44,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 3-5 Tagen
  • Buch mit Leinen-Einband

Produktdetails
  • Verlag: Beck
  • 4. Aufl.
  • Seitenzahl: 275
  • Erscheinungstermin: 9. März 1979
  • Deutsch
  • Abmessung: 223mm x 148mm x 24mm
  • Gewicht: 524g
  • ISBN-13: 9783406022050
  • ISBN-10: 3406022057
  • Artikelnr.: 04738426

Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung

Was Philosophie sucht
Die Vorausedition von Schellings „Weltalter”-Fragmenten
FriedrichWilhelm Joseph Schelling gilt als genial und schwer verständlich. Schon um 1804, sagen manche, habe sich der junge Naturphilosoph zu Religion, Mystik und Irrationalität „gewendet”. Ein Missverständnis, das die Edition von Fragmenten seiner Philosophie der „Weltalter” bei eiligem Blick zu bestätigen scheint.
Sein Werk ist nur in Teilen bekannt. Die Historisch-kritische Ausgabe der Münchner Schelling-Kommission beschränkte sich bisher auf zu Lebzeiten Veröffentlichtes. Was ist mit dem Nachlass? In Berlin warten tausende handschriftlicher Seiten darauf, öffentlich zu werden. Die Kommission hat gut daran getan, die Ausgabe von Weltalter-Fragmenten schon jetzt als „Vorausedition” in die Reihe „Schellingiana” zu stellen.
Die von Klaus Grotsch besorgte zweibändige, fast 800-seitige Ausgabe tritt mit historisch-kritischem Anspruch an. Fraglich ist, ob sie mit einer ausufernden Einleitung (78 Seiten lang) von Wilhelm Schmidt-Biggemann versehen werden musste, die eigenwillig „Argumentationstraditionen Schelling” vor allem im Neuplatonismus, bei Cusanus, in Kabbala, Mystik und Theosophie fixiert. Muss man so möglichen Lektüren vorgreifen?
Die Edition selbst ist eine Sensation – und ein Wagnis ersten Ranges: Die kaum geordnet archivierten etwa 1000 Blätter zu den Weltaltern sind, solange nicht insgesamt entziffert, weder in der Blattfolge eindeutig zuzuordnen noch verlässlich zu datieren. Ein Wagnis, aber kein unverantwortliches Abenteuer. Grotsch legt über die problematischen Voraussetzungen und die Prinzipien seiner Arbeit im Editionsbericht und in Vorbemerkungen zu den Fragmenten Rechenschaft ab und lässt durch Textvarianten und Erläuterungen Schellings Denken als tastende Suche sichtbar werden.
Das Gebäude der Zeit abtragen
Seit 1811 kündigte Schelling von Messe zu Messe sein „geschichtliches System” der Weltalter an; die Fahnen einer Fassung sind gedruckt; das Werk erscheint nie. Warum das Zögern? Ein Scheitern? 1813 notiert Schelling zu den Weltaltern in einem der in Bremen edierten Tagebücher: „Ureinheit – Zeit des Gegensatzes, der Scheidung – Zeit der Gegenwart. Zeit der höheren Wiedervereinung – Zeit der Zukunft. Also drei Zeiten. System der Zeiten – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im höchsten Sinn. Ich habe es Weltalter genannt, warum? Was Philosophie von jeher gesucht? Wissenschaft = Historie.”
1814 heißt es schon vorsichtiger: „Es ist ein großer und notwendiger Gedanke, alles zu Einer Bewegung, zu Einem Leben, Einem Geschehen zusammenzufügen. Nur wie es gedacht werden soll, ist nicht klar.” Nimmt sich Schelling mit einer Philosophie der Geschichtlichkeit und der Zeit von Göttern und Menschen zu viel vor? „Der Ausgangspunkt aller Philosophie der früheren Epochen ist die Gegenwart, die aber ein für uns unbegreifliches Ganzes ist, worin das Werk einer unbestimmbaren Vergangenheit liegt. Das ganze Gebäude der Zeit muß abgetragen werden um auf den Grund zu kommen.”
In dieser Radikalität geht es Schelling nicht nur um eine historische Metaphysik des ganzen Seins. Auf der Agenda stehen Fragen einer Hermeneutik der Zeitlichkeit. Die Weltalter sind immer wieder den Wissenskulturen gewidmet, in denen Zeit und Geschichte erkannt und dargestellt werden kann. Die berühmte Formel: „Das Vergangene wird gewußt, das Gegenwärtige wird erkannt, das Zukünftige wird geahndet. ... Das Gewußte wird erzählt, das Erkannte wird dargestellt, das Geahndete wird geweissagt.” Es ist diese narrative Form, in der sich Schelling von der Konstruktion der Geschichte im Deutschen Idealismus und von Versuchen löst, „die höchste Wissenschaft zu einer bloßen Wissenschaft in Begriffen zurückzuführen.”
Die Vormärz-Linke hat Schelling als Verräter an der Vernunft- Philosophie gebrandmarkt. Sie hat etwas übersehen: Keine Philosophie dieser Zeit hat so radikal Geschichtlichkeit, keine andere so mutig den Gedanken gedacht: „Der Mensch ist die Gott setzende Natur. Nun aber Gott nicht schlechthin gesetzt – sondern geschichtlich.” Keine andere Philosophie hat sich von der zeitgenössischen Theologie so weit entfernt.
Schelling will eine Geschichte der polytheistischen Mythen und der monotheistischen Religionen; er betont den „transitorischen” Charakter des Christentums. Er ist kein Moralist. Was „Sündenfall” genannt wird, ist für ihn das Zeichen einer Freiheit, in der es das Böse als notwendige Bedingung der Geschichtlichkeit gibt. Darin ist Schelling modern. Den Trost eines Endes der Geschichte in einer weltlichen Rechtsverfassung verweigert er.
Die Weltalter-Fragmente sind die Alternative zum enzyklopädischen System à la Hegel. Da waren nicht etwa Trauben zu sauer. Schelling plädiert vielmehr für ein Philosophieren, das sucht, ringt, vorschnelle Antworten meidet. Noch 1848 gibt er offen zu: „Die Philosophie sucht den vollkommenen Gegenstand. Sie hat ihn mit dem, was wir Definition genannt haben, noch nicht. Denn wir wissen nicht, was das Seiende ist.” Die Offenheit ohne Gewissheit macht Schelling interessant.
Wer sich hierauf einlässt, wird sich von den Weltaltern faszinieren lassen. Nicht das Denken ist fragmentarisch, sondern die notierte Form. Leichte Lektüre ist nicht zu erwarten, um so mehr Anstöße zum Denken. Schwierig ist die Lektüre auch, weil der Herausgeber sich für eine Übertragung mit einem Minimum an Eingriffen entschieden hat – wohl auch aus Gründen der Ökonomie der Zeit; die Wissenschaftsförderung meint es nicht gut mit philosophischen Editionen und Editoren. So steht der Leser vor hohen Hürden: „Von diesem aber gleich 1nzus., daß es von jetzt, d. h. von Anfng d. Bew. nur das seyn Soll. oder das dem Begr. nach Sey. ist, aber weder seyend ist, denn so wär’ es ò die Macht zu seyn.”
Schelling hat diese Fragmente nicht für den Druck vorbereitet. Was nun vorliegt, kommt historischer Authentizität am nächsten. Eine Güterabwägung hätte auch zu einem anderen Ergebnis kommen können: im Zweifel für den Leser.
HANS JÖRG SANDKÜHLER
F. W. J. SCHELLING: Weltalter-Fragmente. Hrsg. von Klaus Grotsch. Einleitung von Wilhelm Schmidt-Biggemann. Frommann-Holzboog Verlag, Stuttgart 2002. 2 Bände, zus. 770 Seiten, 108 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Der brodelnde Vulkan des Geistes schmilzt alles Feste ein
"Weltalter-Fragmente": Die neuen Texte zur Geschichtsphilosophie aus Schellings Nachlaß sind von beinahe vorsokratischer Wucht

Philosophen werden erstaunlich oft vom Nachlaß her verstanden. Das gilt beispielsweise für Hegel, Husserl und Heidegger, für Benjamin und Wittgenstein. Wie immer man das Mißverhältnis zwischen dem vom Autor bewußt der Leseröffentlichkeit überantworteten Werk und der Masse des von fleißigen Editoren aus dem Dunkel der Archive ans Licht gezogenen Materials beurteilt - mit autorisierten Texten allein begnügt sich offenbar die Interpretationsgemeinschaft der Nachkommenden nicht. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, der geniale Beginner und ewig Unvollendete innerhalb der Bewegung des deutschen Idealismus, fällt hier aus der Reihe. Es gibt nämlich sozusagen kein Hauptwerk. Wir sehen nur Werkgenese.

Aus dem Berliner Nachlaß ist jüngst eine Fingerübung des Halbwüchsigen an Platon hervorgetreten, einem von der Aufklärung mißachteten und von Kant als deren Epochenrichter als "Vater aller Schwärmerei" diskreditierten Vorbild. Es folgen staunenerregende Begabungsbelege des blutjungen Stiftlers in Tübingen, der sich Fichte als dem neuen Heros anschließt. Mit Arbeiten zur Naturphilosophie versucht Schelling sodann, Fichtes einseitiges Subjektivitätsprinzip kühn zu überwinden. Der Kultusminister Goethe war so beeindruckt, daß er dem Dreiundzwanzigjährigen eine Professur in Jena verschaffte. Es setzen weiterhin die Arbeiten an der "Identitätsphilosophie" Schellings ein. Und immer wieder Vorlesungen an wechselnden Orten wie Würzburg, Erlangen, Stuttgart und München.

Die Wanderschaft endet in hohem Alter schließlich mit der Nachfolge auf Hegels berühmten Lehrstuhl in Berlin, was einen letzten Triumph über den Jugendfreund bedeutet. In den zwischenliegenden Jahrzehnten von etwa 1810 bis 1840 schreibt Schelling an kaum vollendeten, tiefsinnigen, den Idealismus umstürzenden Opera, die seinen geheimen Ruhm erhalten, ihm aber eine gehörige Stellung in der akademischen Welt versagen.

In den Zusammenhang gehören die hier anzuzeigenden "Weltalter-Fragmente". Es handelt sich um eine "Vorausedition" aus dem in Berlin befindlichen Nachlaß des Autors (der umfangreiche Münchener Teil ist im Kriege verbrannt). Sie will uns aus der verzweifelten Ignoranzlage befreien, daß die definitive, historisch-kritische Edition dank ihres üblichen Schneckengangs erst unsere Enkel erreichen mag. Die Texte zu den "Weltaltern" stellen Schellings Beitrag zur damals aufblühenden Geschichtsphilosophie dar. Hegels erstes Buch, das monumentale Rätselwerk einer "Phänomenologie des Geistes", erscheint 1806 und zieht in der "Vorrede" einen deutlichen Trennungsstrich zu Schelling. Man darf vermuten, daß die "Weltalter" Jahre später auf Hegels phänomenologische Version der "Geschichtsphilosophie" antworten.

Schmidt-Biggemann steuert zur Edition eine lange thematische Einleitung bei. Dank der umfassenden Kenntnis auch der untergründigen Traditionen der Neuzeit, die aus Neuplatonismus und Mystik stammen, kommen Cusanus, Bruno, Böhme, Spinoza und die Kabbala zu Wort sowie der Spätling Jacobi im Kreis des siegreichen Rationalismus. Das ist lehrreich und beeindruckend, aber die Herkunftslinien aus der Feder des Polyhistors lassen den Interessenten dann mit dem Text Schellings doch allein.

Schon beim ersten Satz merkt der wohlmeinendste Leser, daß ein Kampf bevorsteht, ein Kampf um Buchstaben, Abkürzungen, Zeichen und Formeln, Zeile um Zeile, Abschnitt um Abschnitt. Die Textlage ist eben derart vorläufig, andeutungsreich und ungeordnet. Der Editor gibt sie exakt wieder mit allerlei Fußnoten zum Textbestand. Also muß das angemessene Verstehen des Behandelten oder, besser gesagt, der vage intendierten Sachen auf dem extrem schwankenden philologischen Boden Fuß zu fassen suchen. Das bedeutet mühsame Spezialistenarbeit und kann an dieser Stelle nicht Thema sein.

Manche Brocken erinnern an die Fragmente der Vorsokratiker, bei denen nahezu alles von heute aus hinzugedacht werden muß. Andere Teile gemahnen an das geistreiche Feuerwerk der Fragmentenproduktion der Romantiker. Trotz des beklagenswerten Textbestands verdienen die gedanklichen Grundlinien der "Weltalter-Fragmente", denen die Publikationen von Schellings Sohn 1861, von M. Schröter 1946, von S. Peetz 1990 und anderen zur Seite zu stellen sind, wenigstens angedeutet zu werden. Die Weltgeschichte ist ein Erbe des Christentums, wie Karl Löwith vor langem gezeigt hat. Zwischen Augustinus, dem spätantiken Kirchenvater, und Bossuet, dem Hofprediger Ludwigs XIV., dominiert die Theologie. Voltaire knüpft kritisch an Bossuet an und liefert die erste Sittengeschichte der Menschheit. Herder kritisiert Voltaire im Namen einer kulturellen Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Kant verteidigt einen Kosmopolitismus des Rechts, und Hegel erhebt die Gesamtgeschichte zur Angelegenheit des Weltgeistes.

Dies alles verwirft Schelling, um die Geschichte als Akt der Offenbarung Gottes zu deuten. Die Metaphysik erobert wieder das historische Feld, indem die drei Zeitdimensionen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als Demonstrationsfeld des Absoluten in einem trinitarischen Sinne in Anspruch genommen werden. Die Parallele von Vater, Sohn und Geist stellt in Wahrheit ein reichlich simples Modell dar. Denn die allgemeinen Zeitdimensionen ergeben als solche ein viel zu abstraktes Muster sowohl für den umfassenden Begriff der "Alter" der Welt wie auch der Offenbarung Gottes.

Deshalb wird das Verständnis Gottes in den Prozeß verwickelt. Er steht nicht außen vor als Schöpfer, Lenker und Richter. Sein eigenes Sein ist im tiefsten geschichtlich. Also kommt er gewissermaßen nie zur vollen Präsenz, sondern verschließt sich, entäußert sich und zieht sich wieder zurück.

"Seelenstärke ist nötig, den Zusammenhang der Bewegung vom Anfang bis zum Ende festzuhalten. Die meisten aber möchten, wo nur die Tat entscheidet, alles mit friedlichen Allgemeinbegriffen schlichten, und eine Geschichte, in der wie in der Wirklichkeit Szenen des Kriegs und des Friedens, Schmerz und Lust, Gefahr und Errettung wechseln, als eine bloße Folge von Gedanken vorstellen."

"Gott selbst (um uns aufs schärfste auszudrücken) setzt im Act seines ewigen Daseyns das als wirklich geschehen (vergangen), was wir als geschehen darstellen. Von nichts reden die meisten mehr als von der Lebendigkeit Gottes, und doch scheint ihnen nichts unerwarteter als die Gott zugeschriebene wirkliche Lebendigkeit. Kein Leben ist ohne gleichzeitiges Sterben."

Für ein aktuelles Interesse der Philosophie, Geschichte zu verstehen, bieten Schellings Gedankenskizzen kaum Hilfestellung. Für ein theologisches Interesse, Gott begrifflich näher zu kommen, vermutlich auch nicht. Aber der Philosophiehistoriker beobachtet einen brodelnden Vulkan des Geistes, der alles Feste einschmilzt, ohne je zur völligen Eruption zu gelangen.

RÜDIGER BUBNER

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: "Weltalter-Fragmente". Herausgegeben von Klaus Grotsch. Mit einer Einleitung von Wilhelm Schmidt-Biggemann. Schellingiana 13/1 und 13/2. Verlag Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002. 2 Bände, 770 S., br., 108,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr