Eine unbestimmte Zeit in naher Zukunft, die Menschheit steht vor einem Problem: Die Erdbevölkerung schwindet drastisch, die sozialen Sicherungssysteme drohen zu kollabieren, die Macht der Politiker zu bröckeln. Nach einem Gipfeltreffen wird der zynische Geheimagent Kolther mit einem heiklen Auft rag betraut: Er soll das Komplott einer Sexpuppenfirrma verhindern, der es gelungen ist, so wirkungsvolle »Schaumschwestern« herzustellen, dass sich die Menschheit, den Puppen verfallen, nicht mehr fortpfl anzt. Doch Kolther, der erst nach und nach die Hintergründe seines Auftrags versteht, wird selbst zum Spielball seiner Auftraggeber. Kann er, in Begleitung seiner so schönen wie schlauen Kollegin Lora, das Komplott hinter dem Komplott aufdecken und die Menschheit retten?
Eine moderne Pygmalion-Geschichte zwischen E. T. A. Hoff mann und Hans Bellmer, und gleichzeitig ein rasanter, spannender und aberwitziger Spionageroman, der von der Ablösung des Menschen durch seinen nächsten Evolutionssprung erzählt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Eine moderne Pygmalion-Geschichte zwischen E. T. A. Hoff mann und Hans Bellmer, und gleichzeitig ein rasanter, spannender und aberwitziger Spionageroman, der von der Ablösung des Menschen durch seinen nächsten Evolutionssprung erzählt.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.08.2010Eine echte Frau? Um Gottes willen!
In Thor Kunkels Pulp-Thriller „Schaumschwester“ muss die Welt vor weiblichen Replikanten gerettet werden
Als Puppe hergerichtet, ist Lora von Kolther zur Hauptversammlung der „Synthetischen Wohlfahrts AG“ geschoben worden. Als ihr Begleiter sie verlassen muss, um bei Scheinberg, dem Konzernchef, einzubrechen, gerät sie jedoch in die Bredouille. Die Männer, die neben ihr sitzen, reagieren immer aufgegeilter. Wie lebensecht sie in ihrem Taft-Mini und ihrer Leder- Korsage ausschaut! Offenbar handelt es sich bei ihr um das neue Modell „C-Tausend“, das bislang noch niemand zu Gesicht bekommen hat! Als einer der „Statuophilen“ zwischen ihre Beine kriecht, wird es Lora zu viel. Sie springt wütend auf und gibt sich zu erkennen. „Eine echte Frau? Um Gottes willen . . . “, ertönt als allgemeiner Entsetzensruf, und blitzschnell, „als hätte man einer Festgesellschaft von Vampiren eine Knoblauchsuppe serviert“, leert sich der volle Saal.
Im Auftrag der „Krypto-Loge“, eines geheimdienstlichen Verbundes von Verbrecherjägern und Wissenschaftlern, sind die Computerspezialisten Kolther und Lora nach Nizza gereist. Ihr Auftrag: Sie sollen Scheinbergs Kundenkartei knacken, damit die boomende Puppenproduktion verboten werden kann. Denn seit eine stetig wachsende Anzahl von Männern sich nicht mehr für widerspenstige Frauen aus Fleisch und Blut, sondern für makellose, verfügbare „Gynoiden“ interessiert, sinkt die Geburtenrate so drastisch, dass die Regierungen des Westens sich zum Handeln gezwungen sehen – sonst wird die Menschheit in absehbarer Zeit ausgestorben sein.
Wie es sich für einen Pulp-Thriller mit Science-fiction-Einschlag gehört, geht es in „Schaumschwester“ um nicht weniger als die Rettung der Welt, und so weit er die Regeln des Genres befolgt, funktioniert der Roman auch recht gut. Lora ist klug und kess, Kolther zynisch und desillusioniert, ein Bruder im Geiste der abgebrüht-abgetakelten Helden, wie sie in den hard boiled novels von Hammett und Chandler auftreten. Es gibt Vergleiche, die bis an die Grenze des rhetorisch Vertretbaren gehen und gerade daher spaßig zu lesen sind; von Kolthers gescheiterter Ehe heißt es: „Der Bruch zwischen ihm und seiner Frau war wie bei Schleiflackmöbeln, die glatt aneinandergefügt werden, lange Zeit nicht zu bemerken gewesen.“ Und es gibt Verfolgungsjagden; die schönste von ihnen könnte aus einem Dario-Argento-Film der frühen Siebziger stammen: In einem Hotelflur wird Lora von einer hoch entwickelten Puppe angegriffen, die aus den Naben ihrer Rollstuhlräder rotierende Klingen ausfahren kann.
Weniger gut ist allerdings, dass Thor Kunkel vieles von dem, was er an Einflüssen in seinem Roman verarbeitet hat, unbedingt erwähnen will. Die künstliche Frau als ideale Partnerin, die Erschaffung von Leben unter Ausschaltung des Geschlechtsaktes – diese Männerwünsche reichen weit zurück: von Hans Bellmer und Oskar Kokoschka, der sich eine Puppe nach dem Vorbild der von ihm obsessiv verehrten Alma Mahler-Werfel bastelte, über die Automatenfaszination des 18. und 19. Jahrhunderts bis zum antiken Pygmalion und seiner Statue. Dass Kunkel diesen Phantasmen unter den Vorzeichen unserer Zeit etwas Neues abzugewinnen versucht, ist reizvoll. Dass er sie aber alle aufzählt und dazu in recht plumper, schlecht in die Handlung integrierter Weise – das hat etwas unangenehm Bildungshuberisches an sich.
Ähnliches gilt für die teils ernst, teils ironisch gemeinte Kulturkritik, als deren Sprachrohr im Roman Kolther dient. Zur Abgründigkeit des Agenten trägt bei, dass er mit dem Mogul, dessen Industrieimperium er stürzen soll, insgeheim sympathisiert. Wie Scheinberg ist er zutiefst misogyn. In der Liebe kann er nicht mehr als die „Tarnkappe“ eines „heimtückischen Triebautomatismus“ erkennen: „Was wir lieben“, sagt er Lora, „ist der Doppelgänger unserer eigenen Seele, die wir in dem anderen Körper vermuten. Warum sollten wir ihn nicht auch einem Körper aus Silikon einpflanzen können? Und war die Maschine nicht schon immer der mystische Doppelgänger des Menschen, eine botmäßige, schattenhafte Existenz seiner selbst?“ Das ist mitunter scharfsinnig ausgedrückt, führt aber zu einem abrupten Hin- und Herschwenken zwischen actionorientierten und gelehrt-essayistischen Passagen.
Ein scharfes Hinsehen verlangen die ideologischen Implikationen. Mit „Endstufe“, seinem vor sechs Jahren erschienenen Roman über die Produktion von Pornofilmen während der NS-Zeit, gelang es Thor Kunkel, zu einem Skandalautor zu werden. Die trashig-tarantinoeske Darstellung des „Dritten Reiches“ galt vielen Kritikern als ebenso anstößig wie das grelle, lustvolle Ausmalen der Untaten alliierter Besatzer im Jahr 1945. In „Schaumschwester“ geht es zwar harmloser zu, im Untergrund grollt es dennoch weiter. Als „Keimkraftzersetzung“ hätten die Nazis den gegenwärtigen demographischen Prozess bezeichnet, räsoniert ein Mitglied der „Krypto- Loge“; der Begriff sei zwar „krude“, treffe aber „den Kern der Sache“. Und mit Blick auf MTV erklärt Kolther, dass nun „Körpernormierungsphantasien“ verwirklicht würden, die „auf dem Reißbrett der Nazis entstanden“ seien. Sollte es etwa nicht so schlimm gewesen sein damals, zu Zeiten des Holocausts? Alles war wohl nur Vorschein dessen, was die – wie Kolther bewusst höhnisch formuliert – „freie Welt“ uns heute zumutet. Mit dem Hinweis auf die Figurenperspektive lassen sich solche Bemerkungen nicht absolvieren.
Auf der Homepage des Autors finden sich Ausfälle, die in dieselbe Richtung zielen: Da wird eine „neutrale Auseinandersetzung“ mit dem „Dritten Reich“ gefordert und gegen das „philosemitische Establishment“ sowie den „Kollektivschuld-Zirkus der Deutschen“ polemisiert. Im bunten Mantel des Pop-Literaten, in den Thor Kunkel sich hüllt, scheint ein Provokateur zu stecken, der vielleicht gerne der Urenkel von Oswalt Spengler wäre.
CHRISTOPH HAAS
THOR KUNKEL: Schaumschwester. Roman. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2010. 280 Seiten, 14,80 Euro.
Die künstliche Frau als ideale
Partnerin – diese Männerwünsche
reichen weit zurück
Thor Kunkel Foto: Brigitte Friedrich
„La Poupée / Die Puppe“ von Hans Bellmer (1902 - 1975) Foto: bpk / Nationalgalerie, SMB, Sammlung Scharf-Gerstenberg / Hans Bellmer © VG Bildkunst Bonn, 2010
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In Thor Kunkels Pulp-Thriller „Schaumschwester“ muss die Welt vor weiblichen Replikanten gerettet werden
Als Puppe hergerichtet, ist Lora von Kolther zur Hauptversammlung der „Synthetischen Wohlfahrts AG“ geschoben worden. Als ihr Begleiter sie verlassen muss, um bei Scheinberg, dem Konzernchef, einzubrechen, gerät sie jedoch in die Bredouille. Die Männer, die neben ihr sitzen, reagieren immer aufgegeilter. Wie lebensecht sie in ihrem Taft-Mini und ihrer Leder- Korsage ausschaut! Offenbar handelt es sich bei ihr um das neue Modell „C-Tausend“, das bislang noch niemand zu Gesicht bekommen hat! Als einer der „Statuophilen“ zwischen ihre Beine kriecht, wird es Lora zu viel. Sie springt wütend auf und gibt sich zu erkennen. „Eine echte Frau? Um Gottes willen . . . “, ertönt als allgemeiner Entsetzensruf, und blitzschnell, „als hätte man einer Festgesellschaft von Vampiren eine Knoblauchsuppe serviert“, leert sich der volle Saal.
Im Auftrag der „Krypto-Loge“, eines geheimdienstlichen Verbundes von Verbrecherjägern und Wissenschaftlern, sind die Computerspezialisten Kolther und Lora nach Nizza gereist. Ihr Auftrag: Sie sollen Scheinbergs Kundenkartei knacken, damit die boomende Puppenproduktion verboten werden kann. Denn seit eine stetig wachsende Anzahl von Männern sich nicht mehr für widerspenstige Frauen aus Fleisch und Blut, sondern für makellose, verfügbare „Gynoiden“ interessiert, sinkt die Geburtenrate so drastisch, dass die Regierungen des Westens sich zum Handeln gezwungen sehen – sonst wird die Menschheit in absehbarer Zeit ausgestorben sein.
Wie es sich für einen Pulp-Thriller mit Science-fiction-Einschlag gehört, geht es in „Schaumschwester“ um nicht weniger als die Rettung der Welt, und so weit er die Regeln des Genres befolgt, funktioniert der Roman auch recht gut. Lora ist klug und kess, Kolther zynisch und desillusioniert, ein Bruder im Geiste der abgebrüht-abgetakelten Helden, wie sie in den hard boiled novels von Hammett und Chandler auftreten. Es gibt Vergleiche, die bis an die Grenze des rhetorisch Vertretbaren gehen und gerade daher spaßig zu lesen sind; von Kolthers gescheiterter Ehe heißt es: „Der Bruch zwischen ihm und seiner Frau war wie bei Schleiflackmöbeln, die glatt aneinandergefügt werden, lange Zeit nicht zu bemerken gewesen.“ Und es gibt Verfolgungsjagden; die schönste von ihnen könnte aus einem Dario-Argento-Film der frühen Siebziger stammen: In einem Hotelflur wird Lora von einer hoch entwickelten Puppe angegriffen, die aus den Naben ihrer Rollstuhlräder rotierende Klingen ausfahren kann.
Weniger gut ist allerdings, dass Thor Kunkel vieles von dem, was er an Einflüssen in seinem Roman verarbeitet hat, unbedingt erwähnen will. Die künstliche Frau als ideale Partnerin, die Erschaffung von Leben unter Ausschaltung des Geschlechtsaktes – diese Männerwünsche reichen weit zurück: von Hans Bellmer und Oskar Kokoschka, der sich eine Puppe nach dem Vorbild der von ihm obsessiv verehrten Alma Mahler-Werfel bastelte, über die Automatenfaszination des 18. und 19. Jahrhunderts bis zum antiken Pygmalion und seiner Statue. Dass Kunkel diesen Phantasmen unter den Vorzeichen unserer Zeit etwas Neues abzugewinnen versucht, ist reizvoll. Dass er sie aber alle aufzählt und dazu in recht plumper, schlecht in die Handlung integrierter Weise – das hat etwas unangenehm Bildungshuberisches an sich.
Ähnliches gilt für die teils ernst, teils ironisch gemeinte Kulturkritik, als deren Sprachrohr im Roman Kolther dient. Zur Abgründigkeit des Agenten trägt bei, dass er mit dem Mogul, dessen Industrieimperium er stürzen soll, insgeheim sympathisiert. Wie Scheinberg ist er zutiefst misogyn. In der Liebe kann er nicht mehr als die „Tarnkappe“ eines „heimtückischen Triebautomatismus“ erkennen: „Was wir lieben“, sagt er Lora, „ist der Doppelgänger unserer eigenen Seele, die wir in dem anderen Körper vermuten. Warum sollten wir ihn nicht auch einem Körper aus Silikon einpflanzen können? Und war die Maschine nicht schon immer der mystische Doppelgänger des Menschen, eine botmäßige, schattenhafte Existenz seiner selbst?“ Das ist mitunter scharfsinnig ausgedrückt, führt aber zu einem abrupten Hin- und Herschwenken zwischen actionorientierten und gelehrt-essayistischen Passagen.
Ein scharfes Hinsehen verlangen die ideologischen Implikationen. Mit „Endstufe“, seinem vor sechs Jahren erschienenen Roman über die Produktion von Pornofilmen während der NS-Zeit, gelang es Thor Kunkel, zu einem Skandalautor zu werden. Die trashig-tarantinoeske Darstellung des „Dritten Reiches“ galt vielen Kritikern als ebenso anstößig wie das grelle, lustvolle Ausmalen der Untaten alliierter Besatzer im Jahr 1945. In „Schaumschwester“ geht es zwar harmloser zu, im Untergrund grollt es dennoch weiter. Als „Keimkraftzersetzung“ hätten die Nazis den gegenwärtigen demographischen Prozess bezeichnet, räsoniert ein Mitglied der „Krypto- Loge“; der Begriff sei zwar „krude“, treffe aber „den Kern der Sache“. Und mit Blick auf MTV erklärt Kolther, dass nun „Körpernormierungsphantasien“ verwirklicht würden, die „auf dem Reißbrett der Nazis entstanden“ seien. Sollte es etwa nicht so schlimm gewesen sein damals, zu Zeiten des Holocausts? Alles war wohl nur Vorschein dessen, was die – wie Kolther bewusst höhnisch formuliert – „freie Welt“ uns heute zumutet. Mit dem Hinweis auf die Figurenperspektive lassen sich solche Bemerkungen nicht absolvieren.
Auf der Homepage des Autors finden sich Ausfälle, die in dieselbe Richtung zielen: Da wird eine „neutrale Auseinandersetzung“ mit dem „Dritten Reich“ gefordert und gegen das „philosemitische Establishment“ sowie den „Kollektivschuld-Zirkus der Deutschen“ polemisiert. Im bunten Mantel des Pop-Literaten, in den Thor Kunkel sich hüllt, scheint ein Provokateur zu stecken, der vielleicht gerne der Urenkel von Oswalt Spengler wäre.
CHRISTOPH HAAS
THOR KUNKEL: Schaumschwester. Roman. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2010. 280 Seiten, 14,80 Euro.
Die künstliche Frau als ideale
Partnerin – diese Männerwünsche
reichen weit zurück
Thor Kunkel Foto: Brigitte Friedrich
„La Poupée / Die Puppe“ von Hans Bellmer (1902 - 1975) Foto: bpk / Nationalgalerie, SMB, Sammlung Scharf-Gerstenberg / Hans Bellmer © VG Bildkunst Bonn, 2010
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Allzu oft lässt sich dieser Affekt im braven Literaturbetrieb unserer Zeit nicht antreffen, aber man muss es so nennen: Rezensentin Sandra Kerschbaumer findet diesen Roman abstoßend. Das Bild der synthetischen Sexpuppen, mit denen sich die Männer "unter einer wie jähzornig strahlenden Sonne" vergnügen, scheint ihr abgeschmackt. Allzusehr fühlt sie sich an zweitausend Jahre Literaturgeschichte der Homunkuli und Androiden erinnert. Der metaphorische Sinn, den Kunkel diesen Puppen gibt, widert Kerschbaumer noch mehr an: Denn natürlich erfindet er diese Puppen nur, um uns Menschen in unserem neoliberalen Konsumwahn anzuprangern.
© Perlentaucher Medien GmbH
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