"Der Zuschauer", so lautete jüngst eine Einschätzung des bekannten Theaterwissenschaftlers Hans-Thies Lehmann, "ist praktisch, mehr aber noch ästhetisch die zentrale Frage des Theaters, seiner Praxis und seiner Theorie geworden". In dieser Kunstform, die sich wie keine andere durch eine Gleichzeitigkeit von künstlerischer Produktion und Rezeption definiert, regt die Frage nach der Rolle des Publikums derzeit weltweit Künstler zur kritischen Auseinandersetzung an.
Im soziokulturellen Kontext des Libanon, so die zentrale These dieses Buches, erhält die "Zuschauerfrage" jedoch eine ganz spezifische Qualität: Über sie können Wahrnehmungsprozesse nicht nur im Theater, sondern vor allem innerhalb der eigenen politischen Gemeinschaft und der Mangel an zivilgesellschaftlicher Partizipation thematisiert werden. Der Blick auf den Theaterzuschauer weist somit über den Rahmen des Theaterraums hinaus: Er verweist auf den Zuschauer als Bürger.
Das vorliegende Buch widmet sich experimentellen Ansätzen der zeitgenössischen libanesischen Theater- und Performanceszene, die das Selbstverständnis des Zuschauers und die Tätigkeit des "Zuschauens" zur Disposition stellen. Als paradigmatische Beispiele wurden Bühnenarbeiten von Rabih Mroué (geb. 1967) und Hisham Jaber (geb. 1980) ausgewählt, in welchen die etablierte Position des Publikums durch innovative künstlerische Mittel in Zweifel gezogen wird. Im Rahmen der theaterwissenschaftlichen Analyse wird deutlich, dass in Mroués "LOOKING FOR A MISSING EMPLOYEE" (2003) und Jabers "NOT FOR PUBLIC" (2008) das klassische Verständnis des Theaterzuschauers - als eines passiven Konsumenten der theatralen Handlung - angegriffen und neu verhandelt wird. Hierüber werden gleichsam spezifische Problematiken der libanesischen Nachkriegsgesellschaft berührt und die Stellung des Individuums in einem Staat zur Diskussion gestellt, der sich de jure als demokratische Nation ausweist, de facto jedoch auch zwanzig Jahre nach dem Bürgerkrieg noch immer von Konfessionalismus, Klientelismus, Clanwirtschaft und Korruption geprägt und gelenkt wird.
Die beiden in ihren ästhetischen Strategien sehr unterschiedlichen Arbeiten zeigen hierin einen hohen politischen Gehalt. Dieser lässt sich - auch wenn Mroué und Jaber sich thematisch stark mit der eigenen Gesellschaft und Geschichte auseinandersetzen - jedoch weniger im verhandelten Inhalt als in der politischen "Gemachtheit" dieser Theateransätze erkennen, d.h. in der Fokussierung auf und Auseinandersetzung mit dem Zuschauer. Hierin findet sich ein zeitgenössisches Neuverständnis politischen Theaters, mit dem diese Künstler eine kritische Distanz zu ihren Vorreitern, den libanesischen Vertretern der arabischen Theateravantgarde, einnehmen. Das Buch versteht sich somit als Beitrag zu einer noch größtenteils ausstehenden Forschung über die Entwicklung des zeitgenössischen libanesischen bzw. arabischen Theaters, seinen gegenwärtigen Fragestellungen und seiner Ästhetik.
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Im soziokulturellen Kontext des Libanon, so die zentrale These dieses Buches, erhält die "Zuschauerfrage" jedoch eine ganz spezifische Qualität: Über sie können Wahrnehmungsprozesse nicht nur im Theater, sondern vor allem innerhalb der eigenen politischen Gemeinschaft und der Mangel an zivilgesellschaftlicher Partizipation thematisiert werden. Der Blick auf den Theaterzuschauer weist somit über den Rahmen des Theaterraums hinaus: Er verweist auf den Zuschauer als Bürger.
Das vorliegende Buch widmet sich experimentellen Ansätzen der zeitgenössischen libanesischen Theater- und Performanceszene, die das Selbstverständnis des Zuschauers und die Tätigkeit des "Zuschauens" zur Disposition stellen. Als paradigmatische Beispiele wurden Bühnenarbeiten von Rabih Mroué (geb. 1967) und Hisham Jaber (geb. 1980) ausgewählt, in welchen die etablierte Position des Publikums durch innovative künstlerische Mittel in Zweifel gezogen wird. Im Rahmen der theaterwissenschaftlichen Analyse wird deutlich, dass in Mroués "LOOKING FOR A MISSING EMPLOYEE" (2003) und Jabers "NOT FOR PUBLIC" (2008) das klassische Verständnis des Theaterzuschauers - als eines passiven Konsumenten der theatralen Handlung - angegriffen und neu verhandelt wird. Hierüber werden gleichsam spezifische Problematiken der libanesischen Nachkriegsgesellschaft berührt und die Stellung des Individuums in einem Staat zur Diskussion gestellt, der sich de jure als demokratische Nation ausweist, de facto jedoch auch zwanzig Jahre nach dem Bürgerkrieg noch immer von Konfessionalismus, Klientelismus, Clanwirtschaft und Korruption geprägt und gelenkt wird.
Die beiden in ihren ästhetischen Strategien sehr unterschiedlichen Arbeiten zeigen hierin einen hohen politischen Gehalt. Dieser lässt sich - auch wenn Mroué und Jaber sich thematisch stark mit der eigenen Gesellschaft und Geschichte auseinandersetzen - jedoch weniger im verhandelten Inhalt als in der politischen "Gemachtheit" dieser Theateransätze erkennen, d.h. in der Fokussierung auf und Auseinandersetzung mit dem Zuschauer. Hierin findet sich ein zeitgenössisches Neuverständnis politischen Theaters, mit dem diese Künstler eine kritische Distanz zu ihren Vorreitern, den libanesischen Vertretern der arabischen Theateravantgarde, einnehmen. Das Buch versteht sich somit als Beitrag zu einer noch größtenteils ausstehenden Forschung über die Entwicklung des zeitgenössischen libanesischen bzw. arabischen Theaters, seinen gegenwärtigen Fragestellungen und seiner Ästhetik.
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