Rapide wachsende Arbeitslosigkeit, fehlende Innovationen - die Deutschen erkennen zwar den schleichenden Niedergang auf vielen Gebieten, wollen aber nicht wahrhaben, daß vom Staat nicht mehr allzuviel zu erwarten ist und er bestenfalls die Grundsicherung garantieren kann. Gefragt ist ein großes Maß an Eigeninitiative. Professor Arnulf Baring warnt davor, die geplante Währungsunion als Allheilmittel anzusehen. Die Turbulenzen, die eine Beseitigung der D-Mark und das Ende der stabilitätsorientierten Bundesbank auslösen werden, bergen, so Baring, die Gefahr in sich, unser Parteiensystem und damit unser demokratisches Staatswesen zu zerstören.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.1997Kaum Blau am Horizont
Arnulf Baring listet alle deutschen Probleme auf
Arnulf Baring: Scheitert Deutschland? Der schwierige Abschied von unseren Wunschwelten. In Zusammenarbeit mit Dominik Geppert. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1977. 352 Seiten, 39,80 Mark.
In seinem neuen Buch listet Arnulf Baring alle Probleme auf, von denen Deutschland geplagt wird. Es ist eine Liste - vor allem was den ersten Teil mit dem Titel "Deutschlands Zukunft als Industrienation und Sozialstaat" angeht -, die jedem aufmerksamen Zeitungsleser bekannt ist; die meisten Politiker (mit dem Bundespräsidenten als Speerspitze) pflegen diesen oder einen ähnlichen Problemkatalog vorzulesen, wenn sie dazu auffordern, es müsse umgedacht werden, es müsse ein "Ruck" durch die Gesellschaft gehen.
Es ist eine Liste, an der sich schon viele Publizisten und Wissenschaftler abgearbeitet haben. Baring faßt das noch einmal zusammen, erhebt auch keinen Anspruch auf Originalität, sondern referiert und zitiert in weiten Teilen die einschlägigen Reden und Bücher. Daß dabei unter dem dramatisierenden Titel "Scheitert Deutschland?" hauptsächlich Deprimierendes angeführt wird, versteht sich - wer die Deutschen aufwecken will ("Weckruf für Deutschland" wäre auch ein möglicher Buchtitel gewesen), darf sie nicht gleich mit Frohbotschaften trösten. Dennoch ist es das Hauptmanko dieses Buches, daß es bei der Diagnose stehenbleibt, daß es mit fast biblischem Pathos zur Umkehr aufruft, aber den Leser meistens ratlos zurückläßt, weil Baring ihm, was Lösungsvorstellungen für die vielen Probleme angeht, wenig anbietet.
Baring appelliert an den und an die einzelnen; das wird hervorgehoben durch das inklusive "wir", das er bei der Beschreibung "unserer" Probleme immer wieder benutzt (was dem Text in großen Teilen allerdings einen Plauderton verleiht, der seine dramatisierende Tendenz unterläuft). Sicherlich ist solch ein Appell an die Eigenverantwortung, an die Umkehrbereitschaft jedes Bürgers notwendig in einer Zeit, in der Ursachen für Fehlentwicklungen regelmäßig bei "Systemen, Strukturen und Prozessen" gesucht werden. Allerdings ist der Verweis darauf nicht nur pure Abschiebetaktik; von einem Politologen hätte man doch erwartet, daß er etwas gründlicher darüber nachdenkt, wie einzelne, wie die Politiker, wie die Parteien es überhaupt anstellen sollen, durch die harte Schicht der organisierten Interessen durchzustoßen.
Wer diesen Panzer nicht aufbricht, der wird nämlich das Erstarren Deutschlands in Besitzstandswahrung nicht verhindern können. Frau Thatcher, die Baring mehrfach als gutes Beispiel anführt, hat dies in Großbritannien vorgemacht. Doch in Bonn gibt es keine Frau Thatcher, und Deutschland ist nicht Großbritannien. Das ist weder eine Entschuldigung noch eine Erklärung. Man hätte jedoch erwartet, daß es gerade in einer Analyse thematisiert wird, die nach Remedur sucht für die "deutsche Krankheit".
Baring sorgt sich auch um die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Er nimmt Themen und Thesen auf, die in den letzten Jahren von Autoren wie Hans-Peter Schwarz oder Gregor Schöllgen vorgelegt wurden, meist referierend. Am meisten fürchtet Baring, daß Deutschland an der Europäischen Währungsunion und am Euro scheitern könnte. Aber auch dazu ist in den vergangenen Jahren aus ökonomischer wie aus politischer und psychologischer Sicht so viel Skeptisches geäußert worden, daß man Originelles schwerlich erwarten, also von Baring auch nicht sonderlich enttäuscht werden kann.
Man mag hoffen, daß Barings Auflistung der deutschen Probleme zu der von ihm selbst geforderten Einsicht beiträgt, wir müßten "wieder leistungsfähig" werden. Daß sein Buch dabei hilft, die Deutschen zuversichtlich zu machen ("Das ist ganz entscheidend. Das sind wir uns und unseren Nachbarn schuldig."), erscheint dagegen eher zweifelhaft. Der Himmel über Deutschland ist, so wie er ihn beschreibt, grau bis schwarz, voller drohender Gewitterwolken - kaum ein Fleckchen Blau am Horizont. Man könnte meinen, Baring sei über dem Schreiben dieses Buches selbst in Resignation verfallen und habe den Titel nur aus rhetorischen Gründen in Frageform gekleidet. GÜNTHER NONNENMACHER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Arnulf Baring listet alle deutschen Probleme auf
Arnulf Baring: Scheitert Deutschland? Der schwierige Abschied von unseren Wunschwelten. In Zusammenarbeit mit Dominik Geppert. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1977. 352 Seiten, 39,80 Mark.
In seinem neuen Buch listet Arnulf Baring alle Probleme auf, von denen Deutschland geplagt wird. Es ist eine Liste - vor allem was den ersten Teil mit dem Titel "Deutschlands Zukunft als Industrienation und Sozialstaat" angeht -, die jedem aufmerksamen Zeitungsleser bekannt ist; die meisten Politiker (mit dem Bundespräsidenten als Speerspitze) pflegen diesen oder einen ähnlichen Problemkatalog vorzulesen, wenn sie dazu auffordern, es müsse umgedacht werden, es müsse ein "Ruck" durch die Gesellschaft gehen.
Es ist eine Liste, an der sich schon viele Publizisten und Wissenschaftler abgearbeitet haben. Baring faßt das noch einmal zusammen, erhebt auch keinen Anspruch auf Originalität, sondern referiert und zitiert in weiten Teilen die einschlägigen Reden und Bücher. Daß dabei unter dem dramatisierenden Titel "Scheitert Deutschland?" hauptsächlich Deprimierendes angeführt wird, versteht sich - wer die Deutschen aufwecken will ("Weckruf für Deutschland" wäre auch ein möglicher Buchtitel gewesen), darf sie nicht gleich mit Frohbotschaften trösten. Dennoch ist es das Hauptmanko dieses Buches, daß es bei der Diagnose stehenbleibt, daß es mit fast biblischem Pathos zur Umkehr aufruft, aber den Leser meistens ratlos zurückläßt, weil Baring ihm, was Lösungsvorstellungen für die vielen Probleme angeht, wenig anbietet.
Baring appelliert an den und an die einzelnen; das wird hervorgehoben durch das inklusive "wir", das er bei der Beschreibung "unserer" Probleme immer wieder benutzt (was dem Text in großen Teilen allerdings einen Plauderton verleiht, der seine dramatisierende Tendenz unterläuft). Sicherlich ist solch ein Appell an die Eigenverantwortung, an die Umkehrbereitschaft jedes Bürgers notwendig in einer Zeit, in der Ursachen für Fehlentwicklungen regelmäßig bei "Systemen, Strukturen und Prozessen" gesucht werden. Allerdings ist der Verweis darauf nicht nur pure Abschiebetaktik; von einem Politologen hätte man doch erwartet, daß er etwas gründlicher darüber nachdenkt, wie einzelne, wie die Politiker, wie die Parteien es überhaupt anstellen sollen, durch die harte Schicht der organisierten Interessen durchzustoßen.
Wer diesen Panzer nicht aufbricht, der wird nämlich das Erstarren Deutschlands in Besitzstandswahrung nicht verhindern können. Frau Thatcher, die Baring mehrfach als gutes Beispiel anführt, hat dies in Großbritannien vorgemacht. Doch in Bonn gibt es keine Frau Thatcher, und Deutschland ist nicht Großbritannien. Das ist weder eine Entschuldigung noch eine Erklärung. Man hätte jedoch erwartet, daß es gerade in einer Analyse thematisiert wird, die nach Remedur sucht für die "deutsche Krankheit".
Baring sorgt sich auch um die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Er nimmt Themen und Thesen auf, die in den letzten Jahren von Autoren wie Hans-Peter Schwarz oder Gregor Schöllgen vorgelegt wurden, meist referierend. Am meisten fürchtet Baring, daß Deutschland an der Europäischen Währungsunion und am Euro scheitern könnte. Aber auch dazu ist in den vergangenen Jahren aus ökonomischer wie aus politischer und psychologischer Sicht so viel Skeptisches geäußert worden, daß man Originelles schwerlich erwarten, also von Baring auch nicht sonderlich enttäuscht werden kann.
Man mag hoffen, daß Barings Auflistung der deutschen Probleme zu der von ihm selbst geforderten Einsicht beiträgt, wir müßten "wieder leistungsfähig" werden. Daß sein Buch dabei hilft, die Deutschen zuversichtlich zu machen ("Das ist ganz entscheidend. Das sind wir uns und unseren Nachbarn schuldig."), erscheint dagegen eher zweifelhaft. Der Himmel über Deutschland ist, so wie er ihn beschreibt, grau bis schwarz, voller drohender Gewitterwolken - kaum ein Fleckchen Blau am Horizont. Man könnte meinen, Baring sei über dem Schreiben dieses Buches selbst in Resignation verfallen und habe den Titel nur aus rhetorischen Gründen in Frageform gekleidet. GÜNTHER NONNENMACHER
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