Gut hundert Jahre nach den Anfängen der Eurythmie und nach dem Tod der letzten Eurythmisten, die noch von Rudolf Steiner selbst gelernt hatten, stellt sich verstärkt die Aufgabe, einen nmittelbaren inneren nd eigenen Bezug zur Quelle der Eurythmie zu finden und zu pflegen. Denn die Quellen der Eurythmie liegen nur scheinbar in der Vergangenheit. Ihr Wesen öffnet sich fortwährend in die Gegenwart hinein. Und aus der Zukunft leuchtet sie uns entgegen - in diesem Licht kann ein Ringen um ein eigenes authentisches Verhältnis zur Eurythmie entstehen.Dabei blicken die Autoren nach innen, wo im eigenen Wesen die Bedingungen für die eurythmischen Inspirationen geschaffen werden können, und sie blicken anch außen - wie die Eurythmie zur Welt kam und wie ihre Aufgabe in der Not der Welt verstanden werden kann.
Nach dem Lesen dieses Buches war mir, als wäre ein tiefer Gong in mir angeschlagen - von elementarer Kraft, umhüllt von warmem Licht. Im Aufsteigen des Klanges nach oben bilden sich feinere Verästelungen in besonderen Farben. Sie münden in köpfchenartige, leuchtende Enden und blicken wach in verschiedene Richtungen, wo sie jeweils einen bestimmten Bereich erhellen. Dieser ernste Gong-Grundton deutet wohl auf den Ernst, mit dem die Eurythmie durch Rudolf Steiner ins Leben kam, den Ernst, der aus jeder Seite des sorgfältig komponierten Bandes über Eurythmie heraustönt - und die farbigen Ästchen sind die vielfältigen Bezüge, welche die Autoren zu allen erdenklichen Bereichen des menschlichen Lebens herstellen. Denn von Anfang an ist klar: Es geht ums Ganze - um den ganzen Menschen. Wie notwendig die Eurythmie als ordnende und heilende Kraft gerade heute ist, wo alles durcheinander wirbelt. Mit welch unfassbaren Geheimnissen des Kosmos man es zu tun hat, bewegt man nur ein paar einzelne Laute. Und wie wenig man jemals an ein Ende kommen wird mit allem Üben, so ahnt man - weil der Quell, aus dem alles sprudelt, selbst unerschöpflich ist ... Das Buch ist so gebaut wie die Eurythmiefigur zu "Schau in dich - Schau um dich": in einer sich einrollenden und dann wieder nach außen entfaltenden Geste, wobei eine Betrachtung der Übung selbst die meditative Mitte bildet. Zunächst blickt Johannes Greiner auf die Entstehungsgeschichte der Eurythmie (faszinierend, dass die Eurythmie nicht aus Schweben, sondern Stampfen entstand!), woraus dann acht "Grundbedingungen für das Dasein der Eurythmie" formuliert werden. Sivan Karnieli nimmt den Schwung auf und führt mit - man spürt es - in selbständiger Arbeit tief wurzelnden Ausführungen über das Johannes-Evangelium und besonders die Ich bin-Worte in das tiefinnerste Zentrum. Aus dem Gleichgewicht der "Schau in dich ..."-Übung heraus beginnt nun wieder der Blick nach außen. Johannes Greiner stellt die Eurythmie dem Abgründigen unserer Zeit gegenüber. Ohne moralischen Fingerzeig, einfach aus seiner flammenden Begeisterung heraus, wird deutlich, dass die Eurythmie wesentlich zur Harmonisierung unseres Leibesgefüges beitragen kann. Sivan Karnieli verdichtet den Fokus auf die Gegenwart und widmet sich einer wohl für die meisten Waldorflehrer brennenden Frage: wie Eurythmie mehr Wirkenskraft im Schulalltag erlangen könnte. Ihre Antwort ist so schlicht wie verblüffend: Eurythmie ist eine Lebensschule! Sie soll wach machen "für das Lebendige, das Wirkende in der Welt - in dem wir Heimat finden" (S. 161). Karnielis folgenden Beiträge zum Erkenntnisprozess des Lebendigen geben reiche Anregung zur Verwirklichung dieses Ideals. Zwei Aufsätze von Anton Kimpfler rahmen dieses besondere Buch ein. Sie lenken das Bewusstsein darauf, dass es nicht nur um äußere, sondern auch um innere Beweglichkeit geht, eine Art "Sozial-Eurythmie", die nicht auf Bühnen mit Schleiern, sondern überall und im Alltag geübt wird - bis hin zueinem eurythmisch-bewegten Denken.