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Emma Blum mag auf den ersten Blick eine emanzipierte Frau sein: Kompromisslos verweigert sie sich der Rolle als Ehefrau und Mutter; als Lektorin für erotische Literatur verdient sie ihren Lebensunterhalt mit einem höchst anrüchigen Gewerbe. Beim Zusammentreffen mit ihrer Mutter an ihrem 30. Geburtstag gerät Emmas Welt aus den Fugen.

Produktbeschreibung
Emma Blum mag auf den ersten Blick eine emanzipierte Frau sein: Kompromisslos verweigert sie sich der Rolle als Ehefrau und Mutter; als Lektorin für erotische Literatur verdient sie ihren Lebensunterhalt mit einem höchst anrüchigen Gewerbe. Beim Zusammentreffen mit ihrer Mutter an ihrem 30. Geburtstag gerät Emmas Welt aus den Fugen.
Autorenporträt
Karine Tuil wurde 1972 geboren, studierte Jura und lebt als freie Autorin in Paris. Sie veröffentlichte in Frankreich bisher vier Romane. "Der Rabbi und die Braut" wurde für den Prix Goncourt nominiert und mit dem Prix Wizo 2002 ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.2003

Diskrete Scham der Bourgeoisie
Emanzipation als Zitat: Karine Tuil sät Zwietracht und erntet Haß

Karine Tuils Roman "Schaumhochzeit" führt geradewegs in die bürgerliche Familienhölle: Gluckenhaft wacht eine als geradezu grotesk häßlich beschriebene Mutter über das Leben ihrer Kinder, die sie nach allen Regeln der Manipulation vollkommen beherrscht. Mit dem Argument, nur das Beste zu wollen, rechtfertigt sie jeden weit ausholenden Übergriff ins Privatleben ihrer Kinder, die unterdessen zu Häufchen seelischen Elends geschrumpft sind. Die mütterliche Allmacht wird durch das Fehlen des verstorbenen Vaters potenziert. Der Sohn, ein erfolgreicher Anwalt, hat zwar die Flucht nach New York angetreten, der Kontrolle der Mutter aber ist er damit nicht entzogen. Mutter und Tochter leben, in unheilvoller Symbiose aufeinander konzentriert, in Paris.

Erzählt wird aus der Perspektive der Tochter, die pornographische Literatur lektoriert, allein lebt und mit einem verheirateten Mann liiert ist, über den man vor allem eines erfährt: daß er unter allen Umständen verheiratet bleiben will. Die Mutter aber ist besessen von dem Gedanken, ihre Tochter unter die Haube zu bringen. Die wehrt sich nach - allerdings schwach bemessenen - Kräften: "... ich führte einen Krieg gegen meine Mutter, gegen ihre Erziehung, die aus mir eine unbrauchbare Frau gemacht hatte, bar jeden Unternehmungsgeistes, unfähig, die kleinste Verantwortung zu schultern. Warum hatte sie aus mir dieses weiche und kraftlose Ding gemacht, das sie mit so viel Gewalt bearbeitete?"

Auch der vergötterte Sohn hat die mütterliche Liebesgewalt mit einem Leben auf der Psychiatercouch bezahlen müssen: "Mein Bruder war der große Spezialist für psychische Störungen. Seit er achtzehn war, hatte er eine Psychoanalyse nach der anderen durchlaufen." Naturgemäß scheitern alle Auflehnungsversuche der Kinder. Der Sohn will seine amerikanische Ehefrau verlassen, weil er sich in eine Deutsche verliebt hat. Diese in den Augen der jüdischen Mutter undenkbare Situation wird von ihr sogleich erfolgreich torpediert. Ebensowenig kann die Tochter ihren Junggesellinnenstatus beibehalten. Aus Willensschwäche heiratet sie einen Arzt: einen kompletten Kretin, wie sich schließlich herausstellt. Der wiederum wurde nicht nur von seiner Familie, sondern auch von seinem Beruf seelisch ruiniert. Er ist nicht mehr dazu in der Lage, eigene Sätze zu formulieren, sondern bedient sich ausschließlich wie eine Aufsagemaschine aus dem Zitatenschatz der - vor allem französischen - Literatur. Anders, so gibt er zu Protokoll, sei er nicht in der Lage, sein Leben zu ertragen.

Karine Tuil stellt jede ihrer Figuren mit demselben gnadenlosen Blick bloß. Ekelhaft, schwach, absurd und lächerlich sind sie alle, die Ich-Erzählerin Emma Blum eingeschlossen. Ihre Selbstbeschreibungen haben geradezu masochistische Züge. Überhaupt ist "Schaumhochzeit" ein kleines Buch des Hasses: wobei die hysterisch zugespitzten Tiraden oft komisch sind und in jedem Fall voller Gift. Sich selbst exponiert die Erzählerin etwa in einem Kapitel mit der Überschrift "Eine alte Jungfer". Den Heimat-Besuch ihres von der Mutter bevorzugten Bruders übertitelt sie "Die Rückkehr des verlorenen Sohnes ins Heilige Land", und von der Koexistenz mit ihrer Mutter in einer gemeinsamen Wohnung erzählt sie unter dem Titel "Vom Zusammenleben außerhalb des Mutterleibes".

Zu den Themen des Buches gehört nicht nur das hämische Schwelgen in der Darstellung desaströser Familienstrukturen, die unter dem Deckmäntelchen der Liebe hochgehalten und gefeiert werden. Karine Tuil liegt, so scheint es, das Offenlegen von Lügen und Prätentionen aller Art am Herzen. So gibt sich die Mutter in ihrem Status als ehemalige Näherin bei Chanel, als sei sie Coco Chanel selbst. Ihre Kleider kopiert sie ausschließlich nach den Kreationen der Mademoiselle. Mutter, Tochter und Sohn tragen nur Parfums der gleichen Marke, womit scheinbar eine gewisse Klassen- und Familienzusammengehörigkeit olfaktorisch bekräftigt wird - in Wirklichkeit aber nur die Abhängigkeit von der besessenen Mutter. Emmas Schwiegermutter wiederum - die Mutter des Zitatfabrikanten - gibt als Berufsbezeichnung "Sanitärverantwortliche" an, womit gemeint ist, daß sie als Toilettenfrau im Ritz arbeitet.

Mit einem Wort: Der diskrete Charme der Bourgeoisie mit ihren Lügen und Zwängen wirkt unverändert fort. Viel hat sich - nach dem Befund dieses Romans - auch nach Jahrzehnten der Frauenemanzipation nicht geändert. In wohl ironischer Resignation wird dem Roman das berühmte Verdikt Simone de Beauvoirs als Motto vorangestellt, nach dem die ledige Frau sich immer in bezug auf die Ehe definiert, "egal ob sie beim Gedanken an diese Institution frustriert ist, ob sie aufbegehrt oder sogar gleichgültig ist": Karine Tuils Protagonistin erlebt es mehr als ein halbes Jahrhundert nach Simone de Beauvoirs "Le deuxième sexe" am eigenen Leib. Auch der französische (Original-)Titel des Romans, "Du sexe féminin", spielt auf die Beauvoir an. An eine andere, wenn auch fiktionale Ikone aus den Schlachten des Geschlechterkriegs erinnert der Name ihrer Heldin, Emma, deren Nachname manchmal nur mit B. (wie Bovary) abgekürzt wird.

Die offenen literarischen Querverweise berühren allerdings ein Grundproblem des Buches: Es changiert etwas unglücklich zwischen kunstvoll-künstlicher intellektueller Spielerei und realistisch-psychologischer Darstellungsweise. Die Figuren sind halb Mensch, halb Karikatur, wobei sie in der im Roman dominierenden Betrachtung durch den Zerrspiegel des Spottes durchaus interessanter erscheinen. Manchmal ist es, als habe die Autorin sich nicht recht für eine Darstellungsweise entscheiden können oder als versuche sie, immer wieder die Ecken und Kanten ihres Sarkasmus zu glätten. Das geschieht, wenn sie ihre Figuren zunächst diffamiert und der Lächerlichkeit preisgibt, dann aber wieder um Verständnis und Sympathie für sie wirbt und an einer Stelle selbst behauptet, die monströse Mutter im Grunde zu lieben (was man der Erzählerin dann schon nicht mehr glaubt). So nimmt sie ihren eigenen Biß - vielleicht erschrocken vor der eigenen Courage - zurück und fügt sich selbst in das eigentlich attackierte Verhaltensmuster aus Höflichkeit, Fügsamkeit und zurückweichlerischer Nettigkeit.

MARION LÖHNDORF

Karine Tuil: "Schaumhochzeit". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Ralf Pannowitsch. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 2003. 197 S., geb., 16,50 [Euro].

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