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Edzard Reuter war einer der mächtigsten, aber am Ende seiner Laufbahn auch umstrittendsten Topmanager der deutschen Nachkriegsgeschichte. Nun legt er seine Erinnerungen vor, schildert ein außergewöhnliches Leben, angesiedelt zwischen Wirtschaft, Politik und Kunst. Er spart nicht an Selbstkritik, geht aber auch mit Kollegen aus den Chefetagen oder Politikern hart ins Gericht.

Produktbeschreibung
Edzard Reuter war einer der mächtigsten, aber am Ende seiner Laufbahn auch umstrittendsten Topmanager der deutschen Nachkriegsgeschichte. Nun legt er seine Erinnerungen vor, schildert ein außergewöhnliches Leben, angesiedelt zwischen Wirtschaft, Politik und Kunst. Er spart nicht an Selbstkritik, geht aber auch mit Kollegen aus den Chefetagen oder Politikern hart ins Gericht.
Autorenporträt
Edzard Reuter, 1928 in Berlin geboren, gehörte jahrzehntelang zu den führenden Unternehmerpersönlichkeiten Deutschlands. 1987 bis 1995 war der studierte Jurist Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG. Er ist SPD-Mitglied und als kritischer Kommentator des Wallstreet-Kapitalismus bekannt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.1998

Der Aufklärer auf dem Vorstandsstuhl
Selbstgerechtigkeit und Bitterkeit eines Visionärs

Edzard Reuter, Schein und Wirklichkeit, Siedler Verlag Berlin 1998, 468 Seiten, 54,90 Mark.

Die Erinnerungen des früheren Vorstandsvorsitzenden des Daimler-Benz-Konzerns sind schon deswegen bemerkenswert, weil in der Nachkriegszeit kaum ein anderer Manager so unverblümt Handelnde und Handlungen in der deutschen Großindustrie beschrieben hat. Es ist ein sehr subjektives Buch ("Dieses ist meine Wahrheit") über Politiker und Populisten, Unternehmer und Unterlasser, Herren und Heuchler, wie es heißt. Manche Leser mögen es als gesellschaftspolitisches Lehrstück empfinden. Ist es das aber wirklich, ist es, wie der Autor hofft, ein lehrreiches Buch für junge Menschen am Beginn ihres Berufslebens?

Aufschlußreich ist auf jeden Fall, was Reuter als Sohn eines großen Sozialdemokraten, des legendären Regierenden Bürgermeisters von Berlin, über die Kindheit im türkischen Exil und die späten vierziger und fünfziger Jahre im zerstörten und zerrissenen Berlin schreibt. Er hebt zu Recht noch einmal die Bedeutung politischer Freiheit hervor und die Rolle West-Berlins als Bollwerk dieser Freiheit gegenüber der damaligen sowjetischen Aggression. Obwohl Reuter, seit 1946 selber SPD-Mitglied, die spätere Entspannungspolitik bis zu einem gewissen Grad bejaht, kann man gut verstehen, daß ihn die damalige "bürgerlich-feige Distanziertheit" westdeutscher Studenten und Professoren zum Kommunismus und das Gerede von den kalten Kriegern bis heute aufregt. Um so mehr irritiert am Ende des Buches seine Sympathiebekundung für Modrow.

Diese Erfahrungen und das Vorbild des Vaters, der nie ein Mann der Partei im engeren Sinn war, haben Reuters politische Meinung geprägt. Er verachtet diejenigen, die Politik nicht mehr als Berufung sehen, sondern als Job. Er schätzt Politiker wie Brandt, Schmidt und Kohl wegen ihres Patriotismus und ihres Sinns für das Gemeinwohl - im Gegensatz zu "bedenkenlosen Leichtfüßen" wie Lafontaine. In solchen Maßstäben verbirgt sich auch die Antwort auf die naheliegende Frage, warum Reuter nicht selbst Führungsverantwortung in der Politik übernommen hat, die er sich durchaus zutraut und die ihm auch angetragen worden ist. Reuter wollte sich nicht den Einbindungen der Politik ausliefern, ehe er nicht persönliche - sprich materielle - Unabhängigkeit gewonnen hatte. Zum anderen sei eine politische Führungsrolle ohne starke Hausmacht in der Partei kaum noch denkbar gewesen, eine Hausmacht, die er nie hatte, sich aber offenkundig auch nicht erarbeiten wollte.

In diesem elitären Selbstverständnis, in dem immer wieder artikulierten Gefühl, anders und besser zu sein, liegt auch die Problematik seines Lebens. Sie liegt nicht darin, wie er suggeriert, daß er aus einer anderen gesellschaftlichen Sphäre stammte, dagegen spricht die soziale Einordnung der deutschen Manager, sondern in den Ansprüchen an sich und andere. Natürlich hat seine SPD-Mitgliedschaft und die Herkunft aus einer immerhin gutbürgerlichen und angesehenen SPD-Familie die Karriere erschwert. Sie hat sie aber nicht unmöglich gemacht. Die dreimalige Abweisung sitzt jedoch offensichtlich tief, doch sie dient allzu oft als Rechtfertigung.

Schon als Student war Reuter - und das ehrt ihn - unbequem gewesen. Nach Abschluß des juristischen Studiums wollte er weder in die Justiz noch als Sachbearbeiter in eine Rechtsabteilung. Ihm schwebte vielmehr eine Aufgabe in der Wirtschaft vor, in der Hoffnung, eines Tages gestaltend tätig sein zu können ohne die Abhängigkeiten einer politischen Karriere. Viele Bewerbungen scheiterten, auch eine erste bei Daimler-Benz. Immerhin gesteht Reuter ein, daß dies möglicherweise mit seinen "ungewöhnlichen Vorstellungen" zusammenhing. Ein erster Job bei der Ufa endete unbefriedigend, ein zweiter bei Bertelsmann vor dem Arbeitsgericht und mit der Erkenntnis, wie "zwiespältig" es sei, sich als innerlich unabhängiger Mann mit Eigentümerunternehmern einzulassen. Danach halfen auch führende Sozialdemokraten wie Möller nicht weiter. Schließlich klappte 1964 doch noch der Einstieg bei Daimler-Benz, dem Unternehmen, das wie kein anderes seine kühnsten Träume verkörperte. Dennoch empfindet er es bis heute als bitteren Tropfen, daß er dabei eine spürbare Minderung seines vorherigen Einkommens hinnehmen mußte.

Reuters drei Jahrzehnte währende Tätigkeit in Deutschlands bedeutendstem Industriekonzern nimmt den größten Teil des Buches ein. Reuter hat bei Daimler Karriere gemacht und ungeachtet mancher Vorurteile und seines unbequemen Charakters den Sprung in die höchste deutsche Führungsposition geschafft. Doch die Genugtuung darüber wird in den Erinnerungen überschattet von der Selbstgerechtigkeit und Bitterkeit eines Mannes, der am Ende mit der Vision eines vom Auto unabhängigeren integrierten Technologiekonzerns gescheitert ist. Es befremdet, daß ein so scharfer Denker, der gern die Sonde schonungsloser Kritik bei anderen anlegt, in dem Buch häufig die Schuld in seiner Umgebung und in den Umständen sucht. Man denkt an Andersens Märchen von der Schneekönigin, in dem der kleine Kay durch einen Spiegelglassplitter im Auge mit geschliffenem Geist brilliert, aber die Welt nur noch verzerrt und mit kaltem Herzen wahrnimnmt.

Reuter sieht sich bis heute als Aufklärer auf dem Chefstuhl, der auf Managerkollegen herabsieht, weil sie auf Auslandsreisen Akten studieren statt sich mit der Kultur des Gastlandes zu beschäftigen. Er spricht ironisch von den parlierenden Festspielgästen in Salzburg, um dann selbst vom sechzigsten Geburtstag des amerikanischen Bankers Wolfensohn in der New Yorker Carnegie Hall zu schwärmen. Er verachtet oberflächliches Geschwätz, um dann selbst Banalitäten von sich zu geben wie die, daß Kunst zu keinem Zeitpunkt je an einem Ende, an einer endgültigen Vollendung angelangt sei. Reuter, das spürt man an vielen Stellen, sieht sich als elitären Geist.

Insofern geht seine Kritik an der Sache vorbei. Er wollte ein elitäres Unternehmen, bevölkert mit Idealgestalten, beseelt von einer Vision. Daß auch Daimler-Benz nur Menschenwerk ist mit Managern, die Stärken und Schwächen haben, die sich irren, Fehler machen und auch nicht geeignet sein mögen, daß es ein Unternehmen ist, in dem Machtkämpfe toben und unglaublicher Mist gemacht wird, und daß er sich selbst anders sah, daran ist Reuter letztlich gescheitert. Das ist durchaus eine Erkenntnis auch für junge Menschen, sie relativiert den Mythos der Großindustrie und die Selbstgefälligkeit der Mächtigen. Ein Lehrstück ist dieses Sittenbild freilich nicht. Die Erinnerungen bleiben am Ende doch der Versuch einer wohlfeilen Rechtfertigung. Auf die naheliegende Frage, warum er so lange mitgemacht hat und Daimler nicht irgendwann verlassen hat, schreibt Reuter im Selbstgespräch auf Seite 181: "Eine Antwort weißt Du nicht."

JÜRGEN JESKE

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