner Taschenbuch Verlag vorliegt. André Heller lebt in Wien, der Lombardei und auf Reisen.
Manfred Orlick