In seinem vielgelesenen und vielgepriesenen Buch Du mußt dein Leben ändern hat Peter Sloterdijk das Üben als entscheidende conditio humana herausgestellt. In seinem neuen Buch analysiert er die von dieser neuen Perspektive auf menschliches Denken und Handeln grundlegend verändernde Beobachtung auf Wissenschaft und das Tun des Wissenschaftlers. Peter Sloterdijk begreift Wissenschaft als eine Art und Weise, mit Hilfe von wissenschaftserzeugenden Übungsverfahren den Wissenschaftler selber ins Leben zu rufen.Diese Geschichte umspannt eine mehr als 2000 Jahre währende Entwicklung. Sie setzt ein mit Platons Berichten über seinen athenischen Lehrer: Der litt darunter, daß er einen starken inneren Monolog mit sich führte, der ihn disponierte, in der Akademie einfach stehenzubleiben. Die ursprüngliche Akademie ist also ein Übungszentrum, in dem die Menschen es lernen, der Welt nach den Regeln der Kunst abhanden zu kommen. Selbst die heutigen Universitäten haben auf diesem Gebiet einiges geleistet. Auch sie stehen in der Tradition dieser platonischen »Absencenbeherbergungen«, auch sie stellen die Liaison her zwischen der Andersartigkeit des Denkens und der Andersortigkeit des Denkens, welche die Einübung der Wissenschaft allererst ermöglicht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2010Sloterdijks Fußnote
Gut zehn Jahre nach den "Regeln für den Menschenpark", die Peter Sloterdijk in der "Elmauer Rede" und in nachfolgenden Interviews aufgestellt hatte, ist der Autor offenbar noch immer bemüht, seine damaligen Spekulationen über mögliche eugenische und genetische Manipulationen, die er unter dem Stichwort der Anthropotechnik verbreitete, vergessen zu machen. In der nun als schmaler Band vorliegenden Unseld Lecture erklärt Sloterdijk: "Unser Thema lautet: Wissenschaft als Übung - alternativ: Wissenschaft als Anthropotechnik, wobei der letztere Begriff hier nur insofern ins Spiel kommt, als er Menschenformung durch übende Selbsteinwirkung bedeutet - unter Absehung von Spekulationen über mögliche eugenische und genetische Manipulationen, wie sie von Platon bis Trotzki mit wechselnden Graden der Ernsthaftigkeit erörtert wurden." Anthropotechnik, so legt Sloterdijk an dieser Stelle nahe, habe er selbst nie anders denn als harmlose intellektuelle Übung, das Beste aus sich zu machen, verstanden. Doch weit gefehlt: Dass der Ausdruck Anthropotechnik erstmals als Eintrag in der großen Sowjetischen Enzyklopädie von 1926 erschien und insoweit auf eine eugenische Bedeutung festgelegt ist, stellt Sloterdijk auf derselben Seite esoterisch, also für den eingeweihten Kreis der Zwischen-den-Zeilen-Leser, in einer Fußnote fest. Sloterdijks exoterischer, für den Leserkreis der Vielen vollzogener Rückzug vom Züchterimage scheint sich zu einer lebenslangen Aufgabe mit immer neuen Finessen zu entwickeln. (Peter Sloterdijk: "Scheintod im Denken". Von Philosophie und Wissenschaft als Übung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2010. 148 S., br., 10,- [Euro].) gey
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gut zehn Jahre nach den "Regeln für den Menschenpark", die Peter Sloterdijk in der "Elmauer Rede" und in nachfolgenden Interviews aufgestellt hatte, ist der Autor offenbar noch immer bemüht, seine damaligen Spekulationen über mögliche eugenische und genetische Manipulationen, die er unter dem Stichwort der Anthropotechnik verbreitete, vergessen zu machen. In der nun als schmaler Band vorliegenden Unseld Lecture erklärt Sloterdijk: "Unser Thema lautet: Wissenschaft als Übung - alternativ: Wissenschaft als Anthropotechnik, wobei der letztere Begriff hier nur insofern ins Spiel kommt, als er Menschenformung durch übende Selbsteinwirkung bedeutet - unter Absehung von Spekulationen über mögliche eugenische und genetische Manipulationen, wie sie von Platon bis Trotzki mit wechselnden Graden der Ernsthaftigkeit erörtert wurden." Anthropotechnik, so legt Sloterdijk an dieser Stelle nahe, habe er selbst nie anders denn als harmlose intellektuelle Übung, das Beste aus sich zu machen, verstanden. Doch weit gefehlt: Dass der Ausdruck Anthropotechnik erstmals als Eintrag in der großen Sowjetischen Enzyklopädie von 1926 erschien und insoweit auf eine eugenische Bedeutung festgelegt ist, stellt Sloterdijk auf derselben Seite esoterisch, also für den eingeweihten Kreis der Zwischen-den-Zeilen-Leser, in einer Fußnote fest. Sloterdijks exoterischer, für den Leserkreis der Vielen vollzogener Rückzug vom Züchterimage scheint sich zu einer lebenslangen Aufgabe mit immer neuen Finessen zu entwickeln. (Peter Sloterdijk: "Scheintod im Denken". Von Philosophie und Wissenschaft als Übung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2010. 148 S., br., 10,- [Euro].) gey
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Tja, da stellt mal wieder ein Philosoph die Frage aller Fragen, nämlich die, wie es überhaupt zu einer Figur wie ihm höchstselbst kommen konnte. Gustav Seibt bespricht den erstaunlich schmalen neuen Band des "gewohnt Metaphernseligen" in aller Kürze und vom Gestus her eher paraphrasierend und weiterphilosophierend als klassisch rezensierend. Die Lösung von Welt und Körper, das reine Spiel der Begriffe und dann natürlich das kümmerliche Ende der Metaphysik in Gender Studies und dem Expertentum in der Wissensgesellschaft: All dies scheint - gewürzt mit viel Nietzsche - der Inhalt des Bändchens zu sein. Sowohl die Erfindung des abstrakten und noch nicht recht lieben Herrgotts bei den Juden, als auch die Erfindung der Metaphysik bei den Griechen, so erfährt man nebenbei, rechnet Sloterdijk der Erfahrung politischer Niederlagen zu.
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»Das moralisch Schöne, das Erbauliche an Sloterdijks Buch ist, dass er die alte theoretische Haltung, die so leicht zu verspotten wäre, achtet.« Franz Schuh DIE ZEIT 20100826